Grünes Wachstum: Stark fürs Klima, gut für die Wirtschaft.

Von Solarenergie bis Kreislauf­wirtschaft – Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten Techno­logien hervorgebracht, die weltweit für die grüne Transformation eingesetzt werden. Mit wegweisender Forschung und starken Unternehmen bleibt das Land ein globaler Vorreiter für eine umweltfreundliche Zukunft.

Vielleicht war es der Bericht «Grenzen des Wachstums» des Clubs of Rome, vielleicht war es die Ölkrise oder auch die zunehmende Umweltverschmutzung. In jedem Fall entwickelten sich in den 1970er und 1980er Jahren in Deutschland nachhaltige Indus­trie- und Forschungszweige, in denen sich das Land seitdem technologieführend erwiesen hat: Initiativen zu Solar- und Windkraft entstanden ebenso wie Konzepte, um Abfallströme zu managen und möglichst viele Wertstoffe wiederzuverwerten. Fast ein halbes Jahrhundert später bemühen sich Länder rund um den Globus, ihre Strom- und Wärmeerzeugung zu dekarbonisieren, ihre Wirtschaft auf biobasierte Rohstoffe umzustellen und eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Deutschland ist in vielen Bereichen in Forschung und Entwicklung weiterhin vorne dabei – auch wenn manchmal andere Staaten diese Technologien als erste großflächig anwenden und davon profitieren. 

Fotos einer organischen Solarzelle und einer Antireflexbeschichtung
Die organische Solarzelle (im Bild sind drei Zellen zu sehen) hat einen Wirkungsgrad von 15,8 Prozent und stellt damit einen neuen Weltrekord auf. Mithilfe einer neuen Antireflex­beschichtung ist es gelungen, die Effizienz der bisher besten Vierfachsolarzelle von 46,1 auf 47,6 Prozent zu erhöhen.

Energie 

Die Energiewende, die infolge des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 Fahrt aufnahm, brachte nicht nur die Photovoltaik weltweit auf einen Erfolgskurs, deren Wachstum selbst optimistische Prognosen Jahr für Jahr immer noch unterschätzen. Auf dem Markt der Solarenergie etwa könnten Perowskit-Zellen in einigen Jahren eine weitere Preisrevolution einleiten. Ganz vorne in der Forschung dabei ist ein Team der RWTH Aachen. Zusätzlich setzte die Energiewende Impulse für Technologien wie Smart Grids, Offshore-­Windkraft und Batteriegroßspeicher. Für Letztere erwarten Fachleute im Jahr 2025 einen weltweiten Zubau von 362 Gigawattstunden – das 200-Fache dessen, was zehn Jahre zuvor überhaupt installiert war. Ein wichtiger Standort für die Erforschung von Batterie­technologien ist das nordrhein-westfälische Münster. 

Die Energiewende ermöglicht zudem Wärmepumpen, Wasser­stofftechnologien und Elektroautos, die allesamt erst durch erneuer­bare Energien zu grünen Technologien werden. Sowohl bei haushaltsüblichen Wärmepumpen als auch bei Großwärmepumpen sind deutsche Unternehmen wichtige Hersteller, darunter Bosch und Siemens. Im Bereich der Elektrolyse und der Gaslogistik – zwei wichtigen Feldern der Wasserstofftechnologie – sind deutsche Hersteller wie Thyssenkrupp und Sunfire stark aufgestellt. 

Mobilität 

Unter den traditionellen Automobilkonzernen liegen deutsche Firmen bei der Elektromobilität im Spitzenfeld, insbesondere BMW und Volkswagen. Absolut jedoch dominieren neben Tesla vor allem chinesische Marken den global rasant wachsenden Markt. Die ersten Elektroautos fuhren übrigens bereits im 19. Jahrhundert. Mit der Ölkrise wurden sie wiederentdeckt, wodurch es in den 1970er Jahren den ersten Elektro-Golf von Volkswagen gab. Eines der ersten Autos für den Massenmarkt war 2013 der BMW i3. 

Mit Siemens und Alstom gibt es zwei wichtige Zughersteller in Deutschland, die unter anderem wasserstoff- und batteriegetriebene Fahrzeuge produzieren. Auch Infrastrukturkomponenten der Firma Vossloh sind erfolgreiche Exportprodukte. 

CCU und CCS 

Mehrere Fraunhofer-Institute und Unternehmen entwickeln Lösungen, das Treibhausgas CO2 aus Kraftwerksabgasen und Industrieprozessen abzuscheiden. In Lengerich etwa entfernt eine Pilotanlage ein Fünftel der CO2-Emissionen eines Zementwerks. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Oberhausen und das Deutsche GeoForschungsZentrum in Potsdam sind führend in Technologien, um das Treibhausgas in geologischen Speichern für lange Zeit zu lagern. Andere Institute und die chemische Industrie haben Prozesse entwickelt, um CO2 anstelle von Erdöl als Rohstoff zu verwenden und Chemikalien – darunter synthetische Kraftstoffe – herzustellen. Climeworks, den Marktführer für die Abscheidung von CO2 aus der Atmosphäre, haben zwei deutsche Ingenieure gegründet. 

Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft 

Neben Energie und Mobilität spielen Rohstofftechnologien eine wichtige Rolle für eine grüne Wirtschaft. Im Rheinischen Revier etwa treibt die Initiative Bioökonomie-Revier unter Federführung des Forschungszentrums Jülich den Wandel zu einer regionalen Bioökonomie voran. Nachhaltige Verpackungen aus Pflanzenresten, eine wasserfreie Papierherstellung und die Doppelnutzung landwirtschaftlicher Flächen für Nahrungsmittel und Photovoltaikmodule stehen unter anderem auf dem Programm, das inzwischen international Nachahmer findet. 

Ebenfalls in Jülich sitzt das Biotech-Unternehmen SenseUp, das einen RNA-basierten Ansatz für den Pflanzenschutz verfolgt, der ebenso wirksam wie umweltfreundlich ist und international Inte­resse erregt. Zudem ist Deutschland stark in der Pflanzenforschung und Entwicklung neuer Sorten, die mit weniger Agrarchemikalien auskommen oder besser an den Klimawandel angepasst sind. Zentral sind häufig moderne Genomeditierungstechniken, die viele der alten Konflikte der klassischen Gentechnik überwunden haben. Mehrere international renommierte Forschungsinstitute professionalisieren außerdem den ökologischen Landbau weiter, der vor hundert Jahren mit dem Demeter-Verband begann. 

Die Digitalisierung in der Landwirtschaft ermöglicht es, durch Satelliten und Drohnen den Zustand der Pflanzen auf dem Feld zu erfassen und mit automatisierten Geräten der Präzisionslandwirtschaft nur jene Mengen Dünge- und Pflanzenschutzmittel aufzubringen, die wirklich nötig sind. Insbesondere auf großen Flächen verbinden sich so Wirtschaftlichkeit und Naturschutz. Auch das Vertical Farming, das in Berlin bereits in einigen Supermärkten erlebt werden kann, verspricht Flächen zu sparen und Ressourcen zu schonen – mit Ausnahme des Energiebedarfs. Große Chancen bietet diese Anwendung in Ländern mit hoher Sonneneinstrahlung und wenig fruchtbaren Böden. 

Um das Potenzial biogener Rohstoffe und Reststoffe optimal nutzen zu können, setzen viele Unternehmen auf Bioraffinerien. Ähnlich den Erdölraffinerien verwenden sie in einer Kaskade möglichst alle Bestandteile eines Rohstoffs und erzeugen daraus beispiels­weise zunächst Feinchemikalien, dann Treibstoffe und nutzen den wertarmen Rest zur Wärmerzeugung. Pilot- und Demonstra­tions­anlagen gibt es etwa in Leuna, Karlsruhe und Höxter, aber auch eine indus­triell genutzte Bioraffinerie in Straubing. 

Effizienz und Recycling 

Mit steigenden CO2-Kosten wird es immer wirtschaftlicher, Rohstoffe zurückzugewinnen und erneut zu nutzen. In Deutschland begann diese Entwicklung 1991, als das Duale System eingeführt wurde. Die sortenreine Auftrennung der Komponenten eines Produkts oder einer Sammlung ist oft ein Hightech-Prozess – eine längst noch nicht immer gelöste Aufgabe. Wichtig sind deshalb Design­prozesse, die bereits das Recycling berücksichtigen. Forschende der TU Dresden haben beispielsweise pflanzenbasierte Leiterplatten entwickelt. Das könnte künftig den Elektroschrott halbieren und zugleich Metalle zurückgewinnen. Nebenbei schont Recycling die Natur und macht unabhängiger von Rohstoffimporten. 

Der Gebäudesektor ist für das Klima nicht nur wegen der schlechten Dämmung von Altbauten problematisch. Die hohen CO2-Emissionen der Betonherstellung könnten durch selektiven Rückbau und Recycling sowie durch biobasierte oder für ein Recyc­ling optimierte Baumaterialien stark verringert werden. Zahlreiche deutsche Forschungseinrichtungen haben entsprechende Prototypen präsentiert. Auch alternative Zementrezepturen und moderne Holzbauweisen werden in Deutschland entwickelt. 

Nicht zuletzt steigert die Digitalisierung auch in grünen Branchen die Prozess- und Energieeffizienz, von Haushaltsgeräten bis zu Industrieanlagen. Clevere Software ist für intelligente Stromnetze ebenso erforderlich wie für eine Shared Economy oder die Steuerung von Stoffströmen in einer regionalen Bioökonomie. 

Ausblick 

Bereits 2021 waren grüne Technologien in Deutschland laut Bundes­umwelt­ministerium für rund ein Sechstel des Brutto­inlandsprodukts verantwortlich. Jedes dritte Start-up ist grün. Global stammten 2020 neun Prozent des globalen Marktvolumens für Umwelt- und Ressourcen­technologien aus Deutschland. Dieser Markt umfasste da bereits mehr als vier Billionen Euro bei einem erwarteten Wachstum von acht Prozent pro Jahr bis 2030. Der Green Deal der EU kurbelt die grünen Märkte kräftig an und das deutsche Klimaschutzgesetz sowie das Pariser Klimaabkommen sind ohne ein rasantes Wachstum dieser Sektoren nicht einzuhalten. Deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen halten mit rund 10.000 aktiven Weltklasse­patenten in grünen Technologien jedes zweite entsprechende Patent in der EU. Die Potenziale einer grünen Wirtschaft sind in Deutschland und weltweit so groß wie noch nie. 


Björn Lohmann arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Klimawandel und gesellschaftlicher Wandel zur Nachhaltigkeit. Er ist Mitglied der RiffReporter, der Wissenschafts-Pressekonferenz und im Netzwerk Klimajournalismus. 

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