Von der Hoffnung zum Frust – vom Frust zur Hoffnung

Nach Rio 92 erstarkten zivilgesellschaftliche Organisationen auch in Brasilien in einem nie da gewesenen Ausmaß. Die rechtsextreme Regierung Bolsonaro erklärte sie wieder zum Feind, marginalisierte und kriminalisierte sie. Doch das Wahljahr 2022 könnte eine Wendung bringen und Themen wie Umwelt, Klima und Biodiversität wieder auf die politische Agenda setzen.

1992: Brasilien hatte die Militärdiktatur gerade hinter sich gelassen, massive Demonstrationen hatten zu Direktwahlen im Jahr 1989 und schließlich zu einer neuen, fortschrittlichen Verfassung geführt: Dieses Brasilien, das Land mit dem größten zusammenhängenden Regenwaldgebiet der Welt, Amazonien, war Gastgeber der UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung.

In Europa war die Berliner Mauer gefallen. Umweltbewegungen gewannen weltweit an Bedeutung, erste grüne Parteien entstanden. In den Ländern des globalen Südens gründeten sich zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, die nicht länger assistentialistisch, sondern menschenrechtsorientiert und an strukturellen Veränderungen arbeiten wollten, finanziert im Rahmen internationaler Solidarität von nichtstaatlichen Akteur*innen im Norden.

Die Rio-Konferenz 92 zu Umwelt und Entwicklung war in der UNO der Auftakt für eine völlig neue Beteiligung der Zivilgesellschaft. 1 400 Nichtregierungsorganisationen nahmen teil, beim alternativen Treffen der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, dem Globalen Forum, arbeiteten 7 000 an alternativen «Verträgen»; zum ersten Mal nahmen NGOs Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung verabschiedeter Dokumente. Ähnlich prominent war die Zivilgesellschaft auch beim Weltsozialgipfel in Kopenhagen vertreten, ebenso bei der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 und der Konferenz gegen Rassismus und Intoleranz in Durban 2001.

Die Zivilgesellschaft kritisierte vor allem die Auswirkungen der Austeritätspolitik auf die Menschenrechte und für die Folgen für die Umwelt. Sie wollte der neoliberalen Logik und der Merkantilisierung des Lebens alternative Vorstellungen von Entwicklung entgegensetzen. So organisierte die brasilianische Zivilgesellschaft 2001 das erste Weltsozialforum in Porto Alegre unter dem Motto «Eine andere Welt ist möglich.» Es kamen 20 000 Menschen aus 117 Ländern – Aktivist*innen, Intellektuelle, Künstler*innen und Politiker*innen. Diskutiert wurden kollektive Auswege aus der neoliberalen Globalisierung und Lösungen, um soziale Ungleichheit und Armut zu bekämpfen. Das Forum war ein Riesenerfolg. Sein Motto wurde zum Slogan der globalisierungskritischen Bewegung weltweit. Zeitgleich kamen in vielen lateinamerikanischen Ländern Mitte-links-Regierungen an die Macht, unter ihnen, 2002, Lula in Brasilien. Die Zivilgesellschaft hatte seine Wahl stark unterstützt. Sie griff die Anliegen der Schwarzen, der Landlosen, der Frauen, der Indigenen sowie der Umweltorganisationen auf und trug sie an die neue Regierung heran. Die Entwaldung in Amazonien zu reduzieren, wurde ein zentrales Ziel der Umweltpolitik. Zahlreiche Vertreter*innen aus NGOs und sozialen Bewegungen wechselten nach 2002 in die Regierung, andere arbeiteten eng mit ihr zusammen. 

Der Geist von Rio sollte auf der Konferenz Rio+20 noch einmal aufleben

Unter dem Vorwand, das Land sei nicht anders zu regieren, weigerte sich die Lula-Regierung allerdings, die Ursachen der Ungleichheit strukturell anzugehen. Gleichzeitig bildeten sich Gruppen und Netzwerke einer erstarkenden, zum Teil extremen Rechten. Im Kontext dieser neuen politischen Konjunktur fand 2012 die UN-Konferenz Rio+20 statt. Der Geist von Rio 92 sollte noch einmal aufleben, aber die Veranstaltung erreichte nicht annähernd dieselbe Relevanz.

Inzwischen hatten sich neue Formen der Kommunikation, Organisation und Mobilisierung entwickelt. Bewegungen wie Occupy waren entstanden. Die traditionellen NGOs, die Erben von Rio 92, taten sich schwer, verpassten den Anschluss an die neuen sozialen Bewegungen. Die neue Zivilgesellschaft, in der unter anderem Kollektive und Bewegungen von Jugendlichen, Schwarzen und Feministinnen stark waren, forderte eine Demokratie, die auch die Peripherie, Rassismus und Ungleichheit in den Blick nahm. Gleichzeitig war sie fragmentierter, weniger organisiert.

Im Juli 2013 gingen in Brasilien Hunderttausende auf die Straße und forderten ihre Rechte ein. Viele Vertreter*innen von NGOs und traditionellen Bewegungen verfolgten ungläubig die Massenproteste im Fernsehen und fragten sich, warum sie nicht dabei waren. Die Welt hatte sich verändert. Menschen, die sich nicht als links definierten, waren auf der Straße und vernetzten sich.

Die extreme Rechte konnte einen Teil der Unzufriedenen auf ihre Seite ziehen und die durch Korruptionsskandale erodierte Regierung entmachten. Sie regiert in Brasilien seit 2019, demokratisch gewählt. Die kritische Zivilbevölkerung wurde zu ihrem Feind, ihre Möglichkeiten, sich zu beteiligen, systematisch gekappt. Ebenso die Umweltagenda, die bis dahin eine Politik der Anerkennung von Diversität und Respekt gegenüber den traditionellen Völkern gestärkt sowie eine andere Logik der Landnutzung vertreten hatte.

2022 ist Wahljahr in Brasilien. Altpräsident Lula wird gegen den rechtsextremen Amtsinhaber Bolsonaro antreten. Sollte Lula gewinnen, wird es zumindest wieder Raum geben, die Themen von Rio 92, Umwelt, Klima und Biodiversität, zu verteidigen. Ein anderes Ergebnis könnte die Zivilgesellschaft noch stärker kriminalisieren und zersplittern. Die Auseinandersetzung ist noch nicht verloren.


Marilene de Paula ist Programmkoordinatorin für Demokratie und Menschenrechte im Büro Rio de Janeiro der Heinrich-Böll-Stiftung.

Marcelo Montenegro ist Programmkoordinator für Umweltthemen im Büro Rio de Janeiro der Heinrich-Böll-Stiftung.

Annette von Schönfeld ist Büroleiterin des Büros Rio de Janeiro der Heinrich-Böll-Stiftung. 

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