Masaya Koriyama: "Die Grüne Partei in Japan will den unmittelbaren Atomausstieg"

Für die Energiewende, gegen Atomkraft. Demonstranten auf der Energy Shift Parade in Shibuya, einem Stadtteil von Tokio. Foto: SandoCap, Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY-NC 2.0 

13. September 2012
Siegfried Knittel / Masaya Koriyama

Siegfried Knittel: Hat die Grüne Partei (japanisch: Midori no To) einen Zeitplan für Abschaltung aller Atomkraftwerke? Die regierende Demokratische Partei Japans (DPJ) hat Anfang September als Enddatum für die Atomkraft die Dreißigerjahre Jahre genannt. Wie sieht der Ausstiegsplan der Grünen Partei aus und wie beurteilt sie den Ausstiegsplan der DPJ?

Masaya Koriyama: Wir sind optimistisch, dass die meisten Japaner die Null Option bevorzugen. Die Grüne Partei plädiert für einen unmittelbaren oder zumindest für einen frühestmöglichen Ausstieg. Andere Parteien, wie die Sozialdemokraten, fordern den Atomausstieg bis 2020. Das ist immerhin besser als das, was die DPJ jetzt beschlossen hat. Der Ausstiegsplan, den die DPJ vorgelegt hat, macht keinerlei Angaben, wie der Ausstieg realisiert werden soll und er nennt als Enddatum nur vage die Dreißigerjahre. Das halten wir für völlig inakzeptabel.

Was wird die Grüne Partei der japanischen Bevölkerung sagen, wenn die Strompreise steigen, weil Japan mehr Erdgas und andere fossile Energie im Ausland kaufen muss?

Die japanische Bevölkerung wird die höheren Energiepreise aufgrund der vermehrten Einfuhren als Ersatz für Atomenergie für eine gewisse Zeit akzeptieren. Wir sind optimistisch, dass der Preis für die erneuerbaren Energien sinkt, wenn die Regierung und die Industrie entscheiden, in diese Energie zu investieren.

Der größte japanische Industrieverband Keidanren droht damit, dass japanische Firmen ihre Produktionsstätten ins Ausland verlagern würden, wenn die Strompreise aufgrund höherer Energiekosten steigen oder wegen der Abschaltung der AKWs in den Sommermonaten jährlich eine Stromknappheit droht. Was sagt die Grüne Partei dazu?

Die meisten japanischen Firmen werden ihre Standorte wegen höherer Strompreise und drohender Stromknappheit in den Sommermonaten nach einer Abschaltung der AKWs nicht ins Ausland verlagern. Auch in diesem sehr heißen Sommer, als der Energieverbrauch am höchsten war, wussten wir, dass wir ohne die Atomkraftwerke genug Strom haben würden.

Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien werden die Energiekosten zuerst ansteigen, aber auf längere Sicht gesehen werden sie sinken, wenn diese Energien gefördert und ausgebaut werden. Zudem wird der angeblich so billige Atomstrom viel teurer, wenn man die Kosten für die Entsorgung des atomaren Abfalls mit einrechnet.

Es gab im Juli zwei Governeurswahlen in Japan. Beide Wahlen wurden von Kandidaten, die die zivile Nutzung der Atomkraft befürworten, gewonnen. Was bedeutet das, wenn Menschen sich zwar um die Sicherheit der Atomkraftwerke Sorgen machen und gleichzeitig Kernkraftbefürworter auf solche Posten wählen?

Beide Kandidaten kündigten ihre Kandidatur gerade einen Monat vor der Wahl an. Beide waren in ihren Präfekturen nicht sehr bekannt. Deshalb wussten die Menschen auch nicht viel über ihr atomares Ausstiegsprogramm. Im Gegensatz dazu kannten die Menschen den Governeur von Kagoshima, der an der Atomkraft festhalten will und der sich wieder zur Wahl stellte und den atomkraftfreundlichen Kontrahenten des atomkraftkritischen Kandidaten in der Präfektur Yamaguchi. Zudem glauben viele Wähler, dass ohne Atomenergie zu wenig Strom verfügbar ist.

Trotzdem unterstützten viele junge Menschen die Wahlkampagne der atomkraftkritischen Gegner und wählten die Kandidaten, die den Ausstieg aus der Atomkraft herbeiführen wollen. Insgesamt machten die Kandidaten einen guten Wahlkampf, aber die gesetzliche Wahlkampfperiode von 17 Tagen war zu kurz, um die Kandidaten einem breiten Publikum nahe zu bringen. Das Wahlergebnis in Kagoshima war 394.170 zu 200.518 Stimmen für den atomkraftfreundlichen Kandidaten und 252.461 zu 185.654 Stimmen in Yamaguchi für den Pro-Atomkraft Kandidaten.

In ländlichen Regionen wie Yamaguchi und Kagoshima beschäftigen die Atomkraftwerke viele Menschen und die Gemeinden, in denen die AKWs stehen, hängen finanziell stark von den Steuern und anderen Zuwendungen der Kernkraftbetreiber ab. Was sollte die Regierung für diese Gemeinden und für die Beschäftigten der AKWs im Falle von deren Schließung tun?

Für den Abbau der Kernkraftwerke werden Arbeitskräfte benötigt. Deshalb werden nicht viele Menschen durch die Schließung der Kernkraftwerke ihre Arbeit verlieren. Zudem können in diesen Regionen neue Arbeitsplätze entstehen, wenn es gelingt, dort im erneuerbaren Energiesektor Arbeitsplätze zu schaffen.

Natürlich werden die Gemeinden durch die Schließung der Kernkraftwerke Zuwendungen, die sie von den Kraftwerksbetreibern und der Regierung erhalten haben, weniger Einnahmen haben. Sie werden auch weniger Steuereinnahmen haben. Da die Regierung in einer schlechten finanziellen Lage ist, ist aber ohnehin zu erwarten, dass die Zuwendungen der Regierung irgendwann ausbleiben. Deshalb sollten die Gemeinden schon zuvor durch die Schaffung neuer grüner Arbeitsplätze von diesen Zuwendungen unabhängig werden.

Wenn alle Kernkraftwerke innerhalb eines kurzen Zeitraums geschlossen werden, wird es schwierig werden, die CO² Obergrenze, die die Hatoyama Regierung 2009 gesetzt hat, einzuhalten. Wie sollte die Regierung mit diesem Problem umgehen?

Japan muss akzeptieren, dass wir die von der Hatoyama Regierung festgesetzte CO² Obergrenze für eine kurze Zeit nicht werden einhalten können. Das Risiko einer neuen nuklearen Katastrophe ist zu groß, als dass wir die AKWs weiterbetreiben, um die CO² Einsparziele zu erreichen. Aber mit Hilfe des Energie-einspeisegesetzes, das im Juli in Kraft trat, kann die CO² Obergrenze der Hatoyama Regierung wieder erreicht werden.

Drei Mitglieder der regierenden Demokratischen Parte Japans (DPJ), Yasue Funayama, Kuniko Koda und Kuniko Tanioka, sind aus der Partei ausgetreten und haben eine parlamentarische Gruppe mit dem Namen Midori Kaze (auf deutsch: Grüner Wind) gegründet. Gibt es Kontakte von Midori no To mit dieser Gruppe? Ist eine Zusammenarbeit beider Parteien möglich?

Wir haben keinen Kontakt zu dieser Gruppe. Einige Abgeordnete dieser Gruppe unterstützen den Export von nuklearer Atomkrafttechnologie, zum Beispiel nach Vietnam. Midori no To befürwortet den Export von Atomtechnologie nicht. Aber es ist möglich, dass wir auf bestimmten Feldern, wie der Schließung der Atomkraftwerke in Japan, zusammenarbeiten.

Möglicherweise gibt es dieses Jahr noch eine Unterhauswahl. Wird es für Midori no To möglich sein, daran teilzunehmen? Wird es für die Partei möglich sein, in einer so kurzen Zeit eine Organisation für den Wahlkampf aufzubauen?

Wir wollen an der nächsten Unterhauswahl, die möglicherweise noch im Herbst diesen Jahres stattfindet, teilnehmen. Wir wollen Kandidaten in Tokyo und Kanagawa, einer sehr städtisch geprägten Präfektur, aufstellen, die nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden.

Die größte Herausforderung bei der Teilnahme an der Unterhauswahl ist das restriktive nationale Wahlsystem, insbesondere für das Unterhaus. Die meisten Abgeordnten werden nach dem Mehrheitswahlsystem gewählt. Dazu muss jeder Kandidat ein Wahldeposit in Höhe von 59.000 € hinterlegen. Dazu kommen die Kosten für die nationale Kampagne, um genug Stimmen für die auf der nationalen Liste nach dem Verhältniswahlrecht zu wählenden Kandidaten zu bekommen. Das ist viel Geld, das die junge Grüne Partei aufbringen muss. Positiv ist, dass 96 der 242 Oberhaussitze, die 2013 zur Wahl stehen, nach dem Verhältniswahlrecht aus einer nationalen Liste gewählt werden. Die Grüne Partei glaubt deshalb ihre besten Chancen bei der Oberhauswahl zu haben.

Der Bürgermeister von Osaka Toru Hashimoto will mit der mit einer von ihm gegründeten Japanischen Partei der Erneuerung bei der Unterhauswahl antreten. In Umfragen schneidet er teilweise besser ab, als die Regierungspartei. Er befürwortet wie die Grüne Partei den Ausstieg aus der Atomenergie. Könnte Midori no To mit ihm und seiner Partei zusammenarbeiten?

Toru Hashimoto hat ein neoliberales Programm und steht für eine extrem rechte nationale Sicherheitspolitik. Unser Programm ist davon sehr verschieden. Dazu ist er nicht prinzipiell für den Ausstieg aus der Kernenergie. Er ist ein Populist, der mit seiner Politik den Leuten nach dem Munde redet. Deshalb dürfte es sehr schwierig sein, mit ihm und seiner Partei auf vielen Feldern zusammenzuarbeiten.

Siegfried Knittel ist Journalist und lebt in Tokio. 

Masaya Koriyama gehört zum Lenkungskreis der Grünen Partei in Japan.