Piratenpartei: "Häme hilft nicht"

"Piratenschiff", Bild: Tobias Wolter,  Lizenz: CC BY-2.0 Original: flickr.com

10. Mai 2012
Ralf Fücks
Wer daran glaubt, dass man sich Wahlerfolge redlich verdienen muss, kann den Aufstieg der Piraten nicht ohne einen gewissen Ingrimm verfolgen. Sprachlosigkeit zu zentralen Themen, amateurhaftes Personal, kein Konzept gesellschaftlicher Veränderung und keine zündenden Reden. Aber in bundesweiten Umfragen bei zehn Prozent.

Das schmerzt alle, die sich auf der politischen Ochsentour abmühen und parlamentarische Kärrnerarbeit leisten. Besonders groß ist der Frust bei SPD und Grünen. Denn der Aufstieg der Piraten droht die Aussicht auf rot-grüne Koalitionen zu verhageln.

In Schleswig-Holstein wird es selbst für ein Dreierbündnis knapp. Zwar könnte es in Nordrhein-Westfalen noch einmal für Rot-Grün reichen. Aber für die kommende Bundestagswahl sieht es trübe aus, falls der Hype um die Piraten noch so lange anhält.

Das Amateurhafte der Piraten wirkt auf viele sympathisch

Der Hinweis, dass die Piraten unfreiwillig die Vormachtstellung der Union im Parteiensystem befestigen und einem "Machtwechsel" im Weg stehen, beeindruckt ihre Anhänger bislang wenig. Mit dem gleichen Argument hat schon die SPD vergeblich versucht, den Aufstieg der Grünen zu diskreditieren. Es gibt offenbar genügend Wählerinnen und Wähler, die das nicht abschreckt, genauso wenig, wie sie die Leerstellen ihres Programms stören.

 Vermutlich ist es gerade umgekehrt: Das Amateurhafte der Piraten wirkt auf viele sympathisch. Sie werden gewählt, weil sie "anders" sind. Der Vorwurf, sie seien unprofessionell, geht ins Leere, weil eine wachsende Zahl von Bürgern die Nase voll hat vom professionellen politischen Betrieb. Sofern sie bei Wahlen nicht gleich zu Hause bleiben, finden sie in den Piraten offenbar ein Ventil für ihr Missvergnügen.

Die Piraten haben zu wichtigen Fragen nichts zu sagen? Besser als chronische Rechthaberei. Sie sind keine geschliffenen Redner? Sympathischer als der routinierte Politiksprech, die Häme über den politischen Gegner und die kalkulierten Statements, aus denen ein Großteil unserer politischen Kommunikation besteht.

Kontrastprogramm zur etablierten Politik

Einer wie Winfried Kretschmann ist auch deshalb so geachtet, weil man ihm beim Denken zuhören kann. Man weiß nicht von vornherein, was er auf eine Frage antworten wird. Das fällt angenehm auf. Er hat ein Gespür dafür, dass das übliche "wir sind toll und alle anderen sind doof" auf Parteitagen funktionieren mag, aber gegenüber einer größeren Öffentlichkeit nach hinten losgeht.

Weil die Piraten vor allem als Kontrastprogramm zur etablierten Politik gesehen werden, nützt es gar nichts, sie zu kritisieren, weil sie keine "richtige Partei" sind. Offenbar finden viele Leute gerade das gut. Auch der durchsichtige Versuch, sie in der rechten Ecke festzunageln, hat nicht verfangen. Das alles heißt nicht, dass ihr Aufstieg unaufhaltsam wäre. Je erfolgreicher sie sind, desto weniger werden sie das Image der "Antiparteien-Partei" aufrechterhalten können.

Ihr basisdemokratischer Anspruch wird mit den Erfordernissen parlamentarischer Arbeit kollidieren. Sie werden im Zeitraffer durch all die Konflikte hindurchgehen, die auch die Grünen durchlebt haben: Lockerung des Rotationsprinzips, Recht der Parlamentarier auf eigenständige Entscheidungen, Herausbildung einer Klasse von Berufspolitikern, Wahl politischer Vorstände statt bloßer Vollstrecker des Basiswillens. Tun sie das nicht, werden sie sich eher früher als später als politikunfähig entpuppen.

Es geht um den Markenkern der Piraten

Diese Häutung geht ans Eingemachte. Denn über nichts definieren sich die Piraten so sehr wie über das Hohelied der Basisdemokratie, die im Internet-Sprech "Liquid Democracy" heißt. Auf ihren Parteitagen tobt sich der Affront gegen Berufspolitik und die Delegation politischer Macht an gewählte Repräsentanten aus. Deshalb stellt die Transformation zu einer professionellen politischen Kraft den Markenkern der Piraten infrage.

Sie könnten sich dann nicht mehr durch eine alternative Art des Politikmachens definieren, sondern nur noch über eine alternative Politik. Dann wird sich zeigen, ob die Partei tatsächlich neue Antworten auf die großen politischen Fragen finden wird. Das wird ihr auch deshalb schwerfallen, weil Mitglieder und Wähler der Piraten aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommen. Sie eint nicht ein gemeinsames Projekt, sondern die Abgrenzung zur etablierten Politik.

Auch der freiheitliche Gestus, der viele Anhänger eint, wird nicht tragen, wenn darunter vor allem die Kostenfreiheit im Netz verstanden wird. Das Internet bedeutet einen radikalen Strukturwandel der Öffentlichkeit, es verändert Ökonomie, Kultur und Alltagsleben. Ob es jedoch zur Begründung einer neuen politischen Richtung taugt, ist noch nicht ausgemacht.

Die deutsche Politik wird unberechenbarer

Für die anderen Parteien wäre es allerdings fahrlässig, darauf zu bauen, dass der Piratenspuk rasch wieder verschwinden wird. Wahrscheinlicher ist, dass es zunächst zu einer weiteren Aufsplitterung der Parteienlandschaft kommt. Während die Union es bisher verstanden hat, unliebsame Konkurrenz in ihrem politischen Beritt zu verhindern und das letzte Wort über die FDP noch nicht gesprochen ist, differenziert sich das Mitte-links-Spektrum weiter aus.

Zwar versammeln SPD, Grüne, Linkspartei und Piraten locker eine Mehrheit der Wähler hinter sich. Daraus wächst aber bislang keine politische Mehrheit, die koalitionsfähig wäre. Solange die Opposition nicht einigungsfähig ist, behält die Union den Schlüssel zum Kanzleramt. Darauf haben bisher weder SPD noch Grüne eine Antwort. Für die kommende Bundestagswahl müssen sie voraussichtlich eine dritte Partei ins Boot holen, um einen Machtwechsel herbeizuführen. Ansonsten bleibt ihnen nur die Rolle als Koalitionspartner der Union, da helfen keine Dementis und keine kalten Umschläge.

Sollten die Piraten dauerhaft Fuß fassen, wird die bundesrepublikanische Politik weniger berechenbar werden. In einem Fünf- bis Sechs-Parteien-System werden Regierungskoalitionen bunter und wechselhafter. Möglicherweise werden wir uns auch an Minderheitsregierungen und wechselnde Mehrheiten gewöhnen. Wenn sich die festen politischen Lager zugunsten sachorientierter Allianzen auf Zeit auflösen, muss das kein Verlust sein. Es wäre nur der
Ausdruck einer immer stärker ausdifferenzierten Gesellschaft.

Erstveröffentlichung: 08.05.2012 in WELT ONLINE, © Axel Springer AG 2012. Alle Rechte vorbehalten

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.