Die Schuldenbremse darf nicht zur Zukunftsbremse werden

Vorstandskolumne

Das Hochwasser in Norddeutschland wirft wieder Fragen nach einer Lockerung der Schuldenbremse auf. Doch anstatt immer die gleichen Debatten zu führen, bräuchte es endlich eine nachhaltige Reform. Wie diese aussehen könnte und welche Möglichkeiten es kurzfristig zur Finanzierung von Klimaschutz gibt, zeigt eine neue Studie.

Foto von Jan Philipp Albrecht, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung

In den Nachrichten von den Wassermassen, die in Deutschland Häuser und Ackerflächen überfluten, taucht sie dieser Tage wieder auf: die Schuldenbremse. Im Grundgesetz verankert (Art. 109, Abs. 3; Art. 110, Abs. 2; und in Art. 115, Abs. 2), kann sie sowohl für den Bund als auch für die Länder ausnahmsweise ausgesetzt werden, nämlich „im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“. Und genau das – eine Aussetzung im Jahr 2024, so wie bereits in den Jahren 2020, 2021, 2022 und 2023 – wird angesichts des „Weihnachtshochwassers“ in diesen Tagen vielfach gefordert.

Diese Diskussionsabfolge kennen wir: Eine Notsituation tritt ein, Forderungen nach einer Lockerung der Schuldenbremse werden erhoben, dann folgen Erwiderungen dazu, „Bilanzierungen abzuwarten“ und Verhältnismäßigkeit zu wahren. Diese Abfolge wird sich vermutlich wiederholen, weil sich Notsituationen, insbesondere Extremwetterereignisse, wiederholen werden. Dabei wissen wir alle mittlerweile zu genau: Je weniger wir in Klimaschutz sowie in eine zukunftssichere, resiliente Gesellschaft und Infrastruktur investieren, desto höher steigt das Risiko, immer neue Notsituationen abfedern zu müssen. Natürlich braucht es Kriterien dafür, wann Verschuldungsgrenzen in solchen Notlagen gelockert werden dürfen. Aber was fehlt, ist die Möglichkeit, bereits präventiv in eine sichere Zukunft zu investieren, um gar nicht erst in diesen Krisenkreislauf reinzustolpern.

Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023 und die erneute Notlage angesichts des aktuellen Hochwassers sind Anlass genug, die Reform der Schuldenbremse endlich anzugehen. Angesichts der riesigen Herausforderungen wäre es verantwortungslos, diese Regel im jetzigen Zustand zu belassen. Es ist nicht mehr zeitgemäß, die unterschiedlichen Ausgaben des Staates nicht auch unterschiedlich zu bewerten – je nachdem, wofür diese getätigt werden. Investitionen in eine nachhaltige Wirtschaft und Infrastruktur sowie in Bildung und Innovation sind wichtige Ausgaben, die auch in der Zukunft eine zentrale Wirkung entfalten, ja gar den Ausgabenspielraum des Staates bewahren oder erweitern. Diese jedoch, wie es aktuell geschieht, nach Haushaltsjahren zu begrenzen und mit anderen Ausgaben auf eine Stufe zu stellen, ist eine Blindheit, die unserer Verfassung nicht würdig ist. Das zeigt auch das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz aus dem Jahr 2021.

Zum Zusammenhang von Schulden(erlass) und dem gerechten Übergang in eine klimaneutrale Wirtschaft aus globaler Perspektive haben wir als Böll-Stiftung bereits gearbeitet. Zur aktuellen Debatte um die Schuldenbremse in Deutschland erscheint nun die von uns beauftragte Studie „Öffentliche Finanzierung von Klimainvestitionen im Rahmen der deutschen Schuldenbremse“, die zwei zentralen Fragen nachgeht: Wie können kurzfristig – also auch ohne eine grundgesetzliche Veränderung der Schuldenbremse – Ausgaben zum Klimaschutz ermöglicht werden? Und was sind die zukunftsweisenden Pfade für eine Reform der Schuldenbremse im Sinne wichtiger Zukunftsinvestitionen? In Zeiten einer zunehmend verunsicherten Gesellschaft und den immer deutlicher werdenden Auswirkungen der Klimakrise braucht es jetzt eine konstruktive, parteiübergreifende Debatte über den Weg aus der Zukunftsbremse hin zu einer nachhaltigen Investitionsregel, die den jetzigen Sozialstaat nicht gegen die Notwendigkeiten der Zukunft ausspielt.

Imme und Jan Philipp

Einmischen - die Vorstandskolumne

Einmischen! Als einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben. So hat es Heinrich Böll formuliert und diese Ermutigung inspiriert uns bis heute. Mit dieser Kolumne mischen wir uns als Vorstand der Stiftung in den aktuellen politisch-gesellschaftlichen Diskurs ein. Jeden Monat schreiben hier im Wechsel: Jan Philipp Albrecht und Imme Scholz.

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