«Warum ich Landwirtschaft studiere»

Als Klimaaktivistin habe ich im letzten Jahr einen Großteil meiner Zeit damit verbracht, die öffentliche Skandalisierung eines Themas zu erreichen, das 100 Prozent der Bevölkerung direkt betrifft und mit dem sich zugleich 95 Prozent noch nie beschäftigt haben. Es geht um die zukünftige EU-Agrarpolitik und die Frage nach der Rolle der Landwirtschaft bei der Überschreitung planetarer Belastungsgrenzen.

Als Agrarstudentin habe ich nun Kühe gemolken, Bäume gepflanzt, Gemüse geerntet. Ich habe gelernt, wie die gute Zukunft der Landwirtschaft aussehen könnte, wenn es politisch so gewollt wäre. Derweil hat sich die Gesamtzahl der Höfe in Deutschland in den letzten 20 Jahren halbiert, der ohnehin bereits dramatische Zustand der Böden ist durch Extremwetterereignisse weiteren Belastungsproben ausgesetzt. Gleichzeitig haben sich die Preise für Ackerland in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren verdreifacht. Doch darüber gibt es kaum einen öffentlichen Diskurs, kaum Empörung.

Wir als Auszubildende und Studierende sind die nächste Generation, die das Land bewirtschaftet und die Menschen ernähren soll. Das wird jedoch nur noch gut gehen, wenn wir jetzt beginnen, die Art und Weise der (Be-)Wirtschaftung radikal auf den Kopf zu stellen. Wir müssen unsere Gesellschaft grundlegend neu organisieren.

Wir wollen mitbestimmen, wenn es darum geht, wie die Milliarden an EU-Subventionen verteilt werden. Wir wollen mit darüber entscheiden, wie Landwirtschaft Teil der Lösung bei der Bewältigung der Klimakrise sein kann – und wie ein gerechter Zugang zu Land für Bäuer*innen ermöglicht wird.

In Berlin fordert aktuell ein Mieter*innenbündnis die Enteignung von über 240.000 Wohnungen auf Basis des Artikels 15 des Grundgesetzes. Dort heißt es: «Grund und Boden … können zum Zweck der Vergesellschaftung … in Gemeineigentum überführt werden.» Menschen begehren auf gegen ungerechte Eigentums­verhältnisse und eine Praxis der Profitmaximierung auf Kosten ihrer Existenzgrundlage.

Wie wäre es also, wenn wir diese Initiative auf die Landwirtschaft übertrügen? Wenn wir die Macht der Agrarkonzerne über die Entscheidung über das, was mit unseren Böden und mit unserem Essen geschieht, wieder in die Hände der Menschen legen würden?

Wir probieren doch schon längst aus, wie emanzipatorische und solidarische Alternativen zum «Wachse oder Weiche»-System aussehen könnten, was regenerative Landwirtschaft in der Praxis bedeutet, wie wir Höfe genossenschaftlich und partizipativ organisieren können. Wir schaffen bereits neue Erzählungen von einer lebenswerten Zukunft. Und es ist unsere Verantwortung, Dinge, die nicht vorstellbar sind, vorstellbar zu machen.

Also raus auf die Felder! Wir müssen über den Zusammenhang von neo-kapitalistischem Profitzwang, Privatisierung von Boden und Klimakrise reden. Wir müssen erkennen, dass die Wurzeln der verschiedenen Gerechtigkeitskämpfe, ob über Mieten oder die ­Gestaltung der Landwirtschaft, dieselben sind. Wir müssen die Probleme der Landwirtschaft zu unseren Problemen machen. Und gemeinsam für Ernährungssouveränität und Klimagerechtigkeit kämpfen.


Julia Thöring, 22, studiert Ökolandbau in Eberswalde. In den letzten Jahren war sie vor allem bei den «Students for Future» und «Fridays For Future» zu den Themen Landwirtschaft und Klimagerechtigkeit aktiv. Im letzten halben Jahr hat sie auf verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben gearbeitet.

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