In ihrer Laudation würdigt Viola von Cramon-Taubadel die unterschiedlichen Lebenswege der Preisträgerinnen und das, was sie vereint, ihr Engagement, ihre Überzeugungen und ihr Einsatz für die Frauenrechte in Belarus.

Liebe Darya, liebe Irina, liebe Julia,
liebe Imme,
verehrte Gäste der Heinrich-Böll-Stiftung,
Heute werden hier in Berlin drei Frauen ausgezeichnet. Bevor ich hier einige Worte zur Situation in Belarus - eurem Heimatland – sage, möchte ich Euch ganz herzlich gratulieren. Ihr habt diese Auszeichnung für euer PERSÖNLICHES Engagement verdient - und es ist für mich ein große Ehre, hier die Laudatio halten zu dürfen.
Diese Preisverleihung ist sicher ein guter Anlass, den Blick auf die Lage in Belarus zu werfen. Ein Land, das aufgrund des barbarischen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine ein wenig in den Schatten der Aufmerksamkeit gerückt ist.
Angesichts der dramatischen Veränderungen der globalen politischen Lage – die ungeheuerliche Neujustierung der Politik von Donald Trump gegenüber Russland – müssen wir nicht nur mit viel Sorge in die Ukraine schauen. Wir müssen uns auch wieder stärker mit den Nachbarstaaten Russlands beschäftigen.
Ich habe persönliche Eindrücke von eurem Land sammeln können. Es liegt schon etwas zurück, aber ich war damals überrascht, dass es ganz anders war, als ich es erwartet hatte. Es war sehr europäisch, zivil, progressiv, feministisch. Und das, obwohl schon länger Alexander Lukaschenko diktatorisch regierte. Es ist eine Erfahrung. Diktatoren entwickeln sich im Laufe der Zeit nicht positiv. Im Gegenteil. Sie werden repressiver, brutaler und im worst case sogar Kriegstreiber. Zu den wenigen positiven Beschreibungen der aktuellen Lage gehört: Bisher konnte sich Belarus weitgehend aus dem Krieg gegen die Ukraine raushalten.
Für die meisten Menschen in Deutschland war Belarus ein unbekanntes Terrain.
Das änderte sich schlagartig mit den Protesten gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen von 2020. Hier haben wir erlebt, wie brutal die Demokratiebewegung unterdrückt wurde. Und, wie Putin die Niederschlagung der Proteste unterstützt hat.
Wer sich die Protestbewegung angeschaut hat, machte eine Entdeckung.
Angeführt wurden die Proteste von Frauen! Es waren Frauen, die diese Bewegung prägten. Sie waren geradezu der Gegenentwurf zu dem skurrilen Machogehabe von Lukaschenko.
Einem Machthaber, der behauptete:
Unsere Verfassung ist nicht für Frauen. Und unsere Gesellschaft ist nicht reif, um für eine Frau zu stimmen. Denn nach unserer Verfassung hat der Präsident eine starke Macht.
Oder auch in Bezug auf das Präsidentenamt:
Schau: Dies ist keine weibliche Position. Ich bin kategorisch dagegen, eine Frau mit dieser Arbeit zu belasten, eine Frau kann keine Diktatorin sein.
(Sagt tatsächlich auch viel über sein Selbstverständnis aus.)
Frauen haben die Bewegung geprägt
In den August-Tagen nach der manipulierten Wahl 2020 waren es Frauen, die protestierten und mutig voranschritten, die Massendemonstrationen zivilisiert und diszipliniert organisierten, die für ihre Rechte einstanden - und mehr noch: Die lächelten und Rosen an die stark vermummten und verbarrikadierten Sicherheitskräfte verteilten und damit die ganze Absurdität und Perversion durch das Regime offen legten.
Ausgehend von dem weiblichen Führungstrio im Wahlkampf - Svitlana Tsikhanovkaja, Maria Kolesnikova und Veronika Tsepkalo - schien sich ein Land selbst zu ermächtigen und schienen sich vor allem die Frauen in der Gesellschaft trotz der massiven Gewalt, der Tausenden von Verhaftungen, der Folterungen und Vergewaltigungen, die an Frauen in den Gefängnissen begangen wurden, nicht einschüchtern lassen zu wollen.
Wir haben uns seinerzeit im Europäischen Parlament immer an die Seite dieser mutigen Frauen gestellt, unsere Solidarität bezeugt, sie ins Parlament eingeladen, für die inhaftierten Aktivistinnen und Frauen gekämpft, Geld und Patenschaften für ihre Angehörigen organisiert, aber am Ende müssen wir konzedieren: Trotz all unseres Engagements sind wir nicht da, wo wir Belarus gern hätten. Im freien Teil Europas. Wir konnten auch die meisten Frauen und Aktivistinnen nicht von ihrem Leiden befreien - weder von der Unterdrückung im öffentlichen Raum noch von den Fesseln im häuslichen Umfeld.
Deshalb ist es um so wichtiger, dass wir mit der Ehrung der Preisträgerinnen drei Personen aus der Gruppe dieser couragierten Feministinnen die Aufmerksamkeit zukommen lassen, die sie für ihr jahrelanges - teilweise jahrzehntelanges - Engagement, für ihre Überzeugungen und für ihren Einsatz für die Frauenrechte in ihrem Land so sehr verdient haben.
Ich möchte Ihnen daher unsere drei Preisträgerinnen, die so unterschiedlich in ihren Aktivitäten und doch vereint in ihrem Ziel sind, den Feminismus und die Frauenrechte in Belarus ein gewaltiges Stück voranzubringen, im Einzelnen vorstellen.
Irina Alkhovka
Irina zählt - wie wir auf Deutsch sagen würden - mit zu den Urgesteinen der Frauenbewegung des unabhängigen Belarus. Sie erkannte für sich sehr früh, was sie wollte und entschied sich, neben ihrer akademischen Laufbahn, sich auch gesellschaftspolitisch zu engagieren und praktische Hilfe für Frauen zu leisten.
Irinas Biographie ist eng verbunden mit dem Zerfall der Sowjetunion in den 90er Jahren. Die Ängste und die Nöte, denen Frauen in den Nachfolgestaaten und aufgrund der wirtschaftlichen Krisen, Hyperinflation und dem millionenfachen Verlust von Arbeitsplätzen ausgesetzt waren, haben viele lange aus ihrer Erinnerung gestrichen, doch kann kaum unterschätzt werden, welch entbehrungsreiche Zeit es für Frauen war.
Um insbesondere den Menschenhandel mit Frauen, aber auch das Machtgefälle im häuslichen Umfeld zu bekämpfen, schloss sie sich Ende der 90er Jahre der NGO La Strada Belarus an. Diese Organisation bot praktische Hilfe für Frauen an, die aufgrund von häuslicher Gewalt in Not waren. Nur kurze Zeit später erreichte Irina, dass die belarusische Strafgesetzgebung so geändert wurde, dass sie erstmals eine Klausel gegen Menschenhandel umfasste. Ein erster echter Erfolg ihrer Arbeit!
Später wurden Hotlines und Notunterkünfte für Opfer von Menschenhandel eingerichtet; im Jahr 2012 konnte sie mit ihrem Team sogar eine nationale Rufnummer für Überlebende von häuslicher Gewalt etablieren, bei der sie tausenden von misshandelten Frauen mit ihrem Rat zur Seite stand und konkrete Hilfe leisten konnte.
All das fand ein jähes Ende nach der massiven staatlichen Gewalt 2020/2021. Auch ihre Organisation wurde geschlossen. Eine Weiterarbeit war nicht mehr möglich und sogar so gefährlich, dass sie seit dieser Zeit im Exil leben muss.
Wer aber von außen auf Irinas Arbeit / bisherige Lebensleistung blickt, kann drei große Stränge in ihrem Engagement erkennen:
- Ihre Wertschätzung für alle Frauen und Schwestern jeden Alters. Vor allem in ihren jungen Jahren zollte sie ihren Geschlechtsgenossinnen hohe Anerkennung für all das, was diese schon in den Zeiten der Sowjetunion für die Gleichstellung und die Frauenrechte erreicht hatten.
- Sie gab sich niemals mit einer Idee, einem Konzept oder einer akademischen Arbeit für Gender Equality und Gleichstellung zufrieden. Ihr Anspruch war es, dass sie mit ihrer Arbeit einen Unterschied für die gewalterfahrenen Frauen, für die Frauen in Not machen wollte.
- Eine Arbeit in der NGO ist nur dann wirklich wirksam, wenn sie in konkrete Gesetzesänderungen und Verbesserungen für die Frauen mündet. Deshalb hat sie sich (auch unter den sehr schwierigen politischen Bedingungen in Belarus) nie gescheut, zum Wohle der Frauen immer konstruktiv an der Weiterentwicklung der Frauenrechte mit den Behörden zusammen zu arbeiten.
Für all das gebührt ihr ein großer Dank!
Julia Mickiewicz
Julia ist eine Frauenrechtlerin mit Haut und Haaren, sie musste immer für ihre Überzeugungen kämpfen. Ihr Elternhaus bzw. ihre Mutter war keine natürliche Verbündete für ihre Anliegen. Im Gegenteil. Sie war nicht überzeugt, als Julia sich für ein Journalismusstudium entschied, dass dieses die angemessene Berufsentscheidung für ihre Tochter sei. Aber Julia ließ sich nicht von ihrem Weg abbringen – und betrachtete diese kleinen Hindernisse auf ihrem beruflichen Pfad eher als zusätzlichen Ansporn.
In Minsk angekommen, fühlte sie sich als Hetero-Frau der schwulen Community zugehörig. Sie empfand es als großes Glück, dort aufgenommen zu werden: Das Klima innerhalb der Community war inklusiv, sie gründeten nicht nur eine gemeinsame Organisation, sondern standen auch für die gemeinsame Sache ein - und mit diesen Erfahrungen näherte sich Julia den Ideen des Feminismus.
Über das Masterstudium erhielt Julia Einblicke in die Genderstudies – sie zählte zu den ersten Student:innen des Gender-Masterprogramms an der European Humanities University.
Ihre nächste frauenpolitische Prägung erhielt sie, als sie durch Übernahme ihrer ersten Stelle bei der Nachrichtenagentur BelaPan mit der Wirklichkeit im Männer dominierten Journalismus konfrontiert wurde. Es waren ihre spontanen Sprüche, ihre Hartnäckigkeit für Gender- und LGBTQ+-Themen sowie ihre klare Haltung, die sie trotz allem dort in diesem maskulinen Umfeld gut entwickeln ließen.
Ihr Ausflug in die Politik, der sie über die langjährige Leitung der Jugendorganisation einer Partei in Belarus viel Zeit opferte, war dagegen noch deutlich rauer und frauenfeindlicher. Aber ihr Kampf für Quoten und Gleichstellung sollte sich auszahlen. Sie konnte durchsetzen, dass für die Wahlen des im Exil arbeitenden Koordinationsrats (also das Gremium, was von Swetlana Tsichanowskaja im Falle eines Machtwechsels in Belarus als Alternative zu den staatlichen Strukturen in Belarus gegründet wurde) eine Frauenquote von 40 Prozent durchgesetzt wurde.
Da ich persönlich viele Mitglieder des Koordinationsrats gut kenne und schätze, kann ich nur meine Hochachtung ausdrücken. Hier musste sicher viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Denn auch wenn wir bei den beteiligten Personen über die „liberalen Köpfe“ aus Belarus sprechen, bedeutet dieses nicht automatisch eine Begeisterung für feministische Ideale und Gleichberechtigung der Geschlechter!
Auch die Übernahme eines Stellvertreterin-Postens im Übergangskabinett der sog. Exilregierung zeugt davon, dass Julia versteht, Politik lässt sich nicht nur im Hintergrund mitgestalten. Sie erkennt, wenn sie nicht selbst bereit ist, in die Politik einzusteigen und Verantwortung zu übernehmen, werden andere nicht für ihre Themen und ihre Überzeugungen kämpfen. Sie muss es selbst machen! Daran erkenne ich die leidenschaftlichen Politiker:innen.
Dass sie von ihrem Tun und ihrer Arbeit wirklich überzeugt ist, hört man deutlich raus, wenn sie gefragt wird, ob sie meint, den Anne-Klein-Frauenpreis, diese Auszeichnung auch verdient zu haben. Ihre einfache Antwort ist nicht „ja“, sondern: „Ich werde auch noch mit 90 Jahren und darüber hinaus (also einfach „immer“) für Frauen, Feminismus und unsere Bewegung streiten und kämpfen.“
Für sie sind Feminismus, Frauenrechte, Gleichstellung, aber auch das Glück nicht irgendeine Phase ihres Lebens, sondern es IST ihr Leben – und ja, deshalb ist es mehr als angemessen, dass sie heute eine unserer ausgezeichneten Preisträgerinnen ist!
Darya Afanasyeva
Darya, die von ihren Freund:innen Dafna genannt wird, hat eigentlich zwei Leben: eines vor der Haft und eines nach der Freilassung. Durch die zweieinhalbjährige Haft wurde sie aus ihrem früheren Leben komplett herausgerissen. Nichts ist mehr so, wie es war.
Der Grund für ihre Verurteilung im Jahr 2020 ist so simpel wie traurig: Sie machte sich strafbar mit feministischem Aktivismus, mit diversen “Episoden”, dem Fotografieren von Transparenten, dem Liken von Kommentaren oder einfach damit, sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten zu haben, wodurch sie unter einen der willkürlichen “Extremismus”-Paragrafen von Lukaschenkos Regime fiel.
Wie unsicher und ängstlich muss ein Staat sein, wenn er junge Frauen - wie Dafna - drangsaliert, weil sie Frauen auf ihre Rechte aufmerksam machen, weil sie Frauenliteratur kuratieren, weil sie andere Frauen in der Geschichte des Feminismus schulen, weil sie Blogs verfassen und weil sie Teil der feministischen Bewegung sind. Wer diesen jungen Frauen wie Dafna ihr Leben und ihren Spirit nimmt, sie versucht zu brechen, indem man im Gefängnis alles, was ihr bisheriges Leben ausgemacht hat, untersagt und sanktioniert, der verkörpert nicht einen starken, sondern einen sehr schwachen Staat.
Dafna war das genau, was wir uns wünschen: ein aktives Mitglied der Zivilgesellschaft, jung, progressiv, feministisch und beflügelt von der Idee, möglichst viel von ihrem Wissen, ihrem Spirit und ihrer Kraft an weitere Frauen und Schwestern weiterzugeben.
Vor allem diese Kraft wurde ihr durch das Martyrium im Gefangenenlager genommen. Hier sind weniger Empathie und Liebe gefragt als Härte und Durchhaltevermögen. Den Frauen wurde und wird die Würde genommen, Liebe und Freundschaften sind nicht erlaubt.
Gleichzeitig steht sie mit vielen Mithäftlingen noch immer im Austausch, die diese prägende Zeit verbindet. Vor allem mit denen, die nach jahrelanger, erduldeter häuslicher Gewalt zu radikalen Methoden greifen und in ihrer Not sich nicht anders zu helfen wissen, als sich zu wehren. Aber nicht der gewalttätige Partner wird strafrechtlich verfolgt und wandert danach in Belarus ins Gefängnis, sondern die Frau, die zur Notwehr griff. Mit diesen himmelschreienden, frauenverachtenden Ungerechtigkeiten sah sie sich in den Straflagern immer wieder konfrontiert.
Nach all den Strapazen kam Dafna nach zweieinhalb Jahren frei. Sie hatte auf ein Leben in Freiheit gehofft, in dem sie wieder leben, lieben, arbeiten und bloggen kann. Aber dann kam alles ganz anders. Die Freiheit kam nicht automatisch nach der Freilassung. Dafna leidet unter posttraumatischen Beschwerden; sie fühlt sich nach der Inhaftierung, in der es keine Wärme, keine Unterstützung und noch weniger Verständnis für ihr Lesbischsein gab, noch matt. Sie braucht auch nach zehn Monaten noch emotionale Erholung.
Was sie nicht verloren hat und was ihr trotz aller Schikanen niemand nehmen konnte, war ihr Humor. Sowohl im belarusischen GULAG als auch nach ihrer Freilassung vermag sie mit dem ihr sehr eigenen Humor (feministischer Standup) die Haft-Mädchen (wie sie genannt wurden) zum Lachen zu bringen.
Aber die Veränderungen durch das Gefängnis bleiben vorerst. Dafnas Energie ist reduziert, die Batterien lassen sich nicht so einfach aufladen, das Leben von früher (mit Clubs und Partys) muss warten. Aber ich bin mir sicher, eine so wunderbare politische Frau mit ihrem Willen und ihrer Erfahrung wird es schaffen, die feministische Bewegung, die Frauen, die queeren Menschen und die anderen Mitglieder der Community zu inspirieren und zu bereichern. Das wünsche ich ihr von ganzem Herzen!
Ich hoffe, Ihnen allen einen kleinen Einblick in die unterschiedlichen Lebenswege unserer drei großartigen Preisträgerinnen gegeben zu haben. Mir war es eine Ehre, sie kennenlernen zu dürfen und ich wünsche ihnen von ganzem Herzen, dass ihnen die Auszeichnung bei ihrer Arbeit und in ihrem Kampf für die Frauenrechte in Belarus helfen wird.
» Rede auf belarusisch (PDF)