Kroatien nach den Parlamentswahlen: Moment schwerer Entscheidungen

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Das kroatische Parlament Sabor in Zagreb
Der lange und schwierige Weg Kroatiens hin zu einer vollwertigen Mitgliedschaft in der Europäischen Union nähert sich seinem Ende. In den letzten 15 Tagen haben Kroatien und die Europäische Union einige Entscheidungen getroffen, die Kroatien fest in die europäische Zukunft einbinden. Am 1. Dezember begrüßte das Europaparlament den Beitrittsprozess Kroatiens in die Europäische Union, und nur einige Tage später, am 4. Dezember, entschieden sich die Bürger/innen Kroatiens für Veränderungen und wählten eine neue Regierung, bestehend aus der Sieger-Koalition, die von der SDP (Sozialdemokratische Partei) und der liberalen HNS (Kroatische Volkspartei) angeführt wird. Zu guter Letzt wurde am 9. Dezember in Brüssel auch offiziell den Beitrittsvertrag unterzeichnet, und zwar gemeinsam vom aktuellen Präsidenten der Republik Kroatien Ivo Josipović und der scheidenden Premierministerin Jadranka Kosor, der man trotz vieler Kritiken den Erfolg für die Deblockade der Verhandlungen und den Erfolg in der letzten Verhandlungsrunde zuschreiben muss. Den „fünften Gang“ in dieser letzten Verhandlungsrunde legte der ehemalige Premierminister Ivo Sanader ein, der zurzeit wegen einer Reihe von Korruptionsaffären vor Gericht steht. Ungefähr im selben Moment als die Tinte der Unterschrift in Brüssel trocknete, wurde gegen die bis dahin regierende Partei auch offiziell von USKOK (einer Regierungskörperschaft, zuständig für Untersuchungen von Korruptionsfällen) Anklage erhoben.

Unglücksseliges Déja vu

Aber auch aus der Brüsseler Perspektive konnte der Moment der Unterzeichnung des Vertrags für Kroatien als Anwärterstaat kaum dramatischer sein. Am Vormittag unterschrieb man bei der feierlichen Zeremonie den Vertrag, am Nachmittag tagte die EU noch einmal über ihre Zukunft. Diese Dramatik wurde am Rande der EU kaum wahrgenommen, ausgenommen in den Ländern der Region. Daher hinterließ die Vertragsunterzeichnung, die den elf Jahre andauernden Weg in die EU beendete, bei vielen einen bitteren Beigeschmack. Das Gefühl von Erfolg und Sieg bleibt aus. Im Laufe des Beitrittsprozesses bekam man zeitweise den Eindruck der fehlenden Legitimität der Beitrittsverhandlungen als einem Projekt, das primär von den politischen Eliten, nicht aber von der Bevölkerung durchgeführt wurde. Es stellte sich fälschlicherweise auch das Gefühl von verlorener Zeit und vergeblicher Mühe ein. Die bisherigen Regierungen hatten es in ihren drei Mandaten versäumt, der breiten Öffentlichkeit die Reformen als Teil ihres eigenen Fortschritts darzulegen. Vielmehr wurden sie als Anpassung an die Imperative Brüssels präsentiert. Heute, in Reichweite des Beitritts und aus der Nähe betrachtet, sieht das Bildnis der Europäischen Union ein wenig anders aus.

Nicht weil die Bürger/innen zumindest teilweise eine gewisse Transformation und eine Reihe von Reformen erlebt haben, die zumindest oberflächlich die Gesellschaft auf eine für Europa nähere und akzeptablere Weise eingerichtet haben.  Sondern weil die Europäische Union selbst eine völlig andere ist. Vor elf Jahren, als die Bürger/innen und ihre Vertreter/innen sich im Parlament einstimmig für diesen Weg entschieden, war die Europäische Union objektiv in einer völlig anderen Lage. Die Erweiterungskrise und die darauf folgende Finanzkrise haben das idyllische Bild der Europäischen Union und die möglichen positiven Auswirkungen eines Beitritts angekratzt. Aber die Entfernung von einigen Werten und die Offenlegung dominanter wirtschaftlicher Agenden, verdeckt durch Nationalismen einiger Mitgliederstaaten, haben für die Bürger/innen möglicher neuer Mitgliederstaaten wie Kroatien ein unattraktives Umfeld geschaffen, bei dem sie zweimal nachdenken, bevor sie ihre endgültige Entscheidung treffen. Der gegenwärtig dominierende Diskurs ist für einige Bürger/innen mehr eine Erinnerung, ein unglücksseliges Déja vu an Zeiten des Zerfalls Jugoslawiens als ein Begriff für eine festere Verbindung der Bürger/innen Europas.

Die Unterzeichnung des Abkommens über eine europäische Zukunft blieb heute also im Schatten einer mehrfachen Krise, die die Grundfesten der Europäischen Union erschüttert, sie versäumte es, zum Höhepunkt eines gesellschaftlichen Unterfangens zu werden, dass die eigene Transformation und Anpassung voraussetzte – diese jedoch noch immer nicht erreicht hat. Es war ein leiser und unbemerkter Eintritt in eine düstere Zeit, ohne feierliche Musik. So, als ob es keinen Grund dafür gäbe. Im Moment, als Kroatien sich als einziges und ausgewähltes künftiges Mitglied der Europäischen Union an die europäische Familie annähert, sucht diese nach triftigen Gründen, zusammen zu bleiben und die Idee einer gemeinsamen Zukunft aufrecht zu erhalten.

Die Ergebnisse der Wahlen, die wegen der äußerst niedrigen Popularität der HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft) für die meisten Bürger/innen bereits Wochen, wenn nicht schon Monate vor den Wahlen bekannt waren, stellten keine wirkliche Überraschung dar. Die starke Dominanz der Kikeriki-Koalition und der lautstarke Fall der HDZ aus den Regierungssesseln haben niemanden wirklich überrascht. Die Absprache einiger Parteichefs (Sozialdemokraten, Liberale, Regionalisten aus Istrien und Rentner) über eine gemeinsame Kandidatur bei den Wahlen und die Einleitung der Ermittlungen über schwarze Fonds der regierenden HDZ waren neben der Abrechnung der regierenden Partei mit Korruption, durch die sie versuchten, die eigene Katharsis zu initiieren und somit immer tiefer sanken, indem sie die ganze Reichweite und Tiefe des Klientelismus und der Korruption aufdeckten, die entscheidenden Momente.  Die Kampagnen selbst waren eher blass, ohne die notwendigen programmatischen Konflikte über Visionen zur Krisenbewältigung, ohne echten Wettbewerb bei den Kompetenzen.

Die HDZ war schon lange vor den Wahlen besiegt, die Oppositionskoalition musste nur auf günstigen Wind und den richtigen Winkel warten, um ohne große Diskussionen gen Sieg zu segeln. Was sie auch tat. Einige kleinere Überraschungen gab es aber dennoch. Eine der vielversprechendsten ist die  linke Laburisten- Partei als politische Option, aber auch die stärkere Konsolidierung der Slawonischen Regionalistischen (aber nicht minder nationalistischen) Partei HDSSB, deren Gründer der wegen Kriegsverbrechen angeklagte und derzeit in Bosnien-Herzegowina inhaftierte Branimir Glavaš ist. Ermutigend ist auch die schwere Niederlage der beiden Populisten Željko Kerum aus Split und Milan Bandić aus Zagreb, zweier Bürgermeister, die die zwei größten Städte Kroatiens regieren – und deren Budgets. Die Wahl des Don Ivan Grubišić, einem linken und progressiven, pensionierten katholischen Priester, ist ein echtes Beispiel für den Einzelerfolg und Teamarbeit, aber auch eine schallende Ohrfeige für den Kaptol, also der katholischen Kirche, die unmittelbar vor den Wahlen erneut ganz offen Partei ergriff. Letzten Endes gingen mehr als 60 Prozent der Bürger/innen zu den Wahlen, aber besorgniserregend bleibt die Tatsache, dass jeder dritte Bürger im politischen Raum entweder nicht vertreten ist oder nicht vertreten sein möchte bei Entscheidungen über künftige Entwicklungsfragen.

Irreparabler Zustand?

Etwa zehn Tage nach den Wahlen ist die Regierung gebildet; die Namen stehen fest. Sie besteht primär aus politischen, aber auch aus fachlichen Funktionen. Es ist ein gutes Zeichen, wenn diese Geschwindigkeit ein Äquivalent zu einer klaren Vision über die Verteilung der Verantwortlichkeiten und der Prioritäten ist. Aber es herrscht eine gewisse und klar offensichtliche Spannung zwischen Sozialdemokraten und Liberalen, sowohl auf persönlicher, als auch auf wirtschaftlicher Ebene. Diese wird sich wahrscheinlich weiter fortsetzen, dürfte bis auf weiteres jedoch keinen Schaden anrichten. Es gibt derzeit nicht viele, die sich gerne den Schuh der künftigen Minister/innen in der aktuellen Regierung anziehen. Lassen wir die Möglichkeiten neuer Korruptionsaffären und fragwürdigen Privatisierungen außer Acht (einer der Vorteile der Opposition war das größere Vertrauen der Wähler/innen),  bedarf es doch einigen Mutes für die Führung des Landes zu diesem Zeitpunkt. Der Moment des Sieges ist auch der Moment einer möglichen, aber nicht sicheren Niederlage. Der Zustand, den die neue Regierung vorfindet, scheint irreparabel. Die vom Korruptions-Virus befallene regierende Partei und die Reichweite ihres Einflusses hat sich leider erfolgreich von parallelen Entscheidungsstrukturen auf die öffentliche Administration und die Verwaltung von öffentlichen Geldern und Eigentum ausgebreitet; ein Großteil der verzeichneten Korruptionsfälle bezog sich auf den Bereich der Energie, der Wasserversorgung und der Nahrungsmittelindustrie. In den Verwaltungssphären des Staatseigentums, der Grundstücke und Immobilien wird die Korruption von unübersichtlichem Chaos verdeckt.

Kroatien erwartet im kommenden Jahr Diskussionen über das anstehende Abkommen mit dem MMF, über eine bedeutende Reduzierung der öffentlichen Verwaltung und  Lohnsenkungen, sowie über die Gefahren bei der Fortsetzung von Privatisierungsprozessen, die zeitweise nachhaltige Entwicklungsszenarien ablösen sollten, welche Kroatien ein Bild von einer besseren Zukunft innerhalb der Europäischen Union vermitteln können. In diesem Licht zeigt sich die aktuelle Regierung, wenn auch wesentlich besser als die bisherige, die Kroatien mehr als 15 Jahre lang regierte, ebenfalls als poröser Untergrund, insbesondere für Unternehmen und Interessengruppen, die in der neuen Konstellation eine Gelegenheit für schnellen Profit sehen, der jedoch nicht zum Wachstum der Gesellschaft und der lokalen Gemeinden, sondern des Spekulationskapitals führt. Es bleibt zu beweisen, wie resistent jene, die diese Sphäre der Staatlichkeit für sich beanspruchen und sie privatisieren wollen – und es wird sie ohne Zweifel geben – gegenüber Einflüssen sind.

Ein erleichternder Umstand ist, dass diese Koalition – neben eventuellen Spannungen zwischen SDP und HNS, die jedoch überwindbar sind – außer der wirtschaftlichen Lage und außenpolitischer Gegebenheiten keine größeren Feinde haben dürfte, zumindest nicht während der ersten zwei Jahre ihres Mandates. Die besiegte HDZ wird einige Zeit brauchen, um sich zu konsolidieren und sich zu entscheiden, ob sie sich weiterhin als christdemokratische, konservative europäische Partei entwickeln will, da in der Wählerschaft eine Linie existiert zwischen dem europäisierten Teil der Partei und dem, der unter allen Umständen den „Business-as-usual“-Zustand beibehalten will. Die SDP als stärkste Partei dieser Koalition und Zoran Milanović als neuer Premierminister werden des Öfteren die Gelegenheit haben, mit dem Präsidenten der Republik Kroatien gemeinsam in eine Richtung zu schauen und zu handeln. Außerdem ist zu erwarten, dass die Signale aus der Zivilgesellschaft in wesentlich höherem Einklang mit den Plänen der Siegerkoalition stehen werden - trotz der Tatsache, dass die Opposition sich auch während der Wahlen, vielleicht aus taktischen Gründen, nicht besonders um die meistens berechtigten Forderungen und Fragen aus der Zivilgesellschaft (z.B. die Plattform 112) nach Kapazitäten für eine Fortsetzung der Reformen, die notwendig sind für einen ungehinderten EU Beitritt und der Voraussetzungen für eine vollwertige EU Mitgliedschaft gekümmert hat. Beide Faktoren können, müssen aber nicht für Milanović von Vorteil sein bei der Schaffung einer breiteren gesellschaftlichen Atmosphäre und der Mobilisierung der Bürger/innen zu einem Ausgang aus der Krise. Ohne eine breite öffentliche Unterstützung wird dies nicht möglich sein.

Was sagt die Öffentlichkeit?

Die Befürwortung des EU-Beitritts oszillierte bei der Bevölkerung in den vergangenen beiden Jahren zwischen sehr niedrig (30 Prozent) bis zur überwiegenden (etwa 60 Prozent), momentan ist sie für einen EU-Beitritt. Einer der Gründe, der den EU-Gegnern zugeschrieben werden kann, war, dass die HDZ den EU-Beitritt als ausschließlich ihren Erfolg verbuchen wollte, was sie zwar bei einem Teil der Bevölkerung in Ungnade fallen ließ, damit leider aber auch den EU-Beitritt selbst. Heutzutage ist es zumindest verwirrend, über eine EU-Mitgliedschaft zu entscheiden.

Indem es sich vor 11 Jahren für den Beitrittsprozess öffnete, wollte Kroatien beweisen, dass es sich vom autoritären Tudjman-Regime löst und eine offenere, pluralistische und freie Gesellschaft anstrebt. Sich für Europa zu entscheiden hieß damals, sich vom schädlichen Nationalismus, gestützt durch Klientelismus, loszusagen, sich von Autorität loszusagen und für Fortschritt, begleitet von Wahrung der Menschenrechte und einer konsolidierten, offeneren und teilnehmenden Gesellschaft  zu entscheiden. Damals war dies die klare Alternative, und die Europäische Union selbst diente damit als Legitimation und Reservoir solcher Werte.

Heute, da sich die EU in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise befindet, da sie versucht, Wege für eine tiefere Integration zu finden und dabei auf scharfe und gefährliche Risse zwischen Nord und West, zwischen Eliten und Öffentlichkeit, Finanzinstitutionen und „Indignados“ stößt, ist solch eine Entscheidung zumindest kontrovers. Sie birgt eine große Ungewissheit und bietet nicht die Garantien, die sie einst bot. Da beim mittelfristigen Beitrittstermin für Kroatien das ungarische und griechische Szenario nicht weit sind, ist zu erwarten, dass sich die Voraussetzungen für Kroatiens EU-Beitritt bis dahin im Wesentlichen auf ihr Kreditrating und die Staatsverschuldung beziehen werden, und weniger auf die Kopenhagener Kriterien. Diese Option sollte in jedem Fall ins Zentrum der öffentlichen Diskussion gelangen, was bisher nicht der Fall war und es in diesem Augenblick schwer wird, dies mit beschleunigten Überzeugungen der Öffentlichkeit über die Notwendigkeit des EU-Beitritts zu kompensieren. Das kroatische JA beim Volksentscheid, der voraussichtlich im Februar 2012 stattfindet, sollte demnach mehr an Gewicht haben.

Für die Europäische Union, die sich mit Herausforderungen und Prozessen auseinander setzt, die den jugoslawischen in den späten achtziger Jahren sehr ähneln (jedoch wegen einer Reihe von Umständen keinesfalls identisch sind), wäre dies vielleicht auf einer symbolischen Ebene eine wichtige und nützliche Botschaft, die von ihrer Peripherie kommt; dass die Idee der Europäischen Union als politischer- und Wertegemeinschaft, was für die Länder der Region und der Westbalkanstaaten einen gewissen Erfolg der Zivilisation darstellt, erhalten werden kann und muss, und das die Bemühungen um ihre innere Transformation ein Streben nach einem erfolgreichen Weg aus der Krise und einer tieferen Integration sein sollten. Andernfalls könnten sich Kroatien und die Länder des Westbalkans dem Süden Europas zuwenden, ihrer europäischen Zukunft den Rücken kehren und in autoritäre Regime verfallen. Als Akteur, der im vergangenen Jahrzehnt institutionelle und Werteveränderungen in den Kandidatenländern angeregt hatte, trägt die EU einen Teil der Verantwortung dafür, diesen Ländern ein klares Signal für deren europäische Zukunft zu senden. Der schwarzseherische und allseits bekannte Witz, der vor etwa zehn Jahren über den Zerfall der Europäischen Union mit dem ersten Beitritt der Westbalkanstaaten die Runde machte, mutet mit der Abkehr Großbritanniens von der gemeinsamen Entscheidung zum Vertrag über Europas Finanzsystem als eintreffende Weissagung an.

Der Kampf um eine andere Europäische Union

Das auf den ersten Blick bedeutungslose und fast unbemerkte Signal von der Peripherie kann kein Universalheilmittel für die Europäische Union sein, aber ein symbolischer Auslöser für eine Rückkehr zu politischer Konstitutionalisierung, die durch die Finanzkrise in den Hintergrund gerückt ist. Die Europäische Union, der sich Kroatien anschließen wollte und noch immer will, ist heute herausgefordert, ihr Fortbestand ist tief und fundamental gefährdet.

Nach der Entscheidung der Bürger/innen Kroatiens, wem sie ihr Vertrauen bei der Führung des Landes schenken, entscheiden sie in spätestens zwei Monaten darüber, ob sie gemeinsam mit anderen Bürger/innen der Europäischen Union einen europäischen demos aufbauen, ob sie ein anderes Europa wünschen als das, das heute von Finanzinstitutionen regiert wird und ob sie trotz der mangelhaften öffentlichen Diskussion und fast gar keiner Teilnahme am Entscheidungsprozess über den Beitritt trotzdem JA sagen werden und diesen 11-jährigen Bemühungen einen (größeren) Sinn geben. Die (neue) Regierung sollte in diesem Fall so offen wie möglich sein, denn wenn sie versuchen, das Fehlen des oppositionellen und regierenden Hinterfragens der EU-Mitgliedschaft durch ungeschickte Überzeugungsversuche zu kompensieren, werden sie den Bürger/innen sicherlich kein notwendiges positives Signal senden.

Und letztendlich, aber nicht weniger wichtig, eröffnet das Momentum des Wahlsieges und der bevorstehende Volksentscheid die für die Gesellschaft wichtige Frage, die nicht mehr ignoriert werden kann. Trotz des Wahlsieges der Koalition zeigt die Parteienlandschaft (mit Ausnahme der neuen Laburisten) deutliche Defizite darin, die  aktuelle Krise systematisch und vollständig zu betrachten.  In ihren Programmen und durch ihre Mitglieder verfehlt sie auf die Zusammenhänge der wirtschaftlichen, demokratischen, ökologischen und sozialen Krise hinzuweisen, die sehr real und spürbar ist für die wachsende Zahl der ausgeschlossenen Bürger/innen. Die Sieger-Koalition hat bisher nur gezeigt, dass sie sich beim Verlassen auf bestehenden Entwicklungs- und Wirtschaftsmodellen keineswegs von der bisherigen Regierung unterscheidet, und so werden für das kommende Jahr die Vorbereitung einer Reihe von Privatisierungen der Ressourcen oder der öffentlichen Infrastruktur angekündigt, nicht selten begleitet von autoritärem Narrativ und korporativer Unterstützung.  Solch ein Szenario ist für einen Großteil der Bevölkerung, vielleicht denen, die nicht gewählt haben, inakzeptabel, und ein solcher Zustand eröffnet Raum für eine neue Politik, die derartige Versuche sicherlich verhindern wird (oder es zumindest versucht). So eine Politik wird sich letztendlich auch mit denen beschäftigen müssen, die den Staat nicht als Beschützerin von Rechten und Freiheiten sehen, sondern als vorübergehenden Service für die Verwirklichung ihrer Interessen und Erstattung ihrer Verluste.