Auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung im Rahmen des internationalen literaturfestival berlin sprachen Helon Habila (Nigeria/USA), Susan Kiguli (Uganda) und Boualem Sansal (Algerien) über ihre Rolle als Schriftsteller in der Gesellschaft.
In einem Interview verrät die ugandische Lyrikerin Susan Kiguli mehr zu dieser Frage, über den Einfluss mündlicher Überlieferung in ihrer Gesellschaft, über die Situation der Frauen in Uganda und über heldenhafte Taten einfacher Menschen.
Die Veranstaltung „Mehr als Kunst“ fragte nach der Rolle von Schriftstellern in der Gesellschaft. Wie definieren Sie Ihre Rolle als Dichterin?
Wenn ich meine Rolle als Schriftstellerin zu definieren versuche, denke ich zunächst an die Pflicht, die ich habe. Ich habe die Fähigkeit Dinge nieder zu schreiben. Anderen ist dies nicht möglich. Ich möchte als Schriftsteller mit den Menschen sprechen, Diskussion anregen, Debatten über Fragen führen, die auch mal unangenehm sein können. Konkrete Fragen, wie die nach der Abbrecherquote von Schülern, warum sich besonders die Jungs in der Schule schwer tun. Aber auch große Fragen wie, was ist Gerechtigkeit, nach der Verteilung von Gütern, warum hat der Westen mehr als Afrika, was lief bei uns in Afrika schief? Als Schriftsteller sollte man mutig genug sein, über die Stärken und Schwächen des eigenen Kontinents zu reden. Afrika hat die unterschiedlichsten Stimmen, die gehört werden wollen – das ist eine Stärke. Aber wir haben auch unzählige Diktaturen. Woher kommen sie? Was, innerhalb des Systems, befördert diese Mechanismen? Meine Antwort darauf lautet: das patriarchale System. Man erhebt seine Stimme gegenüber den Älteren nicht. Das bedeutet Hierarchie und Macht und Kontrolle.
Aber um auf die Frage zurück zu kommen: Besonders die Schriftsteller, die in der Tradition der mündlichen Überlieferung schreiben, sind Kommentatoren ihrer Gesellschaft. Ein Schriftsteller ist ein Lehrer, ein Kritiker, jemand, der die Menschen dazu bringt, auf sich selbst zu schauen und reflektiert mit dem umzugehen, was er tut. Ein Schriftsteller sollte Prozesse in Gang bringen und Wandel herbei führen – positiven Wandel selbstverständlich. So sehe ich das!
Frau Kiguli, Sie schreiben Ihre Gedichte in der Erzählform der mündlichen Überlieferung. Können Sie erläutern was Stärken und Schwächen dieser Erzählform sind?
Ich verwende diese Erzählform deshalb, weil ich zu den Menschen auf eine Weise sprechen möchte, die sie sofort verstehen. Später werden die Bilder, die beim Erzählen benutzt werden, mit anderer Bedeutung versehen. Wenn ich also z.B. über eine Diktatur sprechen möchte, nutze ich das Bild des Thronfolgers, der die anderen betrügt. Ich würde dann sagen „der Thronfolger hat uns alle hintergangen“. Die Menschen verstehen, dass dies etwas Schlechtes ist, ein Missbrauch von Macht. Sie sehen dann die Bedeutung hinter diesem Bild.
Das gesprochene Wort hinterlässt einen starken Eindruck. Die Menschen können sich mit den Themen und Bildern identifizieren, weil sie Teil ihres Kontextes und ihrer Kultur sind.
Eine Schwäche dieser Erzählform ist, dass die mündlichen Überlieferungen oft sehr spezifisch sind. Damit sind Menschen außen vorgelassen, weil sie nicht verstehen, von was ich spreche. Eine weitere Schwäche entsteht dadurch, dass die schriftliche Kultur verherrlicht wird. Daher wird der Schriftsteller, wenn er am Stil der mündlichen Überlieferung festhält, teilweise als trivial und unwichtig abgetan.
Ihr erster Gedichtband “The African Saga” wurde 1998 von der Ugandischen Schriftstellerinnenvereinigung FEMRITE herausgegeben; einer Organisation, die damals gegründet wurde, um unterrepräsentierten Schriftstellerinnen eine Stimme zu geben. Hat sich die Situation seitdem für Schriftstellerinnen in Uganda und auf dem Kontinent insgesamt verändert?
In Uganda hat die nationale Widerstandsbewegung besonders seit 1986 eine konkrete Agenda aufgelegt, um Frauen an der Macht zu beteiligen. Mittlerweile sind viele Frauen in die öffentliche Arena getreten – ob im Parlament als Abgeordnete oder als Vertreter auf Gemeinderatsebene. Es gibt bereits viele Frauen in Führungspositionen und viele Frauenbewegungen, die andere Frauen dazu ermutigen, selbst ein Einkommen anzustreben. Es gibt sogar eine Präsidentin in Liberia – das heißt aber nicht, dass nichts mehr zu tun wäre. Gleichberechtigung ist noch längst nicht erreicht. In Uganda im Speziellen sind allerdings deutlich Fortschritte zu verzeichnen: alle Schriftsteller, die in den letzten fünf Jahren einen internationalen Preis gewonnen haben, waren Frauen. An diesem Erfolg beteiligt ist natürlich auch die Arbeit von FEMRITE.
In einem Ihrer Gedichte (“survive and win”) erzählen Sie von Ihrer Tante, die ihr Vieh aller Widrigkeiten zum Trotz hütet und ihr Wissen über Kräuter zum Heilen verwendet. Sie sagten einmal „wenn alle Menschen wie sie wären, würde es eine Revolution geben und mein wunderbares Land würde gerettet werden“. Verbinden Sie Feminismus und Umweltbewusstsein?
Nicht direkt. Was ich mit dem Gedicht ausdrücken wollte ist, dass so viele einfache Leute heldenhafte Dinge tun. Allen Widrigkeiten zum Trotz führen sie Geschäfte, hüten ihr Vieh. Jeder sollte also versuchen, im täglichen Leben ein Held zu sein. Es gibt so viele habgierige Menschen, die nur auf sich selbst schauen. Nach Öl bohren, ohne nach der Umwelt zu fragen, Kriege führen. Dennoch kann man sagen, dass das Gedicht besonders Frauen inspirieren sollte. Frauen machen nützliche Dinge. Mein Thema sind Frauen, weil ich ihnen mehr verbunden bin, als Männern. Ich möchte, dass die Männer sehen, was Frauen leisten. Frauen spielen eine wichtige Rolle, um die Gesellschaft zusammen zu halten. Uganda ist so ein wunderbares Land. Wir gehen nicht bewusst mit unserer Umwelt um. Wir verschmutzen die Natur, fällen die Bäume – wenn wir eigentlich Bäume pflanzen sollten. In Uganda wären es die Frauen, die diese Tätigkeit verrichten würden. Das ist der Wandel von dem ich in dem Gedicht sprach, der herbeigeführt werden könnte, wenn jeder, wie meine Tante, im Alltag gute Dinge vollbringt.
Ihr Thema sind Frauen, Sie sind eine Schriftstellerin. Wollen Sie als Dichterin (also als Frau), als ugandischer oder afrikanischer Schriftsteller oder einfach als Dichter wahrgenommen werden?
Ich kann es mir nicht leisten, nur als irgendeine Schriftstellerin gesehen zu werden. Wir müssen das System ändern und das System sagt bei einem männlichen Dichter: es ist ein Dichter. Sobald es eine Frau ist, liegt eben darauf auch die Betonung: es ist eine Schriftstellerin. Man definiert uns. Ich aber möchte mich selbst definieren. Daher bin ich mir der Tatsache, dass ich eine Dichterin (also Frau) bin, sehr bewusst. Indem ich das immer wieder betone, kann ich Frauen bestärken. Dieses Thema liegt mir sehr am Herzen. Wenn meine Gedichte also Handlungsmuster beeinflussen, wäre ich sehr glücklich.
Das Interview führte Lisa Münch, Heinrich-Böll-Stiftung
» Lebenslauf von Susan Kiguli
» Veranstaltungshinweis: 30.September 2008 „Mehr als Kunst. Schriftsteller und ihre Verantwortung in der Gesellschaft“