Weltflüchtlingstag: Einige persönliche Gedanken aus Griechenland

Kommentar

Weltflüchtlingstag - ein Tag, der bereits im Jahr 2001 gewählt wurde, um die Genfer Flüchtlingskonvention zu ehren und die Welt an die Not der Flüchtlinge weltweit zu erinnern. In diesem Jahr gibt es zwei Jubiläen: den 20. Weltflüchtlingstag und den 70. Jahrestag der Genfer Konvention. Dies ist ein guter Zeitpunkt, um über den Stand des weltweiten und europäischen Schutzes von Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, nachzudenken.

Der diesjährige Weltflüchtlingstag war der 20. seit seiner Einführung im Jahr 2001. Er wurde ursprünglich initiiert um die Welt an die Not der Flüchtlinge weltweit zu erinnern und um die Genfer Flüchtlingskonvention zu ehren, die dieses Jahr wiederum ihren 70. Jahrestag feiert.

Ein guter Zeitpunkt also, um innezuhalten und um über den Stand des Schutzes von Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, zu reflektieren. Von Thessaloniki, Griechenland, wo ich gerade angekommen bin, um für die Heinrich-Böll-Stiftung ein neues Programm zur europäischen Flüchtlingspolitik aufzubauen, sieht die Welt anders aus als von Berlin aus, wo ich mich lange Zeit mit dem Thema beschäftigt habe. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass diejenigen, die am meisten von der EU-Migrationspolitik betroffen sind, gerade nicht diejenigen sind, die die europäische Asylpolitik entwickeln und beschließen.

Mit Blick auf Griechenland werden die immensen Auswirkungen von EU-Entscheidungen - oder manchmal auch das Verschleppen nötiger Entscheidungen - sowohl auf die EU-Mitgliedstaaten als auch und vor allem auf diejenigen, die hier auf der Suche nach Schutz ankommen, deutlich sichtbar.

Eine Insel wird zum Schauplatz Europäischer Flüchtlingspolitik

Das erste Mal, dass ich im Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation nach Griechenland kam, war im Jahr 2015. Das Jahr, in dem die sogenannte "Flüchtlingskrise" begann. Es war Dezember und ich begleitete die flüchtlingspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Wir besuchten die Insel Lesbos, die damals die Anlaufstelle für zahlreiche Menschen aus Syrien, Irak und Afghanistan war, die jeweils zerstörerische Kriege aus ihren Heimatländern vertrieben hatten.

Zwei Dinge waren besonders bemerkenswert an der Insel: Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft sowohl der Bewohner*innen von Lesbos als auch der Freiwilligen aus aller Welt. Erstere identifizierten sich oft mit den Geflüchteten und hatten viel Empathie, häufig aufgrund ihrer eigenen familiären Fluchtgeschichte, und letztere strömten aus Solidarität und dem Wunsch zu helfen auf die Insel. Von der Seenotrettung über die Versorgung mit Lebensmitteln bis hin zu Clowns die zwischen UNHCR-Zelten, versuchten Kinder aufzuheitern - die internationale Solidarität und das zivile Engagement waren beeindruckend, ebenso wie das Fehlen einer angemessenen staatlichen Reaktion der meisten EU-Mitgliedsstaaten.

Damals verbrachten die Geflüchteten durchschnittlich 48 Stunden auf der Insel, bevor sie auf das Festland weiterzogen und ihren Weg über die sogenannte Balkanroute fortsetzten. Das war vor den Grenzschließungen auf dem Balkan und vor der EU-Türkei-Vereinbarung. Als ich 2019 zum zweiten Mal auf Lesbos war, war das Lager Moria ein EU Hotspot und bereits der berüchtigte Ort, den die Migranten am Ende als "Hölle" bezeichneten. Mittlerweile mussten Schutzsuchende dort jahrelang unter unmenschlichen Bedingungen ausharren, ohne eine Perspektive. Die meisten der freiwilligen Helfer*innen waren zu diesem Zeitpunkt genauso verschwunden, wie die anfängliche Gastfreundschaft der Inselbewohner. Die Situation wurde nicht mehr als außergewöhnliche Notlage bewertet, sondern als andauerndes und selbst geschaffenes Chaos.

Es scheint als sei der Missstand gewünscht zwecks Abschreckung potentieller Neuankömmlinge, zumal die derzeitige griechische Regierung wenig Interesse daran zeigt, die Situation der Menschen zu verbessern.[1] Sie konzentriert sich eher auf die Reduzierung der Zahl der neu Ankommenden. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass es die EU Vereinbarung mit der Türkei war, die die Hotspots auf den Ägäis-Inseln zu Sackgassen für Tausende von Menschen, darunter besonders schutzbedürftige Flüchtlinge werden ließ.

"Keine Morias mehr" leichter gesagt als getan

Als die Europäische Kommission im vergangenen Herbst ihren Vorschlag für eine längst überfällige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vorstellte, behauptete sie, es solle "keine Morias mehr" geben. Wenn ich mir ihren Vorschlag für die Grenzverfahren genauer ansehe, kann ich nur neue und potentiell noch schlimmere Moria-Lager am Horizont sehen. Das neue Paket für Migration und Asyl der Kommission konzentriert sich eher auf Rückführungen und Grenzmanagement als auf diejenigen, die wirklich im Mittelpunkt stehen müssten: die Geflüchteten selbst.

Es ist bezeichnend, dass diejenigen, denen vorgeworfen wird, das Feuer, das letztes Jahr das Lager Moria niedergebrannt hat, gelegt zu haben, - drei von ihnen waren zum Zeitpunkt der Verhaftung noch Kinder – kürzlich von einem griechischen Gericht ohne fairen Prozess zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt wurden.[2] In Ermangelung gemeinsamer europäischer Lösungen neigen konservative Regierungen wie die griechische dazu, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen - mit fatalen Folgen für die Menschen auf der Flucht, aber oft auch für die am stärksten betroffenen lokalen Gemeinden.

Die griechische Regierung hat kürzlich beschlossen, die Türkei als sicheres Drittland für Staatsangehörige aus Afghanistan, Syrien, Somalia, Bangladesh und Pakistan  zu erklären.[3] Dies hat Auswirkungen auf zwei Drittel aller Asylanträge in Griechenland, so dass die Mehrheit derjenigen, die Griechenland erreichen, ohne weitere Befassung ihres Asylananliegens in die Türkei zurückgeschickt werden kann. Außerdem haben die griechischen Behörden die Zahl der Ankünfte in Griechenland dadurch gesenkt, dass sie Menschen unter Verletzung von EU- und internationalem Recht zurückgeschoben haben. Pushbacks an der See- oder Landgrenze mit oder ohne Beteiligung der EU-Grenzschutzagentur Frontex sind immer wieder zu verzeichnen. Diese wurden kürzlich vom UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten, Felipe González Morales, verurteilt, der die griechische Staatsanwaltschaft aufforderte, in 147 solcher Fälle zu ermitteln.[4] Gleichzeitig beschwerten sich unlängst sechs nördliche EU-Mitgliedsstaaten in einem Brief an die EU-Kommission über Griechenland. Nicht etwa, wie man annehmen könnte, wegen der illegalen Pushbacks, bei denen Tausende von Menschen ihr Leben riskieren, sondern wegen der "Sekundärbewegungen" von Griechenland auf ihr Territorium.[5]

Wenn wir also den Weltflüchtlingstag und die Flüchtlingskonvention von 1951 feiern, dann sollten wir bei aller Würdigung der Errungenschaften der internationalen Gemeinschaft nicht vergessen, dass die Konvention und ihre Grundwerte in diesen Tagen unter starkem Druck stehen und teilweise untergraben werden, und das leider nicht nur in Griechenland. Diese Feststellung muss uns alle alarmieren. Wir in Europa können nicht ignorieren, was an unseren Außengrenzen geschieht. Aber es wäre auch zu kurz gegriffen, die Verantwortung für Verstöße bei den Frontstaaten zu suchen. Wir alle müssen uns anstrengen, wenn wir die Flüchtlingskonvention mit Leben füllen wollen.


Zur Autorin

Neda Noraie-Kia leitet seit Dezember 2020 das Programm Migration und Flucht Europa, aus Thessaloniki, Griechenland. Ziel dieses neuen Regionalprogramms ist es Geflüchtete sowie die Zivilgesellschaft und die aufnehmenden Gemeinden in der Region, von der Türkei, über Griechenland und den Westbalkan, besser zu vernetzen und zu stärken. Gleichzeitig geht es darum, ihren Perspektiven, praktischen Erfahrungen und politischen Ideen und Konzepten Sichtbarkeit und Anerkennung durch Entscheidungsträger*innen in der EU zu verschaffen. Zuvor war sie unter anderem Büroleiterin der flüchtlingspolitischen Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag sowie als Beraterin für die GIZ im Nahen Osten.