Eine anhaltende Ungerechtigkeit

Umweltpolitik gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Doch sie kann nur glaubwürdig sein, wenn sie eine zentrale Perspektive nicht außer Acht lässt: Umweltrassismus.

Als die Bewohner*innen der US-amerikanischen Stadt Flint in Michigan – überwiegend Schwarze Menschen und People of Color – 2014 die Öffentlichkeit und Behörden auf eine Wasserkrise sowie die damit verknüpften gesundheitlichen Probleme mit teilweise tödlichen Folgen aufmerksam machten, ignorierte und verharmloste die lokale Regierung diesen Warnruf lange Zeit. Der Hintergrund der Krise: Auf der Suche nach Einsparpotentialen hatte die Stadtverwaltung keinen Halt vor der Wasserversorgung gemacht, so dass die Bewohner*innen schließlich mit der kostengünstigsten Wasserquelle, dem Flint River, versorgt wurden. Der Fluss war jedoch in den Jahren zuvor durch den angrenzenden Industriesektor stark verseucht und mit Chemikalien wie Blei belastet worden. Was in Flint geschah, ist einer der berühmtesten Fälle von Umweltrassismus in der jüngeren Vergangenheit der USA.

Den Begriff Umweltrassismus definierte unter anderem der Soziologe und Aktivist Robert Bullard 1994 als «jede Politik, Praxis oder Richtlinie, die (beabsichtigt oder unbeabsichtigt) Einzelpersonen, Gruppen oder Gemeinschaften aufgrund von ‹race› oder Hautfarbe benachteiligt». Die US-amerikanische, mehrheitlich Schwarze Umweltgerechtigkeitsbewegung verdeutlichte in den 1980er Jahren, dass es rassistische Politik und Richtlinien waren, die dazu führten, dass Einkommensschwache, Schwarze, Indigene und Communities of Color (BIPoC) im Vergleich zu weißen Menschen den Gefahren von Umweltrisiken wie Giftmülldeponien, fossiler Industrie oder fehlenden Grünflächen überproportional ausgesetzt sind. Durch diese Umweltbelastungen treten in besagten Communities häufiger Gesundheitsprobleme wie Atemwegs- und Krebserkrankungen auf, die die durchschnittliche Lebenserwartung von BIPoC erheblich beeinträchtigen.  Mangelnder politischer Wille, ein rassistischer Wohnungsmarkt und weitere Faktoren wie etwa Armut verringern zudem die Möglichkeiten für diese Menschen, aus den entsprechenden Wohngegenden wegzuziehen.

Diese Ungerechtigkeiten halten an. Verdeutlicht wurde dies nicht zuletzt durch die Covid-19-Pandemie. Die Gesundheitskrise wirkt sich ebenso wie die sich intensivierende Klima- und Umweltkrise viel stärker auf das Leben von bereits marginalisierten Menschen aus und verschärft bestehende Ungerechtigkeiten. Schwarze Amerikaner*innen sterben beispielsweise weit häufiger an Corona und den Folgen. Das hat mehrere Gründe: sie sind überdurchschnittlich in systemrelevanten Berufen beschäftigt, haben weniger Möglichkeiten von zuhause aus zu arbeiten, sind wegen geringerer Einkommen seltener krankenversichert und suchen aufgrund von Rassismuserfahrungen im Gesundheitssystem seltener Ärzt*innen auf. Und auch Umweltrassismus spielt eine Rolle: BIPoC leben vermehrt in Gebieten, die Umweltverschmutzung ausgesetzt oder anfällig für Naturkatastrophen sind. Vor allem Ersteres führt zu Vorerkrankungen wie Asthma, Lungenkrankheiten oder Diabetes, die im Falle einer Infektion mit Covid-19 das Sterberisiko erhöhen.

Umweltrassismus ist aber kein reines US-Phänomen. Auch in anderen Ländern des Globalen Nordens sind Sinti*zze und Rom*nja, muslimisch gelesene Menschen und BIPoC von Umweltrassismus betroffen. Und Umweltrassismus greift noch viel weiter: Der europäische Kolonialismus und Neokolonialismus schufen Normen, Werte und ökonomische Strukturen, die bis heute globale Ungerechtigkeiten aufrechterhalten. In diesem System tragen die Menschen und Länder des Globalen Südens eine unverhältnismäßige Last an Umweltrisiken im Vergleich zur Verantwortung für selbige. Als Beispiele seien hier der Export von europäischem Müll und Elektroschrott in Länder wie Ghana oder Indonesien genannt. Selbst die sogenannten „grünen“ Lösungen in der Mobilitätswende, wie das Elektroauto, sind nicht frei von schädlichen Auswirkungen, die jedoch exportiert werden: So benötigen Elektroautos Batterien, die aus Lithium und Coltan bestehen. Um diese Rohstoffe zu gewinnen, werden vor allem Menschen und die Natur in Bolivien und dem Kongo ausgebeutet. Das Ergebnis?

Dass Umweltpolitik stetig an Bedeutung gewinnt ist eine wichtige Errungenschaft. Doch büßt sie an Glaubwürdigkeit, Effektivität und Nachhaltigkeit ein, wenn sie Umweltrassismus und die erlebte Realität betroffener Menschen nicht als maßgebliche Einflussfaktoren berücksichtigt. Es bedarf daher umgehend einer Anerkennung von Umweltrassismus auf allen politischen Ebenen. Umweltpolitische Entscheidungen müssen sich prioritär an den Bedürfnissen und Erfahrungen der Menschen orientieren, die disproportional die negativen Folgen der Klimakrise tragen, und gleichzeitig am stärksten für deren Lösung und Bekämpfung einstehen: Schwarze, Indigene und Menschen of Color.

Im Gegensatz zu vielen weißen Umweltbewegungen und häufig auch der Umweltpolitik haben BIPoC-Aktivist*innen den Kampf für die Umwelt schon lange als Teil von globalen Machtsystemen wie Rassismus, Sexismus und Kapitalismus verstanden. Es wird Zeit, dass dies die Norm wird.


Lisa Tatu Hey ist Deutsch-Kenianerin und seit 2020 Teil des Black Earth Kollektivs. Sie setzt sich kritisch mit «entwicklungspolitischen» Diskursen, die im Kontext der Klimakrise entstehen, auseinander.

Sheena Anderson ist Politikwissenschaftlerin, seit 2020 arbeitet sie beim Centre for Feminist Foreign Policy in Berlin zu feministischer Außenpolitik. Dort ist sie zuständig für Antirassismus, Klimagerechtigkeit und das Netzwerk F. Seit 2020 ist sie außerdem Teil des Black Earth Kollektivs.

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