Serbien: Offener Dialog-Versuch zu Lithium führt zu Morddrohungen

Hintergrund

In Serbien regt sich starker Protest gegen den im Juli verabschiedeten Lithium-Deal mit der EU. Wer öffentlich Kritik an der umstrittenen Lithiummine in der Jadar-Region im Nordosten Serbiens äußert, lebt gefährlich. 

Foto: Ein Mann spricht mit Mikrofon in einer Konferenz. Im Hintergrund sitzen mehrere Menschen und hören zu. Der Raum hat eine industrielle Decke.
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Der Wissenschaftler Aleksandar Matković bekommt Morddrohungen für seine Kritik am Lithium-Bergbau.

Im Juli 2024 sorgte auch in Deutschland ein kurzfristiger Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Serbien für Schlagzeilen und Überraschung. Mit dem scheidenden Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Maroš Šefčovič, zuständig für den Green Deal, wurde mit der serbischen Regierung eine Absichtserklärung zu einer strategischen Rohstoffpartnerschaft unterzeichnet, mit dem Ziel das Lithium Projekt des Bergbauunternehmens Rio Tinto in der Jadar-Region wieder in Gang zu bringen. Zuvor war das Projekt wegen massiver Proteste in 2022 gestoppt worden, damals galt es im Vorfeld vorgezogener Wahlen als zu heikel. 

Zahlreiche Regionalexpert:innen kritisieren die EU dafür, sich Lithium-Zugänge in autoritärem Umfeld zu sichern - trotz bedenklicher rechtlicher und politischer Rahmenbedingungen in Serbien. Stabile rechtsstaatliche Institutionen seien aber die Voraussetzung für das Einhalten sozialer und ökologischer Mindeststandards für potentielle Bergbauprojekte. Zusätzlich hätte der Westen mit dem Bergbau­deal ein Zuckerbrot bekommen, damit niemand mehr Anstoß an Serbiens autokratischem Machtsystem nimmt.

Aleksandar Matković

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftswissenschaften in Belgrad, Mitglied des Netzwerks „China, Recht und Entwicklung“ der Universität Oxford in Großbritannien und externer Mitarbeiter des Transnational Institute in Amsterdam in den Niederlanden.

Zudem ist er Mitglied der grün-linken Partei „Zeleno-Levi Front“ in Serbien.

In Deutschland weniger bekannt ist das Ausmaß der aktuellen Proteste der Bevölkerung in Serbien gegen die geplante Mine, wie auch die weitreichenden Einschüchterungsversuche gegen Kritiker:innen. So erhielt der Wissenschaftler Aleksandar Matković, der im August einen offenen Brief gegen das Minenprojekt veröffentlichte, Todesdrohungen, die erst aufhörten, als er sie öffentlich machte. In dem offenen Brief stellte er den wirtschaftlichen Nutzen der Mine für Serbien in Frage. Wie Matković darlegte, waren die Investitionen im Bergbau in Serbien in den letzten Jahren gestiegen, ohne zu einem Anstieg des Lebensstandards beizutragen.


Sieht so die grüne Wende aus? Ist das der europäische Green Deal?

Für Leser:innen, die nicht auf Twitter/X sind, stellt die Heinrich-Böll-Stiftung hier die Übersetzung eines vielbeachteten Threads von Aleksandar Matković auf Deutsch zur Verfügung. In diesem berichtet er von den Drohungen gegen ihn.

X-Thread @Aleksander Matković/ 18. August 2024

Ich möchte die Geschehnisse etwas ausführlicher schildern, da sich in Serbien nach dem Besuch von Scholz etliche merkwürdige Dinge ereignet haben– die stark von Neokolonialismus zeugen. Erstens gab es nach seinem Besuch massive nationale Proteste in jeder größeren Stadt und vor allem in den Dörfern. (1/28)

Die serbische Regierung unterzeichnete eine Reihe von Verträgen für die gesamte Produktionskette von Elektrofahrzeugen (EV), von der Lithiumgewinnung über die Raffinierung bis hin zur Batterieproduktion, hauptsächlich mit deutschen Unternehmen wie Mercedes Benz, aber auch mit InoBat (2/28)

einer Tochtergesellschaft von Rio Tinto. Stellantis, das bereits in Serbien tätig ist, ist ebenfalls beteiligt und hat vor einigen Wochen in Kragujevac, einer Stadt in Serbien, einen fertigen EV-Prototyp vorgestellt. Nichts davon wurde vorher bekannt gegeben, und wir alle erfuhren dies erst, nachdem die Verträge unterzeichnet waren, (3/28)

mit deutschen Autoherstellern. All dies wird von einigen EU-Beamten als fast nicht verhandelbar dargestellt, obwohl es bedeutet, dass Serbien das einzige Land der Welt sein wird, in dem eine der größten Lithiumminen in einem besiedelten Gebiet eröffnet wird, namens (4/28)

"Jadar Region". Es handelt sich um ein landwirtschaftlich genutztes Gebiet, das auf einem unterirdischen Wasserreservoir liegt, ursprünglich für die Versorgung des Nordens von Serbien vorgesehen, nachdem ein anderes Reservoir erschöpft war. (5/28)

Seit 2021 ändert die Regierung die Enteignungsgesetze und fungiert als PR-Agentur für das Unternehmen. Als ich in einer populären Tageszeitung einen offenen Brief veröffentlichte, in dem ich den wirtschaftlichen Nutzen der Mine in Frage stellte, (6/28)

erhielt ich mehrere Morddrohungen in einer eskalierenden Abfolge, das kam zu den bereits laufenden Protesten hinzu. Das veranlasste mich, die kapitalistische grüne Wende noch mehr in Frage zu stellen, und ich möchte die Methoden schildern, die dabei angewandt wurden. Zuerst, (7/28.)

erhielt ich eine Nachricht, in der es heißt: "Wir werden dir folgen, bis du verschwindest." auf Telegram. Nun, mein Profil ist unsichtbar und man kann mich nicht finden, es sei denn, ich bin in deinen Kontakten, was bedeutet, dass jemand meine Nummer kannte, die nicht gerade öffentlich ist. Das war um Mitternacht am 14. August, also vor vier Tagen (8/28.) 

Das Profil war nur mit "Andriy" unterzeichnet. Ich dachte, jemand machte einen Scherz, aber dann bekam ich am nächsten Tag eine Nachricht "Wie läuft der Kampf mit Rio Tinto?" von einem anderen Profil: nur dieses Mal wurde mir dessen Entfernung mit 500 Meter von mir angezeigt. (9/28)

Nachdem ich die Nachrichten bei der Polizei gemeldet hatte, erhielt ich nur Stunden später eine dritte Nachricht. Diese dritte Nachricht war jedoch nicht auf Serbisch, sondern auf *Deutsch* geschrieben. Die Nachricht begann mit den Worten: "Du verstehst gar nichts. (10/28)

Wir wissen von Ihren Verbindungen zu den Anführern der Revolte." Es folgte eine Beschreibung meines Verhaltens in der Bewegung (in der ich von Zeit zu Zeit aktiv war, was in der Nachricht vermerkt wurde) und dass ich "für einige Zeit aus dem Licht der Öffentlichkeit treten sollte, (11/28)

wenn ich weiter schreiben und atmen will". Sie endete damit, dass ich nicht verstand, dass ich Angst um meine Sicherheit und die meines "kleinen Bruders" haben sollte. Sie bezogen sich hier auf meinen zehn Jahre jüngeren Bruder, (12/28)

ebenfalls eine Tatsache, die nirgendwo im Internet öffentlich zugänglich ist. Diese dritte Nachricht kam am 15. August, und in dieser Nacht erhielt ich etwa zehn weitere Nachrichten, in denen ich gefragt wurde, ob ich "fest schlafe" etc. Ich erhielt sie immer dann, wenn ich online war, nicht davor oder danach, (13/28)

was bedeutet, dass jemand meine Internetaktivitäten überwachte. Alle Nachrichten kamen von verschiedenen Profilen. Als die Nachricht bekannt wurde, leugnete die Polizei, dass sie eine Anzeige von mir erhalten hatte, und erst auf Druck der Medien (14/28)

gaben sie zu, dass ich eine Anzeige erstattet hatte, und erklärten, sie würden Maßnahmen ergreifen. Dann, als die ganze Sache in den Medien explodierte, (15/28)

erhielt eine niederländische Journalistin, die die Nachrichten im Ausland veröffentlichen wollte, ebenfalls einige seltsame Mitteilung, die sie von der Veröffentlichung der Nachrichten abhalten sollte. Kurz darauf wurden vier Wohnungen einiger meiner Freunde, die an den Protesten teilgenommen hatten, von der Polizei durchsucht und bei einer meiner Freundinnen, (16/28)

im fünften Monat schwanger, wurde von der serbischen Staatssicherheit (BIA) unter dem Vorwurf des "Versuchs, die verfassungsmäßige Ordnung abzuschaffen", in ihre Wohnung eingebrochen (17/28)

weil sie Administratorin einer Facebook-Gruppe namens "Aktivizam" war, die einfach Solidaritätsposter mit mir und anderen teilte. Einige andere Freunde erhielten kurz darauf merkwürdige Anrufe, und die ganze Sache wird gerade zum Wahnsinn. (18/28)

Ich habe keine Drohungen mehr erhalten, nachdem ich an die Öffentlichkeit gegangen bin, aber nichts davon ist richtig. Ich glaube, Vučić weiß nicht, was zur Hölle er mit den Protesten anfangen soll, nachdem er deutschen Unternehmen und Rio Tinto im Grunde einen Freibrief für serbisches Lithium ausgestellt hat. (19/28)

Ich weiß nur, es ist das erste Mal, dass jemand eine Morddrohung wegen eines wissenschaftlichen Textes erhält, in dem im Wesentlichen behauptet wird, Investitionen im Bergbau waren gestiegen, ohne zu einem Anstieg des Lebensstandards beizutragen. (20/28)

Ich habe auch Daten über den zunehmenden Abbau einheimischer Ressourcen und die sinkende Produktivität der einheimischen Ressourcen in Serbien veröffentlicht und argumentiert, dass dies kein praktikables Modell für einen Drittstaat ist. Dies ist eine laufende Geschichte, die die westlichen Medien noch nicht erreicht hat, (21/28)

und ich habe von vielen Menschen Hilfe bekommen. Gleichzeitig hat diese Situation im Grunde jeden Anschein eines normalen Lebens ruiniert, da die Rede davon ist, dass sich die UNO einmischt, (22/28)

Ich habe Angebote erhalten, in einer ausländischen Botschaft zu wohnen, wenn die Sache eskaliert, und die regionalen Medien weiter durchdrehen. Nach einer kurzen Pause blieb mir jedoch nur eine einzige Frage: Sieht so die grüne Wende aus? Ist das der europäische Green Deal? (23/28)

Wir sind dabei, uns mit diktatorischen Methoden über eine Mine hinwegzusetzen, die es einem Haufen reicher Leute erlauben würde, weiterhin herumzufahren. Anstatt die öffentlichen Investitionen in die öffentliche Verkehrsinfrastruktur für die breite Masse zu erhöhen, (24/28)

wir konzentrieren uns auf private Bergbauunternehmen für private Autohersteller für die schwindende europäische Mittelschicht mit vielen Problemen durch unkoordinierte Ladestationen, langsame Automodellierung und was nicht alles. (25/28)

Und ich frage mich wirklich, inwieweit das alles zur Abschwächung des Klimawandels beiträgt. Nach allem, was in den letzten Tagen passiert ist, (26/28)

Kommt mir der Klimawandel zuallerletzt in den Sinn, wenn ich an den europäischen Green Deal/EV-Produktion/Lithiumabbau denke. (27/28)

Stattdessen habe ich nur Folgendes erlebt, und zwar in dieser Reihenfolge: a) heimliche Infiltration durch ein Unternehmen; b) Einmischung in nationale Gesetze; c) Niederschlagung von lokalem Widerstand und Protesten; d) Einschaltung ausländischer Mächte ohne lokales Wissen; e) Todesdrohungen und f) Schweigen zu all dem. (28/28)

Offener Brief von Aleksandar Matković (Englisch)
 

Weitere Entwicklungen seit August: Nachdem Matković zum Umweltterroristen erklärt wurde, gibt es neue Drohungen gegen ihn.