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Landtagswahlen im Saarland: Singuläres Ereignis oder Signal für einen Wechsel

Landtagswahlen sind Mobilisierungswahlen, soll heißen, wer gut mobilisiert, und da spielt die innere wie äußere Verfassung der Parteiorganisation die wichtigste Rolle, wird belohnt, auch dann, wenn die Wahlbeteiligung sinkt: die Piraten, aber auch die SPD (+16.000 Stimmen) haben 2012 davon profitiert. FDP, Grüne und LINKE mobilisierten kaum. 2012 betrug die Wahlbeteiligung 61,6 Prozent nach 67,6 Prozent 2009 und 55,5 Prozent 2004. 
Die bundespolitische Relevanz war gering, die symbolische Bedeutung dagegen hoch. Frau Merkel fürchtete, den vierten CDU-Ministerpräsidenten zu verlieren, die SPD hoffte, einen gewinnen zu können, Oskar Lafontaine wünschte sich einen Schubs raus aus der Provinz, die innerparteilich malträtierten Grünen hofften auf Verbleib durch Anerkennung ihrer Regierungsarbeit, die FDP bangte um ihre Existenz und die Piraten wollten nach Berlin die zweite Stufe ihrer Rakete zünden.

An der Saar wurde jedoch nicht über Bundespolitik, sondern über Akteure und Landespolitik entschieden. Die war für rund drei Viertel der Wähler wichtig und ihr Rückblick auf die aufgekündigte Jamaika-Koalition, der wichtigste Faktor für die Bestimmung der Ausgangslage dieser Wahl, führte zur Aufwertung der großen und Abwertung der kleinen Parteien, auch der Piraten, die nicht im Landtag vertreten waren und daher nicht enttäuschen konnten. 

Die Wahl war von vornherein einer ihrer wichtigsten Funktion, der Entscheidung über die für eine Koalitionsbildung möglichen Optionen durch die Bestimmung der  parlamentarischen Stärke der Parteien beraubt worden. Es ging „nur“ noch um die sie anführende Partei und Person. Davon profitierten vor allem die Piraten: 85 Prozent ihrer Wähler erklärten,  sie könnten deshalb eine Partei wählen, „die sonst nicht in Frage kommt“ (FGW, LTW im Saarland, 25.03.2012). Hilft das den Piraten auch im Mai in NRW? 

In den Landtag ziehen fünf Parteien ein: CDU (35,2 Prozent), SPD (30,6 Prozent) LINKE (16,1 Prozent), Piraten (7,4 Prozent) und gerade so über dem Durst die Grünen (5,0 Prozent). Familienpartei (1,7 Prozent) FDP und NPD (jeweils 1,2 Prozent), Freie Wähler (0,9 Prozent) sowie  Die Partei (0,5 Prozent) und Direkte Demokratie (0,1 Prozent) bleiben draußen. Das Ergebnis unterstreicht eine seit 2010 auftretende Tendenz in den Ländern. Das rechte Parteienlager ist trotz leichter Gewinne der CDU in Rheinland-Pfalz, Berlin und an der Saar geschrumpft, das linke ist, die Piraten eingeschlossen, mit nun vier Parteien insgesamt stärker, zugleich jedoch fragmentierter geworden. Doch selbst wenn sich die Entwicklung in Schleswig-Holstein und in NRW fortsetzen sollte, sagt das nichts über den Ausgang der Bundestagswahl 2013 und sich daraus ergebende Koalitionsmöglichkeiten aus. Nicht nur deshalb, weil im linken Lager scharfe Auseinandersetzungen über Deutungshoheiten und Führungsrolle die interne Kooperation beeinträchtigen, während es im rechten Lager nach dem Abtauchen der FDP nur noch Potentiale für innerparteiliche Streitigkeiten gibt. Sondern weil es auch die Vorstellungskraft der gegenwärtigen Akteure übersteigt, sich Gedanken über erweiterte Koalitionsoptionen zu machen. Da die LINKE bislang nicht in Koalitionen eingeplant wird, könnten die Piraten dafür herhalten, sofern sie den Einzug in den Bundestag schaffen.


Gero Neugebauer ist Politikwissenschaftler. Einer der Schwerpunkte von Neugebauers Arbeit ist die Parteienforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Hier gilt er insbesondere als Experte zur politischen Entwicklung der SPD, speziell in den ostdeutschen Bundesländern. Quelle: wikipedia.org