Naturbasierte Lösungen: Warum der grüne Schein trügt

Analyse

Die Definitionen von „naturbasierten Lösungen“ bieten viel Raum für divergierende Interpretation und Vereinnahmung. Sie verschleiern komplexe Realitäten, Macht und Interessen von Konzernen, die einer konsequenten Beendigung des Artenverlusts und der Verbrennung fossiler Energieträger entgegenstehen.

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Mehre junge Bäume in Reihen an einem grünen Hang
Teaser Bild Untertitel
Wiederaufgeforstete Fläche in São Sebastião da Grama, Brasilien

„Naturbasierte Lösungen“ sind in den letzten Jahren zum neuen Favoriten im Unternehmensmarketing und auf zwischenstaatlichen Klima- und Biodiversitätskonferenzen avanciert. Große Naturschutzorganisationen, insbesondere aus den USA, gehören neben Konzernen und Verbänden der fossilen Brennstoffindustrie zu den stärksten Befürwortern. Doch der grüne Schein trügt. „Naturbasierter Lösungen“ („nature-based solutions“, NBS) entpuppen sich als neue Form von Ausbeutung: das Konzept erschließt Finanzkapital und denjenigen, die für großflächige Naturzerstörung verantwortlich sind, Natur als Kohlenstoffspeicher und Speicher von biologischer Vielfalt. Während großflächige Naturzerstörung trotz – oder auch wegen - „naturbasierter Lösungen“ ungebremst weitergeht, nehmen für kleinbäuerliche Landnutzer:innen und Indigene Völker externe Kontrolle über ihr Land und Einschränkungen ihrer traditionellen Landnutzung zu.

Der Ansatz „naturbasierte Lösungen“ (und die oft synonym verwendete Bezeichnung „natürliche Klimalösungen“) greift positiv besetzte Bilder von Natur als grün, gesund, vielfältig und widerstandsfähig auf. In Verbindung mit der Fokussierung auf vermeintliche Lösungen verschleiert die positive Bildsprache den extraktivistischen und finanziellen Ansatz des Konzepts. Fragen wie etwa, wer wirklich von „naturbasierten Lösungen“ profitiert und wer für die Probleme verantwortlich ist, die diese lösen sollen, geraten aus dem Blickfeld. Auch die vagen Definitionen des Konzepts schweigen sich über die Verursacher der ökologischen Krisen aus, auf deren Adressierung „naturbasierte Lösungen“ vermeintlich abzielen.

So entsteht Raum für widersprüchliche Interpretationen: Initiativen wie die Plattform Beispiele für „naturbasierte Lösungen“ der NBS-Initiative der Universität Oxford und das Oppla Archiv für naturbasierte Lösungen der Europäischen Kommission stellen eine breite Palette von Projekten vor, von der Wiederherstellung von Mangroven bis hin zur traditionellen kleinbäuerlichen Landnutzung in Ländern des globalen Südens. Bei vielen der vorgestellten Projekte steht die Eigenverantwortung von Dorfgemeinschaften oder Indigenen Völkern im Vordergrund.

„Naturbasierte Lösungen“, die Erdöl- und Bergbaukonzerne unterstützen, beschränken oder verbieten jedoch bereits jetzt ebenjene traditionellen kleinbäuerlichen Landnutzungsformen und die Lebensweise Indigener Völker, wenn beispielsweise Schutzgebiete ohne menschliche Nutzung ausgeweitet werden. Externe Unternehmen nehmen als Betreiber „naturbasierter Lösungen“ zunehmend Einfluss auf die Ausübung kleinbäuerlicher Landnutzung und schränken diese mit dem Argument ein, sie sei eine Gefahr für’s Klima oder gefährde biologische Vielfalt.

Aus den Augen, aus dem Sinn: Naturzerstörung in industriellem Maßstab wird unsichtbar

Diese Initiativen verbindet, dass sie sich über die tatsächlichen Verursacher großflächiger Naturzerstörung ausschweigen. Beispiele von Palmölkonzernen, die auf die Erweiterung von Ölpalmplantagen und damit einhergehende Abholzung von Wäldern verzichten, oder die Plantagen aus der Nutzung nehmen und das durch den Betrieb der Industrieplantagen degradierte Land renaturieren, sucht man auf diesen Plattformen vergebens. Gleiches gilt für Projekte, bei denen Konzerne etwa eine geplante Förderung von Erdöl, Erdgas oder Kohle und den Bau der damit verbundenen Infrastruktur, Bergbau oder agroindustrielle Monokulturen als naturbasierte Lösung gegen Klimakrise und Biodiversitätsverlust nicht umsetzen.

Die Konsequenz: „naturbasierte Lösungen“ dienen als Ablenkungsmanöver für die ungebremst fortschreitende Zerstörung von „Natur“ in industriellem Maßstab und schieben jenen die Verantwortung zu, die in den „Lösungs“-Fallstudien hervorgehoben werden, für die ökologischen Krisen unserer Zeit jedoch keine Verantwortung tragen: Frauen, Bauernfamilien, Fischern und Indigenen Völkern.

Aufstieg eines wissenschaftlich unhaltbaren Konzepts

Das Konzept „naturbasierte Lösungen“ taucht erstmals im Dezember 2009 unter der Bezeichnung „natürliche Klimalösungen“ im Vorfeld der 15. UN-Klimakonferenz in Kopenhagen, Dänemark auf. Die normative Entwicklung des Konzepts übernahm die Internationale Union für Naturschutz (IUCN), während Naturschutzorganisationen, die den Ansatz propagieren, ihn zunächst vor allem als zusätzliche Finanzierungsmöglichkeit für ihre Schutzgebietsprogramme verfolgten.

Großes internationales Interesse erregte das Konzept jedoch erst ab 2016-2017, insbesondere in der Folge des Artikels „Natural climate solutions“ in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift. Die Autoren behaupten, dass „natürliche Klimalösungen“ bis 2030 dazu beitragen könnten, bis zu 37 Prozent der Klimaerwärmung einzudämmen Die Hauptautoren waren eng verbunden mit der Naturschutzorganisation The Nature Conservancy (TNC), die an der Verwaltung zahlreicher Schutzgebiete weltweit beteiligt ist und von Anfang an zu den vehementesten Befürwortern „naturbasierter Lösungen“ gehört.

Die Schlussfolgerungen der Autoren basieren auf einer Reihe von Annahmen, die sich bei näherer Betrachtung als unhaltbar, wenig plausibel oder politisch unrealistisch erwiesen oder aber zu unerwünschten Ergebnissen und vorhersehbaren Konflikten führen würden. Beispielsweise stammt etwa die Hälfte des behaupteten Minderungspotenzials aus Aufforstungsmaßnahmen (Anpflanzung von Bäumen auf Flächen, die seit wenigstens 50 Jahren nicht mit Bäumen bedeckt waren) oder der Wiederaufforstung von abgeholzten Flächen. Die Autoren ermitteln einen Landbedarf von fast 700 Millionen Hektar, etwa die Größe Australiens. Sie verorten dabei den größten Teil der angeblich verfügbaren Fläche nicht etwa in industrialisierten Ländern, sondern im globalen Süden.

Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen einer solchen kontinentalen Landnutzungsänderung ignorieren die Autoren völlig. Viele Klimawissenschaftler:innen bezweifeln das postulierte Potenzial „natürlicher Klimalösungen“ als Maßnahme gegen den Klimawandel und warnen vor Nebenwirkungen. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung über die ökologischen Grenzen solcher „naturbasierten Lösungen“ weist nicht nur auf die Folgen hin, die sich aus den Flächenerfordernissen ergeben, sondern auch auf die erheblichen ökologischen Auswirkungen der massiven Stickstoff- und Phosphordüngung im Rahmen solcher Massenaufforstungen. Aller Kritik zum Trotz verweisen Befürworter weiterhin auf die umstrittene Veröffentlichung der Autoren aus dem TNC-Umfeld als wissenschaftliche Basis für von „naturbasierter Lösungen“.

Butterweiche Definitionen

Der IUCN-Weltnaturschutzkongress verabschiedete im Jahr 2016 eine Resolution, die „natürliche Klimalösungen“ definiert als

„Maßnahmen zum Schutz, zur nachhaltigen Bewirtschaftung und zur Wiederherstellung natürlicher oder veränderter Ökosysteme, die gesellschaftliche Herausforderungen effektiv und anpassungsfähig angehen und gleichzeitig das menschliche Wohlergehen und die biologische Vielfalt fördern“.

Ein im März 2022 verabschiedeter Beschluss der Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA) definiert „naturbasierte Lösungen“ nahezu wortgleich als

Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung, zur Wiederherstellung, zur nachhaltigen Nutzung und zur Bewirtschaftung natürlicher oder veränderter Land-, Süßwasser-, Küsten- und Meeresökosysteme. Diese Maßnahmen begegnen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen wirksam und anpassungsfähig und tragen gleichzeitig zu menschlichem Wohlbefinden, Ökosystemleistungen, Resilienz und biologischer Vielfalt bei.“ (Übersetzung aus dem Englischen gemäß BMUV).

Unter dem Schirm der vagen Definitionen ist Platz für vielfältige Aktivitäten, die dem Konzept eine breite Unterstützung sichern, beispielsweise die Renaturierung von Feuchtgebieten oder Wäldern und die Förderung traditioneller landwirtschaftlicher Praktiken. Bei näherer Betrachtung ist der Ansatz der „naturbasierten Lösungen“ jedoch unvereinbar mit Kosmologien, traditionellem Wissen um die Komplexität von Lebensräumen und nachhaltigen Lebensweisen Indigener Völker und den traditionellen Praktiken kleinbäuerlicher Landnutzung.

Aufschlussreich ist auch, dass eine Nennung von Projekttypen fehlt, die der Definition „naturbasierte Lösungen“ nicht entsprechen. Somit sichern einerseits Projektmaßnahmen wie die oben genannten eine breite Zustimmung zum Konzept, andererseits bietet die Definition jedoch auch Raum für industrielle Baumplantagen oder Naturschutzgebiete ohne menschliche Nutzung (Stichwort ‚Festung Naturschutz‘) – Maßnahmen also, die viele Befürworter der erstgenannten Interpretation als „naturbasierte Lösung“ ablehnen. Diese umstrittenen Projektkategorien dominieren Initiativen zur Kompensation von Kohlenstoff und Biodiversität – den aktuell am weitesten verbreiteten „naturbasierten Lösungen“. Sie sind auch für Finanzinvestoren von vorrangigem Interesse und unverzichtbar, um die enorme Nachfrage nach Kompensationsgutschriften von Konzernen zu bedienen, in deren ‚netto-Null Emissions- und Entwaldungsstrategien‘ zwar „naturbasierte Lösungen“, nicht aber Vermeidung von Naturzerstörung und damit verbundene tiefgreifende Umstrukturierungen, eine zentrale Rolle spielen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die bestehenden Definitionen von „naturbasierten Lösungen“ viel Raum für divergierende Interpretation und Vereinnahmung bieten. Sie machen komplexe Realitäten, Macht und Interessen von Konzernen unsichtbar, die einer konsequenten Beendigung der Zerstörung biologischer Vielfalt und der Verbrennung fossiler Energieträger entgegenstehen. Der Ansatz „naturbasierte Lösungen“ bedient zudem das Verlangen nach simplen Lösungen, die keine tiefgreifende Änderung des Status Quo oder Auseinandersetzung mit den strukturellen Ursachen von Klimakrise und dem Verlust biologischer Vielfalt erfordern.

Die Erfahrungen mit dem Handel von Kohlenstoff- und Biodiversitätsgutschriften lassen jedoch wenig Zweifel an den sozio-ökonomischen und ökologischen Konsequenzen: „naturbasierte Lösungen“ bedeuten auch Menschenrechtsverletzungen, Phantomgutschriften, deren versprochene ökologische Wirkung in wenig plausiblen Annahmen verpufft, sowie ein riskantes Ablenken von den eigentlichen Herausforderungen, die Verbrennung fossiler Energieträger zu beenden und den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen. „Naturbasierte Lösungen“ erweisen sich sowohl konzeptionell als auch in ihrer Umsetzung als gefährliches Hindernis für die Bewältigung des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt und bergen das Risiko, eine neue Welle von Landraub im Namen von Klimaschutz und Biodiversität auszulösen.

„Naturbasierte Lösungen“ in den Klima- und Biodiversitätsverhandlungen der UN

Mit der Verabschiedung der UNEA-Resolution, die „naturbasierter Lösungen“ auf UN-Ebene definiert, hielt der Ansatz erstmals offiziell Einzug in ein multilaterales Forum von Staaten. In den Verhandlungstexten der Klima- und Biodiversitätskonferenzen der UN werden die Bedeutung, Natur zu erhalten und degradierte Flächen zu renaturieren seit langem als zentrale Voraussetzung für die Verwirklichung des UN-Klimaabkommens von Paris bzw. der Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt beschworen. „Naturbasierte Lösungen“ blieben jedoch so umstritten, dass der Ansatz keine Erwähnung in den endgültigen ausgehandelten Texten der UN-Konferenzen fand.

Dies änderte sich erst mit der Verabschiedung des Global Biodiversity Framework im Jahr 2020, als Regierungen das Konzept in der UN-Biodiversitätskonvention verankerten. Während Unternehmen mit „naturbasieren Lösungen“ vor allem als Instrument zum Ausgleich von CO2-Emissionen vermarkten, fällt auf zwischenstaatlicher Ebene die wachsende Popularität von „naturbasierten Lösungen“ im Zusammenhang mit den UN-Verhandlungen über die biologische Vielfalt auf.

Im Dezember 2022 verabschiedeten die Länder auf der 15. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonferenz (CBD) das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF). Das GBF verpflichtet die Vertragsstaaten, bis zum Jahr 2030 30 Prozent der Land- und Meeresgebiete weltweit zu schützen und 30 Prozent der geschädigten Ökosysteme wiederherzustellen. Dabei sollen die Rechte Indigener Völker und lokaler Gemeinschaften respektiert werden. Die Verpflichtung wird auch als 30x30-Ziele bezeichnet. Die Ziele 8 und 11 des GBF erwähnen „naturbasierte Lösungen“. Die in den einzelnen Zielen festgelegten Maßnahmen sollen sofort eingeleitet und bis 2030 umgesetzt werden.

Indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften wird maximal die Rolle von Umsetzungspartnern zugeschrieben.

Da die Regierungen die GBF-Ziele in nationale Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne (NBSAPs) umsetzen müssen, gibt die Ausgestaltung der Aktionspläne Hinweise auf zu erwartende Auswirkungen „naturbasierter Lösungen“ auf Indigene Völker und lokale Gemeinschaften. Eine erste Untersuchung dieser NBSAPs hat gezeigt, dass bisher nur ein Drittel der analysierten NBSAPs Maßnahmen zur Stärkung der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften enthalten – dabei ist dies eine der wirksamsten Strategien zum Schutz der biologischen Vielfalt. Jene NBSAPs, die Maßnahmen oder Strategien zur Anerkennung indigenen und traditionellen Wissens enthalten, setzen vorrangig auf die Dokumentation von Wissen, statt den Schutz dieses Wissens und der damit verbundenen Rechte zu stärken, geschweige denn Praxis und Erhalt dieses Wissens zu finanzieren. Aufschlussreich ist zudem, dass Indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften – wenn sie genannt sind, maximal die Rolle von Umsetzungspartnern zugeschrieben wird: typischerweise werden sie etwa als Implementierungspartner bei der Verwaltung von Schutzgebieten benannt, selten jedoch als vollwertige und gleichberechtigte Partner – selbst dort, wo die Schutzgebiete auf ihrem Land umgesetzt werden.

Im Rahmen ihrer Verpflichtungen unter der UN-Biodiversitätskonvention sind Regierungen aufgefordert, NBSAPs bis Ende 2024 zu überarbeiten. Die aktualisierten NBSAPs werden zum Lackmus-Test: Spiegelt sich das nominelle Bekenntnis in der UNEA-Definition und in zwischenstaatlichen Erklärungen, und insbesondere in den GBF-Zielen, die Rechte Indigener Völker und lokaler Gemeinschaften zu respektieren, auch in den aktualisierten nationalen Aktionsplänen wider, die die realen Auswirkungen „naturbasierter Lösungen“ auf die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften bestimmen werden?

Die Liste der Konzerne die sich ausdrücklich für „naturbasierte Lösungen“ einsetzen, umfasst die größten Umweltverschmutzer der Welt

Kompensation als naheliegendste Anwendung

Der UNEA-Beschluss, der „naturbasierte Lösungen“ definiert, unterstreicht, dass der Ansatz keine schnelle, tiefgreifende und nachhaltige Reduzierung von Treibhausgasemissionen ersetzen kann. Auch die wissenschaftlichen Gremien IPCC und IPBES, die respektive UN-Klima- und Biodiversitätskonvention beraten, betonen in einem gemeinsamen Workshop-Bericht, dass „naturbasierte Lösungen“ mit ehrgeizigen und umfassenden Strategien zur Emissionsminderung kombiniert werden müssen, die mit dem Netto-Null-Ziel des Pariser Abkommens in Einklang stehen.

In den „Netto-Null“-Emissionsstrategien nahezu aller Ölkonzerne spielen „naturbasierte Lösungen“ eine wichtige Rolle; eine Verbindung mit „schnellen, tiefgreifenden und nachhaltigen Reduzierungen“ der eigenen Emissionen fehlt jedoch ebenso wie eine Verpflichtung, die Förderung fossiler Energieträger in den nächsten Jahrzehnten in Einklang mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens zu beenden.

Die Liste der Konzerne und Wirtschaftsverbände, die sich ausdrücklich für „naturbasierte Lösungen“ oder „natürliche Klimalösungen“ einsetzen, umfasst die größten Umweltverschmutzer der Welt: BP, Chevron, Equinor, Total, Shell, Eni, Petrobras, BHP, Dow Chemical Company, Bayer, Boeing, Microsoft, Novartis, Procter and Gamble, HSBC, Woodside Energy, International Paper, Olam, Coca-Cola, Danone, Unilever und Mars. Keines der Unternehmen hat bisher angekündigt, die Zerstörung von Natur im eigenen Geschäftsfeld zu beenden oder Treibhausgasemissionen „schnell, tiefgreifend und nachhaltig“ zu reduzieren.

Ganz im Gegenteil. Das italienische Energieunternehmen Eni plant, auch im Jahr 2050 noch 90 Prozent seiner Energie durch die Verbrennung von Erdgas zu erzeugen. Eine Strategie, die die Klimakrise weiter verschärft, vermarktet Eni als Netto-Null-Emissionsstrategie, bei der „naturbasierte Lösungen“ die zusätzlich freigesetzten Treibhausgase zwar buchhalterisch ausgleichen können, aber dennoch die Konzentration von fossilem Kohlenstoff in der Atmosphäre real ansteigt. Auch Shell setzt in seiner „Netto-Null“-Emissionsverpflichtung auf „naturbasierter Lösungen“; diese sollen einen erheblichen Teil der Emissionen ausgleichen, die die weitere Förderung fossiler Energieträger verursacht.

Ein weiteres Beispiel ist der französische Konzern Total – der siebtgrößte Ölproduzent weltweit. Mit dem Ziel, „über 20 Jahre mehr als 10 Millionen Tonnen CO2 zu binden“, plant Total in der Republik Kongo „40.000 Hektar Wald“ zu pflanzen. Menschenrechtsorganisationen warnen vor einer möglichen ökologischen und sozialen Katastrophe bei gleichzeitig fehlenden positiven Auswirkungen auf die Klimakrise. Dass Total weiterhin in der Republik Kongo in massivem Umfang Erdöl fördert, gerät zudem dank des Konzern-Engagements für „naturbasierte Lösungen“ schneller aus dem Blick.

Zwangsläufig, und wie von Organisationen wie The Nature Conservancy ausdrücklich beabsichtigt, gerieren „natürliche Klimalösungen“ in der Umsetzung immer mehr zu einem Instrument, „das Unternehmen Kompensationsgutschriften als Alternative zu teureren Emissionsminderungsmaßnahmen anbietet“ – mit anderen Worten, ein billiger Ausweg, eine tatsächliche Dekarbonisierung zu vermeiden und weiterhin biologische Vielfalt zerstören zu können. Agroindustrie und Plantagengiganten wie das brasilianische Unternehmen Suzano betrachten „naturbasierte Lösungen“ zudem als potenziell lukrative und neue grüne Einnahmequelle, sich in ihre ‚business-as-usual‘ Geschäftsmodellen integrieren lässt.

Die Organisation Friends of the Earth beschreibt „naturbasierte Lösungen“ als

Freibrief für die größten Umweltverschmutzer der Welt, der ihnen den finanziellen Schmerz erspart, ihre umweltschädlichen Aktivitäten in Einklang mit den Zielen des Pariser Klima-Abkommens oder im Hinblick auf Umweltgerechtigkeit zurückzufahren [… ]. Gleichzeitig eröffnen „naturbasierte Lösungen“ neue potenzielle Einnahmequelle für Unternehmen, die „NBS-Dienste“ wie Baumpflanzprogramme oder die Vermittlung von Kompensationsgutschriften anbieten. „Naturbasierte Lösungen“ entpuppen sich so als Mechanismus, von dem Umweltverschmutzer wie Erdölkonzerne, Plantagenunternehmen und die Agroindustrie profitieren können, ohne ihr Geschäftsmodell ändern zu müssen. Klimawandel zu verhindern und den Verlust von Natur zu beenden und umzukehren ist einfach nicht so einfach.“


Zum Weiterlesen:

Tamra Gilbertson und Tom BK Goldtooth. COP 28: Warum CO2-Bepreisung und Marktmechanismen nur Scheinlösungen sind. Heinrich Böll Stiftung, November 2023.

Friends of the Earth International. Toolkit for fighting climate false solutions. Oktober 2023. Sammlung von Zeitungsartikeln, Investigativrecherchen und Berichten, die Auswirkungen von „naturbasierten Lösungen” für lokale Bevölkerung und Ökosysteme dokumentieren.

Lisa Song. Out of Balance. ProPublica. Juni 2023. „Naturbasierte Lösungen“ in Form von Biodiveristätskompensation ermöglicht nicht nur der Weltbankgruppe eine Finanzierung von Bergbau in Guinea, sondern zerstört auch Dörfer und Lebensraum einer gefährdeten Schimpansenpopulation.

African Center for Biodiversity. Cultivating diversity for a just agroecological transition of Africa’s food systems.

World Rainforest Movement: Nature-based Solutions: Concealing a massive land robbery. Sammlung von acht Artikeln, die darlegen, wie “naturbasierte Lösungen” Vertreibung verursachen und Maßnahmen beinhalten, gegen die ländliche Gemeinden im globalen Süden seit Jahrzehnten Widerstand leisten: Baumplantagen, REDD-Projekte, Kompensation von Kohlenstoff und Biodiversität, Monokulturen für Biosprit. Verfügbar in Portugiesisch, Spanisch, Französisch und Englisch.

Schattenseiten „naturbasierter Lösungen“ – eine Auswahl an Beispielen:

Fast die Hälfte der von Chevron gekauften Kompensationsprojekte steht im Zusammenhang mit Behauptungen oder Anschuldigungen, dass sie lokalen Gemeinschaften Schaden zufügen und die Zerstörung von Ökosystemen vorantreiben, insbesondere im globalen Süden

Das Kompensationsprojekt von Total in der Republik Kongo hat Bauern Land weggenommen und bedroht ihre Lebensgrundlage.

Gemeinschaften, die innerhalb des Alto Mayo REDD+-Projekts in Peru leben, wurden bei einer Reihe von Räumungen durch Parkbehörden gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben.

Die African Forestry Impact Platform hat kürzlich Green Resources übernommen, ein norwegisches Unternehmen für Plantagenaufforstung und Emissionsgutschriften, das in Uganda, Mosambik und Tansania für Landraub, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung bekannt ist.

Das Kariba REDD-Projekt von South Pole in Simbabwe, das vom New Yorker als "Cash-for-Carbon Hustle" beschrieben wurde, sammelte mindestens 100 Millionen Dollar in Kohlenstoffgutschriften, bevor es im Oktober 2023 in einem Skandal zusammenbrach.