COP 28: Dubai, Dezember 2023, 420,59 ppm

Reportage

Im Epizentrum des globalen fossilen Kapitalismus ringen die Staaten der Erde um den Ausstieg aus den Fossilen. Ein bisschen irre ist das schon. Und alternativlos. Ein persönlicher Streifzug durch Dubai.

Foto von der Bühne der COP-Konferenz 28 in Dubai 2023

31 Jahre nach Verabschiedung der UN-Klimakonvention in Rio 1992 (355,9 ppm CO2), acht Jahre nach Abschluss des Pariser Abkommens 2015 (399,58 ppm), treffen sich die Staaten der Welt aktuell zur achtundzwanzigsten Weltklimakonferenz COP28 in Dubai (429,59 ppm). Sie treffen sich am Ende des heißesten Jahres seit 100.000 Jahren, länger als menschliche Wesen auf diesem Planeten wandeln. Alle relevanten Klimaindikatoren haben in diesem Jahr einen regelrechten Sprung gemacht, „off the charts“, wie man im Englischen sagt: Lufttemperatur, Meerestemperaturen, Eisschmelze. Der 17. November 2023 war im Mittel schon 2 Grad Celsius heißer als das vorindustrielle Mittel.

Man trifft sich in Dubai am Persischen Golf, mit 3,6 Millionen Einwohnern die bevölkerungsreichste Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), etwa so groß wie Berlin. Eine Stadt, der das fossile CO2 geradezu aus allen Poren quillt. Pro Kopf emittieren die Emirate etwa 20 Tonnen CO2 pro Jahr. Vor zwei Jahrzehnten waren es noch fast 30. Zum Vergleich: In Deutschland sind wir mittlerweile bei etwa 8 Tonnen, auch das noch viel zu viel. Wir müssen runter auf Null – und das in zwei Dekaden.

Ich schwebe vom Flughafen mit der hochmodernen Metro – aufgeständert auf Beton und Stahl in etwa 20-30 Meter Höhe – durch die Millionenstadt. Die Stationen sind klimatisiert, die Bahn fährt vollautomatisch ohne Lokführer. Auf Werbedisplays wird für eine App namens equiti (equity = englisch für Gleichheit, aber auch Eigenkapital) geworben, mit der man mit Gold, Öl und Währungen spekulieren kann. Auf anderen Bildschirmen verweist der kanadische Bundesstaat Saskatchewan auf seine CCS-Technologie, mit der man noch mehr Öl aus dem Boden holen kann, und verkauft das dann als Klimaschutz.

Es gibt nur zwei Metrolinien und eine kurze Tramstrecke. Dubai ist gebaut um ein Netz aus Stadtautobahnen, kreuzungsfrei verschlungen, bevölkert mit SUVs. Auf dem Weg zum COP-Standort Expo City komme ich vorbei an der Innenstadt, einer Symphonie von Wolkenkratzern aus Beton, Glas und Stahl in allen nur erdenklichen Formen. In seiner Mitte der Burj Khalifa: mit 828 Metern der höchste Wolkenkratzer der Welt, ein gigantisches Denkmal fossil-getriebener Männlichkeit. 

Etwas weiter links neben der Metro die Mall Dubai mit Ski Dubai – einem Indoor-Skizentrum. Es präsentiert sich als Amusement für die ganze Familie – sogar mit echten Pinguinen! Von 2016 bis 2018 wurde es als weltweit beliebtestes Indoor-Skivergnügen ausgezeichnet, prahlt der Google-Maps-Eintrag.

Auf dem weiteren Weg Richtung Expo City tauchen rechts große Gaskraftwerke auf, sechs von insgesamt 117 in den Emiraten. Sie befeuern das Stromnetz und die globale Überhitzung. Weniger als ein Prozent des Energieverbrauchs kommt aus Erneuerbaren Energien, obwohl die Bedingungen für Solarenergie hier optimal sind. Der Lichtblick: Das Land hat große Pläne für den Solarausbau. So billig sind die Erneuerbaren jetzt geworden, dass man auch in Dubai nicht mehr daran vorbeikommt.

Zur linken Seite ein großes Zementwerk. Auch das konvertiert fossile Energie in großem Stil in CO2-Emissionen – die in den letzten Jahren verbauten gigantischen Mengen an Beton müssen ja irgendwo herkommen.

In einer Mittelschichtssiedlung, nur drei Stationen von der Expo City entfernt, habe ich meine Unterkunft per Airbnb gefunden. Eine Architektur pastellfarbener Typenbauten mit Türmchen und Gesims, die wohl europäische Städte evozieren sollen. Auch hier vorwiegend SUVs auf den Parkplätzen, Fahrräder sind nur etwas für Kinder, Gehwege eine Restgröße, einen Meter breit am Rande vierspuriger Erschließungsstraßen. Aber wer geht hier auch zu Fuß? Vorbild sind die amerikanischen Suburbs, in denen oft jegliche Gehsteige fehlen.

Nachts laufen die Rasensprenger zwischen den Häusern. 42 Prozent des Wassers in Dubai kommt mit großem fossilem Energieaufwand aus Meerwasserentsalzung. Ein chinesisches Forscherteam kalkuliert mit 1,2 bis 2,7 Kilogramm CO2 pro Kubikmeter entsalztem Wasser in den VAE. 

Die nächste Metro-Station auf dem Weg zur COP heißt Jumeirah Golf Estates: Dahinter verbirgt sich ein riesiges Immobilienprojekt mit Villen für die obere Mittelklasse. Das Werbevideo zeigt grüne Parks mit Wasserfällen und Seen, Golfspieler beim Abschlag, glückliche Mütter, die Ihre Kinder im Range Rover nach Hause fahren, wo sie in Swimming Pools springen: ein Paradies.  Nicht gezeigt wird: Diese Kinder werden in nur zwei bis drei Jahrzehnten zeitweise nur in klimatisierten Räumen überleben, weil es im Freien bei Hitzewellen zu schwül für menschliches und tierisches Leben sein wird. Der Körper kann sich oberhalb einer sogenannten Feuchtkugeltemperatur von 35 Grad nicht mehr durch Schwitzen abkühlen; wenige Stunden im Freien führen zum Tod durch Überhitzung.

Aber keine Sorge: Man bewegt sich ja von den klimatisierten Villen mit klimatisierten SUVs in klimatisierte Büros, klimatisierte Shopping Malls, klimatisierte Schulen, Fitness Centers und Restaurants. Alles scheint machbar. Nur beim Golfen wird man während der Hitzewellen vielleicht mal eine Pause einlegen müssen. Und die Tiere? Die haben dann wohl Pech.

Kurz vor der Endstation Expo2020 tauchen rechterhand fünf kleine Windräder auf. Auffällig in lila-pink lackiert, setzen sie inmitten der Fossilität ein kleines Zeichen für Erneuerbare Energien. Sie stehen still – doch eher ein PR-Gag? Sie seien extra für die COP hier aufgestellt worden, erzählt mir eine befreundete Journalistin.

Angekommen bei der Expo City reicht jemand den Besuchern nach langem Schlangestehen eine gekühlte Aludose: Sie enthält 0,2 Liter Wasser, ohne Kohlensäure. Ein Griff, ein paar Schlücke – schon landet die Dose im Müll.  Eine Aufschrift ermahnt mich, zu recyceln. Pro Kilogramm Aluminium muss man mit 20 Kilogramm CO2-Äquivalenten rechnen. Doch fossile Energie und auch CO2 kostet ja fast nichts – nur die Erde. 

Die Expo City wurde für die Weltausstellung Expo2020 errichtet. Sie ist riesig, exquisite Architektur vom Feinsten. In der Mitte des Geländes eine gigantische Kuppel aus Stahl, unter der frei zugängliche Veranstaltungen der „Green Zone“ stattfinden. Abends werden auf sie die Umrisse von Tieren projiziert. Ich höre eine Soundinstallation mit Vogelstimmen. Je mehr wir die Natur zerstören, desto öfter wird sie menschlich reproduziert. 

Zwischen den Pavillons einige Palmen, vor allem aber auch große stählerne Schattenspender, in geschmackvollem Design. Nachts leuchten sie mit bunten LEDs. Wie praktisch: Wenn die Bäume absterben, so haben wir immer noch künstlichen Schatten! Jede Tonne Stahl, so schlage ich rasch nach, steht für rund 1,5 Tonnen CO2.  

In der Nähe gehe ich zu einem Imbiss-Stand mit veganer Kost. Es bedient mich ein Nigerianer. Seit drei Jahren sei er hier, sagt er, als wir uns kurz unterhalten. Das Leben sei hart. 12 Stunden müsse er arbeiten, abends könne er sich kaum mehr auf den Beinen halten.

Eine implizite Hierarchie durchzieht diese Gesellschaft: Ganz oben die dünne Schicht der Emiratis, nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung. Dann die gut bezahlten „Expats“, Spezialist*innen aus Europa, Nordamerika, Asien. Die Mittel- und Unterschicht stammt aus Südasien und dem arabischen Raum sowie aus Afrika.

Überall auf dem Gelände stehen Sinnsprüche wie „Let’s Focus on Nature, Lives and Livelihoods – Let’s Turn Rhetoric into Results – Let’s Turn Agreements Into Action – Let’s Lead Change – Brave and Bold Together - Let’s Act Now“. Irgendwie geht mir diese Sinnspruch-Pädagogik inmitten fossiler Exzesse mächtig auf die Nerven.

Dubai, das ist die Spaltung der Welt im Brennglas. Es ist die den „Westen“ überholende Fehlentwicklung im Übermaß. „Let’s Think without Limits“ steht auf einem Plakat. Dubai kennt keine Grenzen. Mehr Erneuerbare, ja, aber fossile Energien im Boden lassen? Die BBC berichtet, dass die COP-Präsidentschaft der VAE versuchte, am Rande ihrer Tätigkeit im Vorfeld sogar noch ein paar lukrative fossile Deals einzufädeln. 

Dubai, 3. Dezember 2023, 420,59ppm: Kann inmitten von so viel Falschem das Richtige entstehen? Zwischen den 70.000 Teilnehmer*innen sehe ich gelegentlich den Haarschopf von Jennifer Morgan auftauchen. Sie kämpft als deutsche Klimabotschafterin mit all ihrer Erfahrung aus 28 Klimakonferenzen und mit einem weltweiten Netzwerk von Mitstreiter*innen für eine Verdreifachung der Erneuerbaren und eine Verdoppelung der Energieeffizienz bis 2030, sowie für ein Bekenntnis zum Ausstieg aus allen fossilen Energien. 

Es bleibt keine Wahl: Hier und jetzt in Dubai, einem Epizentrum des globalen fossilen Kapitalismus, muss der nächste wichtige Schritt zur weltweiten Energie- und Klimawende vereinbart werden – trotz alledem und alledem!