Fahrradbrücke Kopenhagen

Platz da!

Egal ob Radwege, Windparks, Bahntunnel – Infrastruktur­­projekte werden immer als bahnbrechend ­angepriesen. Die Schnellfahrrouten in Kopenhagen sind das ­sicher auch. Aber längst nicht alles gelingt. Mal werden Anwohner­innen und Anwohner überrumpelt, mal kommen die Bauwerke die Bürgerinnen ­und Bürger teuer zu stehen, mal verwüsten sie einzigartige Wildnis. Sieben Beispiele weltweit – gute und schlechte.

Brüllereien, Schläge, Todesdrohungen

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Mexiko, der Frieden – hier die grasenden Kühe, dort die Windräder – täuscht. Obwohl es nicht rechtens ist, erfahren die Leute vor Ort häufig nur durch Zufall, dass unweit ihrer Gärten, auf ihrem Weideland, Windräder aufgestellt werden. Seit die Regierung 2013 eine tiefgreifende Energiereform gemacht hat, um ausländische Firmen und ihr Kapital ins Land zu holen, errichten in Mexiko auch europäische Firmen wie Acciona, Siemens oder EDF Windräder. Der Strom geht oft via Exklusivvertrag direkt an Konzerne wie WalMart. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben davon nichts. Wer sich aber einmischt, kann es mit brutalen Leuten zu tun bekommen. Bettina Cruz, eine der bekanntesten Indigenenvertreterinnen, erzählte einmal: «Im Jahr 2011 haben sie mich fast umgebracht (…) Wir haben demonstriert und die Autobahn blockiert, da kam eine von der Firma Acciona angeheuerte Gruppe (…) Einer von ihnen kam auf mich zu und hat mich angebrüllt, geschlagen und getreten und mir eine Pistole an den Kopf gehalten.»

Kopenhagen geizt nicht bei Radwegen

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In Kopenhagen haben Radfahrende ihre speziellen Wege, ihre eigene Autobahn. Dahinter steckt ein Plan, eine Vision. Die dänische Hauptstadt hat sich schon vor mehr als zehn Jahren vorgenommen, bis zum Jahr 2025 CO2-neutral zu werden, und eine Wende im Verkehr gemacht. Kopenhagen, das sind heute: 1000 Kilometer Radwege, darunter 200 Kilometer Radschnellwege. Ergebnis: Im Fahrradindex der «Copenhagenize»-Gruppe, sie untersucht jedes Jahr die Radlerfreundlichkeit von Großstädten, steht Kopen­hagen auf Platz eins, vor Utrecht und Amsterdam. Als erste deutsche Stadt kommt Bremen – auf Platz 11. Die dänische Hauptstadt investiert jedes Jahr pro Einwohnerin und Einwohner 40 Euro in die Fahrradinfrastruktur. Deutsche Städte sind geiziger. Sie geben üblicherweise drei bis fünf Euro pro Kopf für den Radverkehr aus. In Kopenhagen radeln mehr als 60 Prozent der Kopenhagener/innen zur Schule oder zu ihrer Arbeit. Denn es ist bequem, schnell und: staufrei.

Kenia macht zügig Schulden

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Die schicke Eisenbahn, die die Kenianer/innen von der Hauptstadt Nairobi in die knapp 500 Kilometer entfernte Küstenstadt Mombasa bringt, ist das größte Infrastrukturprojekt des Landes seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1963. Zur Eröffnung der Strecke 2017 jubelte Uhuru Kenyatta, der kenianische Präsident, via Twitter: «Heute ist ein historischer Tag.» Und: «Wir sind eine Nation, die stolz ist auf unsere Leistung und den Fokus auf Transformation.» Nur: Es ist ein 3,8 Milliarden-Dollar-Projekt auf Pump, finanziert und größtenteils gebaut von China. Alles ohne Ausschreibung. Die Bahn kostete fast das Dreifache des internationalen Standards, das Vierfache der ursprünglichen Schätzung. Das Ende der Fahrt darum: ungewiss. Kenia hat unter der Last chinesischer Kredite schon den Mehrwertsteuersatz erhöhen müssen. Ob es reicht? Falls nicht, könnte Peking andere Ansprüche erheben, zum Beispiel auf den Hafen von Mombasa.

Aus Stuttgart 21 wird Stuttgart 25

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Wären die riesigen Tunnel nicht schon gebohrt, gebuddelt, gebaut – die Bahn würde das ­umstrittene Milliardenprojekt Stuttgart 21 nicht nochmal beginnen. Daraus hat der jetzige Bahnchef Richard Lutz nie einen Hehl gemacht. Die Kosten: zu hoch. In den Neunzigern ­wurden sie auf 2,6 Milliarden Euro veranschlagt, 2013 waren es dann 6,5, mittlerweile sind es 8,2. Der Nutzen des unterirdischen Durchgangsbahnhofes: zu fraglich. Mit seinen acht Gleisen soll er den bestehenden Kopfbahnhof mit 16 Gleisen ersetzen. Für den Deutschlandtakt, den die Deutsche Bahn ab 2030 plant, könnte er zu klein sein, warnen Kritiker: Soll künftig ­zwischen Großstädten im Fernverkehr alle ­30 Minuten ein Zug fahren und die Umsteigezeit kurz sein, reichen acht Bahnsteige womöglich nicht aus. Pünktlich fertig – vorgesehen war ein Ende des Baus für 2021 – wird der Bahnhof auch nicht. ­Frühestens in sechs Jahren werden die Züge einfahren. Besserer Name somit eigentlich: Stuttgart 25.

Nicht nur Sonnenschein

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Projekt Sonne – Indien, noch immer in weiten Teilen ein sehr armes Land, baut derzeit einige der größten Solarparks der Welt. 2018 hat das Land erstmals sogar mehr Geld in erneuerbare Energien investiert als in fossile. Nur: Das wird nicht reichen. Indiens Volkswirtschaft soll wachsen, Fabriken und Straßen werden gebaut, die Menschen wollen Fernseher, Kühlschränke, Klimaanlagen. Der Energiebedarf ist enorm. Indien entscheidet als ­zweitbevölkerungsreichstes Land der Welt maßgeblich mit, wie stark sich die Erde erhitzt – und pocht auf ein Versprechen der Industrieländer, von dem Jahr 2020 an jedes Jahr 100 Milliarden Dollar für den Klima­schutz in ärmeren Ländern bereitzustellen. Manche Infrastrukturprojekte sind ihrerseits bereits vom Klimawandel betroffen, darum hat Indien eine International Coalition for Disaster Resilient Infrastructure ins Leben gerufen. In dieser Koalition sollen sich Staaten der Welt zusammenfinden, um dann gemeinsam eine Infrastruktur aufzubauen, die dem Klimawandel und ­Katastrophen standhalten kann.

Bogotas geordnete Bahnen

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Die extra Busspur, die roten großen Ziehharmonika-Busse – das ist so was wie die Metro der kolumbianischen Hauptstadt Bogota. 30 Jahre lang war der Bau einer viele Milliarden teuren U-Bahn im Gespräch. Dann, Ende der 1990er Jahre, entwickelte der damalige linksliberale Bürgermeister Enrique Peñalosa die weltweit beachtete Alternative: Die sogenannten TransMilenio-Busse ziehen auf eigenen Spuren ungestört ihre Bahnen in der Sieben-Millionen-Metropole. Gezahlt wird in den Haltestellen aus Glas und Stahl, die aussehen wie ein U-Bahnsteig, nur oben liegen. Ihre Schiebetüren öffnen sich, wenn der Bus kommt, zack, steigen Fahrgäste ein. Es ist eines der modernsten Verkehrssysteme der Welt. Und: Es zeigt, wie öffentlicher und privater Sektor zusammen Gewinn machen können. Die Routen plant gemäß Nachfrage eine öffentliche Firma, sie überwacht auch den Betrieb. Der Betrieb selbst liegt indes in den Händen einer Reihe privater Firmen. Das Modell gilt nicht nur in Metropolen ärmerer Länder als nachahmenswert, immerhin kostet ein Kilometer TransMilenio einen Bruchteil eines Kilometers U-Bahn.

Bislang ohne Anschluss

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Bislang stehen nur die Pfeiler, in der Liste der 150 höchsten Brücken der Erde ist sie aber schon verzeichnet: die Moracica-Brücke von Montenegro. Sie ist Teil einer Autobahn, die 170 Kilometer von der Adriaküste ins benachbarte Serbien führen soll. Die Bauarbeiten ­ziehen sich ausgerechnet entlang des längsten und tiefsten Canyons Europas, der Tara-Schlucht. Sie ist UNESCO-Weltnaturerbe und gehört zu den letzten ursprünglichen Flusslandschaften Europas. Umweltschützer/innen, die forderten, Alternativen zur Route zu suchen, fanden kein Gehör. Sie fürchten um die einzigartige Natur, die Lebensräume von Forellen, Ottern, seltenen Pflanzen. Dabei ist fraglich, ob sich die Autobahn für Montenegro mit seinen 600.000 Einwohnerinnen und Einwohnern lohnt, die von China für fast eine Milliarde Euro gebaut wird. Denn Serbien hat es nicht eilig, einen Anschluss zu bauen. Zur Zeit führt die Autobahn darum ins: nirgendwo.


Hanna Gersmann, Journalistin, schreibt für «Die Korrespondenten» aus dem Haus der Bundespressekonferenz in Berlin, vor allem über Umwelt-, Verbraucher- und Wirtschaftspolitik.

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