Von Boomern, Millenials und Generation Z – Die Frage nach demokratischen Mehrheiten in intergenerationeller Perspektive

Veranstaltungsbericht

Wie wirkt sich die politische Kategorie „Generation“ auf die Demokratie aus? Dieser Frage widmete sich die Neujahrstagung der Grünen Akademie der Heinrich-Böll-Stiftung, in der die Mitglieder über generationsspezifische Narrative diskutierten.

mehrere Personen sitzen in einem großen Raum der Heinrich Böll Stiftung in einem Halbkreis mit Stühlen
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Die Neujahrstagung der Grünen Akademie im Februar 2024

Demokratien werden an dem Anspruch gemessen, den Belangen aller lebenden Generationen gerecht zu werden. Hinzu kommt der Anspruch, zukünftige Generationen zu repräsentieren. Die neuen Klimabewegungen, die auf Jahrzehnte wirksamen Entscheidungen über unsere Infrastrukturen und sozialen Sicherungssysteme, der sich abzeichnende Kampf für die Stabilität unserer demokratischen Institutionen zeigen die Tragweite eines intergenerationellen Verständnisses von Demokratie auf.

Einerseits beeinflusst der demographische Wandel die Demokratie: In einer alternden Gesellschaft mit steigender Lebenserwartung verschiebt sich die Zusammensetzung des Elektorats. Dadurch erhalten die Wahlentscheidungen älterer Kohorten im Vergleich zu jüngeren Altersgruppen prozentual stärkeres Gewicht. Historisch betrachtet waren Menschen unter 25 Jahren noch nie so deutlich in der Minderheit. Andererseits besteht angesichts der Klimakrise eine besondere politische Verantwortung gegenüber jüngeren und zukünftigen Generationen. 

In verschiedenen Formaten – einem Nachwuchsworkshop, Plenardebatten und Themenforen – diskutierten die Tagungsgäste die normativen und empirischen Grundbedingungen intergenerationeller Demokratie. Mögliche Konfliktlinien und Gemeinsamkeiten zwischen Generationen wurden hinsichtlich der angestrebten sozial-ökologischen Transformation kontrovers diskutiert.

Basierend auf empirischen Forschungsergebnissen beschrieb Politikwissenschaftler Marius Busemeyer (Universität Konstanz & Grüne Akademie) in seinem Eröffnungsvortrag gesellschaftliche und generationelle Narrative einer langfristig orientierten Politik.
In seinem Vortrag präsentierte er aktuelle Studien,1 die statistisch signifikante Generationeneffekte hinsichtlich einer zukunftsorientierten Politik belegen: Je älter Bürger*innen sind, desto weniger befürworten sie es, Interessen jüngerer Menschen politisch stärker zu gewichten. Die Mehrheit der Proband*innen neigt demnach zu einer Priorisierung gegenwärtiger Bedürfnisse in politischen Problemlösungen. 

Allerdings bedingen nicht nur ökonomische Eigeninteressen eine Zustimmung zu bestimmten politischen Maßnahmen, sondern ebenso Werte und Einstellungen gegenüber der Gesellschaft. So ist die Bereitschaft für zukunftsorientierte Investitionen bei Besserverdienenden und politisch links eingestellten Personen insgesamt größer. Laut Busemeyer sollten sozial- und klimapolitische Ausgaben argumentativ sowie in der politischen Umsetzung miteinander verknüpft werden: Schließlich haben Zukunftsinvestitionen positive Effekte sowohl für das Individuum als auch das gesamte wirtschaftliche System.

In drei parallelen Themenforen diskutierten die Mitglieder anschließend das Tagungsthema aus verschiedenen Perspektiven: Mit einem sozialwissenschaftlichen Fokus beleuchtete ein erstes Forum, eingeführt von Julia Weiß (GESIS – Leibniz Institut für Sozialwissenschaften), Fragen von Kontinuität und generationellem Wandel in den Einstellungen zu demokratischen Institutionen. In einem zweiten Themenforum hielt Nejma Tamoudi (Hochschule für Philosophie, München) einen Impulsvortrag zu Generationennarrativen, um hiernach gemeinsam die Generationennarrative in den Klimabewegungen aus historischer und philosophischer Sicht zu diskutieren. Im dritten Forum erörterten die Mitglieder mit Eva Herzog (Humboldt-Universität zu Berlin) aus einer juristischen Perspektive die konstitutionellen Grundlagen der intergenerationellen Demokratie.

Peter Siller (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz & Grüne Akademie) bekräftigte in der Abschlussplenardebatte, dass die politischen Entscheidungen dieses Jahrzehntes auch in intergenerationeller Perspektive als wegweisende „Weichenstellung“ fungieren. Als eine Hauptaufgabe benannte er die kollektive und generationenübergreifende Arbeit an einer infrastrukturellen Ausrichtung, die unser Leben und Wirtschaften klimaresilient machen soll. In der gegenwärtigen Polykrise rücke die Relevanz des Materiellen wieder verstärkt in den Fokus: Vor dem Hintergrund ökologischer, sozialer, kultureller und gesellschaftlicher Fragen müssen stabile Infrastrukturen erneuert und geschaffen werden.

Die Veranstaltung setzte die mit der Sommertagung 2023 „(Ver-)Erben“ begonnene Arbeit am Jahresthema der intergenerationellen Demokratie fort, an das auch die kommende Sommertagung 2024 anknüpfen wird.

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    vgl. Marius R. Busemeyer: „Who cares for the future? Exploring public attitudes towards the needs of future generations in Germany“. In: Journal of European Public Policy 31 (2023), H. 3, S. 680–705. DOI: https://doi.org/10.1080/13501763.2023.2165697; Marius R. Busemeyer, Liam Beiser-McGrath: „Social policy, public investment or the environment? Exploring variation in individual-level preferences on long-term policies“. In: Journal of European Social Policy 34 (2024), H. 1, S. 36–52. DOI: https://doi.org/10.1177/09589287231217379.