Verblassendes Sonnenlicht auf dem Gesicht

Santiago

Die Sonne brannte glühend auf ihrer Haut, als Meli die Stadt von einem Ende zum anderen durchquerte, um ihre Mutter Llanquiray zu besuchen. Nicht die kleinste Wolke war zu sehen und die Bergkette war gänzlich in der flirrenden Luft verschwunden. Zumindest für das bloße Auge, denn sie war ja immer da, wie ein Flechtwerk aus Fels, das auch noch bestehen wird, wenn die Menschheit längst vergangen ist. "Das Gebirge ist unser Zuhause", sagte der Großvater immer zu Meli, als sie noch ein Kind war. Sie stellte sich eine Umarmung aus Schnee, Araukarien und Schluchten vor, die ihren und den Körper ihrer Mutter schützten. Die trockene Hitze fraß sich durch das Leinengewebe ihres Kleides. Das leise Geklimper ihrer Ohrringe ermunterte sie, die Reise mit dem Bus fortzusetzen, vorbei an den Dörfern mit den kleinen Häusern und den verlassenen Plätzen. An jeder Haltestelle drängten sich die durstigen Fahrgäste um den Eismann mit seinem Arsenal an Wassereissorten: fruchtige Ananas, frischer Vanilleapfel und cremige Orange. Meli, die vor sich hindöste, warf ab und an einen schläfrigen Blick auf die Fahrgäste im Bus, vor allem auf die Kinder, die mit roten Zungen am Eis leckten und ihre Klebefinger an der Kleidung abwischten.

In der Woche vor dem Besuch hatte Meli überlegt, was sie Llanquiray zum Geburtstag schenken sollte. Es war nicht leicht, sie zu überraschen, besonders in ihrem Alter. Die Zeit hatte sich wie ein schwerer Teppich auf sie gelegt, dessen Fasern ihre Knochen und Gelenke mit Schmerzen durchwucherten. „Es fühlt sich wie Messer in meinen Knochen an, mein Kind“, sagte sie zu ihr. Schon bald danach sah Meli, wie der vertraute schwarze Zopf ihrer Mutter silbergrau wurde. Meli dachte an nichts Extravagantes, sondern an schlichte Dinge. Während sie eine Liste mit Geschenkideen schrieb, erinnerte sie sich an das Lächeln auf dem Gesicht der Mutter, als sie sie einmal nach den Gerichten fragte, die sie als Kind so gerne aß. Damals unterhielten sie sich lange und schwelgten in Erinnerungen, mit der Verbundenheit von Menschen, deren Worte wie Umarmungen waren. Der Wind, der durch die Gräser fuhr, der intensive Geschmack der Pinienkerne und der Geruch der selbstgesammelten Pilze vermischten sich mit der Vertrautheit des Gespräches. Llanquiray sagte, wenn sie die Augen schlösse, könnte sie den Geschmack und das Aroma der Speisen spüren, die ihre Großmutter mütterlicherseits für sie zubereitet hatte, bei der sie aufgewachsen war. Wenn Meli ihre Augen schloss, konnte sie das Mädchen hören, das ihre Mutter einst war. Ein Pehuenche-Mädchen, das die Gebirgskette wie mit Holzkohle gezeichnet auf ihrem Körper trug.

Am Tag des Geburtstags ihrer Mutter stand Meli früh auf, um auf den Markt am Rande des Zentrums von Santiago zu gehen. Es kam ihr in den Sinn, eine kleine Erinnerung an die verschneiten Höhen der Kordilleren als Geschenk mitzubringen: eine Flasche Muday, Digüeñes-Pilze und Mültrün-Brote. Der richtige Ort, dies alles zu erstehen, war ein Imbiss-Lädchen, den Mapuche-Frauen in der Nähe der U-Bahn-Station Cal y Canto führten. Ein Laden, den alle zusammen mit der Idee geschaffen hatten, den Mizagun-Brauch wieder aufleben zu lassen, wo Essen geteilt und in Gemeinschaft gegessen wird. Als sie auf der Suche nach dem Geschenk in den Laden ging, stieß sie auf ein Wirrwarr von unbekannten Sprachen, Farben, Musik und Essensduft; ein Sammelsurium, das sie einhüllte und verwirrte und in sie einsickerte wie Pflanzenfarben in einen Ballen frisch geschorener Wolle. Es war für sie wie ein Miniaturabbild des turbulenten Zusammenlebens in der Stadt: Verkaufsstände, Imbisswagen, Straßensänger, Feldküchen, Straßenfeten, illegale Glücksspiele, die sich Häuserblock für Häuserblock der ganzen Stadt bemächtigten. „Junge Frau, nehmen Sie dies, junge Frau, probieren Sie das.“ Kreyòl, Mapudungun, Spanisch; karibische Wörter, andine Wörter, geheimnisvolle Wörter. „Ich mache Ihnen einen guten Preis, schauen Sie ganz unverbindlich.“ Über allem der Duft von Fleischspießen, Sopaipilla-Backwerk, Fischgerichten, Weihrauch, Nelken. Ein Konglomerat aus Verkaufsständen für Fleischwaren, Blumen, Kneipen und Gemüseläden. Supermarktwagen als improvisierte Straßengeschäfte. Hunde und Tauben, die sich schnappten, was sie konnten. Am Flussufer Zelt an Zelt mit Stoffen und Leinwänden, denn in dieser Stadt wächst alles entlang des Mapocho-Flusses, dem vertikalen Zeugen der Geschichte Santiagos.

Sie hatte zu tun, sich durch die Menge hindurch zu schlängeln. Sie besann sich auf die braune Haut dieser Menschen, ihren trotz aller Widrigkeiten fröhlichen Ton. Wie viele von ihnen mochten Familien entstammen, die in alle Winde zerstreut waren, wie viele von ihnen aus Gebieten kommen, die von der Landkarte ausradiert worden waren? Mit all den Tieren, Pflanzen, Stürmen, Insekten. - Fliegen, schwimmen, marschieren. Vielleicht wie in diesen Liedtexten, die uns beim Tanzen zum Weinen bringen. Einfach so. Meli empfand es als schön, Teil einer Landschaft von Fußabdrücken und Gesten zu sein, die sich der Auslöschung widersetzen; von Körpern, die ihre verwundeten Territorien mit sich trugen und überlebten. So wie ihre Pehuenche-Mama, kurz nachdem sie in dieser Stadt angekommen war: jung und voller Träume, gerade mal achtzehn Jahre alt und mit einer Vorstellung vom Rest der Welt, als wäre sie ein Ausläufer ihrer Berge. Sie sah die Menschen als Flüsse, Abhänge, Gebirgsvögel. Deshalb schrieb sie in ihrem ersten Brief aus der Hauptstadt in den Süden:

Liebe Oma, auch hier geht die Sonne hinter den Bergen auf. Es geht mir gut, ich habe deine Päckchen erhalten. Ich hoffe, dieser Brief kommt noch vor Weihnachten bei dir an.

Und ihre Großmutter mütterlicherseits, die nichts über Städte wusste, las den Brief und dachte daran, wie das Sonnenlicht in der Abenddämmerung durch die Bäume verschwindet. Und sie durchwachte die Nacht bis zum Sonnenaufgang, um das Mapuche-Bittgebet Llellipun für ihre Enkelin zu sprechen, die wer weiß wie viele Kilometer vom Dorf entfernt lebte.

Als ihr die Einkäufe mit den ausgesuchten Esswaren überreicht wurden, bekam Meli eine Gänsehaut, ein Schauer überlief sie und die feinen Härchen auf ihrer Haut stellten sich auf. Sie wusste nicht recht, wie ihr geschah. Sie sah Identität als vererbtes Erinnerungsvermögen an. Eine besondere und zärtliche Empfindung, murmelte sie. So wie damals, als sie ihre Mutter nach dem Wort für „Herz“ in Mapudungun fragte: piwke. So etwas Ähnliches hatte Llanquiray auch gesagt. Und mit ihren kleinen, runzligen Händen hatte sie die Herzgegend berührt, denn das Herz ist nicht nur ein Organ, das Blut pumpt.

Am Abend des Geburtstages kam Meli im Haus ihrer Mutter an. Sie flocht ihr einen langen Zopf, genau wie auf dem Foto ihrer Großmutter, auf dem deren weißes Haar bis zur Taille geflochten war. Sie bügelte ihr rotes Kleid mit den kleinen blauen Blumen. Sie legte das schönste Tischtuch auf den Tisch und arrangierte die Speisen wie Edelsteine. Und schließlich, als sie sich gegenübersaßen, bat sie sie, wie ein Kind, das seine Neugierde noch nicht verloren hat, ihr noch einmal die Geschichte ihres Lebens zu erzählen. All dies, während sie das Sonnenlicht auf dem Gesicht ihrer Mutter verblassen sah und die Nacht anbrach.