Bildungsgerechtigkeit in einer digitalisierten Welt - Herkunftsbedingte Unterschiede und Perspektiven für Schule und Unterricht

Wie unter einem Brennglas hat die Coronakrise gezeigt, wie viel bei der digitalen Bildung in Deutschland noch im Argen liegt. Julia Gerick (Technischen Universität Braunschweig) beschreibt, was sich ändern muss, damit sich herkunftsbedingte Unterschiede nicht weiter verschärfen und Schüler/innen die nötigen Kompetenzen erwerben, um in einer digitalisierten Gesellschaft bestehen zu können.

Dieser Artikel ist Teil unseres Dossiers "Digitale Schule: Lektionen aus der Pandemie".

Digitalisierung Schule

In der Zeit der pandemiebedingten Schulschließungen in Deutschland im Frühjahr 2020 sowie Anfang 2021 rückte die Relevanz des Elternhauses noch einmal ganz besonders in den Blick. So befürchteten der Studie „Schule auf Distanz“ zufolge damals mehr als die Hälfte der Lehrkräfte und speziell fast zwei Drittel der Grundschullehrer/innen, dass der Einfluss des Elternhauses auf die schulischen Leistungen der Schülerinnen und Schüler durch die Verlagerung des Unterrichts nach Hause größer geworden sei und bestehende soziale Ungleichheiten sich so verschärfen könnten. Unter den im Rahmen des Deutschen Schulbarometers Spezial zur Corona-Krise befragten Lehrkräften waren sogar fast 90 Prozent der Ansicht, dass sich die Auswirkungen sozialer Ungleichheit aufgrund der unterschiedlichen Unterstützungsmöglichkeiten durch die Eltern verstärken würden. Dagegen vermutete mit 36 Prozent lediglich ein gutes Drittel, dass die Schulschließungen insgesamt zu deutlichen Lernrückständen führen könnten.

Die Nutzung digitaler Medien ist in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen und hat im Pandemiejahr 2020 einen Höhepunkt erreicht, wie die Studienergebnisse des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest eindrucksvoll zeigen. Weder der reine Besitz digitaler Medien noch deren Nutzung führen jedoch per se dazu, dass Kinder und Jugendliche kompetent mit den neuen Technologien umgehen können, wie die Ergebnisse der International Computer and Information Literacy Study (ICILS) deutlich machen. In dieser international vergleichenden Schulleistungsuntersuchung wurden 2018 zum zweiten Mal auf einer repräsentativen Datengrundlage die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Jugendlichen untersucht.

Die Befunde sind dabei in zweifacher Hinsicht ernüchternd: Zum einen liegen die untersuchten Achtklässler/innen in Deutschland mit ihren mittleren computer- und informationsbezogenen Kompetenzen im internationalen Vergleich lediglich im internationalen Mittelfeld. Ein Drittel von ihnen erreicht nur die untersten beiden Kompetenzstufen: Diese Schülerinnen und Schüler sind damit zu kaum mehr in der Lage, als einen Link anzuklicken und Inhalte an einer Stelle zu kopieren, um sie an anderer Stelle wieder einzufügen („copy und paste“). Sie verfügen damit nicht über die notwendigen Kompetenzen, um erfolgreich an einer immer stärker digitalisierten Gesellschaft teilhaben zu können.

Zum anderen haben sich im Hinblick auf den mittleren Kompetenzstand in Deutschland seit der ersten ICILS-Erhebung im Jahr 2013 keine signifikanten Veränderungen ergeben. Es ist im deutschen Bildungssystem somit in einem Zeitraum von fünf Jahren nicht gelungen, die Förderung der digitalen Kompetenzen von Schüler/innen so in der Breite zu verankern, dass sich dies in den Ergebnissen der Studie im Jahr 2018 widergespiegelt hätte.

Soziale Herkunft und digitale Teilhabe hängen zusammen

Damit stellt sich zum einen die Frage nach Bildungsteilhabe und -gerechtigkeit in einer digitalisierten Welt. Zum anderen wird deutlich, welche Bedeutung der Schule in diesem Kontext zukommt. Im Bildungsbericht 2020 heißt es dazu:

„Und schließlich ist […] im Sinne der gesellschaftlichen Teilhabe und Chancengleichheit sicherzustellen, dass die Bildungseinrichtungen möglichen Benachteiligungen im Zugang, in der Aneignung und im Umgang mit der Digitalisierung entgegenwirken.“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2020, S. 231).

In noch verschärfterer Form stellt sich die Situation dar, wenn man die digitalen Kompetenzen differenziert nach der sozialen Herkunft der Schüler/innen betrachtet. Prof. Dr. Birgit Eickelmann verdeutlichte dies bereits 2015 in ihrer Expertise „Bildungsgerechtigkeit 4.0“ für die Heinrich-Böll-Stiftung auf Grundlage vertiefender Ergebnisse aus ICILS 2013.

Studienergebnisse zur Bildungsbenachteiligung

Aus der bisherigen Schulleistungsforschung ist hinlänglich bekannt, dass die soziale Herkunft besonders eng mit dem Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang steht und damit einen zentralen Faktor für die Herstellung von Bildungsteilhabe und -gerechtigkeit darstellt.

Daher liegt der Fokus im Folgenden auf herkunftsbedingten Disparitäten. Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass es diesbezüglich weitere Dimensionen gibt, beispielsweise die Kategorien Migrationshintergrund oder Geschlecht.

Unter Berücksichtigung verschiedener Konzeptionen zur Charakterisierung sozialer Ungleichheiten lassen sich vier Dimensionen eines digital divide – einer „digitalen Spaltung“ – unterscheiden (ICILS, 2019, S. 303).

Dimensionen digitaler Spaltung

  1. Materieller und physischer Zugang: Damit sind der Besitz von und die Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Geräten (wie beispielsweise Desktop-Computer, Laptops, Tablets, Smartphones), aber auch Software sowie die Verfügbarkeit einer Internetverbindung gemeint.

  2. Motivation: Hierunter fallen Einstellungen und Werthaltungen gegenüber digitalen Medien sowie Motive zur deren Nutzung, etwa zur Unterhaltung, zur Informationssuche, zum Lernen/Arbeiten oder zum sozialen Austausch.

  3. Nutzung: Dieser Aspekt zielt auf Häufigkeit und Dauer der Nutzung digitaler Medien sowie auf die Vielfalt der Anwendungen (z. B. Office-Programme, Internetbrowser, E-Mail-Programme, Chats und Foren).

  4. Digitale Kompetenzen: Damit ist ein kompetenter Umgang mit digitalen Medien gemeint, wie er beispielsweise im Rahmen der Studie ICILS 2018 mit den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen gemessen wurde.

Orientiert an diesen vier Dimensionen werden im Folgenden aktuelle Befunde aus ICILS 2018 für Deutschland vorgestellt. Zur Messung der sozialen Herkunft wird dabei der Buchbestand im Elternhaus als Indikator für das kulturelle Kapital der Schülerinnen und Schüler bzw. ihrer Familien verwendet. Auch wenn es in Zeiten nahezu unbegrenzter Zugangsmöglichkeiten zu elektronischen Texten und Büchern auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen mag, handelt es sich dabei noch immer um einen der wirksamsten Indikatoren, da er es erlaubt, differenzierte Analysen zu Zusammenhängen und Wirkungen der sozialen Herkunft festzustellen. Differenziert wird dabei im Rahmen von ICILS 2018 zwischen Schülerinnen und Schülern, denen zu Hause maximal 100 Bücher (Kategorie: niedriges kulturelles Kapital) und solchen, denen mehr als 100 Bücher (Kategorie: hohes kulturelles Kapital) zur Verfügung stehen.

1. Zugang zu technischer Ausstattung

Im Hinblick auf den Zugang zu digitalen Medien zeigen die Ergebnisse aus ICILS 2018 keine herkunftsbedingten Unterschiede. Betrachtet wurde ein sogenannter optimaler Zugang, der Desktop-Computer oder Laptops, aber auch Tablet-Geräte und eine häusliche Internetverbindung umfasst. Der Anteil der Achtklässler/innen, die darüber verfügen, beträgt in Familien mit hohem kulturellem Kapital 68 %. Das Ergebnis für die Jugendlichen aus Familien mit niedrigem kulturellem Kapital fällt mit 64 % lediglich vier Prozentpunkte geringer aus und unterscheidet sich statistisch nicht signifikant. Damit zeigt sich für Deutschland ein günstigeres Bild als im internationalen Mittel, wo die Differenz mit zehn Prozentpunkten zuungunsten der Jugendlichen mit niedrigem kulturellem Kapital signifikant größer ausfällt.

2. Einstellungen zur Digitalisierung

Hier werden mögliche herkunftsbedingte Unterschiede von Einstellungen und Orientierungen zur Digitalisierung betrachtet, und zwar insbesondere solche mit einem möglichen Einfluss auf die Berufswahl (vgl. Abb. 1). Der zentrale Befund für Deutschland lautet: In den Zustimmungswerten zeigen sich weder für die erste noch für die zweite Aussage, die den Befragten zur Einschätzung vorgelegt wurde, signifikante Unterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern mit hohem und solchen mit niedrigem kulturellem Kapital.

 

Abbildung 1: Einstellungen von Schüler/innen

Abbildung 1_Tabelle

Quelle: ICILS Studie 2018, S. 322, Tabelle 10.2.

3. Nutzungshäufigkeit digitaler Medien

Bei der Nutzungshäufigkeit digitaler Medien lassen sich drei Formen unterscheiden (vgl. Abb. 2): die Häufigkeit der Nutzung digitaler Medien in der Schule für schulbezogene Zwecke, außerhalb der Schule für schulbezogene Zwecke sowie außerhalb der Schule für andere Zwecke. Während sich in Bezug auf die Nutzungshäufigkeit für schulbezogene Zwecke sowohl inner- wie außerhalb der Schule keine signifikanten Unterschiede feststellen lassen, zeigen sich bei der Nutzung außerhalb der Schule für andere Zwecke herkunftsbedingte Unterschiede zugunsten der Schülerinnen und Schüler mit hohem kulturellem Kapital (95,5 % vs. 89,2 %).

 

Abbildung 2: Nutzungshäufigkeit digitaler Medien

Abbildung 2_Tabelle

Quelle: ICILS Studie 2018, S. 318, Tabelle 10.1. Anteile der zusammengefassten Kategorie „Mindestens einmal in der Woche“.

4. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen

Die Ergebnisse aus ICILS 2018 zeigen, dass es systematische herkunftsbedingte Disparitäten in den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Achtklässler/innen zuungunsten derjenigen gibt, deren Familien über ein niedriges kulturelles Kapital verfügen (vgl. Abb. 3). Der Unterschied zwischen beiden Gruppen ist erheblich und fällt international nur in Uruguay höher aus als in Deutschland. Besorgniserregend ist zudem der Befund, dass sich seit 2013 in Deutschland diesbezüglich keine Veränderungen ergeben haben, die auf eine Reduzierung dieses massiven Kompetenzunterschieds hindeuten.

 

Abbildung 3: Leistungsdifferenzen der Schüler/innen nach kulturellem Kapital 

Balkendiagramm Leistungsdifferenzen der Schüler/innen nach kulturellem Kapital

Quelle: ICILS Studie 2018, S. 312, Abbildung 10.1., leicht modifiziert

 

Neben dem mittleren Kompetenzniveau lohnt ein differenzierter Blick auf die Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die unterschiedlichen Kompetenzstufen (vgl. Abb. 4). Für die Erhebung im Jahr 2018 wird ersichtlich, dass es hier deutliche herkunftsbedingte Unterschiede gibt: Auf den beiden unteren Kompetenzstufen fällt der Anteil der Achtklässler/innen aus Familien mit niedrigem kulturellem Kapital jeweils mehr als doppelt so hoch aus wie der entsprechende Anteil von Schüler/innen aus Familien mit hohem kulturellem Kapital. Der Anteil derjenigen, die maximal Kompetenzstufe II erreichen, liegt für die Gruppe der Schüler/innen mit niedrigem kulturellem Kapital bei 43 %. Sie verfügen damit lediglich über vorwiegend rezeptive Fertigkeiten und (sehr) einfache Anwendungskompetenzen im Umgang mit digitalen Medien sowie über basale Wissensbestände und Fertigkeiten in Bezug auf das Bearbeiten von Dokumenten und das Identifizieren von Informationen. Für die Gruppe mit hohem kulturellem Kapital liegt der Anteil der Schüler/innen, die lediglich die unteren beiden Kompetenzstufen erreichen, dagegen mit knapp 19 % weniger als halb so hoch.

 

Abbildung 4: Kompetenzstufen der Schüler/innen nach kulturellem Kapital

Diagramm Kompetenzstufen der Schüler/innen nach kulturellem Kapital

Quelle: ICILS Studie 2018, S. 314, Abbildung 10.2., leicht modifiziert

Zwischenfazit

Aus den Befunden von ICILS 2018 lassen sich damit im Hinblick auf die technische Ausstattung, auf digitalisierungsbezogene Einstellungen sowie auf die Nutzungshäufigkeit digitaler Medien kaum bzw. keine herkunftsbedingten Disparitäten feststellen. Umso frappierender sind die herkunftsbezogenen Unterschiede allerdings ausgerechnet in Bezug auf jene computer- und informationsbezogenen Kompetenzen, die für eine erfolgreiche Teilhabe an einer digitalisierten Welt von hoher Bedeutung sind.

Perspektiven auf Bildungsteilhabe

Es ist deutlich geworden, dass es in Bezug auf einen digital divide um mehr geht als um die Verfügbarkeit digitaler Technologien in Form von Hardware. In ihrem Aufsatz zu Aspekten und Herausforderungen der digitalen Gleichheit („Issues and Challenges Related to Digital Equity“) entwickelten Paul Resta und seine Coautor/innen 2018 das Konzept der digital equity im Bildungskontext, das fünf Dimensionen umfasst.

Fünf Dimensionen digitaler Bildungsteilhabe

  1. Infrastruktur: Zugang zu Hardware, Software und Internetanbindung

  2. Inhalte: Zugang zu sinnvollen, qualitativ hochwertigen und kulturell relevanten Inhalten

  3. Verarbeitung: Zugang zur Erstellung, Verbreitung und zum Austausch digitaler Inhalte

  4. Unterstützung: Zugang zu Lehrkräften, die wissen, wie man mit digitalen Werkzeugen und Ressourcen umgeht.

  5. Forschung: Zugang zu hochwertiger Forschung über die Anwendung digitaler Technologien zur Verbesserung des Lernens.

Im Folgenden werden vor dem Hintergrund dieses Modells einige aktuelle Perspektiven in Bezug auf die Herstellung von Bildungsteilhabe und -gerechtigkeit in einer digitalisierten Welt in Deutschland betrachtet.

Dimension 1: Infrastruktur

Investitionen in zukunftsfähige digitale Bildungsinfrastruktur an Schulen sind dringend erforderlich. Sie lassen sich aber auch mit hoch dotierten Programmen nicht ad hoc errichten.

In Bezug auf den Zugang zu Hardware, Software und Internetanbindung machte die Zeit der pandemiebedingten Schulschließungen wie unter einem Brennglas die Probleme sichtbar: Dies galt sowohl im Hinblick auf das (Nicht-)Vorhandensein einer IT-Infrastruktur in den Elternhäusern der Schüler/innen als auch ganz konkret hinsichtlich einer für das Lernen unterstützenden Ausstattung (z. B. Laptop oder Tablet mit Tastatur statt Smartphone mit kleinem Display). Für die Lehrkräfte, die im Rahmen des Deutschen Schulbarometers Spezial zur Corona-Krise befragt wurden, stellte der Mangel an digitaler Ausstattung der Schüler/innen die größte Herausforderung während der pandemiebedingten Schulschließungen im Frühjahr 2020 dar. Die unterschiedliche Verfügbarkeit von IT-Ausstattungen und Internetanbindungen führte dazu, dass nicht alle Schüler/innen zu Hause auf digitalem Weg erreicht werden konnten. Die Erfahrungen aus dem Frühjahr 2020 haben damit deutlich gemacht, dass nicht alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland über eine häusliche IT-Ausstattung verfügen, um auf digitalem Weg an Lerngelegenheiten teilhaben zu können.

Zusätzliche Hilfen

Diese Erkenntnis schlug sich auf bildungspolitischer Ebene in der Verabschiedung der „Corona-Hilfe II: Sofortprogramm Endgeräte“ nieder. So wurden im Rahmen des Programms „DigitalPakt Schule“ im Juli 2020 zusätzlich 500 Millionen Euro für Schülerinnen und Schüler bereitgestellt, die zu Hause nicht auf ein mobiles Endgerät zugreifen können. Was die unmittelbare Einsetzbarkeit der Mittel für die Unterstützung der Schulen vor Ort angeht, liegen Wunsch und Wirklichkeit aktuell allerdings noch recht weit auseinander Das Potenzial mobiler Geräte (z. B. Tablets) aus lerntheoretischer und didaktischer Sicht liegt darin, schulische und außerschulische Lernräume zu verzahnen und individualisierte Lernsettings zu unterstützen.

Dimension 2: Inhalte

Nicht minder bedeutsam als die Infrastruktur sind – idealerweise lizenzfreie – Lehr- und Lernmaterialien, die individualisiertes Lernen ermöglichen. Noch fehlen jedoch didaktische Ansätze, wie sich sozial bedingte Ungleichheiten in den digitalen Kompetenzen ausgleichen und reduzieren lassen.

Hinsichtlich des Zugangs zu sinnvollen, qualitativ hochwertigen und kulturell relevanten Inhalten können in Deutschland in den letzten Jahren verschiedene Aktivitäten und Initiativen beobachtet werden. Vor dem Hintergrund, dass digitale Medien nicht nur Zugang zu freizeit-, sondern eben auch zu bildungsbezogenen Inhalten bieten, erscheint die Bereitstellung entsprechender Inhalte für alle Kinder und Jugendlichen als zentrale Herausforderung. Hier sind Aktivitäten zu nennen, die sich auf die Entwicklung und Bereitstellung von digitalen Bildungsmedien beziehen, etwa in Form von digitalen Schulbüchern oder Bildungsmediatheken auf Länder- oder Bundesebene (z. B. mundo.schule).

Besondere Bedeutung kommt hier den Open Educational Ressources (OER) zu, also Lehr-Lernmaterialien, die frei oder mit einer freien Lizenz bereitgestellt werden. Dass der Zugang zu digitalisierten Lerninhalten eine besondere Herausforderung in Deutschland darstellt, wurde insbesondere zur Zeit der Schulschließungen im Frühjahr 2020 sichtbar. Ergebnisse des Deutschen Schulbarometers Spezial zur Corona-Krise zeigen, dass das zweitgrößte Problem durch die Schulschließungen in der Erstellung und Vermittlung geeigneter digitaler Unterrichtsinhalte lag. Dies betrifft insbesondere die Bereitstellung differenzierter Materialien, um allen Schülerinnen und Schülern Lernprozesse zu ermöglichen und sie je nach Bedarf zu unterstützen. Dass der Zugang zu digitalen Inhalten hochbedeutsam ist, wurde auch auf bildungspolitischer Ebene erkannt. So wurde im Mai 2020 für die Zeit der Schulschließungen die „Corona-Hilfe I: Förderung von Content“ bereitgestellt.

Entwicklung didaktischer Ansätze

In der Fachdiskussion wird immer wieder das große Potenzial digitaler Medien hervorgehoben, Lernen so zu individualisieren, dass alle Schülerinnen und Schüler bestmöglich gefördert werden können. Die Entwicklung konkreter didaktischer Ansätze, mit denen sich sozial bedingte Ungleichheiten in den digitalen Kompetenzen reduzieren lassen, steht jedoch noch weitgehend aus.

Dimension 3: Verarbeitung

Zugangs- und Teilhabemöglichkeiten hängen nicht zuletzt von der Schaffung geeigneter Schul- und Lernplattformen ab, wie sie während der pandemiebedingten Schließungen in vielen Bundesländern entwickelt wurden. Sie eröffnen nicht nur Möglichkeiten zum Austausch digitaler Inhalte unter den Lehrkräften sowie zwischen Lehrkräften und Schüler/innen, sondern erlauben auch neue Formen der Einbeziehung von Eltern.

In Bezug auf den Zugang zur Erstellung, Verbreitung und zum Austausch digitaler Inhalte können für Deutschland digitale Lern- und Arbeitsplattformen bzw. Lernmanagementsysteme angeführt werden, die in den letzten Jahren in Schulen an Bedeutung zunehmen – trotz diverser Hürden und Fehlschläge. Dabei bieten solche digitalen Plattformen die Möglichkeit – entweder nur für Lehrkräfte oder auch für Schülerinnen und Schüler –, Materialien und Inhalte verfügbar zu machen, untereinander auszutauschen und zum Teil auch gemeinsam zu erstellen. Inzwischen bieten mehrere Bundesländer ihren Schulen digitale Plattformen an (z. B. Bayern: Mebis; Hamburg: eduPort; Nordrhein-Westfalen: LOGINEO NRW LMS; Sachsen: LernSax). Außerdem befinden sich derzeit mehrere ländereigene digitale Schulplattformen in der Erprobung (z. B. Niedersachsen: Niedersächsische Bildungscloud; Rheinland-Pfalz: Schulcampus RLP). Darüber hinaus gibt es einige, je nach Region externe Lösungen (z. B. IServ, SchulCommSy oder itslearning), die zum Teil parallel laufen.

Erweiterte Möglichkeiten der Teilhabe 

Die Zeit der Schulschließungen im Frühjahr 2020 hat in Bezug auf die Zugangsmöglichkeiten zu Lern- und Arbeitsplattformen einen wichtigen Schub gegeben und zudem die Bedeutsamkeit des digitalen Austauschs von Inhalten umso deutlicher gemacht. Schul- oder Lernplattformen können Zugangs- und Teilhabemöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen schaffen. Während der Schulschließungen haben viele Schulen auch die Erfahrung gemacht, dass über entsprechende Plattformen nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch deren Eltern besser erreicht und damit an dieser Stelle erweiterte Möglichkeiten der Teilhabe eröffnet werden können.

Dimension 4: Unterstützung

Lehrkräfte spielen eine entscheidende Rolle dabei, ob, zu welchen Zwecken und in welcher Weise digitale Medien in den Unterricht integriert und mit wie viel Nachdruck digitale Kompetenzen gefördert werden. Um Schülerinnen und Schülern die Teilhabe an einer digitalisierten Welt zu ermöglichen, kann ihre Bedeutung somit nicht hoch genug eingeschätzt werden. Im Modell der digital equity stellt der Bereich der digitalisierungsbezogenen Professionalisierung von Lehrenden daher eine zentrale Stellschraube dar.

Dabei sei an dieser Stelle jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das unterrichtliche Handeln von Lehrkräften stets im Kontext der pädagogischen und technischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Schule zu sehen ist. Damit tragen auch andere schulische Akteur/innen, insbesondere die Schulleitung, maßgeblich dazu bei, dass Bildung in einer digitalisierten Welt ermöglicht wird.

Damit Lehrkräfte digitale Medien im schulischen Alltag nutzen können, müssen sie zunächst selbst über entsprechende Kompetenzen verfügen. Die Bedeutsamkeit der Kompetenzen von Lehrkräften spiegelt sich in Deutschland aktuell unter anderem in der Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ der Kultusministerkonferenz wider. Darin wurde mit Blick auf die Lehrkräfte das Ziel formuliert, dass die Kompetenzentwicklung der Lehrkräfte über alle Phasen der Lehrerbildung erfolgen soll. An dieser Stelle können auch die überarbeiteten Standards für die Lehrerbildung der KMK für die Bildungswissenschaften angeführt werden, in denen entsprechende Kompetenzen für den Einsatz digitaler Medien in Lehr- und Lernprozessen festgeschrieben sind. Auch die Herstellung von Bildungsteilhabe in einer digitalisierten Welt wird explizit als Kompetenzbereich (angehender) Lehrerinnen und Lehrer definiert, wie beispielsweise aus dem Orientierungsrahmen für die Lehreraus- und -fortbildung in Nordrhein-Westfalen hervorgeht. Im Handlungsfeld „Lernen und Leisten fördern“ findet sich hier explizit eine Kompetenz in Bezug auf Bildungschancen. Dort heißt es:

„Die besondere Relevanz von Medienkompetenz für Bildungsprozesse und das lebenslange Lernen erkennen, reflektieren und für Schule und Unterricht im Hinblick auf bestmögliche Bildungschancen für alle Schülerinnen und Schüler verantwortungsvoll gestalten“ (ebd. S.15).

Dimension 5: Forschung

Schließlich stellt der Zugang zu hochwertiger Forschung über die Anwendung digitaler Technologien zur Verbesserung des Lernens die fünfte Säule einer digital equity dar. In der empirischen Bildungsforschung in Deutschland erfährt in den letzten Jahren kaum ein anderes Forschungsfeld solche Aufmerksamkeit wie der Bereich der Digitalisierung: So wurden allein zwischen September 2018 und Anfang Dezember 2020 durch ein entsprechendes Forschungsprogramm des Bildungsministeriums 49 Forschungsprojekte zur Digitalisierung im Bildungsbereich gefördert. Diese setzen auf ganz unterschiedlichen Ebenen des Bildungssystems an und nehmen unter anderem die Bereiche Bildung in Kindheit, Jugend und Familie, schulische Bildung, berufliche Bildung sowie Lehrerbildung in den Blick.

Unter der Perspektive der Herstellung von Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit in einer digitalisierten Welt sei an dieser Stelle das Projekt UneS-ICILS (Unerwartet erfolgreiche Schulen im digitalen Wandel) an der Universität Paderborn erwähnt. In seinem Rahmen sollen ICILS-2018-Schulen untersucht werden, die gleichzeitig zwei vermeintlich widersprüchliche Rahmenbedingungen aufweisen: erstens einen besonders hohen Anteil an Schüler/innen mit geringem sozioökonomischem Status und zweitens überdurchschnittlich hohe Werte bei computer- und informationsbezogenen Kompetenzen. Untersucht werden soll, wie an diesen Schulen Bildungsprozesse gestaltet werden, um auf dieser Grundlage Steuerungswissen zu gewinnen.

Ausblick

So viel in den vergangenen Jahren auch in Deutschland im Hinblick auf die Digitalisierung von Bildung und die Stärkung entsprechender Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern auf den Weg gebracht wurde, fest steht auch: Wir stehen diesbezüglich noch am Anfang. 2023 wird ICILS erfreulicherweise in eine dritte Runde gehen. Die dann neu erhobenen repräsentativen Daten zu den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern und zu den entsprechenden Rahmenbedingungen werden zeigen, ob und inwiefern es den vielfältigen Maßnahmen, Aktivitäten und Strategien, die nun etabliert wurden, tatsächlich gelingt, allen Kindern und Jugendlichen in Deutschland eine Teilhabe an der digitalisierten Welt zu ermöglichen.

Dieser Artikel ist Teil unseres Dossiers "Digitale Schule: Lektionen aus der Pandemie - Ein transatlantischer Erfahrungsaustausch".

 


Quellen

Der nationale Berichtsband von ICILS 2018 steht als Download frei zur Verfügung:

Eickelmann, B.; Bos, W.; Gerick, J.; Goldhammer, F.; Schaumburg, H.; Schwippert, K.; Senkbeil, M.; Vahrenhold, J. (Hrsg.) (2019): ICILS 2018 #Deutschland – Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking. Münster: Waxmann.

 

Weitere Quellen

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2020): Bildung in Deutschland 2020.

BMBF (2020a): Corona-Hilfe II: Sofortprogramm Endgeräte.

BMBF (2020b): Corona-Hilfe I: Förderung von Content.

BMBF (2020c): Digitalisierung im Bildungsbereich.

Eickelmann, B.; Drossel, K. (2020): Schule auf Distanz. Perspektiven und Empfehlungen für den Schulalltag. Berlin/Düsseldorf: Vodafone Stiftung.

Eickelmann, B.; Gerick, J. (2020): Lernen mit digitalen Medien. Zielsetzungen in Zeiten von Corona und unter besonderer Berücksichtigung von sozialen Ungleichheiten. In: Die Deutsche Schule, 16. Beiheft, S. 153–162.

Gerick, J.; Schwippert, K. (2019): Die Bedeutung digitaler Medien für die Bildungsbeteiligung von Grundschüler*innen. In: Inckemann, E.; Micha, M.; Sigel, R.; Trautmann, T. (Hrsg.): Chancengerechtigkeit durch Schul- und Unterrichtsentwicklung an Grundschulen. Bad Heilbrunn: Klinkardt, S. 195–212.

Gerick, J.; Eickelmann, B.; Steglich, E. (2020): Modellschulen ‚Lernen mit digitalen Medien‘ in der Pandemie-Zeit. In: Zeitschrift SchulManagement, 51(4), S. 8–10.

KMK (2016): Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz.

KMK (2019): Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften [Fassung vom 16.5.2019].

Medienberatung NRW (2020): Lehrkräfte in der digitalisierten Welt. Orientierungsrahmen für die Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung in NRW.

Petko, D. (2017): Die Schule der Zukunft und der Sprung ins digitale Zeitalter. In: PÄDAGOGIK, 69(12), S. 44–47.

Resta, P.; Laferrière, T.; McLaughlin, R.; Kouraogo, A. (2018): Issues and Challenges Related to Digital Equity. In: Voogt, J.; Knezek, G.; Christensen, R.; Lai, K.-W. (Hrsg.): Second Handbook of Information Technology in Primary and Secondary Education. Springer: Cham, S. 987–1004.

Senkbeil, M.; Drossel, K.; Eickelmann, B.; Vennemann, M. (2019): Soziale Herkunft und computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich. In: Eickelmann, B.; Bos, W.; Gerick, J.; Goldhammer, F.; Schaumburg, H.; Schwippert, K.; Senkbeil, M.; Vahrenhold, J. (Hrsg.): ICILS 2018 #Deutschland – Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking. Münster: Waxmann, S. 301–333.

van Ackeren, I.; Aufenanger, S.; Eickelmann, B.; Friedrich, F.; Kammerl, R.; Knopf, J.; Mayrberger, K.; Scheika, H.; Scheiter, K.; Schiefner-Rohs, M. (2019): Digitalisierung in der Lehrerbildung. In: Die Deutsche Schule, 111(1), S. 103–119.