Dass die Diktatur in Damaskus 13 Jahre nach Beginn der Revolution 2011 doch noch gestürzt wurde, hat viele Ursachen. Von zentraler Bedeutung ist der Nihilismus, mit dem das Assad-Regime seine Angriffe führte.

„Willkommen in Assads Syrien“ – dieser Spruch begrüßte Reisende am Flughafen in Damaskus ebenso wie an den Landesgrenzen. Genauso behandelten seit 1970 Hafez al-Assad und nach dessen Tod im Jahr 2000 sein Sohn Baschar al-Assad ihr Land: Als handele es sich bei Syrien um ihren Privatbesitz, eifersüchtig bewacht und lieber zerstört, als dass es anderen in die Hände fallen sollte. Als die syrische Armee 2011 dann in den ersten Dörfern einfiel, um den Aufstand der Bevölkerung niederzuschlagen, hinterließen Soldaten Graffiti: „Assad oder wir brennen das Land nieder – gezeichnet: die Brigade des Todes.“
Was den Zorn der Machthaber besonders entfachte, war, dass die Proteste auch nach Monaten friedlich blieben: Mit erhobenen Händen als Zeichen, dass sie unbewaffnet waren, gingen Hundertausende auf die Straße und skandierten „silmi, silmi!“ – „friedlich, friedlich!“
Die Demonstrierenden stellten das System des Misstrauens infrage
Dass die Demonstrierenden es wagten, gegen Korruption, für Würde und den Sturz des Regimes zu protestieren, konterkarierte Assads Darstellung, dass es sich um einen bewaffneten Aufstand von „Terroristen“ handele. Schlimmer noch aus Sicht des Regimes: Die in den Protesten sichtbar werdende Solidarität über gesellschaftliche Grenzen hinweg stellte das System des Misstrauens infrage, das Syriens mächtige Geheimdienste etabliert hatten. Die Protestierenden waren wie elektrisiert: Selbst im Privaten hatten sie sich über ihre Kritik am Regime nie austauschen können, nun zeigten sie sie auf offener Straße und erkannten Gleichgesinnte. Ihr Mut brach das Herzstück von Assads Herrschaft: die Angst.
Verschwunden in den Händen der Schergen des Regimes
Unter den Demonstrierenden waren vor zehn, zwölf Jahren viele junge Menschen. „Wenn wir verhaftet werden, dann kommen wir wieder frei und dann gehen wir wieder auf die Straße“, sagte damals eine Aktivistin. Nur wurde bald immer klarer: Nicht alle kehren zurück aus der Haft. Einige verschwanden spurlos, ihre Familien blieben gefangen zwischen Hoffnung und Bangen. Andere überlebten die Haft nicht. Darunter waren Menschen wie jener junge Ingenieursstudent, der 2012 nur zwei Wochen nach Teilnahme an einem Workshop über gewaltfreie Kommunikation getötet wurde, weil ihn Zuträger der syrischen Geheimdienste an diese verraten hatten.
In Syrien „verschwanden“ Tausende Menschen, das heißt, dass sie von Verhören nicht zurückkehrten, dass sie an unbekannten Orten über Jahre oder gar Jahrzehnte festgehalten wurden. Langjährige Haft ohne Gerichtsprozesse oder weit über das Verbüßen der Strafe hinaus waren an der Tagesordnung. Was sich mit dem Ausbruch der Revolution 2011 änderte, war, dass die Willkür nicht mehr nur Angehörige der organisierten Opposition, insbesondere Islamisten, treffen konnte, sondern jeden.
Krankenhäuser im Visier russischer und syrischer Kampfflieger
Das Regime selbst hat den Foltertod von mehr als 5000 Männern, Frauen und Kindern in Haft dokumentiert. Kinder, schwangere Frauen und Ältere litten am meisten, als zwischen 2012 und 2018 ganze Landstriche von Assads Truppen ausgehungert wurden. Systematisch bombardierten seit 2015 die syrische und die russische Luftwaffe Krankenhäuser und Gesundheitszentren. Aus zuvor vom Regime durchgewinkten Hilfskonvois entfernte es grundlegende Artikel medizinischer Versorgung: sterile Handschuhe, Desinfektionsmittel, Medikamente. Sich stets an den Schwächsten für den Aufstand zu rächten, zerstörte jeden Glauben der von ihm Verfolgten daran, dass mit dem immer korrupteren Regime ein Neuanfang möglich sein könnte.
Assad kündigte die Loyalität zu seinen Getreuen am Ende selbst auf
Zugleich konnte Assad die loyalen Teile der Gesellschaft immer schlechter bei der Stange halten. Die Moral der chronisch schlecht bezahlten und bereits 2013 auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Größe geschrumpften Armee sank, je mehr das Regime Bürgerwehren und anderen Milizen freie Hand ließ, sich zu bereichern. Spätestens mit der Offensive der Rebellen auf die Hauptstadt und dem Bekanntwerden von Assads Flucht nach Moskau vermuteten viele Armeeangehörige, dass sie nur den Kopf hinhalten sollten für jemanden, der nur sich selbst retten wollte. Aus Angst, die eigene Macht zu verlieren, hat Assad das Land in Schutt und Asche gelegt. Am Ende hat er nicht einmal mehr seinen Getreuen Vertrauen einflößen können, sondern sich als letzte Amtshandlung mit Bombardements einst loyaler Viertel in Aleppo an ihnen gerächt.
Dieser Text erschien zuerst bei Table.Media.
Über die Zukunft Syriens diskutieren wir mit Gästen am 19. Dezember bei unserem Böll.Global „Ein Neuanfang für Syrien: Wie kann er gelingen?“