Myanmar sechs Monate nach dem Putsch: Johanna Son von Reporting ASEAN spricht mit dem Karikatur-Künstler Lighthouse über die Lage vor Ort und die Rolle von Kunst in der Spring Revolution.

Er braucht manchmal ein paar Stunden, mal einen Tag oder eine ganze Woche, um einen Cartoon für eine Zeitung oder ein Magazin fertigzustellen. Er hat ein Tablet, auf dem er die Geschichten um ihn herum festhält, auch die, die sich seit dem Putsch im Februar 2021 in Myanmar abspielen.
Kurz nach der Machtübernahme durch das Militär explodierten die sozialen Medien und das Internet mit politischen Karikaturen und Satire-Beiträgen, was viele Menschen dazu ermutigte, den Aufstand gegen die Junta fortzusetzen.
Ein halbes Jahr später thematisieren myanmarische Künstler*innen wie "Lighthouse" - sein richtiger Name wird zum Schutz seiner Person nicht genannt - weiterhin in Karikaturen die gesellschaftlichen Krisen, die auf die Wirtschaft, die COVID-19-Pandemie und den Putsch zurückgehen, und zeichnen ein Bild von einem, schon seit der Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft, traumatisierten Land.
Weil die Junta versucht, "die Augen und Ohren" der Bevölkerung zu verschließen, "spielen Karikaturen jetzt noch eine wichtigere Rolle, um wie Leuchttürme die Öffentlichkeit die Wahrheit sehen zu lassen. ", erklärt er.
Krisen können ein Katalysator für viele Künstler*innen sein, das hat man in der Geschichte oft erlebt, und trotzdem müssen sie sich zur Zeit vor allem um das tägliche Überleben und ihre Sicherheit kümmern. “Angst untergräbt die Kreativität”, sagt Lighthouse. "Ich versuche mir daher beim Zeichnen eines Cartoons vorzustellen, dass ich auf einer fernen Insel in einem anderen Land bin".
“Revolution sollte kein Dauerzustand einer Nation sein”, seufzt der Künstler, der in seinen Dreißigern ist, im Gespräch mit Johanna Son von Reporting ASEAN. "Ich würde lieber Karikaturen zu Themen wie Umwelt, Entwicklung, Bildung, Technologie und Gesundheit zeichnen, als über die Revolution", betont der Künstler. "Unser Land ist so weit zurückgeblieben - es sollte keine unendliche Revolution durchmachen müssen."
Johanna: Wie ist das Leben heutzutage in Myanmar? Was ist das erste, was Ihnen in den Sinn kommt, wenn Sie aufwachen?
Lighthouse: Der erste Gedanke am Tag ist: "Ist es sicher für mich, rauszugehen und die Dinge zu tun, die ich mir für den Tag vorgenommen habe?". Außerdem fällt es mir schwer, Facebook-Updates zu lesen, da ich bereits weiß, dass mich dort traurige Nachrichten über Verhaftungen von Zivilisten, Morde und die Pandemie erwarten.”
Kann es in dieser Atmosphäre noch ein kreatives Umfeld geben? Wie schaffen Sie das?
Heutzutage muss ich mich viel mehr darum bemühen, mich bei Laune zu halten, denn die Lage in Myanmar drückt ganz schön auf mein Gemüt. Um ehrlich zu sein, spielt die Angst zur Zeit immer mit und das beeinflusst natürlich auch die Kreativität. Nicht nur für uns Künstler ist es schwierig zu kreieren, auch das Publikum fühlt sich beklemmt und hält sich mit ihrem Feedback durch Likes, Kommentare und Teilen in den Sozialen Medien eher zurück. Deshalb stelle ich mir diese ferne Insel vor, wo ich weit weg bin, und aus der Vorstellung schöpfe ich Konzentration und Inspiration für meine Arbeit.
Unmittelbar nach dem Staatsstreich hat sich der Protest in Liedern, Karikaturen oder Gedichten ausgedrückt. Ist das immer noch so?
Wie Picasso einmal sagte: "Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lässt". Die Militärs haben nun die Print-, Rundfunk- und Online-Massenmedien weitestgehend verboten oder unter eine strenge Zensur gesetzt und versuchen so, die Öffentlichkeit taub und blind zu machen. Karikaturen sind jetzt so etwas wie Leuchttürme geworden und spielen nun eine wichtigere Rolle für die Öffentlichkeit, um die Wahrheit zu sehen.
Wie würden Sie die Stimmung unter den Karikaturist*innen im Land beschreiben?
Der Kampf (ums Überleben) ist härter denn je geworden, was sich auch auf die Stimmung der Karikaturist*innen auswirkt, die sich um ihr Einkommen, ihr Überleben und ihre persönliche Sicherheit sorgen. Das Militär geht mittlerweile mit aller Härte gegen jedes künstlerische Schaffen und jeder Meinungsfreiheit in den Medien vor.
Wie sieht es mit den Arbeitsmöglichkeiten für Künstler*innen aus, insbesondere für unabhängige Künstler*innen?
Unabhängige Karikaturist*innen haben es schwerer als diejenigen, die eine feste Anstellung in Medienhäusern und anderen Unternehmen haben. Wenn Künstler*innen ihre künstlerische Fantasie ausleben können, ohne sich um ein Einkommen sorgen zu müssen, wird ihre Kunst mehr Einfluss haben. Denn ein Vogel, dem ein Stein ans Bein gebunden ist, kann natürlich nicht fliegen.
Krisen und politischer Wandel können ein fruchtbarer Boden für künstlerischen Ausdruck sein, das hat man in der Geschichte schon oft gesehen. Ist das auch in Myanmar der Fall?
Ja, aber man bedenke, dass nur die widerstandsfähigsten Blumen auf rauem Boden blühen können, und dass es unter diesem Umstand keine grosse Artenvielfalt geben kann. Im Idealfall hätten alle Künstler*innen ein friedliches Leben, damit sie sich selbst frei entfalten können. Wenn Kunst gefördert werden würde, hätten Künstler*innen Zugang zu neuen Technologien und könnten ihre Kunst aufwerten. In friedlichen, demokratisch geführten Ländern werden High Tech Medien wie 2D- und 3D-Animation bereits vielfach benutzt.
Ich würde lieber Karikaturen zu Themen wie Umwelt, Entwicklung, Bildung, Technologie und Gesundheit zeichnen, als über die Revolution. Unser Land ist so weit zurückgeblieben - es sollte keine unendliche Revolution durchmachen müssen.
Wie stellen Sie in Ihrer Kunst eine Verbindung zu den Geschehnissen in Ihrem Umfeld her?
Das hängt ganz vom Konzept der Karikatur und von anderen Dingen ab. Zum Beispiel versuche ich, die Hintergründe zu recherchieren, die Situation und wie sie sich entwickelt zu beobachten; mich interessiert auch, was öffentlich diskutiert wird, wie das kollektive Leid und Gefühle ausgedrückt werden. Als Künstler*in sollte man nicht nur bei sich bleiben und sich auf die Fertigstellung des Kunstwerks konzentrieren, sondern man muss hinausgehen und sich umschauen, um neue Ideen zu sammeln.
Wie unterscheidet sich die Protestkunst von heute von früheren Aufständen in Myanmar?
A: Der Studentenaufstand 1988, die Proteste buddhistischer Mönche 2007 und die diesjährige Frühlingsrevolution sind in ihren Ausdrucksformen sehr unterschiedlich. Das hat vor allem mit der Entwicklung von Technologie zu tun. Die Öffentlichkeit ist sich heute der von der Junta verbreiteten Falschinformationen und Gerüchte bewusst, da vertrauenswürdige Influencer*innen, Künstler*innen und Politiker*innen dies in den sozialen Medien reflektieren. Junge Menschen haben ihren Protest in Liedern, Bildern, Straßenkunst, Cartoons und Graffiti ausgedrückt, was die Öffentlichkeit motiviert hat. Insbesondere Jugendliche haben in dieser Frühlingsrevolution durch ihren Aktivismus in den sozialen Medien die Rolle des Informationsministers gespielt und sich als Online-Revolutionäre einen Namen gemacht.
1988 gab es noch nicht viele Burmesen im Ausland. Mittlerweile sind aber viele Burmesen ausgewandert, und was sie online kommunizieren spiegelt sich auch in den Debatten in Myanmar wider.
Inwiefern kann heute Kunst benutzt werden, um das kollektive Trauma aufzuarbeiten, das die Menschen in Myanmar über viele Jahrzehnte hinweg erlitten haben?
Die Frühlingsrevolution wird von Jugendlichen angeführt, der Generation Z, die furchtlos ist. Das hat sie erfolgreicher gemacht, als die meisten Erwachsenen erwartet hatten. Einer der Gründe für ihren Mut ist, dass diese Generation die Repressalien von 1988 und 2007 nicht direkt zu spüren bekommen hat, anders als ältere Generationen, die von den damaligen Geschehnissen traumatisiert und heute eher vorsichtig sind. Wir sollten uns mehr mit der Rolle von Kunst in der Geschichtsaufarbeitung beschäftigen und wie wir das Trauma durch Cartoons, Kunst und Musik verarbeiten können - auch um die nächsten Generationen zu schützen. Kunst kann die Wunden der Vergangenheit zwar nicht gänzlich heilen, aber sie ist eventuell das beste Mittel, um mit Traumata umzugehen.
Welche Gedanken machen Sie sich über Ihren Beruf, insbesondere in Hinblick auf die Militärherrschaft, die ja noch Jahre andauern könnte?
Die Kunstszene in Myanmar könnte eine Generationenlücke erleiden, denn es ist zu erwarten, dass unter den aktuellen Umständen viele Künstler*innen das Land verlassen werden. Nach dem Putsch von 1988 sind viele gebildete Menschen ausgewandert, was mit dazu geführt hat, dass unser Land zu einem der ärmsten der Welt wurde. Den Militärs macht es nichts aus, wenn gebildete Menschen, Künstler*innen und Politiker*innen das Land verlassen; ganz im Gegenteil, denn das erleichtert die Machtkontrolle. Überhaupt interessieren sie sich nur für ihren eigenen Reichtum, nicht aber für die Entwicklung des Landes.
Übersetzung vom Englischen ins Deutsche: Caroline Bertram
Die digitale Erstveröffentlichung des Interviews finden Sie auf www.reportingasean.net.
Lighthouse, 30, ist ein professioneller Karikaturist und Graphikdesigner aus Myanmar. Anfänglich zeichnete er Cartoons auf Papier, mittlerweile auf seinem Tablet. Aus Sicherheitsgründen verwendet er ein Pseudonym.