Bild: Arthur Johnson. Lizenz: Fair Use. Original: Kladderadatsch, 3. September 1933.
Die NPD ist in den letzten fünf Jahren verschiedentlich als Verfechterin des Natur- und Umweltschutzes in Mecklenburg-Vorpommern aufgetreten. Erinnert sei nur an ihre Kampagnen gegen Gentechnologie beim Gemüseanbau oder an ihre Forderungen nach einem Atomausstieg. In anderen politischen Konstellationen wie zum Beispiel bei der Frage der Schaffung großflächiger Moor- und Sumpfgebiete im Landkreis Ostvorpommern oder der Begrenzung der Heringsfangquoten in der Ostsee hat die NPD sich dann allerdings im Namen der „Menschen vor Ort“ massiv gegen den Umwelt- bzw. Tierschutz erklärt. Auf diese Weise erweckt sie zuweilen den Eindruck, dass es ihr gar nicht grundsätzlich um Umweltschutzbelange geht, sondern dass sie das Thema nur dann nutzt, wenn sie sich dadurch eigene propagandistische Erfolge verspricht. Dennoch wäre es verkürzt, wenn man das umweltpolitische Selbstverständnis der NPD mit dem Vorwurf zu entlarven versucht, dass die Partei lediglich hoffe, am Beispiel des Themas Umweltschutz starke Argumente für eine Abschaffung der bestehenden freiheitlichen Ordnung zu finden. Der Umweltschutzgedanke hat im modernen Rechtsextremismus mittlerweile einen festen Platz und geht Hand in Hand mit der Leitvorstellung einer autoritären politischen Lösung dieses Problems.
Öko-Diktatur: Ein altes Thema
Doch es sind nicht nur Parteigänger oder Parteigängerinnen der NPD, die beim Thema Umweltschutz ihre Sympathien für eine autoritäre bzw. diktatorische Richtung gehende Politik offenbaren. Der Ruf nach einer „Öko-Diktatur“ begleitet die neue Umweltschutzbewegung seit ihren Anfängen in den 1960er-Jahren und kommt von verschiedenen politischen Seiten. Begonnen hatten mit der ökologisch motivierten, radikal ansetzenden Demokratiekritik in den 1960er-Jahren zunächst Bevölkerungswissenschaftler aus den USA, die sich zuvor politisch durchaus als Liberale verstanden hatten, nun aber angesichts der von ihnen als in einer freien Gesellschaft für unlösbar erklärten „Bevölkerungsexplosion“ nach radikalen autoritären Maßnahmen riefen. Es verwundert deshalb auch nicht, dass die rigide durchgesetzte Ein-Kind-Politik in China bei ihnen auf Zustimmung stieß. Auf sie folgte in den 1970er-Jahren eine Reihe anderer Autoren, die an der von ihnen diagnostizierten ökologischen Krise schier verzweifelten und nach einem autoritären Ausweg suchten. Zu ihnen gehörten ehemalige Stalinisten aus der damaligen DDR wie Wolfgang Harich sowie wertkonservative Mitbegründer der Partei „Die Grünen“ wie Herbert Gruhl, der von einer ökologischen Notstandsregierung u.a. verlangte, sie solle die Kinderhöchstzahl eines Landes staatlich festsetzen und Konsumgüterwerbung verbieten.
Sie alle machten aus ihrer Überzeugung, dass die moderne westliche Demokratie unfähig sei, angemessen auf die ökologische Krise zu reagieren, keinen Hehl. Die bundesdeutschen Rechtsextremisten sind demgegenüber erst mit erheblicher Verspätung auf den demokratiekritischen Zug dieses Themas aufgesprungen. Zuletzt schwoll im Zuge der gescheiterten Weltklimakonferenz im Dezember 2009 in Kopenhagen die Zahl der Stimmen derer wieder an, die meinen, dass moderne Demokratien unfähig seien, zu angemessenen Lösungen der globalen Umweltprobleme zu kommen. Verschiedene Klimaforscher meldeten sich in Zeitungen und Online-Foren enttäuscht zu Wort und beklagten in diesem Zusammenhang ein generelles Demokratieversagen. Die Tatsache, dass solche Schuldzuschreibungen an die Adresse der Demokratie öffentlich erhoben und diskutiert werden können, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ist es doch ausgerechnet das politische System namens „Demokratie“, in dem die freie und offene Thematisierung der politischen Systemfrage im Zusammenhang mit dem Umweltproblem überhaupt erst möglich ist.
In den letzten Jahren gibt es diesbezüglich einen neuen Trend zu beobachten: Verschiedentlich haben sich westliche Kommentatoren von der Forschung und Entwicklung neuer energiesparender Produkte und von der Planung und dem Aufbau einiger ökologischer Mustersiedlungen in China beeindruckt gezeigt und hoben in diesem Zusammenhang insbesondere das rigorose Eingreifen staatlicher Planungsbehörden positiv hervor. Nun ist China derzeit bekanntlich alles andere als ein ökologisches Musterland. Zudem diente es schon häufiger als Projektionsfläche für umweltpolitische Illusionen westlicher Beobachter. Zum Beispiel als es vor vierzig Jahren mit seiner damals vielfach dezentral organisierten Energieversorgung in den Landkommunen als Vorbild einer radikalen ökologischen Alternative galt. Sollte das autoritär regierte Land heute auf andere Art erneut das Vorbild für eine ökologische Systemalternative abgeben und gar den Beweis dafür liefern, dass autoritär oder diktatorisch regierte Staaten die für notwendig erachtete ökologische Wende besser schaffen können als Demokratien? Unabhängig von der Propaganda der Rechtsextremisten ist die Frage nach der „Öko-Diktatur“ heute erneut in das Zentrum politischer Debatten gerückt.
Die Vorwürfe an die Demokratie
Was aber sind nun die Argumente und Behauptungen derer, die der modernen Demokratie ein umweltpolitisches Versagen vorwerfen? Im Kern sind es die folgenden drei Argumente, die gegen die Demokratie ins Feld geführt werden und die im Laufe der letzten vierzig Jahre erstaunlich wenig Veränderung erfahren haben.
Erstens wird argumentiert, dass in einer Demokratie auf Umweltprobleme deshalb nicht angemessen reagiert werden kann, weil deren gefährliche Auswirkungen weit in die Zukunft hineinreichen. Am deutlichsten erkennbar ist diese Ungleichzeitigkeit bei den Folgen des Klimawandels oder den Kosten der Atommülllagerung. In Demokratien, so das Argument, nehmen Politiker mit ihren Wahlkampfversprechen und die Wähler mit ihren Wünschen in der Regel nur einen kurzen und begrenzten Zeithorizont in den Blick und verlieren langfristige Probleme aus ihrem Blickfeld. Dadurch werden kurzfristige Gewinne auf Kosten langfristiger Schäden prämiert. In der Umweltpolitik ist diese Konstellation besonders prekär (sie gilt aber auch für die Renten- oder Schuldenpolitik). Auch Anhänger der Demokratie führen dieses Problem als eine ernsthafte Schwäche bzw. Herausforderung der Demokratie an. Bei den autoritären Demokratiekritikern wird es allerdings radikal zugespitzt und lautet: Der innere Zeittakt der Demokratie ist generell viel zu kurz für nachhaltige politische Vorhaben wie den Erhalt der natürlichen Umwelt.
Zweitens wird behauptet, dass die liberalen Freiheiten in der modernen Demokratie notwendige umweltpolitische Maßnahmen blockieren würden. So würde der demokratische Grundrechtsschutz verhindern, dass die Bürger zu größerem Verzicht oder zu einem alternativen Konsum gezwungen werden könnten. Zudem würden die demokratischen Prinzipien der Selbstbestimmung des Einzelnen und seiner Freiheit schlechte kulturelle Nebenwirkungen haben und beispielsweise im Namen der Selbstverwirklichung den Wunsch nach immer mehr Konsumgütern anregen. Eine Umkehr zu einer Politik des notwendigen Verzichts und der Askese, so die pessimistische Schlussfolgerung, sei mit Menschen, die derart kulturell geprägt sind, schlicht nicht zu machen. Zugespitzt lautet das Argument der Demokratiekritiker: Die Kultur der liberalen Demokratie sei verzichtsfeindlich und damit umweltzerstörend.
Drittens wird angeführt, dass die freiheitliche Demokratie ein Koordinationsproblem hat, das im Bereich der Umweltpolitik zu fatalen Auswirkungen führt. Es lässt sich als „Trittbrett-Fahrer-Syndrom“ bezeichnen. Damit ist gemeint, dass ein Einzelner nur dann bereit ist, seinen Anteil an der Herstellung eines gemeinsamen Gutes zu leisten, wenn er ganz sicher sein kann, dass alle anderen auch dazu beitragen. Ansonsten würde er sich als „der dumme August“ oder „die dumme Augustine“ fühlen, der oder die treu und brav seinen oder ihren Beitrag leistet, während alle anderen versuchen, umsonst durchzukommen – und wenn alle anderen diesen Eindruck ebenfalls haben, dann wird jeder nur an sich denken, und das gemeinsame Gut wird nicht hergestellt. In der wissenschaftlichen Fachsprache wird dieses Problem als das „Paradox öffentlicher Güter“ bezeichnet. Die Lösung vieler Umweltprobleme, so das Argument der Demokratiekritiker, unterliege genau der geschilderten fatalen Logik, weshalb es auch nicht besonders überraschend sei, wenn es in Demokratien vielfach nicht gelänge, die von allen Beteiligten als notwendig erachteten umweltpolitischen Maßnahmen zu ergreifen.
Die autoritäre Alternative und ihre Probleme
Vor dem Hintergrund der genannten Einwände gegen die Demokratie sind einige Umweltschützer zu der Überzeugung gelangt, dass es einer radikalen autoritären politischen Systemalternative bedürfe. Das von ihnen ins Feld geführte „autoritäre Argument“ lautet schlicht und einfach: Nur eine mit autoritären Vollmachten ausgestattete Regierung kann die genannten Blockaden und falschen Anreize, die einer strikt ökologisch orientierten Politik in den bisherigen Demokratien im Wege stehen, überwinden bzw. außer Kraft setzen. Für diesen Zweck ist es nötig, dass den Bürgern erhebliche Abstriche bei ihren politischen Mitwirkungsrechten, bei ihren Grundrechten und in ihren wirtschaftlichen Freiheiten zugemutet werden. Nur eine autoritäre Regierung kann konsequent „durchregieren“ und damit gegen alle Widerstände all diejenigen Maßnahmen durchsetzen, die notwendig sind, um die ökologische Krise zu überwinden.
Das autoritäre Argument beruht auf mehreren Annahmen, die bei näherer Betrachtung allerdings wenig überzeugend sind:
Erstens beruht das autoritäre Argument ganz zentral auf der Annahme eines „wohlmeinenden Diktators“ (oder einer „Diktatorin“ – wenn diese Vorstellung nicht ganz anders gelagerte Ängste auf Seiten der Rechten hervorrufen würde). Denn das autoritäre Argument funktioniert ja nur unter der Bedingung, dass die autoritäre politische Führung (sei es in Gestalt einer Person oder einer Personengruppe) tatsächlich fest entschlossen ist, eine gute ökologische Politik im Interesse aller Menschen zu betreiben. Was aber, wenn sich der Traum vom „wohlmeinenden Diktator“ als Alptraum eines „egoistischen Diktators“ entpuppt? Was, wenn der Diktator eine ausgesprochene „Umweltsau“ ist? Diese Frage ist natürlich rein spekulativ. Aber zumindest aus geschichtlicher Sicht wäre es eher überraschend, wenn ein Diktator immer nur wohlmeinende Pläne hegte. In der Regel wurde die Diktator-Position von Menschen besetzt, die charakterlich mindestens so fehlbar waren, wie die Mehrheit ihrer Zeitgenossen – mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie von niemandem gestoppt werden konnten. Mit anderen Worten: Die Erwartung, dass ein Diktator oder eine autoritäre Gruppe in der Politik von vornherein nur wohlmeinende Ziele im Auge hat, ist nicht plausibel und spricht damit gegen den vermeintlichen Vorzug einer autoritären Alternative.
Zweitens beruht das autoritäre Argument auf der (unausgesprochenen) Annahme, dass sich ein „wohlmeinender Diktator“ – nähmen wir einmal an, eine solche Person übernähme ein derartiges Führungsamt – im Laufe seiner Amtsführung nicht zum Schlechten hin verändert; das Gleiche gilt im Übrigen auch für seine Nachfolger. Aber auch hier bietet die Geschichte mehr Anschauungsmaterial über Diktatoren, die sich im Laufe ihrer Amtszeit zum Schlechteren verändert haben, als umgekehrt. Politische Macht ist offensichtlich immer korrumpierend – weshalb die politische Machtausübung in Demokratien strikt reguliert und kontrolliert werden soll –, und absolute Macht ist deshalb auch absolut korrumpierend. Selbst die mit den größten Befreiungsversprechen angetretenen Diktatoren haben sich im Laufe ihrer Amtsführung zu korrupten Unterdrückern ihrer Bevölkerung entwickelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine einmal als „wohlmeinender Diktator“ eingesetzte Person ihr Amt nach längerer Amtsführung zum eigenen Vorteil missbraucht und die ursprünglichen besten umweltpolitischen Ziele aus dem Blick verliert, ist zu groß, als dass eine autoritäre Regierung der Demokratie als überlegen angesehen werden könnte.
Drittens beruht das autoritäre Argument auf der Annahme, dass es für die Wirksamkeit vernünftiger umweltpolitischer Maßnahmen genüge, wenn sie nur strikt genug durchgesetzt und kontrolliert würden. Gegen diese Annahme spricht die Tatsache, dass der Erfolg vieler umweltpolitischer Maßnahmen auf der freiwilligen und engagierten Mithilfe verschiedener Bevölkerungsgruppen beruht – sei es auf Seiten von energiepolitisch vernünftigen Vertretern in der Industrie, auf Seiten von umweltbewussten Verbrauchern, auf Seiten von versierten Umwelttechnikern oder auf Seiten von visionären Umweltforschern. Die Leistungen all dieser Bürgerinnen und Bürger lassen sich nicht „per Befehl“ und „auf Knopfdruck“ abrufen, sondern werden immer nur freiwillig erbracht. Eine Demokratie nimmt Rücksicht auf diese Tatsache und versucht, daraus das Beste zu machen. In einer Diktatur, in der Freiwilligkeit und ein eigener Wille der Bürger sowieso nicht beliebt sind, bedarf es teurer Kampagnen und eines noch kostenträchtigeren Systems der Kontrolle und der Unterdrückung, um die Menschen wenigstens halbwegs in Bewegung zu versetzen.
Schließlich beruht das autoritäre Argument auf einer vierten (und häufig ebenfalls unausgesprochenen) Annahme: Nämlich auf der Behauptung, dass es eine eindeutige ökologische Zustandsbeschreibung gäbe und dass die am besten zu ergreifenden umweltpolitischen Maßnahmen ebenfalls für jeden halbwegs neutralen Beobachter eindeutig auf der Hand lägen. Das ist allerdings keineswegs die Regel. Im Gegenteil, Wissenschaftler sind sich untereinander über derartige Fragen häufig ebenso uneinig, wie die politische Öffentlichkeit und die Bürger. Ein nicht unwesentlicher Teil der umweltpolitischen Debatte in der Demokratie besteht darin, erst einmal zu einer vernünftigen Mehrheitsmeinung, zu einer Problemdiagnose und den besten Problemlösungen zu gelangen. Das kostet zwar Zeit, hat aber den Vorteil, dass Argumente von verschiedenen Seiten Berücksichtigung finden können. In diesem Sinne kann man die Demokratie als eine auf politisches Lernen angelegte Ordnung verstehen. Im Unterschied dazu setzt ein autoritäres politisches System alles auf die eine Karte, nach der die politische Führung mitsamt Experten ein ökologisches Problem sowohl richtig diagnostizieren als auch die besten umweltpolitischen Maßnahmen ergreifen wird. Was aber, wenn sie sich irren, wenn das Problem komplizierter ist oder die Maßnahme ungeeignet? Was, wenn die Angst vor dem Öko-Diktator so groß ist, dass Bürger und zu einem anderen Ergebnis kommende Experten sich nicht trauen, ihre Erkenntnisse unbefangen darzulegen? Einer autoritären Führung in Sachfragen absolut zu vertrauen kommt einer Wette beim Kartenspiel gleich, ohne dass man überhaupt weiß, welche Karten überhaupt ins Spiel gebracht worden sind.
Umweltpolitische Leistungen in Diktaturen und Demokratien
Aus den genannten Gründen ist es nicht plausibel zu erwarten, dass ein autoritär regiertes politisches System Umweltprobleme gut lösen könnte. Nun weisen aber auch moderne Demokratien gleichsam systematisch eingebaute Fehler auf, die ihrer umweltpolitischen Leistungsbilanz schaden. Wie soll angesichts der Tatsache, dass sich sowohl auf Seiten der Demokratie als auch auf Seiten der Diktatur Anhaltspunkte für die Vermutung finden lassen, dass die umweltpolitischen Leistungsbilanzen beider Systeme Defizite aufweisen, zwischen ihnen beiden fair und neutral abgewogen werden? Meines Erachtens gibt es mindestens drei Möglichkeiten, eine begründete Abwägung vorzunehmen:
Man könnte, erstens, insofern „fundamentalistisch“ reagieren, indem man mit Hinweis auf die freiheitliche Verfassung des Grundgesetzes und ihrer Ewigkeitsklausel die Frage für von vornherein schon entschieden hält. Radikale Kritik an der Umweltbilanz der Demokratie wird dann in erster Linie unter dem Blickwinkel betrachtet, ob sich daraus verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickeln, die gegebenenfalls mit dem staatlichen Instrumentarium der „wehrhaften Demokratie“ bekämpft werden müssen. Diesen Weg der Auseinandersetzung möchte ich hier nicht einschlagen, denn auch die besten Verfassungen haben bekanntlich nur solange Bestand, wie es auch genügend Bürger gibt, die von ihren Werten, Normen und Institutionen überzeugt sind und sich für den Erhalt der Verfassung einsetzen. So wichtig und richtig es zuweilen ist, die Instrumente der wehrhaften Demokratie einzusetzen, so unabdingbar bleibt die inhaltliche politische Auseinandersetzung mit fundamentalen Gegnern der Demokratie.
Man könnte, zweitens, alle sonstigen Vor- und Nachteile von Demokratien und Diktaturen in Betracht ziehen und zu einer Art Gesamtrechnung vermengen. Man würde dann relativ schnell zum Ergebnis kommen, dass eine Demokratie für die meisten Bürger eindeutig die meisten Vorteile birgt und schon aus diesem Grund Unterstützung verdient. Aber auch diesen Weg möchte ich nicht einschlagen, denn die radikale ökologische Kritik zehrt ja gerade von dem Vorwurf, dass viele Güter und Vorteile, die die heutigen Menschen in Demokratien genießen können, nur auf Kosten der natürlichen Umwelt und der Angehörigen zukünftiger Generationen erlangt werden. Gegen diesen Vorwurf hilft nur der Blick auf die praktische Politik von Demokratien und Diktaturen in Sachen Umweltpolitik.
Ich möchte, drittens, deshalb den Blick auf Befunde aus der vergleichenden politikwissenschaftlichen Forschung lenken, in denen die tatsächlichen Bilanzen demokratischer und diktatorischer Systeme im Hinblick auf ihre umweltpolitische Leistungsfähigkeit untersucht worden sind. Diese Forschung steckt zwar vielfach noch in den Kinderschuhen, sie weist allerdings bereits einige bemerkenswerte Befunde auf und trägt auf diese Weise dazu bei, dass das argumentative Abwägen zwischen demokratischen und autoritären Lösungen der ökologischen Problematik weniger abstrakt, sondern mit Hilfe handfester Fakten entschieden werden kann. Insbesondere in den vergangenen zehn Jahren hat sich auf diesem Forschungsgebiet viel getan:
- Umfangreiche Messungen der umweltpolitischen Leistungsbilanzen von insgesamt 120 Staaten, die sowohl die wichtigsten Demokratien wie auch Autokratien repräsentieren, stellen durchweg positive Effekte des Faktors „Demokratie“ auf die ökologische Qualität staatlicher Politik fest. Insgesamt lässt sich beobachten, dass die „Demokratien auch beim Umweltschutz besser [sind] als die Autokratien, jedenfalls ab einer relativ hohen wirtschaftlichen Entwicklungsstufe“.
- In einer 2009 veröffentlichten Studie ist zudem der Versuch unternommen worden, den demokratischen Qualitätsgrad von politischen Systemen mit ihren umweltpolitischen Leistungen zu vergleichen. Die Befunde sprechen ebenfalls in einer klaren Sprache für die Demokratie: Bei vier der fünf untersuchten Umweltthemen – CO2-Ausstoß, Flächenverbrauch, Wiederaufforstung und Nitrat-Emissionen; die einzige Ausnahme ist die erstmalige Zerstörung von Waldflächen – findet sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem politischen Demokratisierungsgrad einer Gesellschaft und der ökologischen Zielerreichung.
- Aber Demokratien unterscheiden sich noch einmal untereinander im Hinblick auf ihre umweltpolitischen Leistungsbilanzen. So hat Lyle Scruggs in einem viel diskutierten Buch eine Reihe an Belegen für die These präsentiert, dass solchen Demokratien die besten Umweltbilanzen gelingen, die – wie es fachwissenschaftlich heißt – über starke „korporatistische“ Institutionen der politischen Interessenvermittlung verfügen. Damit ist gemeint, dass in diesen erfolgreichen Demokratien starke und unabhängige Verbände auf Seiten der Industrie, der Arbeitnehmer und der Umweltschutzbewegung existieren, die in Umweltfragen miteinander kooperieren und sich an gemeinsam vereinbarte Regelungen halten. Auch ermögliche ein zentralisiertes Regierungssystem eine bessere Umweltpolitik als ein föderales und dezentralisiertes System. Weniger wichtig ist hingegen das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung. Und auch die jeweiligen Strukturen der repräsentativen Demokratie (also ob es beispielsweise die Möglichkeit von Referenden gibt oder nicht) haben sich als weniger wichtig erwiesen, als es viele politische Aktivisten etwa auf Seiten der Grünen erwarteten. Als ein wichtiger positiver Faktor für die Umweltbilanz eines demokratischen Landes hat sich dagegen die Existenz einer starken grünen Partei – und zwar völlig unabhängig davon, ob sie an der Regierung ist oder nicht – herausgestellt.
- Und schließlich haben neuere Studien ebenfalls herausgefunden, dass sich die Umweltbilanzen von Demokratien dann einander positiv annähern, wenn die Staaten diesbezüglich untereinander Verträge abschließen und einander abschauen, welche Maßnahmen sich jeweils als besonders geeignet erwiesen haben.
Derlei Befunde sind nicht banal. Denn sie belegen eines: Wie man es auch dreht und wendet, die Behauptung eines vermeintlichen Vorzuges der diktatorischen bzw. autoritären Lösung beim Thema Umweltschutz ist schlichter Unsinn. Und auch wenn die in einer Demokratie gefundenen Antworten auf die Umweltproblematik häufig das Qualitätsmerkmal „gut“ nicht verdienen, so ist dieses „nicht-gut“ qualitativ immer noch besser als die Antworten, die sich von einer rigorosen diktatorischen Alternative erwarten lassen.
Auf dem Wege zu einer „asketischen Demokratie“?
Der Aufstieg des Themas Umweltschutz in den letzten vierzig Jahren ist keine gleichsam „natürliche“ Reaktion auf vermeintlich objektive Probleme, sondern er verdankt sich der Tatsache, dass Bürger den Umweltschutz überhaupt erst zu einem wichtigen Thema gemacht haben. Zumeist waren es konkrete Veränderungen vor Ort oder die Auswirkungen einer industriepolitischen Maßnahme, an der sich lokaler Protest entzündete, der dann auch auf andere Kreise der Gesellschaft übergriff. Das Musterbeispiel für die Verlaufsform einer solchen Protestbewegung ist der Widerstand gegen das Atomkraftwerk in Wyhl in den 1970er-Jahren. Sie konnte nicht zuletzt deshalb so erfolgreich wirken, weil in Demokratien die politischen Freiheiten und die politischen Organisationsmöglichkeiten herrschen, die nötig sind, um neue Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Das Beispiel Wyhl zeigt aber auch, dass diese demokratischen Rechte und Freiheiten immer wieder neu erkämpft, verteidigt und in der politischen Praxis ausgefüllt werden müssen. Dort, wo dies gelungen ist, kann der Aufstieg des Themas Umweltschutz als Ausdruck der Lernfähigkeit von Politik in der Demokratie bewertet werden.
Ob die bislang an den Tag gelegte politische Lernfähigkeit der Demokratie angesichts der Dramatik der globalen Umweltkrise insgesamt ausreichend ist, ist eine offene Frage, über die politisch derzeit wieder viel gestritten wird. Diese Frage sollte deshalb auch im Vordergrund zukünftiger Reformen der Demokratie stehen. Denn die Sorge, dass auch die im Prinzip lernfähigen Demokratien dennoch an der ökologischen Herausforderung scheitern, weil sich die erforderlichen politischen Mehrheiten für notwendige Wohlstandseinschränkungen, die ein konsequenter Umweltschutz zwangsläufig mit sich bringen würde, nicht gewinnen lassen, ist nicht von der Hand zu weisen. Doch vor dieser Herausforderung nur zurückzuschrecken und sich stattdessen Abhilfe von einer diktatorischen Lösung zu erhoffen, zeugt lediglich von einem Mangel an Vernunft und reformpolitischer Phantasie. Statt mit abgestandenen Argumenten in regelmäßigen Abständen vor die „diktatorische Alternative“ gestellt zu werden, benötigt die öffentliche Diskussion gegenwärtig einen kräftigen demokratischen Reformschub. Nur auf diesem Weg kann die Demokratie besser in die Lage versetzt werden, dem Ziel einer nachhaltigen Politik nahezukommen.
Die Diskussion über solche Reformen ist in der Bundesrepublik mit den jüngsten politischen Erfolgen der Grünen fast zum Erliegen gekommen. Man gewinnt den Eindruck, als triebe die Grünen die Sorge um, potentielle Koalitionspartner durch unkonventionelle Ideen der Demokratiereform verschrecken zu können. Es wird Zeit, mit der Energiewende nach dem Atomausstieg nun auch beherzt eine Demokratiereform anzugehen. Auch hier muss das Rad, das in Richtung einer „asketischen Demokratie“ fahren kann, nicht neu erfunden werden. Schon in der Vergangenheit gab es manche kluge Idee, an die heute erneut angeknüpft werden kann: sei es eine massive Kompetenzerweiterung des Umweltministeriums, sei es die Einrichtung eines „Zukunftsrates“ als einer Art Umwelt-Kammer mit aufschiebenden Veto-Rechten von Parlamentsentscheidungen, sei es eine weitere Stärkung von Umweltpflichten in der Verfassung, bis hin zu einer Erteilung des Wahlrechts von Geburt an (bis zur Volljährigkeit ausgeübt durch die Eltern) oder der Einrichtung von „Zukunftskammern“ deren Mitglieder aus der Bevölkerung ausgelost werden.
Und schließlich darf in diesem Zusammenhang die Erkenntnis nicht vergessen werden, dass Technologien politisch keineswegs immer „neutral“ sind. Die Atomenergie erfordert aufgrund der mit ihr verbundenen technischen Risiken und Überwachungsnotwendigkeiten hierarchisch organisierte politische Ordnungen. Dezentrale Technologien, die auf Basis von Solarenergie, Windkraft oder Erdwärme Energie erzeugen können, haben hingegen eine sehr viel bessere Passförmigkeit mit einer demokratischen Organisation des politischen Gemeinwesens. „Atomenergie ist hierarchisch, Sonnenenergie ist demokratisch“, wie es Ulrich Beck kürzlich auf eine griffige Formel gebracht hat. Zu dieser These passt die Beobachtung, dass die meisten der 64 Atomkraftwerke, die derzeit weltweit im Bau sind, in Diktaturen entstehen. Nicht zuletzt wegen dieses Zusammenhanges ist die Frage, auf welche Weise in modernen Gesellschaften Energie gewonnen wird, auch mit Blick auf die zukünftige Demokratieentwicklung von Bedeutung.
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Hubertus Buchstein ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Greifswald. Sein Beitrag ist ein Vorabdruck aus dem Band Braune Ökologen, der Ende September in der Reihe Demokratie bei der Heinrich-Böll-Stiftung erscheint.