Worüber reden die Piraten?

Lesedauer: 5 Minuten

26. Oktober 2012
Ralf Fücks
Worüber redet die Piratenpartei? Und welche Werte sind den Piratinnen und Piraten wichtig? Die Heinrich-Böll-Stiftung hat heute eine Studie vorgestellt, die diesen Fragen auf den Grund geht. 

Um besser zu verstehen, wovon die Rede ist, wenn wir von den Piraten sprechen, hat die Heinrich-Böll-Stiftung das unabhängige Institut „Nautilus Politikberatung“ mit einer Studie beauftragt, die im Internet zugängliche Kommunikation und die Programmdebatte der Piraten zu analysieren. Auf der Grundlage einer datengestützten semantischen Analyse entwickeln die Autoren eine qualitative Interpretation zur politischen Verortung der Partei. 

Wie die Grünen damals mit dem Thema Ökologie groß wurden, scheinen die Piraten heute das neue Zeitgeist-Thema zu repräsentieren: die Lebenswelt des Internet. Ihr anfänglicher Aufstieg hängt eng mit den Protesten gegen Internetzensur, Netzsperren und Kommerzialisierung der digitalen Welt zusammen. 

Sie kommen antiautoritär daher, pflegen einen basisdemokratischen Stil und einen amateurhaften Auftritt. Das macht sie für viele sympathisch. Wie lange das trägt, steht auf einem anderen Blatt. Noch ist nicht ausgemacht, ob den Piraten der Übergang zu einer dauerhaften politischen Kraft gelingt. Der mediale Hype um die neue Partei ist vorbei, die Umfragewerte sinken, die Partei scheint vor allem mit sich selbst beschäftigt. Die Bundestagswahl könnte schon zur Existenzfrage für sie werden. Die Piraten stehen vor dem Dilemma, sich entweder zu professionalisieren – und damit den „etablierten Parteien“ näher zu kommen – oder über ihre basisdemokratischen Strukturen zu stolpern, die von tiefem Misstrauen gegenüber gewählten Repräsentanten geprägt sind. Die heftige Ablehnung von Politik als Beruf erinnert an die Frühphase der Grünen – man darf gespannt sein, ob die Piraten ähnliche Häutungen bevorstehen.

Hinsichtlich ihres Wertegerüsts kommt die Studie zum Ergebnis, dass Transparenz und Freiheit zentrale Werte für die Piraten sind. Ihre politische Sprache verortet sie überwiegend im liberalen Spektrum, obwohl auch ganz andere Stimmen vernehmbar sind – man erinnere sich an die interne Debatte, ob rechtsextreme und antisemitische Positionen unter die Rubrik „Meinungsfreiheit“ fallen. Wie alle Parteigründungen, ziehen auch die Piraten alle möglichen schrägen Vögel an.   

Interessant an den Piraten scheinen mir weniger ihre netzpolitischen Positionen zu sein – da ist die Programmatik der Grünen weiter. Vielmehr verkörpern sie ein Versprechen auf erweiterte politische Teilhabe;  eine interaktive Variante der Basisdemokratie. Das dahinter stehende Konzept geht über die Forderung nach mehr direkter Demokratie hinaus. Es zielt auf eine neue Form kollaborativer Demokratie: alle haben die Möglichkeit, per Internet an der Entscheidungsfindung mitzuwirken. Das Projekt „liquid democracy“ überträgt das Prinzip permanenter Rückkopplung in die Sphäre politischer Meinungsbildung. Johannes Ponader, politischer Geschäftsführer der Piraten, nennt das „Anpassung der demokratischen Prozesse an die digitale Welt.“ Die Erarbeitung eines neuen Verfassungsentwurfs in Island in einem interaktiven Beteiligungsverfahren gilt als Pilotprojekt für diese neue Partizipationskultur.

Offenkundig gibt es hier Überschneidungen mit grünen Vorstellungen von Bürgerbeteiligung und partizipativer Demokratie. Allerdings ist das Verhältnis der Piraten zur repräsentativen Demokratie bislang ungeklärt; dazu gibt es ein weites Spektrum von Positionen bis hin zu antiparlamentarischen Ressentiments. Auch das kennen wir aus der Frühphase der Grünen, ebenso wie den starken Impuls der Einmischung von unten. 

Besteht also eine spezielle Nähe zwischen Piraten und Grünen? Folgt man der Studie, gibt es trotz der kritischen Äußerungen vieler Parteiaktivisten über die Grünen eine deutliche kulturelle Nähe und diverse politische Schnittmengen. Differenzen zur grünen Programmatik sieht die Studie vor allem in der bisherigen programmatischen Engführung der Piraten, der Untergewichtung der ökologischen Frage und im ungeklärten Demokratie-Konzept der Partei. Der Schlüsselbegriff „Gerechtigkeit“ kommt im Grundsatzprogramm der Piraten nicht vor, während er für die Grünen von zentraler Bedeutung ist. Die Frauenfrage spielt kaum eine Rolle, Quoten werden abgelehnt. Ob das libertäres, naives oder patriarchales Denken ist, lassen wir dahingestellt. Von einem halbwegs konsistenten Konzept gesellschaftlicher Partizipation und sozialer Gerechtigkeit sind die Piraten jedenfalls weit entfernt. 

Im Umgang mit der neuen Partei empfiehlt die Studie einen konstruktiven Kurs. Auch wenn noch offen ist, ob die Piraten mehr als eine Eintagsfliege sein werden, empfiehlt sich ein offener Dialog mit ihnen, der sie gleichzeitig politisch fordert und ernst nimmt. Es bringt nichts, das Erstgeburtsrecht für Bürgerbeteiligung und Netzpolitik zu reklamieren und die Piraten für überflüssig zu erklären – darüber entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Stattdessen sollten wir abklopfen, was sie zu zentralen politischen Themen zu sagen haben, von der Eurokrise bis zum Klimawandel. Dabei wird sich auch herausstellen, ob die Piraten als potenzieller Bündnispartner taugen.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

Video

Podiumsdiskussion zur Studie am 25.10.2012