Neue Bündnisse für Demokratie

Interview

Sich für eine demokratische Kultur zu engagieren, hängt von vielem ab. Neben dem Thema und den Mitstreiter*innen braucht es Geld. Und das zuverlässig und langfristig. Im Osten tut sich da was. Zum Beispiel mit der „Gemeinschaftsinitiative Zukunftswege Ost“. Einer, der sich dafür engagiert und immer wieder neue Wege beschreitet, ist Olaf Ebert, Geschäftsführer der Stiftung Bürger für Bürger in Halle. Anne Ulrich hat mit ihm gesprochen.

Lesedauer: 11 Minuten
Gemeinschaftsinitiative Zukunftswege Ost

Um gleich zur Sache zu kommen: Was ist „Zukunftswege Ost“?
„Zukunftswege Ost“ ist eine neue Gemeinschaftsinitiative, die erstmal von dem Impuls und Handlungsbedarf ausgegangen ist, dass wenig bis kaum privates Kapital in Ostdeutschland zur Stärkung von Zivilgesellschaft zur Verfügung steht. Weniger als zehn Prozent der bundesweiten vorhandenen Stiftungen sitzen in Ostdeutschland und die, die es in Ostdeutschland gibt, haben deutlich weniger Kapital. Und den zivilgesellschaftlichen Initiativen und Projekten aus Ostdeutschland gelingt es eben nicht ausreichend, Bekanntheit und Zugang zu privaten Ressourcen aus bundesweiten Stiftungen zu schaffen.

Dazu kommt, dass viele Stiftungsprogramme nebeneinanderher wirken. Vor dem Hintergrund hat der Ostdeutschland-Beauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, im November 2022 Stiftungen ins Kanzleramt eingeladen, um für mehr gemeinschaftliches Stiftungshandeln, auch für mehr Stiftungsgründungen in Ostdeutschland und für mehr Mobilisierung von privatem Kapitel zur Stärkung von Zivilgesellschaft für Demokratie, insbesondere im ländlichen Raum in Ostdeutschland, zu werben. Daraus ist die Gemeinschaftsinitiative entstanden, wir haben sie „Zukunftswege Ost“ genannt. 

Uns geht es darum, das wirklich langfristig anzulegen und nicht mal nur eben irgendein Programm oder irgendeine kurzfristige Kampagne zur Stärkung von Demokratie zu fahren. Wie tun wir das? Wir laden Stiftungen und Unternehmen ein, private Mittel in einen Fonds einzuzahlen, aus dem unbürokratisch Initiativen und Projekte in den fünf ostdeutschen Flächenländern vor Ort gefördert werden. Wir bringen diesen Fonds ‚Zukunftswege Ost‘ Anfang Juli an den Start. So werden wir in den nächsten Monaten mindestens 100 lokale Projekte mit bis zu 5000 Euro aus privaten Mitteln fördern und mit diesem Anschub langfristig weitere private Spenden und Zuwendungen einwerben. Damit werden wir zunächst in drei Fokusregionen, die vor besonderen Herausforderungen stehen, langfristig Kooperationsnetzwerke und lokale Bündnisse für Demokratie strukturell fördern: in Saalfeld-Rudolstadt, in Vorpommern und einer Region in Sachsen. Das hat mit Ressourcen zu tun und damit, Erfahrungen sammeln zu wollen und diese an andere weiterzugeben.

Wer ist wir?
Die Initiative geht von großen und kleinen Stiftungen aus Ost- und Westdeutschland aus, vorneweg vom Bundesverband deutscher 
Stiftungen, dann großen wie der ZEIT-Stiftung, aber auch der Freudenberg-Stiftung, die nicht in Ostdeutschland sitzen, und der Stiftung Bürger für Bürger, die ihre Geschäftsstelle und ihren Handlungsschwerpunkt auf Engagement- und Demokratieförderung in Ostdeutschland ausgerichtet hat, und der Cellex-Stiftung mit Sitz in Dresden. Weitere Stiftungen haben sich angeschlossen wie die Robert-Bosch-Stiftung, die Beisheim Stiftung, die Deutsche-Bank-Stiftung und andere. Inzwischen haben wir fünfzehn Stiftungspartner, die Geld in den Fonds einzahlen. Unternehmen werden folgen. Dazu finden intensive Beratungen und Gespräche statt. Anfang Juni zum Beispiel war ich dazu beim Ostdeutschen Wirtschaftsforum eingeladen. Da gilt es schon noch Überzeugungsarbeit zu leisten und mehr Ressourcen zu mobilisieren. Unser Ziel ist, dass auch größere Unternehmen die Scheckhefte zücken und sich am Fonds beteiligen.

Es gibt ja mittlerweile auch Initiativen von Unternehmen verschiedener Größe, die gesagt haben: Man muss sich jetzt positionieren, zur demokratischen Kultur bekennen und für Demokratie einstehen. Prominent etwa die Plattform www.wirstehenfuerwerte.de. Das sind doch sicher hilfreiche Initiativen, die auch auf eure Ziele einzahlen, wo man erkennen kann, dass auch 
Wirtschaftsunternehmen die Zeichen der Zeit verstehen und was tun?
Ja, Unternehmen tun sicher schon viel, und das ist sehr wichtig. Eins der Probleme ist, dass es wenig Vertrauen gibt von Unternehmen in Zivilgesellschaft und umgedreht auch wenig Vertrauen von Zivilgesellschaft in Unternehmen und Stiftungen, die irgendwo weit weg in Westdeutschland sitzen. Es gibt auch zu wenig Vertrauen und belastbare Kooperationsbeziehungen mit kommunal Verantwortlichen. Das versuchen wir über die Kooperationsnetzwerke in den Fokusregionen anzuregen. Es ist sicher leichter, eine Medienkampagne für Demokratie, ausgehend von Unternehmen, zu realisieren. Es ist auch relativ leicht, mal kurzfristig Geld zu mobilisieren und in den Fonds einzulegen. Aber es geht uns darum, wirklich belastbare, vertrauensvolle Kooperationsbeziehungen auf Dauer anzuregen und die Förderung der ostdeutschen Zivilgesellschaft aus privaten Mittel zu verstärken. Das ist eine große langfristige Aufgabe.

Wir hatten jetzt die Wahlen zum EU-Parlament und auch Kommunalwahlen in mehreren Bundesländern: mit hohen Zugewinnen für die AfD mit teils offen rechtsextremem Personal. Was bedeutet das für deine Arbeit?
Uns kann´s nicht gut gehen nach diesen Wahlergebnissen. Das beschäftigt mich stark. Ich habe mir viel vorstellen können: AfD stärkste Kraft im ländlichen Raum, in allen ostdeutschen Flächenländern bei Kommunal- und Europawahl. Aber dass selbst in so einer großen und weltoffenen Stadt wie Halle, in der ich seit 30 Jahren gern lebe, arbeite und mich vielfältig engagiere, die AfD stärkste Kraft wird und den Stadtratsvorsitzenden stellen wird… 

Und ich glaube, die meisten - und damit sind wir dann auch wieder direkt beim Thema - können sich noch nicht wirklich vorstellen, welche Auswirkungen das auf Zivilgesellschaft vor Ort haben wird. Der Fokus der Aufmerksamkeit liegt immer auf Landtagswahlen, Bundestags- und Europawahlen. Aber wenn die AfD in nahezu allen Kommunalparlamenten stärkste Kraft ist, entscheidet sie über die Eingrenzung von Zivilgesellschaft vor Ort, entscheidet über die Schwerpunktsetzung, über Gelder aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben - Partnerschaften für Demokratie“, über die Frage, ob sich die Vor-Ort-Akteure überhaupt wieder bewerben können. Wie werden die Entscheidungsgremien besetzt? Diese Auswirkungen sind viel zu wenig im öffentlichen Bewusstsein.

Umso wichtiger ist es, dass langsam deutlich wird, dass wir hier ein anderes Miteinander der Akteure brauchen, die sich für Weltoffenheit, Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen und für Demokratie vor Ort - für Mitgestaltung von allen Menschen, die da leben und die da zuwandern und die dazugehören. 

Deswegen braucht es die Gemeinschaftsinitiative Zukunftswege Ost. Es geht uns darum, auch private Spender*innen, Stiftungen und 
Unternehmen zu mobilisieren, die anders bereit sind, sich auch längerfristig auf Kooperationen einzulassen und nicht mal nur kurzfristig 
eine Spende abzugeben oder Geld für eine Kampagne auszugeben, sondern wirklich dauerhaft in Strukturen zu investieren.

Bisher ging es darum, staatliche Fördergelder einzuwerben und die Auseinandersetzung um das Demokratiefördergesetz zu einem konstruktiven Ergebnis zu führen. Jetzt, wo auch staatliche Ämter von Rechtsextremen besetzt werden, stellt sich ja die Perspektive nochmal neu und dringender. Ja, umso wichtiger, dass eben wirklich ein breite Bündnisse vor Ort entstehen und langfristig gestärkt werden. Ich kann das am Beispiel von Saalfeld-Rudolstadt deutlich machen: Hier gibt es verschiedene Ansätze von Engagement und Zivilgesellschaft - aber bisher kaum aus privaten Geldern gefördert. Jetzt müssen die kommunal Verantwortlichen mitenscheiden: Wie geht es weiter mit der Partnerschaft für Demokratie, und wird das Modellprojekt gegen Rechtsextremismus, Hass und Hetze, das mit Aktion Zivilcourage gemeinsam entwickelt wurde und zusätzliche Bundesressourcen vor Ort der Zivilgesellschaft zur Verfügung gestellt hat, fortgesetzt? Alle diese Ressourcen drohen wegzubrechen, wenn es kein breites Bündnis von lokalen und überregionalen Partnern auch aus Privatwirtschaft und Stiftungswelt gibt.

Du hast gesagt, wie wichtig Partnerschaften für Demokratie sind und wie sehr es die Frage sein wird, wie die geschützt werden und wer antragsberechtigt sein wird. Ihr mobilisiert strukturell private Mittel. Das ist das absolut Besondere. Welche Rolle spielt dabei die staatliche Förderung im Gesamtszenario? Warum sind die Bundesprogramme „Demokratie leben“, „Zusammenhalt durch Teilhabe“ u.a. generell wichtig, wenn ihr jetzt privates Geld auftreiben wollt?
Wir wollen privates Geld auftreiben, um unbürokratisch auch jenseits der Bundeshaushaltsordnung Initiativen, auch nicht rechtsfähige 
Initiativen stärken zu können, die oft an bürokratischen Hürden scheitern. Wir sind uns aber wohl bewusst, dass es immer nur ein Bruchteil dessen sein wird, wofür auch der Staat in der Verantwortung steht, Zivilgesellschaft und Zusammenleben aktiv zu fördern. Das kann und soll überhaupt nicht durch uns irgendwie ersetzt, sondern nur sinnvoll ergänzt werden. Das Einsammeln von Geld in den Fonds ist das 
eine. Den vielleicht größeren Effekt und Mehrwert sehen wir in tragfähigen Kooperationsbeziehungen. Wir beteiligen uns ja auch an Mut-Reisen durch die Region, wo Stiftungen und private Geldgeber eingeladen werden, Zivilgesellschaft und deren Herausforderungen kennen zu lernen und verstehen zu lernen. Wir sprechen ja nicht eine Sprache. Eine Geschäftsführerin einer großen Unternehmensstiftung aus Frankfurt am Main oder der Bundespräsident war vorher noch nie in so einem Jugendclub wie in Saalfeld, in den wir zum Start von Zukunftswege Ost viele Stiftungen und Unternehmen eingeladen haben und mit dem Besuch des Bundespräsidenten viele neue Partner gewinnen konnten. Das sind Begegnungen, die nachhaltig prägen und die zu stabilen Kooperationen führen. Das sehen wir schon jetzt, und das wollen wir langfristig in vielen Regionen in Ostdeutschland schrittweise entwickeln.

Die Initiative „Zukunftswege Ost“ ist weltanschaulich breit aufgestellt. Das scheint mir wichtig hervorzuheben. Gestärkt werden muss ja eine tragfähige Zivilgesellschaft, die pluralistisch viele Facetten hat, von Feuerwehr, Sportvereinen und Kirchen über 
demokratische Parteien und NGOs.
Was ist deine Erfahrung: Wie bringt ihr die Leute zusammen? Wie erfolgreich seid ihr in der Breite der Kommunikation?
Vor Ort in Saalfeld-Rudolstadt sind das weltanschaulich sehr vielfältige Menschen aus der Zivilgesellschaft, aber auch aus Unternehmen und der Kommunalverwaltung, die sich gerade neu zusammenschließen. Inspiriert von dem neuen Landesbündnis für „Vielfalt und Weltoffenheit Thüringen“ hat sich jetzt ein neues Bündnis „Stadt Land Bunt – für einen weltoffenen Landkreis Saalfeld-Rudolstadt“ gebildet, auch ausgehend von dem Rückenwind, den wir jetzt mit der Gemeinschaftsinitiative Zukunftswege Ost mitbringen. Das erzeugt eine andere Bereitschaft auch der Konservativen, der Bürgermeister oder des Landrates, die eben sehen, dass es hier weltoffene Unternehmen gibt und dass die Menschen etwas für die Region tun wollen und dass es im Zusammenschluss gemeinsam besser gelingt, als wenn jeder für sein einzelnes Projekt und seine Initiative kämpft. 

Auf übergeordneter Ebene haben wir mit „Zukunftswege Ost“ Stiftungen und Unternehmen als Partner, die nicht den Verdacht von „links-grünen“ Strukturen mitbringen, wie das gern kolportiert wird - sondern es engagieren sich auch konservative Stiftungen, und Unternehmen, die sich jetzt klar zu ‚Zukunftswege Ost‘ bekennen. Die Botschafter sind vom Landesbischof Friedrich Kramer von der evangelischen Kirche Mitteldeutschland, über Unternehmerinnen wie Angela Papenburg aus Sachsen-Anhalt bis hin zum DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf. Es sind sehr vielfältige Menschen, die überzeugt sind, dass so eine Initiative partnerschaftlich und langfristig gemeinsam entwickelt werden muss.

Worum geht es als erstes?
Bei uns geht es im Moment darum, die vielfältigen Akteure vor Ort unbürokratisch aus privaten Mitteln zu stärken. Da muss nicht überall Demokratieförderung drüber stehen, sondern es geht um gemeinschaftliches Handeln für ein gutes, weltoffenes, vielfältiges Zusammenleben.

Das sind jetzt Stichworte für den Konsens: Weltoffenheit, Vielfalt, wahrscheinlich auch für demokratische Kultur, gegen Hass und Hetze…
Ja, Regeln für gesellschaftlichen Zusammenhalt eben. Da definieren viele sehr unterschiedliche Sachen rein, aber auf jeden Fall stehen wir dafür, gegen Hass, Anfeindungen, Gewalt und Hetze gemeinsam einzutreten und Menschen zu stärken, die genau das tagtäglich 
erleben.

Ich finde die Initiative "Zukunftswege Ost" auch deshalb so eine großartige Sache, weil sie so ermutigend ist. Sie ist eine starke Gegenerzählung dazu, dass überall die Demokratiefeinde auf dem Vormarsch sind. Manchmal denke ich, wir erzählen die 
anderen Geschichten zu wenig.
Wir erzählen die guten Geschichten viel zu wenig, und wir sind auch zu leise und zu wenig sichtbar. Die anderen sind einfach zu laut. Sie sind nicht die Mehrheit, aber sie drängen eben die Aktiven zurück. Das wird in Saalfeld sichtbar. Wir haben da ein tolles Jugendforum mit ganz vielfältigen jungen, engagierten Menschen, die ihre Ideen für die Region umsetzen wollen und im Clubhaus der Jugend auch einen Ort haben - der aber dem Verfall preisgegeben ist, ein Dorn im Auge der AfD ist und vor einer Schließung stand. Es war ein wichtiges Zeichen, die Eröffnung unserer Gemeinschaftsinitiative genau an diesem Ort mit dem Besuch des Bundespräsidenten zu platzieren. Jetzt ist es hoffentlich nicht mehr so einfach zu schließen. Es hat auch eine andere Sensibilität bei kommunal Verantwortlichen in der Region erzeugt. Gleichzeitig wird sichtbar, dass es auch kleine Mittel braucht aus dem Fonds, um Ideen der Jugendlichen umzusetzen, um das Jugendforum zu stärken, um den Zukunftsladen rund um die Partnerschaft für Demokratie langfristig mit Partnern zu stabilisieren und mit privaten Mitteln zu ergänzen. 

Ganz wichtig ist aber auch eine Kontinuität der Förderung durch das Bundesprogramm „Demokratie leben“, um die wir hier auch kämpfen müssen - vielleicht weniger Überzeugungsarbeit auf Bundesebene leisten, aber die vor Ort Verantwortlichen einbinden, so dass die 
demokratischen Akteure aus den Bundes-, Landes- und privaten Mitteln langfristig gestärkt werden.

Vielen Dank für das Gespräch. 


Olaf Ulrich ist geschäftsführender Vorstand der bundesweiten Stiftung Bürger für Bürger (Halle/Saale)
Mitglied des BBE-Sprecher*innenrates und Mitinitiator der Gemeinschaftsinitiative Zukunftswege Ost.

Das Interview wurde von Anne Ulrich geführt.