Die Finanzbranche ist ein gewaltiger Hebel, mit dem die Welt verändert werden kann – der den klimaneutralen Umbau voranbringt, menschenunwürdige Arbeit zurückdrängt und nachhaltigen Wohlstand erzeugt oder erneuert. In den vergangenen Jahren sind bereits viele Milliarden Euro in Investitionen mit diesen Zielen gelenkt worden – aber es müssten viel mehr sein.
Damit Deutschland wie vorgesehen bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden kann, sind immense Investitionen in Wirtschaft und Gesellschaft erforderlich. Unternehmen müssen neue Produktionsweisen entwickeln und etablieren, etwa grünen Stahl herstellen oder C02-Emissionen in der Baustoffindustrie herunterfahren. Auch die Energie- und Wärmewende müssen finanziert werden. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) geht davon aus, dass allein in Deutschland bis zur Jahrhundertmitte Investitionen von gewaltigen 5 Billionen Euro erforderlich sind, um bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Davon muss der allergrößte Teil aus dem Privatsektor kommen.
Mobilisiert werden können diese Mittel durch «Shifting the Trillions»: Geldströme werden in nachhaltige Investments gelenkt. Ob die Richtung stimmt, ist anhand der sogenannten ESG-Kriterien - Umwelt (Environment), Soziales (Social) und gute Unternehmensführung (Governance) – messbar. Banken, Versicherer und Fonds, aber auch Privatanleger:innen werden so zu Treibern des klimagerechten Umbaus und sorgen gleichzeitig für die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards. Finanzmarktakteur:innen können auch Geschäftsmodellen die monetäre Grundlage entziehen, die auf Kinderarbeit, menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, Klimaschädlichkeit oder Umweltzerstörung basieren.
Von der Nische zum Mainstream: Die Erfolgsgeschichte nachhaltiger Finanzierungen
Schon vor Jahrzehnten haben sich Initiativen und Akteur:innen erfolgreich mit nachhaltigen Finanzierungen befasst – allerdings in einem Nischenmarkt. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren entstanden sozial-ökologische Banken und Anlagefonds, etwa die 1974 gegründete GLS Gemeinschaftsbank in Deutschland oder die 1980 in den Niederlanden entstandene Triodos Bank. Ab den 1990er Jahren widmeten sich erste internationale Finanzakteure Umwelt- und Sozialfragen - häufig allerdings, um Reputationsrisiken etwa durch Umweltkatastrophen zu senken. Nach der Finanzkrise 2008 stieg das Interesse an nachhaltigen Geldanlagen. Immer mehr Nachhaltigkeitsfonds für private und für institutionelle Anleger wurden aufgelegt. 2009 gründeten Finanzakteure mit der Global Alliance for Banking on Values (GABV) die erste Brancheninitiative für Nachhaltigkeit. Mittlerweile gibt es eine Reihe solcher Projekte, etwa die Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) oder die Climate Action 100+. Hier verständigen sich Manager:innen auf gemeinsame Ziele etwa zum Ausstieg aus fossilen Geschäftsmodellen, und Unternehmen geben Selbstverpflichtungen ab, um sie zu erreichen.
Der Durchbruch von der Nische in den Mainstraim begann im Jahr 2015: Das Pariser Klimaabkommen und die von den UN verabschiedeten 17 Nachhaltigkeitsziele führten dazu, dass die Politik und die Aufsichtsbehörden, aber auch die Branche selbst das Thema unter der Bezeichnung «Sustainable Finance» in den Fokus nahmen. Zahlreiche als «grün» bezeichnete Anlageprodukte kamen auf den Markt – auch wenn oft nicht erkennbar war, was sich hinter dieser Deklaration wirklich verbarg. Die zunehmende Nachfrage brachte und bringt die Gefahr mit sich, dass auch Anlagen als nachhaltig verkauft werden, die es gar nicht sind. Studien zufolge – etwa der NGO Finanzwende – werben etliche Anbieter zwar mit nachhaltigen Investments, diese unterscheiden sich aber tatsächlich nicht von konventionellen. Die Furcht vor Greenwashing-Produkten führt zu Vertrauensverlusten.
Um einen regulatorischen Rahmen zu schaffen und private Geldströme umzulenken, hat die Europäische Union 2018 den Aktionsplan «Finanzierung von nachhaltigem Wachstum» und im Zuge des European Green Deals eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht. Dazu gehören die EU-Offenlegungsverordnung mit der Taxonomie und eine neue Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die EU-Taxonomie ist ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftsprozesse. Sie definiert, was als ökologisch gilt und was nicht. Damit existiert weltweit erstmals ein Bewertungsmaßstab für den Grad einer nachhaltigen Investition. Ursprünglich erwarteten Expert:innen, dass das den nachhaltigen Finanzmarkt enorm anschieben würde. Aber da die EU auch Investments in Atomkraft und Gas als nachhaltig anerkennt, hat das Bewertungssystem bei vielen Anleger:innen an Glaubwürdigkeit verloren.
Regulierungen und Transparenz als Schlüssel für Wachstum
Mit der EU-Richtlinie CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) bringt die EU mehr Transparenz in den Markt. Damit werden erstmals verbindliche Berichtsstandards auf EU-Ebene etabliert und Anlagen vergleichbar. Bislang galten Berichtspflichten nur für kapitalmarktorientierte Unternehmen, seit 1. Januar 2025 sind sie für alle großen Kapitalgesellschaften obligatorisch.
Unternehmen müssen unter anderem berichten, welche Auswirkungen ihr Geschäftsbetrieb auf Menschen und Umwelt hat und wie sie selbst wiederum von Nachhaltigkeitsaspekten betroffen sind. Diese Angaben müssen sie wie die Finanzberichterstattung extern prüfen lassen. Perspektivisch sollen sie den gleichen Stellenwert bekommen wie der Finanzbericht. Studien, etwa des Umweltbundesamtes, sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die bisherige Berichterstattung der Unternehmen große Defizite aufweist. Künftig wird es für Investoren also einfacher zu erkennen, wie nachhaltig Investments wirklich sind.
Die EU-Vorgaben zeigen trotz Kritik an der Taxonomie Wirkung. Dem Marktbericht 2024 des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) zufolge umfasste die Gesamtsumme nachhaltiger Publikumsfonds und Spezialfonds gemäß der EU-Offenlegungsverordnung im vierten Quartal 2023 rund 905 Milliarden Euro. Das entspricht einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 20 Prozent. Am deutschen Gesamtmarkt, der Ende 2023 ein Volumen von 4,149 Milliarden Euro erreichte, lag der Anteil der nachhaltigen Geldanlagen dem FNG zufolge bei 21,8 Prozent.
Wichtig für den Durchbruch von Sustainable Finance sind die ganz großen Akteure. Black Rock, der mit einem Anlagevolumen von 11,5 Billionen Dollar weltweit größte Vermögensverwalter, hat sich 2019 zu ESG bekannt – das allerdings 2023 revidiert. Black-Rock-Chef Larry Fink erklärte, der Vermögensverwalter nehme von dem Begriff Abstand, weil dieser zunehmend politisch instrumentalisiert werde. Auch aus der Net-Zero-Asset-Managers-Initiative ist Black Rock ausgetreten. Das Problem: In den USA haben republikanische Politiker:innen ESG-Anlagestrategien zum Teil des Kulturkampfs gemacht. Klimavereinigungen wie die Net Zero Banking Alliance geraten unter Druck. Große Häuser wie die Bank of America, Citigroup, Goldman Sachs, Morgan Stanley und JP Morgan Chase sowie vier kanadische Banken haben diese Initiative verlassen, europäische Banken erwägen diesen Schritt. Mehrere republikanisch regierte US-Staaten sehen ESG-Selbstverpflichtungen von Investoren als gesetzwidrig an. Sie betrachten es als Wettbewerbsverzerrung, wenn sich Akteure absprechen, um keine fossilen Geschäftsmodelle mehr zu unterstützen. Gegner:innen werfen Investoren wie Black Rock außerdem vor, finanzielle Interessen zugunsten ideeller zu vernachlässigen. So hat der konservative regierte Bundestaat Tennessee Black Rock verklagt. Beide Seiten haben sich im Januar 2025 geeinigt, Black Rock hat mehr Transparenz bei seinen Anlageentscheidungen zugesagt.
Trotzdem bleibt Black Rock einer der wichtigsten Akteure im Bereich ESG-Investments. Im vergangenen Jahr lag das Volumen von nachhaltigen oder im Übergang begriffenen Investments nach eigenen Angaben bei mehr als einer Billion Dollar. Beobachter:innen halten es für möglich, dass der Konflikt in Tennessee Sustainable Finance letztendlich stärkt, weil er zu mehr Transparenz führt.
Mit einer weiteren Regulierung etwa durch die Einführung einheitlicher Kriterien, Nachhaltingkeitsratings oder eines Gütesiegels könnte mehr Kapital für die klimaneutrale Transformation mobilisiert werden. Allerdings: Es gibt auch andere Instrumente, die zu einer Internalisierung von Klimakosten führen und so Geldströme umleiten. Zentral ist die Weiterentwicklung von CO2-Preis-Systemen wie dem Emissionshandel oder CO2-Steuern, von denen es weltweit Dutzende gibt.
Unabhängig davon: Wichtige Impulsgeber für den Wandel sind klimafreundliche Geschäftsmodelle, die deshalb wachsen und Kapital anziehen, weil sie gut funktionieren. Heute gibt es sie bereits etwa im Bereich der Energiewende oder des Recyclings. In der Industrie haben Unternehmen längst die Initiative ergriffen, solche Geschäftsmodelle marktfähig zu machen, etwa bei Bau- und Grundstoffen. Werden aus ökologischen Ideen schwarze Zahlen, können sie eine Eigendynamik entfachen, die den klimaneutralen Umbau enorm voranbringen wird.
Anja Krüger ist Sozialwissenschaftlerin und im Parlamentsbüro der taz zuständig für Wirtschaftsthemen.