Von Claus Löser
Thomas Brasch war gegen Ende der 1970er Jahre zeitweilig der meist gespielte Bühnenautor (West-) Deutschlands. Auch als Erzähler, Lyriker und Übersetzer gehörte er zu den wichtigsten Stimmen der deutschsprachigen Literatur. Gleichzeitig blieb nur Wenigen bekannt, dass seine große Liebe immer dem Kino galt. Für ihn stellte das Filmemachen quasi die Königsklasse aller künstlerischen Artikulationen dar; im Zweifelsfall stellte er das Kino in seinem Stellenwert über das Theater. So bezeichnete er in einem Gespräch mit Jochen Ziller das Theater als Selbstbefriedigung, Film hingegen als Geschlechtsverkehr. »Danach wieder zur Onanie zurückzukehren, fällt schwer ...« (1)
Ohne Zweifel verkörperte Thomas Brasch als Filmemacher eine außergewöhnliche künstlerische Begabung, die jedoch weder in Ost- noch in Westdeutschland eine gebührende Umsetzung finden konnte. In der DDR musste er 1968 sein Dramaturgiestudium an der Babelsberger Filmhochschule abbrechen, nachdem er gegen den Einmarsch des »Warschauer Pakts« in Prag protestiert hatte: Wegen einer gemeinsam mit Florian Havemann durchgeführten Flugblattaktion wurde er zu 27 Monaten Haft verurteilt, von denen er drei Monate absaß. Danach war eine Fortsetzung des Studiums unmöglich. Brasch suchte weiter die Nähe zum Film, kam nach seiner Freilassung durch Fürsprache Helene Weigels im Brecht-Archiv unter, recherchierte dort über »Brecht und Film«. Gelegentlich schrieb er Texte für die Publikationen des Staatlichen Filmarchivs der DDR und führte in Filmvorführungen des »Camera«-Programms ein. Auch in seinen noch in der ostdeutschen Heimat verfassten literarischen Texten spielten der Film und das Kino immer wieder zentrale Rollen. Diese frühen Prosatexte bedienten sich oft filmischer Techniken, arbeiteten mit Vor- und Rückblenden oder Parallelmontagen. Daneben flossen cineastische Zitate und Leinwanderlebnisse in die Texte ein, wurden selbst zum Handlungsmoment. Am eindrucksvollsten geschah dies in der Erzählung »Und über uns schließt sich der Himmel aus Stahl«, in der er - ohne Filmtitel, Regisseur oder Darsteller explizit zu nennen – eine der durch pöbelnde Sicherheitskräfte systematisch gestörte Vorstellung von Die Spur der Steine von Frank Beyer (1965) beschrieb.(2)
Nach Thomas Braschs Übersiedlung vom Ost- in den Westteil Berlins Ende 1976 kündigte sich für ihn eine glanzvolle Karriere als Dramatiker an. Doch zielstrebig betrieb er parallel dazu seinen eigentlichen Lebenstraum – endlich eigene Filme drehen zu können. 1979 lernte er in München durch Vermittlung Volker Schlöndorffs den Filmproduzenten Joachim von Vietinghoff kennen, zwei Jahre später lag mit Engel aus Eisen sein erster Spielfilm vor: eine vor dem Hintergrund der Blockade West-Berlins (1948/49) angelegte Gangstersaga um die berühmt-berüchtigte Gladow-Bande und deren Ideengeber, den einstigen Scharfrichter Völpel. In expressivem Schwarzweiß von Altmeister Walter Lassally (Alexis Sorbas) fotografiert, mit Hilmar Thate als Völpel und Katharina Thalbach als Gangsterbraut präzise besetzt, machte der Film Thomas Brasch in der bundesdeutschen Filmwelt zu Recht schnell bekannt. Schon ein Jahr später folgte 1982 mit Domino sein nächster Spielfilm, einem sehr offen strukturierten, mit autobiografischen Fragmenten Katherina Thalbachs angereichertem Vexierspiel, das Theatermilieu und Fantasy-Elemente zu einem surrealen Berlin-Porträt vermischte. Fünf Jahre vergingen, bis 1987 Der Passagier – Welcome to Germany in Cannes als bundesdeutscher Wettbewerbsbeitrag vorgestellte wurde. In diesem Film versucht ein jüdischer, jetzt in Amerika lebender Filmregisseur (Tony Curtis) sein Trauma zu bewältigen, möglicherweise während der Nazizeit als KZ-Insasse selbst zum Täter geworden zu sein. Sein Unterfangen, einen Film über die eigenen Erlebnisse zu drehen, scheitert, er bleibt buchstäblich im Transitraum zwischen Vergangenheit und Gegenwart stecken.
Tragischer Weise sollte "Der Passagier" Thomas Braschs letzter Spielfilm bleiben. Bis zu seinem Tod im November 2001 konnte der Künstler keine weitere filmische Arbeit mehr realisieren. Dass die deutsche Öffentlichkeit auf seine Interventionen verzichten musste oder wollte, hat komplexe Gründe. Als Filmemacher hat sich der Künstler Thomas Brasch in ein Territorium begeben, dem er trotz allen Pessimismus und auch Zynismus nicht gewachsen war (3). Brasch reproduzierte damit unfreiwillig das Schicksal seiner Filmhelden. Sei es, dass die deutsch-deutsche Kulturlandschaft nach 1989 mit anderen Problemen beschäftigt war, sei es, dass Thomas Brasch nicht willens oder nicht in der Lage war, auf die veränderte Lage auf den Bühnen und im Lande künstlerisch adäquat zu reagieren – nach dem Fall der Mauer schien sowohl der Schriftsteller als auch der Filmregisseur Brasch mehr und mehr der Vergessenheit anheim gefallen zu sein. (Ungebrochen präsent blieb er hingegen als Shakespeare-Übersetzer und -Nachdichter.).
Gegen diese Amnesie setzen nun der Suhrkamp Verlag, absolut Medien und die Akademie der Künste mit einer vorzüglich editierten DVD-Box ein vernehmliches Zeichen. Die Box enthält nicht nur die drei großen Spielfilme Braschs, sondern auch die 1985 für das niederländische Fernsehen entstandene, vom Künstler selbst eingerichtete Verfilmung seines Theaterstücks »Mercedes«. Daneben finden sich zahlreiche Interviews und filmische Statements, so die kuriose Aufzeichnung der Prämierung mit dem Bayerischen Fernsehpreis, als sich Thomas Brasch in Gegenwart des Ministerpräsidenten Franz-Joseph Strauß ironisch bei der DDR für die genossene Filmausbildung bedankte und damit einen Eklat auslöste.
Teaserfoto: Thomas Brasch1993 (Autorin: Marion Brasch) - Das Teaserfoto steht unter: CC-by-sa-2.0-de
Thomas Brasch, Filme (drei DVDs):
Engel aus Eisen / Domino / Der Passagier – Welcome to Germany, enthält zusätzlich den Film Mercedes sowie zahlreiche Interviews und Statements, 50-seitiges Booklet mit Texten von Thomas Brasch, Hanns Zischler und Joachim von Vietinghoff, herausgegeben von Martina Hanf (Suhrkamp Verlag / absolut Medien).
Veranstaltungshinweis
Am Dienstag, 23.02.2010 in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin (Schumannstraße 8): Vorführung des Spielfilms Engel aus Eisen (1979), anschließendes Gespräch mit Helke Misselwitz, Anna Thalbach und Joachim von Vietinghoff, Moderation: Claus Löser.
(1) »Theaterstücke sind Gebrauchsgegenstände. Ein Gespräch zwischen Thomas Brasch und Jochen Ziller« in: Thomas Brasch »Lovely Rita / Lieber Georg / Mercedes« Ost-Berlin1988, S. 142
(2) Thomas Brasch »Und über uns schließt sich der Himmel aus Stahl«, in: »Vor den Vätern sterben die Söhne« S. 29
(3) Zahlreiche Projekte entstanden auf Papier, entwickelten sich aber nie bis zu drehfertiger Relevanz. Siehe zu den nicht-realisierten Filmprojekten: »Das blanke Wesen. Arbeitsbuch Thomas Brasch« S. 110 - 143