Demokraten schlagen in Bezug auf Israel/Palästina neue Töne an

Kommentar

Die USA waren seit jeher Israels zuverlässigster Partner. Aber in der Demokratischen Partei wandelt sich die Einstellung zum US-israelischen-Bündnis.

Bernie Sanders, Senator der Vereinigten Staaten, J Street's 2019 National Conference

„Wir dürfen nicht zulassen, dass Israel zu einem politischen Spielball wird. Dies darf nicht noch ein weiteres Streitthema zwischen Republikanern und Demokraten werden“, beschwor Präsidentschaftsanwärter Joe Biden die Teilnehmer/innen der alljährlichen J-Street Konferenz in Washington DC im vergangenen Oktober. Damit sprach er ein Thema an, das dem Demokratischen Establishment zunehmend Sorgen bereitet. Im vergangenen August setzte Präsident Trump auf das antisemitische Motiv dualer Loyalität, indem er argumentierte, „wer für einen Demokraten stimmt, ist Israel und dem jüdischen Volk gegenüber sehr, sehr treulos“. Tatsächlich aber fühlen sich viele progressive jüdische Wähler zunehmend entfremdet von der Politik der Netanyahu-Regierung und der bedingungslosen Unterstützung, die die Trump-Regierung ihr dabei zollt. Vorläufiger Höhepunkt  dieser Entwicklung war die jüngste Ankündigung der Regierung, sie würde fortan Siedlungsbau nicht mehr als Verstoß gegen das Völkerrecht betrachten. Das Ergebnis — ein grundlegender Meinungswandel unter den Demokraten in Bezug auf das US-amerikanisch-israelische Bündnis — wurde auf der J-Street Konferenz klar deutlich.

Eine neue Kraft in der Demokratischen Politik

Die Tausenden von Menschen, die sich zu der alljährlichen Konferenz in Washington, DC, versammeln, definieren sich als „die politische Heimat derjenigen Amerikaner, die israelfreundlich und für den Frieden sind“. In wenigen Jahren haben sie sich zu einer der einflussreichsten Bewegungen innerhalb der amerikanisch-jüdischen Gemeinschaft entwickelt, mit einem starken studentischen Flügel und tiefen Verbindungen zu Progressiven in Israel und unter den Palästinensern. Laut J-Street möchten die Mitglieder, dass „Israel sicher, demokratisch und die nationale Heimat des jüdischen Volkes“ ist; sie setzen sich für eine Politik ein, die „gemeinsame US-amerikanische und israelische Interessen“, „demokratische Werte“ und „eine Zwei-Staaten-Lösung“ fördert.

Obwohl diese Stellungsnahme nicht allzu radikal klingt, hat J-Street doch eine tiefgreifende Veränderung in der amerikanischen politischen Landschaft bewirkt. Mit Ablegern im ganzen Land, von Universitäten über Abgeordnetenhäuser in den einzelnen Bundesstaaten bis hin zum US-Kongress, löst die Bewegung die bislang geltende Unvereinbarkeit von Unterstützung für Israel und Kritik an der israelischen Politik auf. J-Street hat unter den Demokraten die Meinung darüber, ob Kritik an der israelischen Regierung grundsätzlich antisemitisch ist, dramatisch verändert: Eine kürzlich durchgeführte J-Street-Umfrage unter Bürger/innen, die wahrscheinlich in den Vorwahlen abstimmen werden,  deutet darauf hin, dass „Demokratische Wähler/innen Unterstützung für Israel und Kritik an der Politik der israelischen Regierung absolut miteinander vereinbar finden“. Die Organisation bedroht auch zunehmend den Einfluss der traditionellen Pro-Israel-Lobby AIPAC (American Israel Public Affairs Committee),  denn J-Street hat in den letzten Jahren  laut ihrer Website „40% der gesamten pro-israelischen Wahlkampfzuwendungen für den US-Kongress“ beigesteuert.

Der Wandel, den J-Street unter den Demokratischen Wähler/innen bewirkt hat, zeigt sich auch an den großen Namen auf der Teilnehmer/innenliste der diesjährigen Konferenz: fünf Bewerber/innen um das Präsidentenamt, darunter die Spitzenkandidaten Pete Buttigieg und Bernie Sanders sowie die Mehrheitsfraktionsvorsitzende im Repräsentantenhaus Nancy Pelosi und der Fraktionsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer. Die Kandidaten Joe Biden und Elizabeth Warren entschuldigten ihre Abwesenheit über kurze Videogrußbotschaften.

Neue Bedenken bezüglich des US-israelischen Sicherheitsbündnisses

In den ersten Monaten des Wahlkampfs haben mehrere Präsidentschaftskandidat/innen die Bedingungslosigkeit von US-Hilfen für Israel in Frage gestellt. In einer wichtigen außenpolitischen Rede im Juni dieses Jahres warnte Buttigieg, Bürgermeister einer Kleinstadt in Indiana, der soeben in Iowa an die Spitze der Umfragen geschnellt ist: „Wenn Premierminister Netanyahu seine Drohung wahrmacht, Siedlungen im Westjordanland zu annektieren, sollte er wissen: Ein Präsident Buttigieg wird dafür sorgen, dass die amerikanischen Steuerzahler/innen die Rechnung dafür nicht mittragen.“ Auf nähere Nachfragen zu dieser Aussage auf dem Podium der J-Street erläuterte Buttigieg: „Wir müssen sicherstellen, dass eine solche Zusammenarbeit und Finanzierung Zwecken dient, die mit den Zielen der USA und US-Recht vereinbar sind.“

Obwohl es in anderen Weltregionen durchaus historische Präzedenzfälle dafür gibt, Hilfen an Bedingungen zu knüpfen, wäre es eine dramatische Abkehr vom Status quo, die jährlich mehr als drei Milliarden Dollar betragenden militärischen Finanzhilfen der USA an Israel von der israelischen Politik abhängig zu machen. Sanders, der einzige jüdische Kandidat unter den Spitzenreiter/innen, unterstützt eine solche Politik schon seit Langem.

Sanders bestätigte auf der J-Street Konferenz, dass er die Hilfen zur Beeinflussung israelischer Politik einsetzen würde: „3,8 Milliarden Dollar sind viel Geld und wir können da keinen Blankoscheck ausstellen.“

„Wir haben das Recht, der israelischen Regierung zu sagen, dass wir, die Vereinigten Staaten von Amerika, unsere Steuerzahler und unser Volk, an Menschenrechte und Demokratie glauben.... Und wir fordern, dass sich die israelische Regierung mit dem palästinensischen Volk zusammensetzt und ein Abkommen aushandelt, mit dem alle Parteien leben können“, argumentierte Sanders.

Dem stimmte sogar Warren zu, die noch während des Gaza-Krieges 2014 die Aktionen der israelischen Regierung entschieden verteidigte. „Wenn die israelische Regierung mit den Schritten zur formellen Annexion des Westjordanlandes fortfährt, sollten die USA deutlich machen, dass keine unserer Hilfen zur Unterstützung der Annexion verwendet werden darf.“

Andere weniger prominente Kandidat/innen, wie etwa die Senatorin von Minnesota, Amy Klobuchar, äußerten sich nicht eindeutig zu der Frage, ob Hilfen an Bedingungen geknüpft werden sollten. Der ehemalige Minister für Wohnungswesen und Stadtentwicklung, Julian Castro, merkte zum Beispiel an, er hoffe, mit einer neuen israelischen Regierung zusammenarbeiten zu können und keine Bedingungen für Hilfen stellen zu müssen. Biden vermied die Frage in seiner Videogrußbotschaft.

Breite Übereinstimmung in der Nahostpolitik

Bei einer Vielzahl anderer Themen zu der Region scheinen sich die Demokratischen Kandidat/innen einig zu sein. Sie bekräftigten einstimmig ihre Unterstützung für eine Zwei-Staaten-Lösung und forderten ein Ende der humanitären Krise in Gaza. Ebenso einig waren sich die Kandidat/innen, wenn auch mit unterschiedlicher Detailgenauigkeit, dass sie im Falle eines Wahlsieges die Finanzierung der UNRWA, jener UN-Agentur, die mit der humanitären Hilfe für palästinensische Flüchtlinge in der Region beauftragt ist, sowie US-Hilfen für das Westjordanland und den Gazastreifen wiederaufnehmen würden.

Außerdem herrscht ein breiter Konsens in der Demokratischen Partei und ihrer Basis, dass die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem ein Fehler war und dass die USA unter einer Demokratischen Regierung wieder eine diplomatische Vertretung bei den Palästinensern in Ost-Jerusalem eröffnen sollten. Die Kandidat/innen betonten übereinstimmend, wie wichtig es sei, diplomatische Kanäle mit den Palästinensern wieder zu eröffnen und die palästinensische Generaldelegation wieder in Washington willkommen zu heißen.

Senatorin Amy Klobuchar kritisierte auch offen die Bemühungen der Republikaner, einen Keil in die historisch überparteiliche Unterstützung für Israel zu treiben, indem sie diese mit der kontroversen Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS) in Verbindung brachte.

Darstellung Netanyahus als rechter Autoritärer

In einer bedeutsamen Abkehr von der langjährigen Demokratischen Haltung gegenüber Israel zögerten die Spitzenkandidat/innen nicht, Premierminister Benjamin Netanyahu im selben Atemzug mit rechten Autoritären wie Orban, Putin und Präsident Trump zu nennen.

In ihrer kurzen Videobotschaft nahm Warren kein Blatt vor den Mund: „Ich stehe fest hinter der Sicherheit Israels und einer engen Zusammenarbeit hinsichtlich der Bedrohungen, denen Israel seitens der Hamas, der Hisbollah und dem Iran ausgesetzt sind. Aber lassen Sie uns klarstellen, dass wir uns gegen die rechtsextreme Politik der Netanyahu-Regierung, wie Annexionen und Siedlungsbau, aussprechen und dabei dennoch Israel unterstützen können. Genauso, wie wir uns gegen Präsident Trump aussprechen und dabei die Vereinigten Staaten unterstützen.“

Buttigieg gab diese Sichtweise fast gleichlautend wieder: „So wie man in den USA zutiefst patriotisch und dem Wohlergehen unseres Land verpflichtet sein kann und ist, ohne dass dies in irgendeiner Weise bedeutet, den derzeitigen US-Präsidenten und seine Agenda unterstützen zu müssen, so kann man auch dem Bündnis zwischen den USA und Israel verpflichtet sein, ohne ... jede einzelne politische Entscheidung einer rechten Regierung dort drüben unterstützen zu müssen.“

Der vielleicht deutlichste Hinweis auf die neue Bereitschaft der Demokraten, israelische Regierungspolitik zu kritisieren, waren die Eröffnungsworte von Senator Bernie Sanders, in denen er die amerikanisch-jüdische Gemeinschaft aufforderte, sich gegen Autoritarismus einzusetzen, und die die israelische Politik unverblümt als rassistisch bezeichnete:

„Als ein Volk, das seit Jahrhunderten leidet, ganz zu schweigen von den Schrecken des Holocausts, in dem die Familie meines Vaters und viele eurer Familien ausgelöscht wurden — wenn es auf Erden ein Volk gibt, das die Schrecken des Rassismus und des weißen Nationalismus wirklich kennt, dann ist es sicherlich das jüdische Volk. Und wenn es ein Volk auf Erden gibt, das alles Menschenmögliche tun sollte, um gegen Trumps Spalterei aufgrund von Hautfarbe, Sprache, Religion oder Herkunft anzugehen; wenn es eine Gruppe auf Erden gibt, die Menschen im Geiste einer gemeinsamen und fortschrittlichen Agenda zusammenbringen sollte, dann ist es das jüdische Volk.... Ich stehe absolut hinter Israel, und zwar nicht nur hinter seinem Existenzrecht, sondern auch hinter seinem Recht, in Frieden und Sicherheit zu leben. Aber ich bin ebenso davon überzeugt, dass auch das palästinensische Volk ein Recht darauf hat, seinerseits in Frieden und Sicherheit zu leben. Und es ist kein Antisemitismus, wenn man die Regierung Netanyahu als rassistisch bezeichnet. Das ist eine Tatsache.“

Viele Republikaner werden diese drastische parteipolitische Neuausrichtung begrüßen. Wie sowohl Trumps als auch Bidens Kommentare vermuten lassen, wird die Republikanische Partei versuchen, Netanyahus Befürworter/innen in den USA für sich zu gewinnen. Falls sich Demokratische Kandidat/innen jedoch fragen, wo die progressive amerikanisch-jüdische Gemeinschaft in dieser Wahlsaison steht, so ließen der begeisterte Beifall, der Sanders‘ Rede unterbrach, und die darauffolgenden stehenden Ovationen wenig Raum für Zweifel.