Der schwierige Kampf um LGBTIQ-Rechte in Zentralamerika

Hintergrund

Trotz des autoritären Backlash in Zentralamerika arbeitet die LGBTIQ-Community in der Region unermüdlich daran, ihre Netzwerke auszubauen und divers-geschlechtliche Personen zu schützen. Deshalb möchten wir anlässlich des Transgender Day of Remembrance einen Blick auf Zentralamerika werfen.

Demonstration für die Rechte von LGBTIQ-Personen
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Pride 2022 in Guatemala-Stadt.

Im Juni 2022 fand in Guatemala-Stadt die seit 22 Jahren größte Pride-Parade ihrer Geschichte statt. Die Corona-Pandemie hatte die Ausrichtung beinahe drei Jahre lang verhindert. Dieser derart erfolgreiche Pride Marsch ist Beleg für den bestehenden und sogar erneuerten Widerstand der Community.

Nur drei Monate vorher hatte im März 2022 der guatemaltekische Kongress ein Anti-Abtreibungsgesetz verabschiedet. Das Gesetz sah vor Frauen, die eine Abtreibung hatten vornehmen lassen, zu Strafen zu verurteilen, die zu den höchsten in Lateinamerika gehörten. Das guatemaltekische Gesetz sah zudem ein Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe vor – die derzeit weder verboten noch legalisiert ist – und verbot, weiter geschlechtliche Diversität an Schulen als Unterrichtsthema zu behandeln.

Aufgrund des sozialen Drucks im Land sowie der Verurteilung des Gesetzes durch Teile der internationalen Gemeinschaft sah sich Präsident Alejandro Giammattei gezwungen, sein Veto einzulegen. Allerdings liegt bereits eine neue, transphobe Gesetzesinitiative von der Kongresspräsidentin vor. Diese Initiative aus der Partei des Präsidenten verfolgt das Ziel, Debatten und Informationen zu Trans-Identitäten an Schulen und in den Medien kurzerhand zu verbieten, vermeintlich aus Gründen des Kindeswohls. Identitäten, die von der cis-geschlechtlichen Zuweisung bei der Geburt abweichen, stellten eine Gefahr für Kinder dar.

Rechtlosigkeit führt zu Straflosigkeit

Insbesondere in Zentralamerika beobachten wir eine regressive Politik. LGBTIQ-Personen sind in der Region wachsender Gefahr ausgesetzt, da sie immer noch rechtlos sind und wie Rechtlose behandelt werden. Fehlender Rechtsschutz schafft bei verschiedenen Formen von Gewalt gegen LGBTIQ-Personen, ein Klima der Straflosigkeit in ihrer Umgebung: zu Hause, an der Schule, aber auch am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit.

Daten der Beobachtungsstelle Sin Violencia LGBTI zufolge verzeichnen Honduras, El Salvador und Guatemala im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung die höchsten Mordraten an LGBTIQ-Personen in Zentralamerika. Werden diese Zahlen nach sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität aufgeschlüsselt, so wird deutlich, dass die meisten Opfer Trans-Frauen und homosexuelle Männer sind. Die für sie gefährlichsten Orte sind das eigene Zuhause und die Straßen. Darüber hinaus besteht eine anhaltende Untererfassung von Fällen diskriminierungsbedingter Gewalt, so die Mitgliedsorganisationen der Beobachtungsstelle.

Die Macht der Evangelikalen

Eine auffällige Entwicklung in der Region ist der Zulauf zu den evangelikalen Kirchen und den Pfingstkirchen. In Guatemala haben 41 Prozent der Bevölkerung einen evangelikalen Glauben, gefolgt von Honduras (39 Prozent), Nicaragua (32 Prozent), El Salvador (28 Prozent) und Panama (24 Prozent). Dies geht aus Daten des Latinobarómetro hervor. Diese Kirchen verfolgen seit Jahrzehnten gemeinsam mit der katholischen Kirche eine Agenda, die sich gegen die Rechte von Frauen und LGBTIQ-Personen richtet. Insbesondere sexuelle und reproduktive Rechte werden dabei angegriffen.

Die Politiker*innen haben sich die Werte dieser einflussreichen Wählerschaft zu eigen gemacht, um sie für ihre politischen Ambitionen nutzbar zu machen. Politiker*innen versuchen davon zu profitieren, dass die Bevölkerung unwissend ist und sich bedroht fühlt. Das geht alles zu Lasten der LGBTIQ-Community.

In El Salvador kündigte Präsident Nayib Bukele an, es werde im Parlament keine Debatte über Gesetzesvorschläge hinsichtlich LGBTIQ-Rechte geben. Er fügte hinzu, dass der „internationaler Druck“ daran nichts ändern würde und bezeichnete diesbezügliche Spekulationen als „Schmutzkampagne“.

Demonstration für die Rechte von LGBTI-Personen
Pride 2022 in Guatemala-Stadt.

Üblicherweise dienen derartige Angriffe dazu, andere wichtige Probleme der Regierung in den Hintergrund zu rücken, so etwa Korruption oder die schlechte wirtschaftliche Lage. In Guatemala und El Salvador sind die Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Justiz und der Rechtsstaat zugunsten der gegenwärtigen Regierungen faktisch aufgehoben worden. Wie in Nicaragua unter Daniel Ortega, wird die unabhängige Presse in beiden Ländern verfolgt. Und obwohl es in Honduras kürzlich einen Regierungswechsel gab, werden kritische Stimmen und Menschenrechtsverteidiger*innen weiterhin verfolgt.

LGBTIQ in Lateinamerika - und der Sonderfall Costa Rica

Kein Staat in Zentralamerika hat die Fortschritte erzielt, die andere lateinamerikanische Länder in den Vorjahren erreicht haben. Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Ecuador, Mexiko und Uruguay verfügen heute über Gesetze, die die gleichgeschlechtliche Ehe und die daraus hervorgehenden Rechte schützen. Die Geschlechtsidentität von Trans-Personen wird wiederum in verschiedenen Staaten in unterschiedlichem Maße anerkannt und geschützt: Argentinien, Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Uruguay sowie einige mexikanische Bundesstaaten geben Beispiele rechtlicher Anerkennung von Trans-Personen.

Die einzige Ausnahme in Zentralamerika stellt Costa Rica dar. Die Regierung des Landes bat 2017 den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) um ein Gutachten zur gleichgeschlechtlichen Ehe sowie zum Recht auf eine Geschlechtsidentität. Ziel war es, zu klären, ob die Amerikanische Menschenrechtskonvention auch diese Rechte schützt. Der Gerichtshof bejahte dies deutlich. Aufgrund eines vorherigen Präzedenzfalls haben Gutachten des IAGMR in Costa Rica Rechtskraft. Die Regierung war deshalb angehalten, schnell dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Rechte Eingang in die nationale Gesetzgebung fanden. Die costa-ricanische Regierung ergriff alle erforderlichen Maßnahmen, damit gleichgeschlechtliche Paare heiraten oder eine im Ausland geschlossene Ehe anerkennen lassen können, ihnen das Recht auf Adoptionen gewährt wird und Trans-Personen ihre offiziellen Dokumente unbürokratisch anpassen lassen können.

Die Regierung von Costa Rica stand jedoch vor der Herausforderung, diese neuen Maßnahmen in kurzer Zeit umzusetzen, obwohl ein bestimmter Teil der Bevölkerung diese Entwicklung missbilligt. Diese konservativen Bewegungen sollten dann auch schließlich eine wichtige Rolle bei den letzten beiden Wahlen spielen. Die neue Regierung von Rodrigo Chaves hat der Agenda zur Inklusion der LGBTIQ-Community seine Unterstützung entzogen und weigert sich, die vakante Position der Präsidentiellen Berater*in zu LGBTIQ zu besetzen, die in den Vorjahren für die Koordinierung des Mainstreamings von Inklusionsmaßnahmen in der gesamten Regierung verantwortlich war.

Auf der Suche nach Gerechtigkeit

In anderen Staaten ist der Weg zu mehr Rechten für LGBTIQ-Personen weniger gradlinig. Das IAGMR-Gutachten bietet jedoch eine Grundlage für die Entwicklung von Strategien, die den Rechtsweg dazu nutzen, um gegen Menschenrechtsverletzungen gerichtlich vorzugehen.

Das honduranische Kollektiv Cattrachas ist ein gutes Beispiel dafür: Nach mehrjähriger Arbeit erwirkte das Kollektiv die erste Verurteilung ihres Landes im Fall der außergerichtlichen Hinrichtung einer Transfrau: dem Mord an Vicky Hernández. Hernández war Sex-Arbeiterin und Aktivistin im Kollektiv Unidad Color Rosa und wurde während des Putsches von 2009 von der Polizei drangsaliert und später leblos aufgefunden – zu einem Zeitpunkt, als die Straßen unter Polizeikontrolle standen. In seinem Urteil erkannte der IAGMR sowohl diese Fakten an, als auch die Tatsache, dass der Staat seiner Verpflichtung, das Recht auf Leben von Vicky Hernández zu schützen sowie ihren Fall mit der nötigen Sorgfalt zu untersuchen, nicht nachgekommen war. Die Urteilsbegründung ist ein Fingerzeig an alle Regierungen Zentralamerikas: Denn vor dem Hintergrund einer breiten gesellschaftlichen Ablehnung von LGBTIQ-Personen und ihrer allgemeinen Diskriminierung sendet die Missachtung der eigenen Pflicht zum Schutz dieser Gruppe ein klares Signal der Straflosigkeit.

Um sicherzustellen, dass sich Ereignisse wie die Ermordung von Vicky Hernández nicht wiederholen, erlegte der Gerichtshof dem honduranischen Staat auf, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Dazu gehört die Anerkennung von Geschlechtsidentitäten im nationalen Recht sowie Erleichterungen für Trans-Personen bei der Änderung des Geschlechtseintrags in offiziellen Ausweispapieren. Das Land muss zukünftig bei statistischen Erhebungen die Zahlen auch nach sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität aufschlüsseln. Nicht zuletzt muss die honduranische Regierung Maßnahmen zur Sensibilisierung der Sicherheitskräfte und Ermittler*innen, die mit Gewalttaten gegen LGBTIQ-Personen betraut sind, ergreifen. Die neue Präsidentin, Xiomara Castro, erkannte die staatliche Verantwortung beim Tod von Vicky Hernández öffentlich an und verpflichtete sich, den auferlegten Maßnahmen zu entsprechen.

Der Weg, der vor uns liegt

Den Rechtsweg zu beschreiten, um einen gesellschaftlichen Wandel hervorzurufen, hat auch in Ecuador Erfolge gezeitigt. Er könnte auch für andere Länder Zentralamerikas der richtige strategische Ansatz sein. In Panama sind ähnliche Gerichtsprozesse bereits seit mindestens 2016 anhängig, insbesondere zur Frage der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen, die im Ausland geschlossen wurden. Auch dort steht noch ein Urteil aus. In El Salvador ermöglichte ein Teilerfolg vor Gericht, dass Trans-Personen ihren Namen – nicht ihren Geschlechtseintrag – in Ausweisdokumenten ändern lassen können. Dies ist ein Fortschritt, allerdings nur ein eingeschränkter. Denn Trans-Personen können ihren Geschlechtseintrag nicht ändern lassen, wie es die internationalen Menschenrechtsnormen vorsehen: auf einfache, unbürokratische und nicht pathologisierende Art und Weise, die die Privatsphäre der Person respektiert.

Angesichts dieser gegensätzlichen Entwicklungen wird deutlich, dass noch viel Arbeit zu leisten ist und neue Bündnisse zwischen der LGBTIQ-Community und anderen Sektoren der Gesellschaft erforderlich sind: Denn die Justiz bewegt sich erst dann, wenn es für solche Fälle Aufmerksamkeit gibt. Mit öffentlichen Debatten kann der notwendige gesellschaftliche Wandel angestoßen werden. Unbeachtet der beachtlichen Widerstände sollten tolerante Haltungen und Verhaltensweisen gegenüber Diversität entwickelt werden. Bisher waren es jedoch vor allem LGBTIQ-Personen selbst und ihre Menschenrechtsunterstützer*innen, die eine Bresche für die Menschenrechte geschlagen haben. Sie haben den Schritt auf die Straße gewagt und sind weltweit für mehr Toleranz eingestanden. Es gibt keinen Grund, auch nicht angesichts widriger Umstände, weshalb dies nicht auch in Zentralamerika gelingen sollte.