Alte Freunde, neue Freunde: Kolumbien verzichtet für die USA auf bessere Beziehungen zu China

Hintergrund

Für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Kolumbien und China war 2019 ein gutes Jahr: Präsident Iván Duque erwirkte neue Absatzmöglichkeiten für kolumbianische Waren, während sich chinesische Unternehmen wichtige Beteiligungen im kolumbianischen Infrastruktur- und Bergbausektor sicherten. Eine radikale Kehrtwende in den politischen Beziehungen bedeutet dies jedoch nicht.

Yuan China Money and Colombia - 3D illustration Two Flag Together - Fabric Texture

Mitte letzten Jahres reiste Kolumbiens Präsident Iván Duque nach Peking, um neue Exportmöglichkeiten für kolumbianische Waren nach China zu erwirken. Tatsächlich hob China infolgedessen die Importrestriktionen für Avocados und Bananen auf, die Kolumbien exportieren wollte. Kurz darauf gewannen chinesische Staatsunternehmen zwei wichtige Ausschreibungen im Infrastrukturbereich: den Bau der ersten U-Bahn-Linie in Bogotá sowie einer S-Bahn-Strecke zur Anbindung umliegender Gemeinden. Außerdem lieferte China Elektrobusse für die Flotten von Medellín und Cali. Last but not least kaufte China 2019 ein kanadisches Bergbauunternehmen mit einem bedeutenden Goldförderprojekt in Kolumbien.

Trotz der Größenordnung der geplanten Infrastrukturinvestitionen und der chinesischen Präsenz in weiteren Wirtschaftsbereichen Kolumbiens, bedeutet dieser neue Wind jedoch zumindest kurzfristig keine radikale Kehrtwende in den Beziehungen zwischen Bogotá und Peking. Die neuen Vorhaben sind vielmehr in eine Logik eingebettet, an der sich die kolumbianische Außenpolitik gegenüber China orientiert und die beide Staaten in ihren Möglichkeiten einschränkt, die wechselseitigen Beziehungen zu vertiefen.

Der wirtschaftliche Aspekt stand stets im Mittelpunkt

Der bisherige Schwerpunkt der kolumbianisch-chinesischen Beziehungen liegt im ökonomischen Bereich. China genießt auf der kolumbianischen Agenda höchste Priorität bei der Erschließung von Geschäftsmöglichkeiten, ob nun als wichtiger Absatzmarkt oder als Finanzierungsquelle. Der wirtschaftliche Aspekt stand bei sämtlichen Besuchen kolumbianischer Staatspräsidenten stets auf der Tagesordnung, sei es unter dem früheren Präsidenten Ernesto Samper (1996) oder dem amtierenden Iván Duque (2019).

Seit der Jahrtausendwende gewann der Handel an Dynamik und erfuhr ein exponentielles Wachstum. China wurde für Kolumbien zum zweitwichtigsten Handelspartner – nach den USA. Trotz starkem Zuwachs, hat China noch einen langen Weg vor sich, bis es die Vereinigten Staaten als Haupthandelspartner Kolumbiens ablösen kann: Laut kolumbianischem Handelsministerium exportierte Kolumbien im Spitzenjahr 2013 Waren im Wert von etwa 5,8 Mrd. US-Dollar nach China, während die Ausfuhren in die USA mit einem Volumen von ca. 22 Mrd. fast vierfach so hoch waren. In der Gegenrichtung verlief die Entwicklung ähnlich: Im ihrem besten Jahr erreichten die chinesischen Warenlieferungen nach Kolumbien ein Volumen von 11,8 Mrd. US-Dollar, während aus den USA Produkte im Wert von 18,2 Mrd. ins Land flossen.

Abb. 1: Handelsbeziehungen Kolumbien - China / USA von 1991 bis 2019

Handelsbeziehungen Kolumbien/China

In Bezug auf China weist die kolumbianische Handelsbilanz ein deutliches Defizit auf. Ihren Tiefststand erreichte sie 2015 mit einem Minus von 7,7 Mrd. US-Dollar. Die Handelsbilanz mit den USA hingegen schwankt zwischen Defiziten und Überschüssen. Den höchsten Überschuss von 8,4 Mrd. US-Dollar erreichte Kolumbien 2011, also ein Jahr vor Inkrafttreten des Freihandelsabkommens mit den USA. Demgegenüber war 2015 mit einem Defizit von 5,5 Mrd., trotz Abkommen, für Kolumbien das schlechteste Jahr.

Bei den kolumbianischen Exporten, sowohl in die Volksrepublik China als auch in die USA, kommt den Primärerzeugnissen eine vorrangige Rolle zu. In den letzten 10 Jahren hatten diese Produkte einen Anteil von 91 Prozent an den Lieferungen nach China, im Fall der USA von 88 Prozent. Während der Anteil kolumbianischer Primärerzeugnisse auf dem chinesischen Markt zugenommen hat und damit auf eine zunehmende Rohstofforientierung der kolumbianischen Wirtschaft hindeuten könnte, ist er bei den USA jedoch rückläufig und könnte für Kolumbien somit gewissen Anlass zu Optimismus geben.

Tabelle 1: Anteil von Primärerzeugnissen an den kolumbianischen Exporten nach China und in die USA, 2010-2019

 

China 2010

China 2019

         USA 2010

USA 2019

Primärerzeugnisse

83%

98%

92%

84%

Erdöl und Ölderivate

42%

86%

65%

55%

Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage von Daten des kolumbianischen Ministeriums für Handel, Industrie und Tourismus (2020).

Das anhaltende Handelsbilanzdefizit Kolumbiens gegenüber China führt für beide Seiten zu ganz speziellen Entwicklungen: Für die kolumbianische Regierung ergibt sich daraus die Notwendigkeit, auf eine Öffnung des chinesischen Markts für kolumbianische Produkte hinzuwirken. Darauf zielte auch der frühere kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos bei seinem Staatsbesuch in China ab, als er den Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen beiden Ländern vorschlug. Beide Regierungen beschlossen daraufhin, entsprechende Machbarkeitsstudien zu veranlassen.

Dennoch beschloss Santos in der damaligen Situation, die Machbarkeitsstudien auf Eis zu legen, da ihm der politische Preis dafür zu hoch erschien. Zum einen zeigte sich beim Freihandelsabkommen mit Korea, dass Teile der kolumbianischen Gesellschaft nicht bereit waren, Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit China hinzunehmen. Zum anderen ging es für Santos in erster Linie um die Unterzeichnung eines Friedensabkommens mit der FARC-Guerilla. Würde er in dieser Interessenslage ein Freihandelsabkommen mit China vorantreiben und damit sein politisches Kapital aufs Spiel setzen, so könnte er nicht mehr sämtliche Bemühungen darauf konzentrieren, den Rückhalt der Öffentlichkeit für den Friedensprozess zu gewinnen.

Der derzeitige Staatspräsident Duque hat trotz seines China-Besuchs im Juli 2019 den Gedanken an ein Freihandelsabkommen nicht weiterverfolgt. Im Gegenteil: Er bekräftigte, dass er keine neuen Abkommen unterzeichnen werde (mit Ausnahme derer, die derzeit bereits verhandelt werden). Hinzu kommt, dass die kolumbianische Regierung in der aktuellen Situation statt Freihandelsabkommen vor allem Fördermittel für die Bewältigung des gesundheitspolitischen Notstands durch COVID-19 und die Beschleunigung der wirtschaftlichen Erholung erschließen will.

Chinas Investitionen in Kolumbien sind vergleichsweise niedrig

Bei den chinesischen Investitionen ist die Rolle Kolumbiens als Zielland aufgrund der unsicheren Datenlage schwieriger zu beurteilen. So flossen nach Angaben der kolumbianischen Zentralbank im Zeitraum 1994-2019 chinesische Investitionen im Gesamtwert von 235 Millionen US-Dollar nach Kolumbien. Nach dem China Global Investment Tracker des American Enterprise Institute und der Heritage Foundation erhielt Kolumbien von 2005 bis 2019 insgesamt 1,9 Mrd. US-Dollar. Und das Lateinamerikanisch-karibische Wissenschaftsnetzwerk für China (Red ALC-China) berichtet schließlich, dass in den Jahren 2000 bis 2019 Investitionen in Höhe von 4,1 Mrd. US-Dollar nach Kolumbien geflossen seien. Die Abweichungen ergeben sich aus der unterschiedlichen Bestimmung der tatsächlichen Herkunft der Investitionen sowie unterschiedlichen Informationsquellen.

Ein Vergleich mit den Investitionen in anderen Ländern der Region (nach den Daten des Red ALC-China) lässt den Schluss zu, dass Kolumbien bis 2019 nicht das vorrangige Zielland für chinesische Investitionen gewesen ist. Demnach war Brasilien mit knapp über 46,7 Mrd. US-Dollar das Hauptbestimmungsland, gefolgt von Peru mit 24,6 Mrd., Chile mit 14,8 Mrd. und Argentinien mit 12,8 Mrd. Kolumbien lag jedoch immerhin noch vor Venezuela, denn Caracas erhielt lediglich 3,2 Mrd. US-Dollar.

Die bisherigen chinesischen Investitionen in Kolumbien sind in erster Linie in extraktive Industrien und Infrastrukturentwicklung geflossen. Im extraktiven Sektor spielen die chinesischen Unternehmen SINOPEC und SINOCHEM als Betreiber von Förderstätten eine wichtige Rolle. Die innenpolitischen Bedingungen in Kolumbien und Konflikte im Zusammenhang mit den Eigentumsrechten an Bodenschätzen haben jedoch Probleme für die chinesischen Firmen mit sich gebracht. So haben verschiedene lokale Gemeinden mehr als 40 Volksbefragungen durchgeführt, um die Abbauvorhaben in ihren Territorien zu stoppen. Das kolumbianische Verfassungsgericht hat jedoch in seinem jüngsten Urteil die Rechte der Unternehmen mit der Argumentation gestärkt, dass die lokalen Behörden zwar über die Nutzung des Bodens bestimmen könnten, doch die Bodenschätze Eigentum des Landes seien und folglich deren Nutzung nur von der Nationalregierung gestattet bzw. abgelehnt werden könne.

Der Kauf des kanadischen Unternehmens Continental Gold durch das chinesische Unternehmen Zijin Mining Group Company Limited für 1 Mrd. US-Dollar kann zwar nicht als Direktinvestition in Kolumbien eingestuft werden, doch damit ist China am Buritacá-Projekt beteiligt, dem ehrgeizigsten Goldabbauvorhaben im Land, das zu den weltweit bedeutendsten Projekten dieser Art gehört. Kolumbien erhofft sich davon eine jährliche Fördermenge von 250.000 Unzen Gold über einen Zeitraum von 14 Jahren und entsprechende Einkünfte durch Lizenzgebühren des Unternehmens.

Im Infrastrukturbereich erzielte China mit einem Konsortium aus den Unternehmen China Harbour Engineering Company Limited und Xi’an Metro Company Limited einen ersten großen Erfolg, als das Land 2019 die Ausschreibung zum Bau der ersten U‑Bahn-Linie in Bogotá gewann. Mit diesem Projekt, dessen Kosten sich schätzungsweise auf ca. 3,3 Mrd. US-Dollar belaufen werden, darf das Konsortium die Linie bauen und sie 25 Jahre lang betreiben und unterhalten. Einen zweiten Erfolg konnte China verbuchen, als das Unternehmen China Civil Engineering Construction Corporation ebenfalls 2019 den Zuschlag für den Bau der S-Bahn-Strecke Regiotram de Occidente erhielt. Diese Stadtbahn mit einem Kostenvolumen von ca. 850 Mio. US-Dollar soll Bogotá mit den Nachbarstädten Facatativá, Mosquera und Funza verbinden.

Washington bleibt erster Bezugspunkt kolumbianischer Außenpolitik

Just in dem Moment, als sich China zu einem wichtigen Abnehmerland für kolumbianische Erzeugnisse entwickelte, wurde 2010 ein Papier mit Leitgedanken zur kolumbianischen Außenpolitik veröffentlicht. Darin wurde die Ansicht vertreten, dass die Welt aufgrund der Schwächung der USA derzeit einen Anpassungsprozess erlebe und sich daraus Handlungsmöglichkeiten für neue internationale Akteure böten, darunter auch China. Gleichzeitig wurde die Empfehlung ausgesprochen, dass „die kolumbianische Regierung mit dem Staatspräsidenten an der Spitze eine tiefere, qualitativ bessere Beziehung zu China anstreben sollte“. Folglich sollte die kolumbianische Regierung angesichts der wachsenden Macht anderer Staaten „eine weniger exklusive Beziehung zu den Vereinigten Staaten aufbauen“.

Dieser Gedanke der Diversifizierung der außenpolitischen Beziehungen Kolumbiens zieht sich durch alle wissenschaftlichen und offiziellen Diskurse über die kolumbianische Außenpolitik seit dem Ende des Kalten Krieges. In der Praxis ist es Kolumbien jedoch nicht gelungen, seine Strategie hinreichend umzusetzen. Washington ist nach wie vor der erste Bezugspunkt der kolumbianischen Außenpolitik, und die USA sind nicht nur der größte Wirtschaftspartner Kolumbiens, sondern auch der wichtigste politische und sicherheitspolitische Verbündete des Landes.

Auch die aktuelle Regierung von Iván Duque ordnet die Beziehung zu China der Beziehung zu den USA und deren Interessen unter. Dies zeigt sich unter anderem am Beispiel Venezuela. Seit seiner Machtübernahme 2018 hat sich Duque zum Ziel gesetzt, eine führende Rolle bei der Herbeiführung eines Machtwechsels in Venezuela einzunehmen. Er setzt sich beharrlich dafür ein, dass die Lima-Gruppe China und andere Staaten dazu auffordern solle, der Regierung von Nicolás Maduro die Unterstützung zu entziehen. Damit verringert er die Möglichkeiten für einen politischen Austausch mit China auf höherer Ebene, mit dem nicht nur den Bedürfnissen Kolumbiens Rechnung getragen werden könnte, sondern auch den Notwendigkeiten, die sich aus den heutigen Unsicherheiten im internationalen System ergeben.

Nun kommt ein neuer Faktor mit unsicheren Langzeitfolgen ins Spiel: die Ausbreitung von COVID-19. China hat in zweifacher Hinsicht unter den Konsequenzen zu leiden, denn sowohl seine Wirtschaft als auch sein internationales Image haben durch die Pandemie Schaden genommen. Zwar hat Peking mit medizinischen Hilfslieferungen im Wert von 1,5 Mio. US-Dollar zur Eindämmung des Virus durchaus partnerschaftliches Verhalten bewiesen, doch ist aller Wahrscheinlichkeit nach von einer schwindenden Markt-  und Finanzmacht Chinas mit negativen Folgen auch für die kolumbianische Wirtschaft zu rechnen.

Auf der anderen Seite öffnet das ungenügende Krisenmanagement der USA und der offene Angriff, mit dem die Trump-Regierung gegen die multilateralen Institutionen vorgegangen ist, für die Volksrepublik China die Türen, um sich als Verteidigerin dieser Organisationen präsentieren zu können. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich eine Alternative für die Vertiefung der bilateralen Beziehungen zwischen Bogotá und Peking ab, denn solche multilateralen Räume können Staaten wie Kolumbien helfen, ihren Interessen dort Gehör zu verschaffen.

Dagegen spricht jedoch, dass sich Peking in seinem internationalen Diskurs zwar als Entwicklungsland darstellt, jedoch ein riesiges Ungleichgewicht zwischen der politischen und wirtschaftlichen Macht Kolumbiens und Chinas besteht. Unter diesen ungleichen Bedingungen ist es fraglich, ob Kolumbien von China als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen wird.

Diese Perspektive würde außerdem einen Wandel in der kolumbianischen Außenpolitik voraussetzen. Ein solcher Kurswechsel ist jedoch unter den derzeitigen Umständen und angesichts der innenpolitischen Zwänge, unter denen der Andenstaat im Bereich der Sicherheit steht, undenkbar. Somit - und trotz alledem - wird Kolumbien an die USA gebunden bleiben.

Übersetzung aus dem Spanischen: Beate Engelhardt