Cover - Vom Herzen, aus Iblib
Broschüre

Von Herzen, aus Idlib

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Vorwort

Die überwältigende Mehrheit in jedwedem Konflikt sind und bleiben Zivilist/innen. Was Idlib betrifft, die letzte von Rebellen gehaltene Provinz Syriens, beziffern die Vereinten Nationen den Anteil von Zivilist/innen auf über 99 Prozent. Und doch sind es fast ausschließlich die bewaffneten Gruppen, die die Schlagzeilen dominieren. Das hat zu einer internationalen Wahrnehmung geführt, dass es in Syrien keine wirklich “Guten” mehr gäbe.

Das trägt der vielschichtigen Wirklichkeit nicht Rechnung. Statt die Rolle von Zivilist/innen kleinzureden oder in Abrede zu stellen, sollten wir viel stärker anerkennen, was sie unter den immer schwieriger werdenden Umständen leisten.

Der Fotojournalist Tim Alsiofi war 18, als die syrische Revolution begann. Das syrische Regime hat diese nie als Aufstand derjenigen akzeptiert, die von politischer Teilhabe ausgeschlossen waren, sondern es lediglich als Herausforderung begriffen, die es mit militärischen Mitteln bis aufs Blut bekämpfte. Die Bedrohung, die das Regime für Aktivist/innen und Journalist/innen darstellte, fand bald ein Pendant in der Bedrohung durch extremistische Gruppen in der Opposition. Beide stimmen darin überein, dass Bürgerinnen und Bürger mit Waffengewalt und Folter in die Unterwerfung gezwungen werden sollen, um jeglichen zivilen Aktivismus zu ersticken.

Tim hat in seiner Heimatstadt in der jahrelang belagerten Ghuta die ersten Jahre seines Erwachsenenlebens damit verbracht, Tod und Zerstörung zu dokumentieren, bevor er 2018 in einen der “grünen Busse” stieg und nach Idlib deportiert wurde. Nach seiner Ankunft dort baten wir ihn, für uns zu dokumentieren, wie das Leben in Idlib aussieht. Wir wussten nicht, was uns erwartete, doch schon die ersten 153 Bilder, die Tim schickte, waren atemberaubend. So viel Leben, so viel Farbe, hatten wir seit langem nicht mehr aus Syrien gesehen. Allerdings wurde uns bewusst, dass diese Bilder, würden sie nicht in den größeren Zusammenhang gesetzt, zu der unseligen Debatte über „Rückkehr“ in vermeintlich sichere Gegenden beitragen könnten – während die drängendere und in westlichen Diskussionen so nicht gestellte Frage eher wäre, wie man denjenigen helfen könnte, die innerhalb Syriens festsitzen, oder, sollte das nicht gelingen: wie man sie außer Landes bringen könnte.

Je tiefer wir in Tims Geschichten eintauchten, in denen sich unbändige Freude und Trauer über Verlorenes trafen, in denen im Keim erstickte Hoffnungen sich wieder Bahn brachen, desto mehr gelangten wir zu der Überzeugung, dass die Bilder nicht nur als Eindrücke geteilt werden sollten, sondern die hinter ihnen stehenden Geschichten erzählt werden müssten. So brachten wir Tim mit dem syrischen Schriftsteller und Rapper Hani Al Sawah zusammen, um eine persönliche Form zu finden, das Ganze zu erzählen. Dieses gemeinsame Werk der beiden ist ein Zeugnis dessen, wie in Idlib Zivilist/innen tun, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: leben. Kaufen und verkaufen. Ins Wasser springen. Angeln. Grillen. Hochzeiten und hohe Feste begehen.

Oder für Kinder: zur Schule gehen - oder einfach spielen.

Das syrische Regime besteht darauf, es werde „jeden Zentimeter Syriens“ zurückerobern. Ob ihm das gelingen wird, sei dahingestellt, und auch, ob es in absehbarer Zeit eine Offensive gegen Idlib geben wird, steht in den Sternen. Doch auch Modelle wie „die Situation einfrieren“ sind für diejenigen, die sich in Idlib befinden, nicht realistisch. Internationale Hilfen fließen in immer geringerem Maße nach Idlib, und das verschärft das Leiden der Zivilbevölkerung, insbesondere, da Idlib über die eigentliche Bevölkerung hinaus in den letzten Jahren mehr als eine Million Binnenflüchtlinge aufgenommen hat. Die Frage, wie hier geholfen werden kann, bleibt daher unverändert wichtig.

All die Männer, Frauen und Kinder, die in diesem Band porträtiert sind, leben ihr Leben nicht, als gäbe es kein Morgen. Ganz im Gegenteil: Sie verhalten sich, als sei das Heute lediglich ein vielversprechender Anfang. Ihre Widerstandskraft und ihren Lebensmut kann man nur bewundern. So empfinden wir es als unsere Aufgabe, ihre Geschichten zu teilen und einen der raren Einblicke in das alltägliche Besondere in Idlib zu gewähren.

Dieses Buch ist all den Frauen und Männern gewidmet, die die vernichtende Frage des „mit uns oder gegen uns“ etwas entgegensetzen, in dem sie an eine bessere Zukunft glauben und daran arbeiten. Es soll daran erinnern, dass das Leben stärker als der Tod ist.

Dr. Bente Scheller, Nadine Elali und  Roua Arakji

Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
2018
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung
Sprache der Publikation
deutsch
Inhaltsverzeichnis

VORWORT

EINFÜHRUNG

EINLEITUNG

  • AM ANFANG WAR DIE UMSIEDLUNG
  • NEUE LEUTE
  • AUCH SIE KENNEN TRAURIGKEIT
  • WER UNTER BOMBEN GELAUFEN IST, ERTRINKT NICHT
  • WER NICHTS HAT, DER LIEBT DAS LEBEN
  • DAS IST UNSER LEBEN. WIR WOLLEN NICHT IM AUSLAND SEIN.
  • ICH HABE SHAM LACHEN SEHEN!
  • BRENNHOLZ WAR IN DER GHUTA MEHR WERT ALS GOLD
  • ALLE WASSERTANKS DER STADT SIND LEER!

     
  • EINE HANDVOLL WEIZENMEHL IST EINE HANDVOLL FREUDE
  • GROSSE FRAGEN
  • TRÄUME VOM WIEDERAUFBAU
  • SELBST KLEINE VERKAUFSSTÄNDE KÖNNEN WIR NICHT MEHR BETREIBEN
  • SO GING ES UNS FRÜHER

     
  • ICH KONNTE DES UNRECHTS NICHT HABHAFT WERDEN
  • WIR KLEIDEN DIE LEICHEN BUNT, DAMIT DER TOD SIE ERKENNT
  • EIN NICHT ZU ENDE GETRÄUMTER TRAUM
  • MAN TRAUERT UM MENSCHEN, DIE MAN KANNTE. UND DANN LACHT MAN WIEDER
  • BLEIBT UND VERSÖHNT EUCH!
  • WIR GEHEN HIER NICHT WEG
  • DAS EINFACHE LEBEN
  • JE WEITER MAN NACH NORDEN KOMMT, DESTO WEITER WIRD DAS LAND
  • ANSCHEINEND HABE ICH DAS FASTENBRECHEN WIEDER VERPASST
  • KEINE ZERBORSTENEN FENSTER, KEINE ANGST AM HORIZONT

     
  • TODESZONE
  • DAS STUDIO
  • DAS WEITERLEBEN SIEHT HIER SO EINFACH AUS
  • DIE KINDER DER GHUTA IN IDLIB UND IN DER GHUTA
  • WIR SPIELEN IM BUNKER SOGAR FUSSBALL
  • HEUTE HAT GOTT DEM REGIME EIN FLUGVERBOT ERTEILT
  • KÖNNEN ZIVILISTEN VERRÄTER SEIN?

     
  • ICH GEHE FOTOGRAFIEREN
  • ZWEI SÖHNE WIE EIN LAND
  • EINE AUFNAHME, VON DER ICH WÜNSCHTE, SIE NIE GEMACHT ZU HABEN
  • WIR WARTEN JEDEN MORGEN AUF DEN TOD
  • SO ERHALTEN WIR UNS MORGEN FÜR MORGEN HOFFNUNG
  • BOMBEN ZU SCHAUKELN
  • WIR WERDEN NICHT VERGESSEN
  • FÜR DIE GESCHICHTSBÜCHER
  • ALS WIR DIE BEOBACHTER BEOBACHTETEN
  • DIESER TAG SOLL NIE ENDEN
  • NIEMAND IN DAMASKUS WEISS, WAS UM DIE STADT HERUM GESCHIEHT
  • FRÜHER SIND WIR AUS DER SCHULE GEFLÜCHTET. HEUTE FLÜCHTEN WIR HINEIN.
  • DER ALTE STADTBUS
  • SANFTER BESCHUSS
  • HARAM, HALAL, SOLDATEN
  • DER TOD KOMMT IMMER ÜBERRASCHEND, OB DU IHN ERWARTEST ODER NICHT. WOZU SICH ALSO FÜRCHTEN?

 

  • STANDHAFT WIE EIN BAUM
  • TÖDLICHES HEIMWEH
  • WIR KÖNNEN NOCH TANZEN
  • WO MAN SINGT, LASS DICH RUHIG NIEDER
  • GUT SOLL ES DIR GEHEN, SARAQEB

     
  • VON VÄTERN UND SÖHNEN
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