Auszug aus Bölls "Verteidigung der Waschküchen"

Sie befinden sich in "Kapitel 4: Die ersten Erfolge (1952 - 1958)".

Das "Irische Tagebuch", dessen einzelne Teile seit 1954 vorabgedruckt worden waren, erscheint 1957 als Buch. Einer der Kritiker, Curt Hohoff, bescheinigt Böll, »es riecht nicht mehr nach Waschküche und billigem Tabak«. In dem 1959 erschienenen Essay "Verteidigung der Waschküchen" reagiert Böll auf diese Kritik.

Auszug aus dem Essay "Verteidigung der Waschküchen", 1959:

"Ein Kritiker klopfte mir nach Erscheinen eines meiner Bücher lobend auf die Schulter, indem er feststellte, daß ich nun das Armeleutemilieu verlassen habe, meine Bücher von Waschküchengeruch frei und der sozialen Anklage bar seien.

Dieses Lob wurde mir gespendet zu einer Zeit, da eben bekannt zu werden begann, daß zwei Drittel der Menschheit hungern, daß in Brasilien Kinder sterben, die niemals erfahren haben, wie Milch schmeckt; geschah in einer Welt, die nach Ausbeutung stinkt; in der Armut weder Station zum Klassenkampf noch mystische Heimat mehr ist, nur noch eine Art Aussatz, vor dem man sich zu hüten hat und den zum Gegenstand seiner Arbeiten zu wählen einem Autor angekreidet werden kann, ohne daß man sich die Mühe machen muß festzustellen, ob eine Kongruenz von Form und Inhalt hergestellt sei.

Mich persönlich betrifft der Vorwurf kaum, bedeutsamer finde ich die geistige Unklarheit, die aus einem solchen Vokabularium spricht, denn wenn eine »Waschküche« kein der Literatur würdiger Ort ist — wo sind die der Literatur würdigen Orte, wo muß Literatur, wie man so hübsch unklar zu sagen pflegt, angesiedelt sein? [...]

Merkwürdigerweise entsinne ich mich nicht, jemals in einer meiner Geschichten oder in einem Roman eine Waschküche beschrieben oder auch nur erwähnt zu haben; fast fühle ich mich verpflichtet, in einem nächsten Buch eine zu erwähnen; vielleicht schreibe ich einen Waschküchenroman, aber ich lasse ihn dann in China oder im Vorderen Orient spielen. Allerdings könnte ich mich dann nicht der Einzelheiten bedienen, wie ich sie aus den Erzählungen meiner Frau kenne.

Meine Frau weiß nämlich zu berichten, daß in dem kleinen Städtchen, aus dem ihre Großmutter stammte — zufällig stammte auch meine Großmutter aus diesem Städtchen, und so könnte ich alles recht penetrant beschreiben —, der Waschtag ein besonderer Festtag war. Zur Zeit unserer Großmütter wurde in jenem Städtchen — es heißt Düren — der Waschtag noch als Fest gefeiert.

In der Zeit hochgefüllter Leinenschränke wusch man nur einmal im Monat, wusch ganze Berge, fuhr dann zu den Rurwiesen, wo die Wäsche gebleicht wurde, während man von Kutschen Bierfässer, Schinken, Brote, kleine Butterfäßchen ablud; zu den waschenden Maiden gesellten sich die zur Untätigkeit neigenden Halbstarken jener Zeit; es wurde getanzt, getrunken, gespielt — am Abend lud man die gebleichte Wäsche, die geleerten Fässer und Körbe wieder auf die Kutschen und fuhr nach Hause. Das Wäschewaschen war eine fröhliche Angelegenheit, und es tut mir leid, daß ich mir diese Episoden bisher entgehen ließ. [...]

Was das Armeleutemilieu betrifft, so frage ich mich schon lange, welche anderen Milieus es noch gibt: das Feineleutemilieu, das Kleineleutemilieu (nach dem Motto: arm, aber brav), das Großeleutemilieu; das Großeleutemilieu ist mir durch die Geschicklichkeit moderner Reklame erspart: Die Großen der Welt tragen Rolex-Uhren. Was habe ich da noch mitzuteilen? Die kleinen Leute?

Ich bin größenblind, so wie man farbenblind ist, ich bin milieublind und versuche, Vorurteilslosigkeit zu üben, die gar oft mit Urteilslosigkeit verwechselt wird. Größe ist eine Vokabel, die nicht vom sozialen Ort abhängt, so wie Schmerz und Freude unabhängig vom Sozialen sind; auch in Waschküchen werden stundenlang Banalitäten ausgetauscht, und vielleicht gibt es unter den Großen der Welt tatsächlich Große; geben wir ihnen eine Chance. [...]

aus:
Heinrich Böll. Werke. Essayische Schriften und Reden 1. Hrsg. von Bernd Balzer
©  1977 by Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln

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