Das Nadelöhr in den Lieferketten

Schmelzen und Raffinerien haben eine enorme geopolitische Bedeutung – die EU plant deswegen, ihre Kapazitäten weiter auszubauen, um Abhängigkeiten von Ländern wie China zu reduzieren. Dabei darf sie die industriepolitischen Interessen der rohstoffreichen Partnerländer und -regionen nicht vergessen, sondern muss ihnen attraktive Angebote machen. 

Während die erste Stufe der Rohstofflieferkette, der Abbau von metallischen Rohstoffen, viel Aufmerksamkeit erfährt, bleibt die zweite Stufe der Lieferkette – die Verhüttung oder Raffination – häufig unbeleuchtet, obwohl sie mit Blick auf die Versorgungssicherheit und die Nachverfolgbarkeit der Lieferketten bedeutsam ist. Erzkonzentrate des Rohstoffabbaus werden in Schmelzhütten und Raffinerien mithilfe verschiedener metallurgischer Verfahren veredelt. Sie können erst danach zu Halbfertigprodukten wie Bleche, Drähte oder Rohre weiterverarbeitet ­werden. Diese Halbfabrikate werden dann in Endprodukte wie Autos, Erneuerbare-­Energien-­Anlagen oder andere Geräte eingebaut.

Mineralische Lieferketten sind nicht nur entlang dieser technischen Verarbeitungsschritte organisiert, sondern auch geopolitisch strukturiert. Während der Abbau vorwiegend in Ländern des sogenannten Globalen Südens geschieht, ist insbesondere die zweite Stufe der Verarbeitung zu großen Teilen in China angesiedelt: Laut Daten der Deutschen Rohstoffagentur stammten 50,4 Prozent der globalen Raffinadeproduktion im Jahr 2017 aus China. Die Volksrepublik hat diese Vormachtstellung in metallischen Lieferketten in den vergangenen 20 Jahren strategisch ausgebaut und in den Aufbau der Weiterverarbeitung investiert.

Deutsche und europäische Unternehmen sind vor allem an der dritten Stufe der Lieferkette von Metallen angesiedelt (s. Grafik) und sind somit stark von Importen verarbeiteter Metalle abhängig. Dies macht sie verwundbar gegenüber Liefer­engpässen, die durch Exportbeschränkungen, Handelskonflikte, Transport- und Logistikprobleme oder sonstige Ereignisse, die die Lieferkette beinträchtigen, entstehen können. Mit dem Critical Raw Materials Act (CRMA), der im März 2023 von der EU vorgestellt wurde, soll diesen Risiken begegnet werden. Der Entwurf, der sich noch im politischen Prozess befindet, umfasst unter anderem den Aufbau der Weiterverarbeitungskapazitäten in der EU. Bis 2030 soll die Verarbeitung von mindestens 40 Prozent des jährlichen Verbrauchs strategischer ­Metalle in der EU stattfinden und die Importabhängigkeit von einzelnen Drittländern auf keiner relevanten Verarbeitungsstufe mehr als 65 Prozent betragen.

Ansiedlung von Schmelzhütten in Europa kann das Recycling fördern

Einerseits kann eine Verkürzung der Lieferketten die Versorgung mit den für die Energie- und Mobilitätswende benötigten Metallen sicherer machen sowie die Transparenz und Rückverfolgbarkeit steigern. Diese direkten Lieferbeziehungen bieten die Möglichkeit, effektiver auf die Nachhaltigkeit beim Abbau und in der Weiterverarbeitung einzuwirken. Durch die Ansiedlung von Schmelzhütten in Europa kann darüber hinaus das Recycling von Metallen gefördert werden, da diese auch Material aus Produkten am Ende ihres Lebenszyklus verarbeiten und damit zum Aufbau der Kreislaufwirtschaft beitragen können. Doch die Ziele im CRMA sind sehr ambitioniert, und es ist fraglich, ob sie erreichbar sind.

Ein zu starker Fokus auf den Auf- und Ausbau der Weiterverarbeitung in Europa birgt indes das Risiko, die Interessen rohstoffreicher Länder zu ­ignorieren. Angesichts der derzeitigen geopolitischen Umbrüche hoffen diese, stärker in globale Rohstofflieferketten integriert zu werden. Durch den Auf- und Ausbau der Kapazitäten in der Weiterverarbeitung wollen sie die Wertschöpfung erhöhen und somit die wirtschaftliche Entwicklung in ihren Ländern voranbringen. Beispielsweise lotet die Afrikanische Union (AU) gerade aus, wie eine afrikanische Rohstoffstrategie aussehen kann.

Unterstützung für die Exploration und das Monitoring von Rohstoffvorkommen

Die EU sollte daher nicht nur auf den europäischen Raum fokussieren, sondern gleichermaßen rohstoffreiche Länder beim Aufbau der Wertschöpfung vor Ort unter­stützen, zumal viele metallische Rohstoffe dort bereits abgebaut werden und/oder in Europa nicht in den benötigten Mengen lagern. Wertschöpfungspoten­ziale zu heben umfasst weitaus mehr als den Aufbau der Schmelz- und Raffinade­kapazitäten. Die Europäische Union darf nicht nur die eigene Versorgungs­sicherheit im Blick haben, sondern muss attraktive Angebote ­machen, die die industriepolitischen Interessen der Partnerländer und -regionen berücksichtigen und dabei nachhaltige Ansätze gezielt fördern. Diese müssen auf den jeweiligen lokalen Kontext zugeschnitten sein und können auf ganz unterschiedliche ­Weise unterstützen. Dazu zählen zum Beispiel finanzielle und technische Hilfen für die Exploration und das Monitoring von Rohstoffvorkommen und für die Durch­führung von Machbarkeitsstudien zur Identifizierung regionaler und lokaler Wertschöpfungspotenziale. Dazu gehören auch der Aufbau einer nachhaltigen Energie- und Verkehrsinfrastruktur sowie die Stärkung der technischen Zusammen­arbeit. Wenn dies gelingt, kann die internationale Rohstoffkooperation ein zentrales Element einer strategischen und nachhaltigen Rohstoffaußenpolitik werden.

Schematische Darstellung der Lieferketten metallischer Rohstoffe
Schematische Darstellung der Lieferketten metallischer Rohstoffe, Quelle: El Observatorio de Conflictos Mineros de América Latina, www.ocmal.org

Dr. Melanie Müller arbeitet als Wissenschaftlerin mit Fokus Südafrika/südliches Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sie leitet zudem das Forschungs­projekt «Transnationale Governance-Ansätze für nachhaltige Rohstofflieferketten» und ist Co-Leiterin des «Forschungsnetzwerks Nach­haltige Globale Lieferketten».

Lea Strack arbeitet als Forschungsassistentin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) für das «Forschungsnetzwerk Nachhaltige Globale Lieferketten», das neben der SWP von dem German Institute of Development and ­Sustainability (IDOS), dem German Institute for Global and Area Studies (GIGA) und dem ­Institut für Weltwirtschaft (IfW) geleitet wird. 

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