Illustration: Drei menschen ziehen in verschiedene Richtungen an einem Oval, darauf ist ein Frosch und eine Blume abgebildet

Wem gehören all diese Schätze?

Genomdaten von Bäumen und Pflanzen, von Tieren und Mikroorganismen werden im Eiltempo entschlüsselt. Wer darf davon wie profitieren? Welche Rolle spielt die Earth Bank of Codes?

Genomdaten von Bäumen und Pflanzen, Tieren, Pilzen und Mikroorganismen des Regenwalds sollen im Eiltempo entschlüsselt werden, um das fossile Zeitalter durch ein biologisches abzulösen. Wer darf davon wie profitieren? In diesem international ausgefochtenen Streit erscheint die Earth Bank of Codes zugleich als Treiber und Schlichter.

Wie eine Drohne schwebt der Satz über den Wipfeln des Regenwalds: «Unsere tiefste Hoffnung als Menschen liegt in der Technologie, aber unser tiefstes Vertrauen liegt in der Natur». So wirbt die Earth Bank of Codes (EBC) auf ihrer Website für ein neues Eldorado, dessen Gold sich im digitalisierten Erbgut der unermess­lichen Biodiversität am Amazonas verbirgt. Doch wem gehören diese Schätze? Den Ländern des Ursprungs, den indigenen Völkern? Der Weltgemeinschaft oder Konzernen, die sich für neue Produkte inspirieren lassen? Im internationalen Streit über diese Fragen erscheint die EBC zugleich als Treiber und Schlichter.

Ihre Schwester-Organisation Earth BioGenome Project (EBP) soll im Eiltempo die Genomdaten von Bäumen und Pflanzen, ­Tieren, Pilzen und Mikroorganismen des Regenwalds systematisch entschlüsseln. Dazu entwickelt ein dritter Zweig der Initiative Sensoren, autonome Fluggeräte und Roboter, die in unnahbaren Waldgebieten Artenmuster einsammeln. Erst der Amazonas, dann die Welt: Letztlich wollen die Initiatoren auf dem gesamten Planeten 15 Millionen Spezies erfassen.

An diesem Großprojekt sind Evolutionsbiologen, Ökologinnen, Molekulargenetiker, Botanikerinnen, Naturkundemuseen und Genomik-Institute beteiligt, meist aus USA, vereinzelt aus Europa und China. Zu den leidenschaftlichsten Protagonisten des Verbunds gehört der Biochemiker Juan Carlos Castilla-Rubio, der in Brasilien lebt. Von den Genomdaten erhofft er sich eine «inklusive Multi-­Billionen-Dollar-Bioökonomie».

Bioökonomie? Hinter diesem diffusen Begriff steht die Idee, das fossile Zeitalter durch ein biologisches abzulösen. Energie, Wärme, Textilien, Medikamente, Baumaterialien, Lebensmittel, Herstellungsverfahren: künftig soll alles mithilfe pflanzlicher Ressourcen oder nach Vorbildern aus der Natur erzeugt oder optimiert werden. Dabei will man die Produktion zugleich effizienter machen.

Ein Teil der Dynamik der Bioökonomie rührt daher, dass Fortschritte in der Gentechnik und in den Informationstechno­logien ­einander rasant beflügeln. Immer schneller, immer billiger kann man heute Genome sequenzieren, also die Reihenfolge der ­Basenbausteine ihrer DNA ermitteln. Dank Verfahren wie der Genschere Crispr/Cas9 lassen sich Mikroorganismen oder Pflanzen dann gezielt verändern. Mithilfe der «Synthetischen Biologie» sollen sie sogar am Computer ganz neu «konstruiert» werden. Noch ist der Grat schmal zwischen Vision und Größenwahn. Aber das Potenzial treibt kleine Start-ups wie globale Konzerne zu emsigen Forschungsaktivitäten. Naturschützer/innen und Entwicklungs­organisationen hingegen befürchten hohe Risiken für die ­Ökosysteme, wenn solche Arten in der offenen Natur freigesetzt werden, eine neue Dimension ihrer wirtschaftlichen Einhegung als Folge einer Patentinflation und zunehmenden Raubbau.

Auch der Südamerikaner Juan Carlos Castilla-Rubio zeigt sich besorgt, aber vor allem angesichts der enormen «­Asymmetrien» zwischen wohlhabenden Staaten, die dank ihrer Forschungs­kapazitäten und technologischen Vorsprünge natürliche Ressourcen weltweit ausbeuten können – und ärmeren Ländern, die zwar über großen Reichtum an Biodiversität verfügen, davon aber wenig profitieren. Deshalb sollen nicht mehr nur invasive Unternehmen an den Genomdaten mitverdienen, sondern auch «die Treuhänder der Natur». Sie würden «angemessen belohnt, die Wälder und kritischen Lebensgemeinschaften bleiben erhalten», sagt Juan Carlos Castilla-Rubio.  So helfe die Amazonas-Initiative, den globalen Süden nachhaltig zu entwickeln: «Wissen schürfen statt realer Ressourcen».

Einige Nichtregierungsorganisationen sind jedoch skeptisch, weil EBP und EBC vom Weltwirtschaftsforum in Davos mitgetragen werden, also einer Organisation, die sie mit kommerziellen Interessen globaler Player in Verbindung bringen. Das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) etwa ­mutmaßt, die Verteilungsversprechen der Earth Bank of Codes sollten «dem Earth BioGenomeProject ein Feigenblatt anheften … um den Verdacht der systematischen Biopiraterie zu zerstreuen». Der Hunger auf Patente befördere eine «Biopiraterie 2.0».

Das Nagoya-Protokoll fordert einen fairen Ausgleich

So wiederholt sich unter neuen technologischen Vorzeichen eine hitzige Debatte aus den 90er Jahren. Nach zähem Ringen wurde 2010 das Nagoya-Protokoll beschlossen. Als Teil der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) regelt es den Zugang zu Bioressourcen und fordert einen fairen Vorteilsausgleich, wenn ein Pharma-­oder Lebensmittelunternehmen aus Pflanzenqualitäten Kapital schlägt.

Solche Lizenzverträge zwischen Ursprungsländern und ­Nutzern sind kompliziert genug, und bislang gilt dieses «Access and Benefit Sharing» (ABS) nur für physische Biomaterialien. Was aber, wenn jetzt statt der biochemischen Verbindung nur noch eine elektronisch gespeicherte Information über die Nukleotid- oder ­Basenfolge ausreicht, um ein Produkt herzustellen? Fallen auch Daten über Erbgut-­Sequenzen unter das ABS-Regime?

Die Genomsequenzierer des Amazonasprojektes zumindest  versichern, dass sie sich an das Nagoya-Protokoll halten wollen. Die Earth Bank of Codes soll entsprechende Lizenzverträge zwischen Ressourceninhabern und -nutzern aufsetzen. Die Datensätze aus Biocodes und Eigentumsrechten will man per Blockchain und künstlicher Intelligenz managen, um die jeweiligen Quellen und ­Lizenzansprüche identifizieren zu können. Ob das gelingt, ist freilich noch unklar – und es könnte auch ein Versuch sein, internationalen Regeln zuvorzukommen. Denn längst wird kontrovers darüber beraten, wie die Biodiversitätskonvention insgesamt und das Nagoya-Protokoll im Besonderen mit der neuen Genomdatenflut umgehen sollen.

Der Streit beginnt schon damit, dass man sich über die Reichweite der virtuellen Genominformationen nur schwer einigen kann. Als Platzhalter dafür dient der Begriff «Digitale Sequenzinformationen» (DSI). Aber was genau ist damit gemeint: die Datei mit einer Nukleotidsequenz, abgeleitete Deutungen oder – im Extremfall – auch schon digitale Bilder, aus denen sich die kommerzielle ­bionische Nutzung eines Organismus ableiten ließe?

Noch komplexer wird es, weil bei der Entwicklung eines ­Enzyms oder Medikaments meist nicht nur eine einzige Information verwendet wird. Gene mehrerer Arten aus mehreren Ländern ­lassen sich beispielsweise in einer Hefe kombinieren, um ein Produkt herzustellen.

Einige Industrieländer in der CBD befürworten daher für DSI statt der bilateralen Verträge des analogen ABS-Regimes ein multi­laterales System des Vorteilsausgleichs, ähnlich jenem, das beim Internationalen Saatgutvertrag praktiziert wird. Dieser regelt  den Zugang zu pflanzengenetischen Ressourcen bei der Züchtung von Nahrungspflanzen im Rahmen der Welternährungsorganisation FAO. Diskutiert wird beispielsweise, Forschern und kommerziellen Nutzern Gebühren, Abonnements oder Mitgliedsbeiträge in abgestufter Höhe abzufordern. Aus so einem Topf könnten dann Artenschutzprojekte finanziert werden.

Die Forschung fordert freien Zugang auf Genomdaten

Bei der nächsten Vertragsstaatenkonferenz der CBD steht das Thema auf der Tagesordnung. Bei den Vorverhandlungen wurde deutlich, dass grob gesagt die Interessen der Entwicklungsländer, möglichst viel Geld aus bilateralen Verträgen einzunehmen, auf jene der Forschung prallen, die ihren freien Zugang auf Genomdaten verteidigt. An ihrer Seite kämpfen die meisten Wirtschaftsunternehmen hinter den Kulissen hart für ihre Patentinteressen.

«Power for the few, not the many»:  Selbst McKinsey sieht politische Risiken in der «Bio-Revolution». Die neuen Technologien und damit auch Macht über Daten könnten sich in den Händen ­Weniger konzentrieren, «die ganz vorne dran sind oder sich besonders enthusiastisch engagieren», heißt es in einer Studie der Unternehmensberatung.

Im Nahrungsmittelbereich etwa haben sich die ohnehin nur noch vier verbliebenen großen Saatgut- und Chemiekonzerne mit Biotech-, Klimadaten-, Dünger-, Enzym- und Landmaschinen­unternehmen zusammengetan. Solche Netzwerke verbinden sich mit Logistik- und Supermarktketten, um Herkunft, Zusammen­setzung, Qualität und ökologischen Fußabdruck jedes einzelnen Produktes digital rückverfolgbar zu machen – und die ganze Lieferkette vom Labor bis zum Konsumenten zu beherrschen.

Die globale Nichtregierungsorganisation etc group, die sich mit den Folgen neuer Technologien beschäftigt, fordert deshalb beim Streit um Digitale Sequenzinformationen eine Ausweitung des Blickfelds: «Es wäre irreführend und gefährlich, die Debatte über Produktion und Konsum von Nahrungsmitteln auf der einen Seite und jene über biologische Daten künstlich voneinander zu trennen.» Beide seien unausweichlich miteinander verbunden, heißt es in ­ihrem Bericht «The Next Agribusiness Takeover». Die etc-Experten fordern: «Weil Big Data als Plattform quer durch viele Sektoren fast jeden Teil der globalen Wirtschaft und alle neuen Technologien betrifft, muss diese Debatte auch die Notwendigkeit stärkerer nationaler Wettbewerbsrechtsregeln einbeziehen, zudem möglichst ein UN-Wettbewerbsabkommen und einen Vertrag für Technologiefolgenabschätzung.»

Tatsächlich ist diese Debatte so wichtig wie jene um DSI. Denn die Earth Bank of Codes ist auch eine Reaktion auf ein grundsätzliches Problem: Bei Big Data, neuer Gentechnik und Synthetischer Biologie hinkt die Politik der galoppierenden technologischen Entwicklung meilenweit hinterher.


Christiane Grefe ist Autorin des Buches «Global Gardening. Bioökonomie – neuer Raubbau oder Wirtschaftsform der Zukunft?» und Reporterin der ZEIT in Berlin.

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