In dem von Ihnen mit herausgegeben Buch geht es um Schüler/innen mit Migrationshintergrund. Welches Ziel haben Sie mit dieser Veröffentlichung verfolgt?
Neumann: Das Buch heißt „Schule mit Migrationshintergrund“, nicht „Schüler mit Migrationshintergrund“. Das ist ein bewusstes Spiel mit den Wörtern. Wir sind der Meinung, dass sich die Schule als Institution umstellen muss und auch schon umgestellt hat. Das ist wegen der Heterogenität der Schülerschaft notwendig. Im Buch geht es um alle Schüler/innen – also handelt es nicht ausschließlich von denen mit einem Migrationshintergrund. Den Hintergrund des Buches bildet eine mit der Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltete Tagung, in der nationale und internationale Forscher/innen und Praktiker/innen die Möglichkeiten einer guten Pädagogik in Schulen mit Heterogenität ausgelotet wurden. Es geht uns um das Schulsystem und die Ermöglichung von erfolgreichen Bildungsverläufen innerhalb des Systems.
Welche Themen finden besondere Beachtung in dem Buch?
Neumann: Ein Schwerpunkt liegt im internationalen Vergleich der Bildungsverläufe von Schüler/innen mit Migrationshintergrund. Hier geht es um den Zusammenhang der Herkunft – der sozialen, kulturellen und sprachlichen Herkunft – und dem Bildungserfolg.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Frage der sprachlichen Bildung: Wie kann diese gestaltet werden? Wo kann angesetzt werden, um die sprachliche Bildung durchgängig zu gestalten? Ein gutes Beispiel, wie das geschehen kann, zeigt QUIMS („Qualität in multikulturellen Schulen“, ein Beispiel aus der Schweiz. Hier wird nicht die Idee verfolgt, Kindern ausschließlich im Kindergarten Deutsch beizubringen und danach davon auszugehen, dass diese auf dieser Basis erfolgreich durchlaufen.
Wir argumentieren damit, dass die Unterstützung der sprachlichen Bildung über mehrere Schuletappen hindurch erfolgen muss, d.h. vom Kindergarten über die Grundschule bis zum Abitur und Studium, weil auch die sprachlichen Anforderungen wachsen.
Der dritte Schwerpunkt ist der Aspekt des Empowerments. Darunter sind Strategien und Maßnahmen gefasst, die Kinder und Jugendliche selbst stark machen, um die schwierige Lage, die teils durch Diskriminierung von Institutionen und Personen hervorgerufen wird, gut zu bewältigen.
Was sind die größten Probleme, mit denen Kinder und Jugendliche mit einem Migrationshintergrund in der Schule, aber auch im Alltag zu kämpfen haben?
Neumann: Es ist zunächst einmal schwierig, die Gruppe der Schüler/innen mit Migrationshintergrund zu definieren, wenn man von der formalen Seite absieht, also dem Umstand, dass ihre Eltern irgendwann einmal eingewandert sind.
In Bezug auf Ihre Frage möchte ich zunächst das Problem der Zuschreibung nennen. Wenn z.B. Kindern und Jugendlichen wegen ihrer Bilingualität vorausgesagt wird, dass sie auch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben und demnach auch keinen schulischen Erfolg haben werden, werden ihre Leistungen auch niedriger ausfallen, da ihnen weniger zugetraut wird. Entsprechende Untersuchungen zeigen, dass die Erwartungen an ihrem Bildungserfolg niedriger liegen als bei Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und es tatsächlich solche Effekte gibt.
Wenn es tatsächlich Schwierigkeiten in der sprachlichen Bildung gibt, ist es wichtig, Lernchancen zu eröffnen. Dies kann z.B. durch Mentorenprojekte erfolgen, in denen erfolgreiche Jugendliche und Studierende mit Migrationshintergrund als Vorbilder dienen und mit den Mentees Aktivitäten sozialer, schulischer oder kultureller Natur ausüben. Außerdem wäre an dieser Stelle die Schulung von Lehrkräften zu erwähnen, die auf die heterogene Struktur ihrer Schule eingehen.
Wie kann die Rolle der Eltern in Bezug auf den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen beschrieben werden?
Neumann: Es sollte hier um Kooperationspartner und Bildungsgemeinschaften gehen. Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass die meisten Elternbildungsorientiert sind. Dies belegen alle Untersuchungen dazu. Sie setzen ihren Kindern hohe Ziele. Die Kinder sollen etwas erreichen, was die Eltern nicht erreicht haben. Es gibt erhöhte Bildungsansprüche der Eltern, die zum Teil illusionär hoch sind. Dabei unterschätzen die Eltern häufig die Hürden, die von institutioneller Seite bestehen und kennen sie teilweise auch nicht. Gleichzeitig übertragen sie die Verantwortung für den Bildungserfolg den Schulen. Um eine realistische Planung von Seiten der Eltern zu erreichen und die Schule über die Haltung der Eltern aufzuklären, braucht man eine Zusammenarbeit, die über das bloße Informieren der Eltern hinaus geht. Die Eltern sollten eigene Bildungsprozesse durchlaufen. Dafür gibt es einige bekannte Projektformen, wie zum Beispiel das Rucksack-Projekt in Nordrhein Westfalen, in dem Eltern Wissen darüber vermittelt wird, wie Schule funktioniert und wie sie ihre Kinder fördern können. Es muss in die Richtung gedacht werden, die Stärken der Eltern weiter auszubauen, auch Elternbildung zu initiieren, die sich für sie selber auszahlt. Beispiele dafür finden sich im Buch.
Welche Rolle kommt hierbei der Schule zu und welche Rahmenbedingungen kann die Politik setzen?
Neumann: Es muss auf die Schule als gesamte Institution geschaut werden. Nicht nur auf die Kinder, die angeblich nicht normal sind. Die Normalität ist die Heterogenität. Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die die Heterogenität akzeptieren. Ein Beispiel wäre hier die Personalpolitik. Es sollten genügend Lehrkräfte vorhanden sein, die die Sprache der Kinder sprechen. Außerdem sollten Lehrkräfte inhaltlich in Bezug auf sprachliche Bildung weitergebildet werden. Es sollte akzeptiert werden, dass dieses Land ein Einwanderungsland ist, in dem es immer Einwanderung geben wird und dadurch mit sozialen und ethnischen Unterschieden umgegangen werden muss. Die politische Botschaft in Bezug auf die Gesellschaft sollte also dieselbe sein wie die für die Schule.
Das Interview führte Sevilay Karaduman, Heinrich-Böll-Siftung
Weitere Informationen zum Thema:
» Dossier "Schule mit Migrationshintergrund"