Ägypten aktuell: Covid-19 plus Repression, Repression plus Covid-19

Interview

Inmitten der Covid-19-Pandemie übt das Regime von Präsident al-Sisi in Ägypten weiter systemische Gewalt aus. Was steckt hinter diesen Entwicklungen und wie können internationale Akteure darauf reagieren? Darüber sprechen wir mit Amr Magdi, Ägyptenexperte von Human Rights Watch.

Menschen in einem Bus in Ägypten

Inmitten der Covid-19-Pandemie übt das Regime von Präsident al-Sisi in Ägypten weiter systemische Gewalt aus. Das offenbart sich in einer Reihe aktueller Ereignisse: Am 1. Mai starb der Filmemacher und Regierungskritiker Shady Habash im berüchtigten Tora-Gefängnis. Habash war wegen der Verbreitung „falscher Informationen“, aber ohne Gerichtsverfahren eingesperrt. Um gegen diese weit verbreitete Praxis zu protestieren, trat der prominente Aktivist Alaa Abd el-Fattah 36 Tage lang in einen Hungerstreik. Um darüber zu berichten, interviewte Lina Attalah, die Chefredakteurin der unabhängigen Nachrichtenseite Mada Masr, Alaas Schwester Mona Seif. Daraufhin wurde Attalah verhaftet, weil sie sich als Journalistin in der Nähe eines Gefängnisses aufhielt. Zudem werden aktuell auch Social-Media-Persönlichkeiten wegen angeblicher Ausschweifung und Unmoral verhaftet, darunter eine 17-jährige Teenagerin. Die Folgen dieser gewaltsamen Unterdrückung sind längst nicht mehr nur auf Ägypten beschränkt: Zuletzt hatte Sarah Hegazy, eine LGBTQI-Aktivistin, die in Kanada im Exil lebte, Selbstmord begangen. Was steckt hinter diesen Entwicklungen und wie können internationale Akteure darauf reagieren? Darüber sprechen wir mit Amr Magdi, Ägyptenexperte von Human Rights Watch.

Offiziell gibt es in Ägypten knapp 55.000 Fälle von Covid-19, fast 2.200 Menschen sind an dem Virus gestorben. Wie würden Sie die aktuelle Situation in Ägypten beschreiben?

Wir wissen aus Medienberichten und von Expert/innen, dass die aktuelle Situation sehr besorgniserregend ist, da wir die unkontrollierte Ausbreitung des Virus beobachten. Die meisten öffentlichen und privaten Krankenhäuser haben ihre maximale Aufnahmekapazität erreicht. Viele Menschen bleiben ohne Hilfe. Diesen Punkt haben wir nicht zuletzt aufgrund des extremen Missmanagements der Krise durch die Regierung erreicht.

Es gab viele verwirrende und widersprüchliche Entscheidungen. Ausgangssperren wurden zögerlich und zu spät verhängt. Jetzt erfolgen verfrühte Öffnungen, obwohl sich die Epidemie weiter ausbreitet. Die Regierung gibt offenbar der Wirtschaft Vorzug vor der öffentlichen Gesundheit. Auch hat die nächtliche Ausgangssperre möglicherweise dazu geführt, dass tagsüber mehr Menschen unterwegs waren, um ihre Besorgungen zu erledigen, und Abstandsregeln zum Beispiel in massiv überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln nicht einhalten konnten.

Wir wissen, wie schwierig und gefährlich es ist, in Ägypten Kritik zu üben. Wie ist es aktuell mit Blick auf die Reaktionen auf Covid-19?

Sobald jemand die offiziellen Maßnahmen, den Mangel an Informationen über das Virus, die mangelnde Transparenz über getroffene Entscheidungen oder den Mangel an Tests und Krankenhausbetten kritisiert, reagiert die Regierung empört. Sie richtet sich gegen unabhängige Gesundheitsexpert/innen in einer Zeit, in der es sie am dringendsten benötigt. So werden nicht nur Aktivist/innen, sondern auch normale Menschen, Ärzte und Apotheker/innen verhaftet, die sich an ihrem Arbeitsplatz oder in sozialen Medien äußern. Es herrscht ein Klima der Einschüchterung.

Das Militär regiert das Land sehr effektiv. Diese Mentalität eines Militärlagers wird auch auf medizinische Teams übertragen, die Befehle ausführen sollen. In den Regierungserklärungen zu Covid-19 ist immer von „Krieg“ die Rede. Selbst zivile Minister wie der Gesundheitsminister sprechen von einer „Schlacht“ und „Soldaten“. Aber die Sterblichkeitsrate von Ärzt/innen und Pfleger/innen, die gegen das Virus kämpfen, ist in Ägypten so hoch wie in kaum einem anderen Land der Welt. Die regierungstreuen Medien verleumden jedoch Beschäftigte im Gesundheitswesen, die sich weigern, unter unsicheren Bedingungen und ohne ausreichende Schutzausrüstung zu arbeiten, als Verräter. Das Corona-Virus selbst wird manchmal als Erfindung der Muslimbruderschaft dargestellt.

Und was sagt die Regierung dazu?

Die Regierung weist die Kritik normalerweise entweder als Verschwörung gegen sie ab oder sagt, dass Ägyptens nur begrenzte Mittel hat. Wir wissen jedoch, dass es nicht daran liegt. Viele unserer Nachbarländer hadern mit ähnlichen Bedingungen, haben aber viel mehr Tests durchgeführt. Die Regierung bekommt außerdem eine Menge Hilfen und Geld von anderen Ländern, um die Bekämpfung von Covid-19 zu unterstützen. Aber was passiert mit diesen Mitteln? Wohin gehen sie? Wir wissen es nicht. Was wir wissen ist, dass es heutzutage fast unmöglich ist, sich in Ägypten testen zu lassen oder ein Intensivbett für einen schwerkranken Patienten zu finden und dass viele Medikamente knapp sind. Die Menschen wissen, dass die Regierung sie im Stich gelassen hat, und dass sie auf sich gestellt sind, um ihre Lieben zu retten. So kaufen sie zum Beispiel selbst medizinische Geräte, um Familienmitglieder zu behandeln.

Das klingt nach einer systemischen Krise, in der alltägliche Probleme reproduziert werden. Sie haben auf Korruption hingewiesen. Welche anderen Elemente dieser Krise sehen Sie?

Wir sehen in dieser Krise nicht nur ein sehr trauriges Versagen der Regierung, sondern auch die Folgen der jahrelangen Missachtung sozialer, wirtschaftlicher und politischer Rechte. Die Gesundheits- und Bildungsbudgets unter der Regierung von Präsident al-Sisi sind die niedrigsten in der jüngsten Geschichte des Landes, obwohl unsere Verfassung vorsieht, dass die Ausgaben erhöht werden sollten. Dies ist wirklich ein systemisches Problem, das letztendlich sowohl Ärzt/innen als auch Patient/innen im Stich lässt.

Besonders bemerkenswert daran ist, dass sich Realität und die offiziellen Verlautbarungen so stark unterscheiden. So mahnt al-Sisi immer an, wie ernst es ihm mit sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung sei, und dass Journalist/innen und ausländische Regierungsvertreter/innen ihn „zu Unrecht“ nur nach politischen Rechten und politischen Gefangenen fragen würden. Die derzeitige Katastrophe zeugt jedoch davon, dass diese Version nur dazu dient, die starke Einschränkung der bürgerlichen und politischen Freiheiten zu rechtfertigen. In Wirklichkeit können soziale und wirtschaftliche Rechte nicht von politischen und bürgerlichen Rechten getrennt werden. Und es gibt keinen wirklichen sozialen Fortschritt in Ägypten. Wenn al-Sisi also die „Entwicklung des Landes“ genauso ernst nehmen würde, wie er sagt, würde er tatsächlich in Gesundheit und Bildung investieren, nicht in den Kauf von Waffen im Wert von mehreren Milliarden Dollar. Ägypten ist inzwischen schließlich einer der weltweit größten Waffenimporteure – aus Frankreich, den USA, aber natürlich auch aus Deutschland.

Ein weiterer langjähriger Faktor, der zu dieser Krise beiträgt, ist die extreme Zentralisierung der ägyptischen Verwaltung. Alles muss über Kairo laufen, über sehr kleine Kreise in Kairo, um genau zu sein. Zum Beispiel stellte das Gesundheitsministerium plötzlich fest, dass es im ganzen Land keine regionalen Niederlassungen für Laboratorien gibt. Dies bedeutet, dass Patient/innen, die auf Covid-19 getestet werden mussten, nach Kairo oder in andere größere Städte reisen mussten. Ein weiteres Beispiel ist, wie das Gesundheitsministerium alle Aspekte der Krise überwachen wollte, um zum Beispiel Virentests im privaten Sektor zu verbieten. Aber in einem Land, das effektiv vom Militär geführt wird, herrscht diese alte Mentalität und wir sind noch weit davon entfernt, Schritte in Richtung Dezentralisierung zu unternehmen.

Ändert Covid-19 daran etwas?

Die Pandemie macht dieser Tage die Nachlässigkeit und das Versagen der Regierung für viele Bürger/innen besonders deutlich. Die Regierung von al-Sisi kam mit einer ungeschriebenen Vereinbarung an die Macht: „Ihr gebt Eure politischen Freiheiten auf, ich gebe Euch Stabilität, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung.“ Das stieß 2013 und 2014 zunächst auch auf breite Unterstützung. Doch mittlerweile hat die Regierung einen Großteil ihrer Popularität eingebüßt, weil sie ihren Teil der Abmachung nicht einhalten kann.

Covid-19 offenbart daher für viele Ägypter/innen das Versagen der Regierung: Ägypten ist nach China und der Türkei das drittgrößte Gefängnis für Journalist/innen. Die Meinungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Laut offiziellen Statistiken ist fast ein Drittel der Bevölkerung von Armut betroffen. Wahrscheinlich sind es sogar noch mehr. Analphabetismus ist sehr verbreitet. All diese Faktoren prägen die öffentliche Meinung und nähren eine weit verbreitete Unzufriedenheit, die jeden Moment wieder ausbrechen könnte. Dies geschah übrigens auch 1919 zur Zeit der Spanischen Grippe, als deren Missmanagement auch zur Revolution gegen die britische Besatzung in Ägypten beitrug.

Vielleicht müssen wir gar nicht so weit zurück gehen? Vor zehn Jahren hat die Ermordung von Khaled Said durch Polizeikräfte in Alexandria die Revolution von 2011 ausgelöst. Und heutzutage protestieren Tausende von Menschen nach dem Mord an George Floyd gegen Polizeigewalt und Rassismus.

Ohne Parallelen zu ziehen, ist es klar, dass der Mangel an guter Regierungsführung in jeder Krise die politischen Frustrationen bestärkt, die sich über Jahre aufgebaut haben. Dabei geht es nicht unbedingt darum, wie viele Menschen an der Epidemie sterben, sondern darum, dass die Menschen das Gefühl haben müssten, dass ihre Regierung ihr Bestes tut, um die Krise abzumildern. Dass die Menschen wissen, dass sie der Regierung vertrauen können, um sie zu schützen. Dies fehlt definitiv in Ägypten, wo viele Menschen das Gefühl haben, von ihrer Regierung betrogen zu werden.

Der schreckliche Mord an Khaled Said ruft immer noch viel Traurigkeit hervor, nicht nur wegen dem, was passiert ist, sondern auch wegen der Straflosigkeit und des Mangels an Gerechtigkeit bis jetzt. Zehn Jahre später beschäftigen wir uns allerdings mit der „Normalisierung“ von Folter und staatlicher Gewalt. Wir haben solche Fälle täglich, Menschen verschwinden jeden Tag und wir wissen, was mit ihnen in geheimen Haftstrafen passiert.

Das zeigt, dass obwohl Mubarak gestürzt ist, das Mubarak-Regime nicht gefallen, sondern noch monströser geworden ist. Dieses Monster wurde durch die Aufstände von 2011 so schwer verletzt, dass es wild geworden ist. Aber normalerweise wird jedes autoritäre Regime kurz vor seinem Sturz am brutalsten, weil es kein Zurück mehr gibt. Al-Sisi hat es nicht geschafft, wirtschaftliche oder politische Legitimität für seine Regierung aufzubauen. Seine Sicherheitsbehörden wissen, wie groß die Unzufriedenheit und die öffentliche Wut sind, die sie nährten. Im September 2019 haben einige Facebook-Videos über grassierende Korruption Proteste ausgelöst. Die Sicherheitsbehörden gehen daher immer gewalttätiger vor, um selbst die geringste Kritik zu unterdrücken. Dadurch befeuern sie einen fatalen Kreislauf. Sie glauben, dass Mubarak verdrängt wurde, weil er Zugeständnisse gemacht und partielle Freiheiten gewährt hatte – und dass ein Rückzug einen erneuten Aufstand befördern könnte.

Was steckt hinter dieser Logik?

Ein bestimmendes Element der Regierung von Präsident al-Sisi ist, dass sie jede Art von Kritik gleich als existenzielle Bedrohung ansieht. Kritik halten sie für problematisch, weil sie – und nicht die Menschenrechtsverletzungen, nicht die Realität vor Ort – das Image des Landes beschädige. Wer auch nur auf Polizeigewalt oder Autoritätsmissbrauch hinweist, befleckt das Ansehen des Landes. Dann wird dies zum Problem, nicht das Versagen und der Gewaltexzess der Regierung. Diese Mentalität untergräbt also auch jede Rechenschaftspflicht. Niemand sollte über Missbräuche Bescheid wissen und darüber sprechen.

Weil diese Mentalität bis heute vorherrscht, gibt es auch in Zeiten von Covid-19, in denen Häftlinge wegen des Infektionsrisikos besonders gefährdet sind, immer mehr Festnahmen. Und das ist auch der Grund, warum al-Sisi eine präsidentielle Begnadigung für bis zu 10.000 Sträflinge ausgesprochen hat, darunter auch verurteilte Kriminelle und Mörder, dabei aber politische Gefangene ignorierte, deren einziges „Verbrechen“ darin bestand, sich zu äußern.

Die Regierung handelt ununterbrochen so, als gäbe es eine Verschwörung gegen Ägypten und behauptet, dass diejenigen, die sie kritisieren, ausländische Pläne verfolgen, um das Regime zu stürzen. Das zeigt, wie groß die Unsicherheit des Regimes ist. Die Regierung weiß, dass sie nicht viel Legitimität hat. Deshalb hat sie ständig Angst vor den Menschen und der Wahrheit. Und deshalb versucht sie jeden Widerspruch so früh wie möglich zu unterdrücken. Sie verhaftet Ägypter/innen. Und sie wirft Ausländer/innen raus, weil deren Verhaftung ein zu großes Risiko für die Reputation Ägyptens darstellt.

Das Regime geht also im Inland rücksichtslos vor und sorgt sich dennoch um sein Image im Ausland. Könnte dies dazu führen, dass internationale Akteure einen stärkeren Hebel haben? Beispielsweise hat Ägypten kürzlich einen Kredit des International Währungsfonds (IWF) beantragt, um die wirtschaftlichen Folgen von Covid-19 zu bekämpfen und das Ansehen des Landes als Kreditnehmer zu verbessern. Diese Kredite befördern jedoch die Politik des Regimes, indem sie der wirtschaftlichen Entwicklung Vorrang vor den Menschenrechten einräumen. Wie sehen Sie es?

Ägyptische Regierungen sind schon lange von internationalen Krediten abhängig, weshalb die Auslandsverschuldung des Landes in den letzten Jahren um über 150 Prozent gestiegen ist. Viele Expert/innen machen sich daher Sorgen darüber, wie Ägypten all diese Kredite zurückzahlen wird und welche Belastung das für die kommenden Generationen darstellt. Es gibt deshalb auch einen Sonderberichterstatter und spezielle Richtlinien der Vereinten Nationen, um Menschenrechtsgesichtspunkte nicht nur dann zu stärken, wenn Auslandsschulden gezahlt werden müssen, sondern Kredite direkt für nachhaltige Entwicklung und für eine Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Rechte einzusetzen.

In Ägypten sind fast 35 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen, Tendenz steigend. Dabei beziehen sich die offiziellen Berichte nicht einmal auf die international festgelegte Armutsgrenze, sondern auf die ägyptische, die noch niedriger ist. Dieser starke Anstieg ist zumindest teilweise definitiv das Ergebnis der Maßnahmen, die im Rahmen der letzten IWF-Darlehen ergriffen wurden, beispielsweise die Abwertung des ägyptischen Pfunds im Jahr 2016 und des Rückgangs der Ausgaben für öffentliche Dienstleistungen.

Und die jüngste Anfrage nach einem weiteren Darlehen würde dazu beitragen?

Ja. Mitten in Covid-19, als wirtschaftliche Unterstützungspakete eigentlich besonders benötigt wurde, kündigte die ägyptische Regierung an, die Strompreise um bis zu 19 Prozent zu erhöhen. Dies trifft immer die Ärmsten am härtesten. Auch wurde beschlossen, Angestellten in den nächsten Monaten ein Prozent ihrer Gehälter zu kürzen. Die Preise für die Grundversorgung der industriellen Produktion wurden indes für die nächsten fünf Jahre festgesetzt. Diese Richtlinien sind nicht unbedingt falsch und könnten Investitionen befördern. Es ist mir auch wichtig zu betonen, dass wir Kredite nicht grundsätzlich ablehnen und ich persönlich kein Wirtschaftsexperte bin. Nur greife ich Bedenken auf, die ich von vielen Expert/innen gelesen habe. Das Problem hierbei ist, dass es keinen Raum gibt, die aktuelle Politik in Frage zu stellen, geschweige denn zu ändern, sei es in den Medien oder im Parlament, da alle Aspekte des öffentlichen Lebens streng von Geheimdiensten kontrolliert werden. So können Ägypter/innen auch nicht einbringen, was sie wollen oder für richtig halten.

Das sagt viel über die Loyalität der Regierung aus, die Geschäftsinhaber unterstützt, nicht aber die Armen. So führt die Regierung tatsächlich eine sehr aggressive Kampagne gegen Arbeiter/innen, unterdrückt deren Recht auf Organisation und kriminalisiert Proteste. Dies hat die Gewichte zwischen Geschäftsinhabern und Arbeitnehmer/innen im Namen des Investitionsschutzes zugunsten der ersteren verschoben. Dabei sollte es doch darum gehen, die chaotische Bürokratie und die weit verbreitete Korruption in Ägypten abzubauen, nicht darum, Streiks zu behindern und Arbeitnehmer/innen zu verhaften, wenn sie versuchen, hier etwas zu ändern.

Internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank, der IWF oder die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung haben also die klare Verantwortung, Fragen der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte sowie den Zugang zur Justiz in den Abkommen und Vereinbarungen mit der ägyptischen Regierung zur Sprache zu bringen. Diese Verantwortung existiert jedoch normalerweise nur auf dem Papier und nicht darin, es in der Realität zu gewährleisten.

Warum?

Weil ausländische Akteure denken, es wäre schädlich, die ägyptische Regierung direkt zu konfrontieren. Aber weil die ägyptische Regierung das Geld wirklich braucht, hätten sie einen erheblichen Hebel, um Menschenrechtsfragen wirklich so weit zu bringen, wie es die Mandate von Finanzinstitutionen erlauben. Freie und unabhängige Zivilgesellschaften sowie der Zugang der Bürger/innen zur Justiz sind schließlich auch für das richtige Umfeld für Investitionen von entscheidender Bedeutung. Welcher Investor möchte schon sein Geld in einem Land aufs Spiel setzen, in dem es keine unabhängige Justiz oder Zivilgesellschaft zur Bekämpfung von Korruption gibt.

Und was ist mit den Regierungen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien? Oder der EU?

Leider befürworten die meisten dieser Regierungen eine sehr kurzsichtige Vision von dem, was sie als „Stabilität“ in Ägypten betrachten. In der Tat ist ein stabiles und sicheres Ägypten wichtig für die Bekämpfung terroristischer Bedrohungen in Ägypten und der Region. Ägypten ist auch wichtig, um Grenzen und irreguläre Migration zu kontrollieren. Dies sollte jedoch nicht durch die Unterstützung eines repressiven Regimes geschehen. Vielmehr ist es genau die bedingungslose Unterstützung von Regierungen, die ihre Bevölkerung unterdrücken, die uns hierher geführt hat. Nur Menschenrechte, Demokratie und verantwortungsvolle Staatsführung können langfristige Stabilität und wirtschaftlichen Fortschritt gewährleisten. Dies würde letztendlich auch die Grundursachen der Migration und Gewalt in der Region angehen.

Wenn wir ausländische Beamte treffen, behaupten sie entweder, sie hätten keinen Einfluss auf die ägyptische Regierung. Oder sie sagen, Wandel in Ägypten sei nicht ihre Verantwortung. Dabei will doch kein Menschenrechtsanwalt in Ägypten, dass Merkel oder Macron einen Kampfpanzer schicken und einen Krieg führen, um das Regime zu stürzen. Wir fordern lediglich, die gewalttätigen Sicherheitskräfte nicht weiter mit Waffen, Spionagetechnologie und Fachwissen zu unterstützen. Die Unterstützung sollte außerdem an die Verbesserung der Menschenrechte geknüpft werden. Und sie sollte den Ägypter/innen nutzen, nicht dem Regime. Das geschieht jedoch nicht. Während sich die Situation in Ägypten verschlechtert, wird die verbale, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Unterstützung fast ohne jegliche Konditionierung fortgesetzt. Dabei ist es ist ein großer Fehler zu glauben, keinen Einfluss und Hebel zu haben, Veränderungen anzustoßen, denn die ägyptische Regierung ist von der Unterstützung lebensabhängig.