Vor dem EU-AU-Gipfel: schlechte Stimmung zwischen den Kontinenten

Kommentar

Die von der Europäischen Union nach der Entdeckung der Omicron-Variante verhängten Reisebeschränkungen für Menschen aus dem südlichen Afrika, werden potentiell langfristige Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der EU und der AU haben.

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Community healthcare workers conduct door to door screening for covid-19 in South Africa in a bid to minimise the spread of the virus.

Ende November wurde die Covid-Variante Omikron von einem Wissenschaftsteam in Botswana  und Südafrika sequenziert, kurz darauf meldete Südafrika die Entdeckung bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Innerhalb kürzester Zeit reagierten Staaten weltweit. Kurz nachdem Großbritannien und Israel Reisebeschränkungen für Einreisende aus dem südlichen Afrika verhängten, empfahl auch die EU-Kommission Einreiseverbote, worauf einige europäische Staaten mit einer zeitweisen Stilllegung des kompletten Flugverkehrs aus Südafrika und seinen Nachbarländern reagierten.

Auch wenn die Reisebeschränkungen Mitte Januar wieder aufgehoben worden: die Ereignisse von November besitzen das Potential, die Beziehungen zwischen der EU und der AU langfristig zu schädigen. Auf dem gesamten afrikanischen Kontinent ist die Enttäuschung über die überteilt getroffenen und einseitigen Entscheidungen der Europäischen Union nach wie vor groß. Die konkrete Zusammenarbeit – auch die Vorbereitung auf den nun anstehenden EU-AU-Gipfel – geriet teilweise ins Stocken. Die starke Reaktion afrikanischer Staaten verweist auf tiefergreifende und grundsätzliche Probleme im europäisch-afrikanischen Verhältnis.

Entfremdung seit der Pandemie

Noch Ende 2020 hatte sich die EU vorgenommen, die Partnerschaft mit dem afrikanischen Kontinent auf ein neues Fundament zu stellen. Die neu gewählte Kommission hatte eine „geopolitische Kommission“ angekündigt mit einer stärker außenpolitischen Handschrift. Im März 2020 legte die EU-Kommission den Entwurf für eine neue EU-Afrika-Strategie vor, die neue Schwerpunkte in der Zusammenarbeit definiert. Erste Besuche der Kommission nach Äthiopien sollten verdeutlichen, dass es die EU mit der neuen Partnerschaft ernst meine. Die neue Strategie sollte beim EU-AU-Gipfel, der für Herbst 2020 in Brüssel geplant war, gemeinsam mit den afrikanischen Partnern diskutiert werden. Wegen der Pandemie wurde nicht nur der Gipfel immer weiter verschoben und findet daher erst im Februar 2022 statt. Auch die Prioritäten änderten sich: Als der erste Coronafall in Afrika – am 5. März 2020 in Südafrika –  gemeldet wurde, waren die europäischen Staaten gerade mit ihrer eigenen Pandemieentwicklung beschäftigt. Unterstützung kam spät und war zunächst wenig sichtbar. Die von der EU-Kommission verhängten Exportbeschränkungen für medizinische Schutzausrüstung sendete an andere Weltregionen, insbesondere aber auch an die afrikanischen Partner, das Signal „Europe first“.

Im April 2020 riefen die Kommission und ihre Mitgliedstaaten gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) und mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung die Initiative „Team Europe“ ins Leben, um die europäische Unterstützung bei der Bewältigung der Pandemie zu koordinieren. “Team Europe“ hat seitdem eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, um den afrikanischen Kontinent zu unterstützen. Hierzu gehört die Partnerschaft mit den Africa Centres for Disease Control (CDC), humanitäre und sozioökonomische Unterstützung,  finanzielle Unterstützung für die Beschaffung von Impfstoffen und für den globalen Verteilungsmechanismus Covax sowie die Unterstützung von Impfkampagnen in afrikanischen Staaten. Im Mai 2021 sagte die Initiative zudem Gelder für den Aufbau von regionalen Produktionszentren zu, um damit auch die lokale Impfstoffproduktion zu fördern.

In den bisherigen Arrangements findet allerdings kein Technologietransfer statt: so hat beispielsweise das südafrikanische Biovac Institute in Kapstadt ein Arrangement mit BioNTech und Pfizer geschlossen, um in Südafrika Impfstoff zu produzieren. Biovac erhält dabei die Substanzen aus den BioNtech-Werken in Deutschland. Dieses Arrangement geht aber nicht mit einem Teilen der Produktionstechniken einher. Das Arrangement ist ein wichtiger Schritt, um die Produktion von Impfstoffen auf dem afrikanischen Kontinent voranzutreiben. Aber die fehlende Unterstützung der EU-Kommission für den Vorschlag von Indien und Südafrika für eine temporäre Aufhebung von Patenten für Impfstoffe im Rahmen der WTO, führt vor dem EU-AU-Gipfel zu Spannungen. Das Europäische Parlament hat im Juni 2021 zwar eine Resolution verabschiedet, die genau diese Forderung unterstützt. Doch fehlt die Mitwirkung einiger bedeutsamer EU-Mitgliedstaaten – darunter auch Deutschland. Dass die USA bereits im Mai 2021 angekündigt hat, den indischen und südafrikanischen Vorschlag zumindest in Teilen zu unterstützen, hat den Druck auf die EU zwar etwas erhöht, die Verhandlungen darüber sind seitdem allerdings blockiert.

 Einseitige Partnerschaft

Die Reisebeschränkungen der EU bezogen sich nur auf einige afrikanische Staaten, obwohl zu dem Zeitpunkt nicht klar war, wo der Ursprung von Omikron lag. Nur wenige Tage nach der Entscheidung über die Reisebeschränkungen stellte sich heraus, dass der Virus bereits vor der Sequenzierung im südlichen Afrika in anderen Staaten der Welt aufgetaucht war. Dies hat die Frustration über die ungleichgewichtige europäisch-afrikanische Zusammenarbeit auf dem afrikanischen Kontinent erhöht. Der Eindruck, dass die EU vorrangig an sich selbst interessiert ist, verfestigte sich.  Die Wochenzeitschrift „The Continent“, die sich seit ihrem ersten Erscheinen im April 2020 zu einem wichtigen Sprachrohr afrikanischer Stimmen entwickelt hat, brachte es auf den Punkt: „Omicron variant: The West finds  yet another reason to keep Africans out.“

„Omikron Variante: Der Westen findet abermals einen Grund, um Afrikaner*innen auszuschließen.“

Hierbei zeigt sich auch, dass auch die restriktive europäische Migrationspolitik der letzten Jahre ihre Spuren hinterlassen hat und das Verhältnis zwischen den Kontinenten dauerhaft belastet. Zwar mögen einzelne afrikanische Regierungen von bilateralen Migrationspartnerschaften finanziell und politisch profitiert haben. An den afrikanischen Kontinent hat die Abwehr von Migrant*innen an den europäischen Außengrenzen aber das klare Signal gesendet, dass Afrikaner*innen in der EU nicht erwünscht sind. Hinzu kommt, dass vielen Menschen nach wie vor keine legalen Wege der Migration offenstehen und sich hier in den Verhandlungen zwischen der EU und AU viel zu wenig bewegt hat. Die Omikron-Reisebeschränkungen reihen sich hier also in eine Reihe von Entscheidungen ein, die von afrikanischen Partnern als Affront empfunden wird.

Dies bestärkt den Eindruck, dass Europa es mit der häufig beschworenen „Partnerschaft auf Augenhöhe“ nicht wirklich ernst meint, sondern dass diese Zusammenarbeit nur möglich ist in einem Rahmen, den die EU weiterhin vorgibt, der aber von der afrikanischen Seite nicht gestaltet werden kann. Es ist genau diese Haltung, die auch der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa kritisierte, nachdem Südafrika mit Reisebeschränkungen belegt wurde: die Entscheidungen über die Reisebeschränkungen seien einseitig und ohne richtigen Austausch mit der südafrikanischen Regierung getroffen worden. Südafrika sei vor vollendete Tatsachen gestellt worden, ohne Rücksprache oder der Möglichkeit, gemeinsam mit der EU nach Lösungen zu suchen und die eigene Perspektive umfassend darzulegen.

Sozioökonomische Folgen

Für die südafrikanische Regierung, die mit der frühen Warnung über das Auftreten von Omikron an die Weltgemeinschaft ein Vorbild für die gemeinsame Pandemiebewältigung gesetzt hat, hatten die Reisebeschränkungen sozioökonomische Konsequenzen. Südafrika gehört zu den Ländern weltweit, die von der Pandemie hart getroffen wurden. Nachdem der erste Coronafall gemeldet wurde, verhängte die südafrikanische Regierung einen der härtesten Lockdowns der Welt. Dieser externe Schock traf die ohnehin angeschlagene Wirtschaft hart, die bereits vor Ausbruch der Pandemie in einer Krise steckte. Die ohnehin hohe Arbeitslosenquote stieg in der Folge um fast fünf Prozent – von 29,1 Prozent im vierten Quartal 2019 auf 34,4 Prozent im vierten Quartal 2021. Insbesondere Menschen, die im informellen Sektor tätig sind oder unter prekären Bedingungen arbeiten, wurden von den Lockdowns massiv getroffen, da ihnen die Rücklagen fehlten, um kurzfristige Einkommenseinbrüche zu kompensieren.

Mit großer Hoffnung hatten viele Menschen in Südafrika noch im Oktober 2021 dem Ende der dortigen dritten Welle entgegen geblickt. Die nahende Tourismussaison im südafrikanischen Sommer sollte die Wirtschaft ankurbeln und wieder Gelder ins Land bringen. Doch kurz nachdem die Reisebeschränkungen verhängt wurden, stornierten viele Reisende ihre Buchungen: laut der südafrikanischen Wirtschaftszeitung Business Insider verlor südafrikanische Tourismus- und Gaststättensektor innerhalb von 48 Stunden nach Ankündigung der Reisebeschränkungen rund 1 Milliarde Rand – umgerechnet rund 57 Millionen Euro. Im Dezember 2021 gab es 85 Prozent weniger Flugbuchungen als noch im November 2021, obwohl der Dezember als einer der wichtigsten Monate für die Branche gilt.

Auch andere Wirtschaftszweige – beispielsweise die für Südafrika wichtige Filmindustrie – hatten mit massiven Einbußen zu kämpfen. Was zudem meist übersehen wird ist, dass auch andere Staaten im südlichen Afrika – wie beispielsweise Namibia, Mosambik oder Botswana einen bedeutsamen Teil ihres Bruttoinlandsproduktes aus dem Tourismussektor generieren und somit ebenfalls die ökonomischen Folgen zu spüren bekam. Dies erklärt, warum sich Südafrika für die Warnung über die Virusvariante bestraft fühlte und sich die Nachbarstaaten im südlichen Afrika, aber auch andere Staaten auf dem Kontinent, so deutlich gegen die Entscheidung der EU wehrten. Durch die Rücknahme der Reisebeschränkungen im Januar ist eine wirtschaftliche Erholung in den nächsten Monaten wahrscheinlich, die Wachstumsprognosen fallen aber schlechter aus als noch im Oktober erhofft wurde.

Lektionen für die EU

Die Rücknahme der Reisebeschränkungen im Januar eröffnet die Chance, dass sich der Tourismussektor und andere Wirtschaftssektoren in den betroffenen Staaten im ersten Quartal 2022 stabilisieren und somit die wirtschaftlichen Einbußen mittelfristig abgefedert werden können. Alleine auf die Erholung der Märkte zu setzen, wird angesichts der schwierigen sozioökonomischen Lage in Südafrika und seinen Nachbarstaaten aber nicht ausreichen. Mit konkreten Unterstützungsangeboten an die Staaten im südlichen Afrika könnte die EU zudem in den kommenden Wochen und Monaten deutlich machen, dass Frühwarnung hoch geschätzt und honoriert wird. Dies setzt nicht nur ein Signal an die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den afrikanischen Ländern, sondern auch Anreize in der globalen Pandemiebewältigung.

Insgesamt sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten aus den Ereignissen im November aber weitere Lehren ziehen – einerseits mit Blick auf die globalen Bemühungen, die Pandemie zu bewältigen, aber auch hinsichtlich der angespannten Stimmung zwischen den Kontinenten. Für den – nicht auszuschließenden – Fall, dass weitere Varianten entdeckt werden, sollte die Sinnhaftigkeit von Reisebeschränkungen kritisch reflektiert werden. Auch die WHO hat in einem Statement von Januar 2022 die Sinnhaftigkeit von Reisebeschränkungen in Frage gestellt, weil sie nicht effektiv seien und starke ökonomische und soziale Folgen hätten. Laut einer Studie der London School of Economics (LSE) teilen zudem Expert*innen aus verschiedenen Weltregionen die Einschätzung, dass die Verhängung von Reisebeschränkungen eher negative Anreize für die Bewältigung der Pandemie setze, weil Staaten möglicherweise ihre Ergebnisse nicht mehr frühzeitig teilen könnten.

Die Covid-Pandemie hat die soziale Ungleichheit weltweit verschärft. Dies gilt einerseits für die sozioökonomischen Unterschiede innerhalb von Ländern, aber besonders auch für die Unterschiede zwischen den Kontinenten. Der ungleiche Zugang zu Impfstoffen birgt hier das große Risiko, diese Entwicklungen noch weiter zu verschärfen. Wenn ein Teil der Welt nicht geimpft ist, besteht das Risiko, dass diese Regionen immer weiter abgehängt werden, nicht nur, weil die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung und die damit verbundenen Kosten für die gesundheitliche Versorgung hoch sind, sondern weil Lockdowns mit all ihren wirtschaftlichen und sozialen Risiken eine Option bleiben. Die nigerianische Ärztin und Gesundheitsexpertin Ayaode Alakija, die sich als Sonderbeauftrage der WHO für den Zugang zu weltweiten Zugang zu Covid19-Austattung einsetzt, brachte dies Ende Januar 2022 in der Zeitschrift Nature auf den Punkt:  

„Die Geschichte wird uns verurteilen, wenn wir es nicht schaffen, diesen Virus zu stoppen. Dies ist eine Pandemie der Ungleichheit und Ungerechtigkeit, der Reichen gegen die Armen. Dies ist eine Pandemie der Unmenschlichkeit gegenüber unseren Mitmenschen. Wenn wir die Werkzeuge zur Beendigung dieser Pandemie nicht teilen, werden wir weiter in diesem endlosen Kreislauf verharren.“

Jüngere Entwicklungen könnten nun dazu führen, dass die Diskussion über die Aufhebung von Patenten beim anstehenden EU-AU-Gipfel noch einmal Fahrt aufnimmt. Bislang war eines der zentralen Argumente gegen die temporäre Aufhebung von Patenten, dass afrikanische Firmen nicht die Kapazitäten hätten, die Impfstoffentwicklung und -produktion selbstständig zu organisieren. Anfang Februar meldete nun die südafrikanische Firma Afrigen Biologics and Vaccines, dass es ihr gelungen sei in einem von der WHO unterstützten Projekt, den Impfstoff von Moderna zu imitieren – ohne die Unterstützung von Moderna selbst, aber mit Unterstützung von Wissenschaftler*innen aus aller Welt. Dieser Prozess wird als wichtiger Schritt bei der Impfstoffentwicklung auf dem afrikanischen Kontinent gewertet, auch wenn eine zeitnahe Produktion weder möglich und aufgrund der aktuellen Rechtslage mit Risiken verbunden wäre. Eine größere Offenheit der EU gegenüber dem Vorschlag von Indien und Südafrika könnte sich auch positiv auf das europäisch-afrikanische Verhältnis auswirken. Es könnte eine neue Dynamik in die verfahrenen Beziehungen zwischen den Kontinenten bringen, wenn sich die EU und ihre Mitgliedstaaten – darunter auch Deutschland – dazu durchringen könnten, die temporäre Patentfreigabe ernsthaft in Erwägung zu ziehen.


Der Artikel ist Teil des Brüssler-Dossiers: EU-Africa relations in times of Covid-19.