Google, Apple und Co. dringen in der EU in den Finanz- und Zahlungssektor vor. In den USA ist für sie der Weg schon bereitet. Trump fordert auch von der EU weniger Regeln. Aber Europa kann und sollte sich schützen. Jetzt.

Die Tech-Oligarchen haben den politischen Schulterschluss mit der Trump-Regierung gesucht. Sie sichern sich dadurch unter anderem politische Unterstützung beim Ausbau ihres Finanzangebots. So hat Donald Trump kürzlich nicht nur die vorgeschlagenen Regeln für eine stärkere Aufsicht der Finanzdienste der großen Technologiekonzerne („Big Tech“) ausgebremst, sondern gleich die gesamte zuständige Aufsichtsbehörde CFPB geschlossen. Jetzt droht er der EU mit weiteren Zöllen, sollte die Regulierung der Big Tech in der EU nicht abgeschwächt werden.
Gefahr für Europa: Wenn Tech-Riesen zu Finanz-Riesen werden
Schwächere Regeln sollten keine Option für die EU sein. Big Tech sind schon heute zu groß und mächtig. Allein Alphabet, der Mutterkonzern von Google, erzielte 2024 Gewinne, die fast so hoch wie die Staatseinnahmen von Griechenland waren. Wie systemkritisch Big Tech bereits geworden sind, hat auch die Microsoft CrowdStrike-Panne im Juli 2024 und ihre weltweiten Auswirkungen in unterschiedlichsten Sektoren bewiesen. Sollten die Tech-Riesen auch noch zu Finanz-Riesen werden, wären sie kaum noch zu kontrollieren.
Sollten die Tech-Riesen auch noch zu Finanz-Riesen werden, wären sie kaum noch zu kontrollieren. Europa muss entschieden darauf reagieren und Big Tech Finanz-Riesen verhindern.
Europa muss entschieden darauf reagieren und Big Tech Finanz-Riesen verhindern. Aber warum wollen Big Tech überhaupt ins Finanzwesen? Welche Risiken entstehen und wie lassen sich diese kontrollieren? Und wie kann eine europäische Antwort aussehen?
Das wachsende Finanzangebot der Big Tech
Beim Ausbau ihrer Finanzangebote nutzen Big Tech gleich zwei Wege. Einerseits bieten sie Finanzdienste für Endkunden wie Zahlungsfunktionen, Kreditangebote und Vermögensverwaltung an. Das passiert oft in Kooperation mit lizensierten Finanzinstituten und Dienstleistern. Apples Sparkonto in den USA wird in Kooperation mit der Bank Goldman Sachs angeboten. Diese stellt das Bankkonto im Hintergrund bereit. In Europa sind vor allem die digitalen Geldbörsen Apple Pay und Google Pay weit verbreitet. Andererseits bieten Big Tech auch wichtige IT-Dienstleistungen für Finanzinstitute wie Cloud-Dienste, Risikomanagement oder KI-Assistenten an. Diese Dienste werden auch im europäischen Finanzsektor viel genutzt.
Wie genau profitieren Big Tech von einem Finanzangebot?
Big Tech sind Technologieunternehmen, die ihre digitalen Plattformen zu möglichst umfangreichen Ökosystemen ausweiten möchten. Finanzdienste sind für den Ausbau digitaler Plattformen ein wichtiger Schritt. Das wird auch anhand der Plattform X deutlich. Diese soll laut Elon Musk zur Alles-App werden, auf der Nutzer*innen alle möglichen Dienstleistungen und ihre gesamten Finanzen kontrollieren können. Der erste Schritt dahin ist die Einführung einer X-Zahlungsfunktion, zunächst in den USA.
Das Finanzangebot stärkt die Big Tech gleich in mehrfacher Hinsicht. Sowohl die Kern- als auch die Finanzsparte profitiert vom Finanzangebot der Big Tech. Bei der Entwicklung neuer Dienste können sie Technologien, Daten und andere Ressourcen aus ihrem Kerngeschäft nutzen. Einnahmen und Daten aus den neuen Finanzdiensten können wiederum für das Kerngeschäft wie E-Commerce oder soziale Medien genutzt werden.
Durch ihre IT-Dienste wie Cloud- und KI-Dienste werden sie selbst zur unverzichtbaren kritischen Infrastruktur. Laut der deutschen Finanzaufsicht Bafin könnte jedes zweite anzeigepflichtige Unternehmen seine ausgelagerten IT-Dienste nicht mehr selbst erbringen. Sie sind somit von den IT-Diensten durch Drittanbieter wie die US-amerikanischen Big Tech für große Teile ihres technologischen Backoffice abhängig.
Finanzdienste ermöglichen Gewinne bei vergleichsweise geringem Aufwand und Risiko. Die Integration neuer Finanzdienste auf ihre bestehenden Plattformen ist vergleichsweise einfach. Finanzielle Risiken und regulatorische Anforderungen können bequem an Kooperationspartner*innen (Finanzinstitute, Zahlungsdienstleister*innen, Versicherer) ausgelagert werden. Momentan ist das Finanzangebot der Big Tech in der Europäischen Union noch deutlich geringer als in ihren Heimatmärkten in den USA und China. In China, wo Big Tech wie Alipay und Tencent im Finanzsektor etabliert sind, wickeln sie mittlerweile täglich mehr als 90 Prozent aller mobilen Zahlungen ab. Die noch vergleichsweise geringe Präsenz in der EU bietet die Chance, früh zu reagieren und eine Antwort zu formulieren.
Risiken liegen im toten Winkel der Aufsicht
Durch das wachsende Finanzangebot der Big Tech entstehen massive Risiken für Verbraucher*innen, einen effektiven Datenschutz, einen fairen Wettbewerb, die Finanzstabilität und die europäische Souveränität. Die Herausforderung besteht darin, dass die spezifischen Risiken durch Big Tech im Finanzwesen mit den heutigen Regeln und Kontrollen nur schwer adressiert werden können.
Bei Finanzrisiken kann die Finanzaufsicht oftmals nur das lizensierte Tochterunternehmen des Gesamtkonzerns beaufsichtigen. Alle möglichen Risiken, die sich zwischen den Geschäftssparten entwickeln könnten, bleiben unerkannt. Dazu gehören auch operative Risiken, die sich aus der gemeinsamen Nutzung von Technologie und Daten zwischen den Geschäftssparten ergeben. Beispielsweise verbuchte Amazons Cloud-Computing-Dienst AWS im Jahr 2021 drei Ausfälle, die zu Ansteckungsrisiken unter anderem in der E-Commerce-Sparte von Amazon führten. Bei Partnerschaften führen Big Tech oftmals den Teil des Dienstes aus, der keiner Lizenz bedarf und operieren so außerhalb der Aufsicht (z.B. Apple Pay). Das kann ab einer bestimmten Größe auch unerkannte Risiken für die Finanzstabilität schaffen.
Auch die Wettbewerbsbehörden stehen vor Herausforderungen. Denn Big Tech profitieren bei ihren Finanzdiensten von ihrer Marktmacht aus anderen Geschäftsbereichen und können diese ausnutzen. Sie besitzen massenweise Daten, technologische Infrastruktur, Know-how und einen breiten Kundenstamm, der ihnen die Entwicklung und das Angebot von Finanzdiensten im Vergleich zu Wettbewerber*innen erleichtert. Wettbewerbsbehörden können diese Strategien nur schwer erfassen, da sie sich klassischerweise auf Preiseffekte und Verbraucherinteressen fokussieren. Der Digital Markets Act (DMA) der EU soll den Missbrauch von Marktmacht und unfaire Wettbewerbsvorteile bei großen digitalen Plattformen verhindern. Allerdings umfasst er keine Vorgaben für das Finanzangebot der Big Tech.
Die wachsende Präsenz der Big Tech im europäischen Zahlungs- und Finanzsektor ist auch ein Risiko für die europäische Souveränität.
Auch beim Daten- und Verbraucherschutz profitieren Big Tech von Schlupflöchern und Grauzonen in den Regeln zur Datenverarbeitung sowie Herausforderungen in der Aufsicht. Ihre datengetriebenen Geschäftsmodelle basieren auf der Verknüpfung, Analyse und Monetisierung von Nutzer*innendaten. Dabei greifen sie auch auf verbraucherschutzrechtlich fragwürdige Methoden wie Dark Patterns zurück, um möglichst freie Handhabe über diese Daten zu erlangen.
Die wachsende Präsenz der Big Tech im europäischen Zahlungs- und Finanzsektor ist auch ein Risiko für die europäische Souveränität. Schon heute sind grenzüberschreitende Kartenzahlungen in der EU ohne nicht-europäische und insbesondere US-amerikanische Zahlungsdienstleister wie VISA oder MasterCard nicht möglich. Nun dringen auch noch mächtige Big Tech Unternehmen in diesen Sektor vor. Diese Abhängigkeiten können im Härtefall als politisches Druckmittel dienen. Das schwächt die europäischen Demokratien und die europäische Autonomie.
Eine entschiedene europäische Antwort
Die Risiken durch eine wachsende Präsenz der Big Tech im Finanzwesen sind massiv. Eine effektive europäische Antwort auf Big Tech im Finanzsektor muss daher umfassend sein. Zum einen müssen die Aufsichtspraxis und -konstellation bei Big Tech im Finanzsektor auf europäischer Ebene verbessert werden. Nur so können die Big-Tech-spezifischen Risiken aus ihren breiten Geschäftsmodellen erfasst werden. Auch die Marktstruktur muss durch mehr Wettbewerb und die Förderung öffentlicher Alternativen gestärkt werden. Zum anderen müssen die Finanzgeschäfte der Big Tech vom restlichen Unternehmen isoliert werden – zunächst über eine Neuorganisation der Konzernstruktur. Sollte dich nicht ausreichen, ist eine eigentumsrechtliche Abspaltung der Finanzsparte vom restlichen Big Tech notwendig.
Die europäischen Aufsichtsbehörden müssen bei der Aufsicht von Big Tech stärker kooperieren. Denn die Finanzstrategie der Big Tech verknüpft Daten, Marktmacht und Finanzdienste und reicht so in die Aufsichtsbereiche verschiedener Behörden rein. Um die Dominanz bei IT-Diensten zu schmälern, müssen die Wettbewerbsregeln des DMA im Bereich Cloud-Dienste angewandt und bei KI-Diensten erweitert werden. Zusätzliche müssen öffentliche und digitale Alternativen durch nationale und europäische Gesetzgeber*innen, aber auch Akteur*innen wie die EZB forciert werden. Ein digitaler Euro, wie er derzeit von der EZB entwickelt wird, könnte nicht nur den Wettbewerb fördern, sondern auch die Dominanz US-amerikanischer Zahlungsanbieter in der EU brechen. So könnte auch die europäische Souveränität und Unabhängigkeit gestärkt werden.
Um Wettbewerbsvorteile der Big Tech zu neutralisieren und ihre Aufsicht zu vereinfachen, muss die Unternehmensstruktur der Big Tech neu organisiert werden. Eine klare operative Trennung der Finanzaktivitäten vom restlichen Unternehmen sollte mit einem strikten „Ring-Fencing“ einhergehen. Jeglicher Austausch von Daten, die gemeinsame Nutzung von Technologie und der Austausch finanzieller Mittel zwischen der Finanzeinheit und dem restlichen Unternehmen muss untersagt werden. Dazu müssten die EU-Kommission bzw. die EU-Gesetzgeber, also der Rat der EU und das EU-Parlament, den DMA anpassen. Bei Bankgeschäften und einer entsprechenden Banklizenz sollten Big Tech aufgrund ihrer Größe direkt der EZB-Aufsicht unterstellt werden. Immerhin ist allein Apple Stand heute sechsmal so wertvoll wie JP Morgan Chase, die nach Börsenwert größte Bank der Welt.
Bei anhaltenden Risiken und verzerrtem Wettbewerb muss die EU eine Zerschlagung der Konzerne ermöglichen. Die eigentumsrechtliche Abspaltung der Finanzsparte vom restlichen Big-Tech-Unternehmen sollte Risiken und Synergien aus dem breiten Geschäftsmodell beseitigen. Das europäische Wettbewerbsrecht erlaubt jetzt schon strukturelle Maßnahmen wie Entflechtungen bei Marktmissbrauch (Art. 102 AEUV). Ergänzt werden sollte dies durch ein missbrauchsunabhängiges Entflechtungsinstrument, das durch die EU-Kommission bzw. die EU-Gesetzgeber eingeführt werden müsste. Dadurch könnten ganze Sektoren auf faire Wettbewerbsbedingungen geprüft und Unternehmen entflochten werden.
Es ist keine Zeit zu verlieren
Die Macht der Big Tech ist eine der größten Herausforderungen für die Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratien im digitalen Zeitalter. Die politische Rückendeckung der Big Tech ist mit der neuen Trump-Administration stärker denn je geworden. Die EU sollte sich davon nicht einschüchtern lassen.
Eine europäische Antwort existiert – die EU-Kommission, EU-Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden sollten sich jetzt an die Umsetzung machen.
Die Risiken durch eine wachsende Dominanz der Big Tech im Finanzwesen sind immens und können nicht ignoriert werden. Eine europäische Antwort existiert – die EU-Kommission, EU-Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden sollten sich jetzt an die Umsetzung machen. Nur so können europäische Verbraucher*innen und ihre Daten, unsere Märkte und die Unabhängigkeit Europas vor den Auswirkungen von wachsender Machtkonzentration und den Gefahren von Big Tech im Finanzsektor geschützt werden.
Eine ausführliche Analyse der Risiken und Handlungsmöglichkeiten der Europäischen Union finden Sie in der Studie „Die Finanzdienste von Apple, Google und Co.: Ein gefährlich guter Deal“ von Carolina Melches und Michael Peters. Die Studie wurde bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung und Finanzwende Recherche vorgestellt und diskutiert.