Kann die SNC-Lavalin-Affäre Justin Trudeaus Wiederwahl gefährden?

Kommentar

Der progressive Shooting-Star Justin Trudeau ist in diesem Jahr durch sein Agieren in einem Korruptionsskandal heftig unter Druck geraten. Schnell ging es in der Diskussion nicht nur um Bestechungsgelder, sondern auch den Umgang mit wichtigen Ministerinnen, die sich von Trudeau unter Druck gesetzt fühlten. Was ist genau passiert und welche Auswirkungen hat die Affäre auf die Wahl?

kanadischer Premierminister Justin Trudeau

2015 hat Justin Trudeau erst Kanada und dann die progressive Welt im Sturm erobert. Trudeau stand für eine sonnige Zukunft, sein Kampagnenslogan war „Real Change (Now)“. Im Wahlkampf betonte er wie wichtig ihm ein respektvoller Umgang mit den „First Nations“, Teil der kanadischen Ureinwohner/innen ist. Er trat als überzeugter Feminist auf. Erstmals waren im kanadischen Kabinett gleich viele Männer wie Frauen vertreten. Berühmt wurde seine Antwort auf die Frage, warum ihm das so wichtig sei – „Because it is 2015“. So sicherte er sich vor allem die Unterstützung junger Wähler/innen und gewann durchaus überraschend die Wahlen.

Vier Jahre später sieht es deutlich anders aus, seine Wiederwahl ist in Gefahr. Sein Image hat durch den Umgang mit einem Korruptionsskandal, der die kanadische Öffentlichkeit seit Anfang des Jahres in Atem hält, gelitten. Statt der versprochenen „sunny ways“ in der Politik, geht es nun um Schmiergelder, Behinderung der Justiz und den Umgang mit wichtigen Ministerinnen in seinem Kabinett.

Der Korruptionsskandal um SNC-Lavalin

Im Februar 2019 berichtete „The Globe and Mail“, eine führende kanadische Zeitung, mit Bezug auf anonyme Quellen, die damalige Justizministerin und Generalstaatsanwältin Jody Wilson-Raybould sei vom Umfeld von Justin Trudeau dazu gedrängt worden, die Ermittlungen gegen die global agierende Baufirma SNC-Lavalin zu beenden. Zwar hatte Jody Wilson-Raybould dazu die rechtlichen Möglichkeiten, lehnte das Vorhaben aber ab, um die Unabhängigkeit der Justiz nicht zu gefährden. SNC-Lavalin wird im aktuellen Fall vorgeworfen, an die Familie des ehemaligen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi Bestechungsgelder gezahlt zu haben, um an staatliche Aufträge zu kommen. Dabei ist dies nicht das erste Verfahren gegen die Firma wegen Korruptionsdelikten. So darf sich die Firma derzeit für zehn Jahre nicht mehr auf Weltbank-Ausschreibungen bewerben, nachdem ein Korruptionsfall in Bangladesch aufgeflogen ist.

Im aktuellen Fall wollten die Berater Justin Trudeaus auf ein Gerichtsverfahren verzichten, um so weiteren Schaden für das Unternehmen zu verhindern. Bei einem Schuldspruch dürfte SNC-Lavalin ebenfalls zehn Jahre lang keine kanadischen Staatsaufträge mehr erhalten, was die Firma vor große wirtschaftliche Schwierigkeiten stellen würde. Trudeaus Mitarbeiter wollten deshalb einen außergerichtlichen Vergleich aus Sorge um die über 9.000 kanadischen Arbeitsplätze und um die Firma vor einer feindlichen Übernahme zu schützen. Bei einer außergerichtlichen Geldstrafe ohne richterlichen Schuldspruch könnte SNC-Lavalin weiter staatliche Aufträge erhalten.

Rücktritte und ihre Folgen

Kurz nach den ersten öffentlichen Enthüllungen trat Jody Wilson-Raybould von ihrem zwischenzeitlich übernommenem Amt als Ministerin für Veteranenangelegenheiten zurück, äußerte sich aber nicht öffentlich zu der Angelegenheit. Ende Februar äußerte sie sich dann in einer vierstündigen, im ganzen Land verfolgten Anhörung im Parlament: sie sei durch das – vorwiegend männliche – Umfeld des Ministerpräsidenten unter Druck gesetzt worden, einen Vergleich im Fall SNC-Lavalin anzustreben. Dies hätte sie tun können, habe es aber abgelehnt, weil sie die Unabhängigkeit der Justiz schützen wollte. Während die konservative Opposition sofort den Rücktritt von Justin Trudeau forderte, konnte dieser kein Fehlverhalten erkennen. Vielmehr sei es bei dieser Meinungsverschiedenheit immer professionell zugegangen.

Aus verschiedenen Gründen ist die Affäre für Trudeau sehr unangenehm: Einerseits wirkt er als Machtpolitiker alter Schule, der mit seinem vornehmlich männlichen Umfeld die Frauen in seinem Kabinett maßregeln möchte. Der Rücktritt Jody Wilson-Rayboulds hatte zusätzliche Brisanz, weil sie die einzige Vertreterin der indigenen Bevölkerung im Kabinett war. Andererseits stand die Frage im Raum, ob Justin Trudeau und seine Berater sich deshalb für die Firma eingesetzt hatten, weil sie aus Trudeaus Heimatprovinz Québec stammt. Der Vorwurf, seine Regierung würde sich immer wieder über Gebühr für Québec einsetzen, begleitet Justin Trudeau schon seit langem und führt zu Problemen mit anderen Teilen des Landes im dezentral regierten Kanada.

Anschließend kam es zu drei weiteren Rücktritten: Wenige Tage nach Jody Wilson-Raybould trat Gerald Butts, ein enger Vertrauter Trudeaus zurück. Ihm wurde vorgeworfen, persönlich Druck auf Wilson-Raybould ausgeübt zu haben. Er bestreitet dies zwar, trat aber um Schaden von Trudeau abzuwenden, zurück. Im März verließ dann mit Jane Philpott eine zweite Ministerin (zuständig für Finanzen und Digitales) das Kabinett. Sie protestierte mit dem Schritt gegen die in ihren Augen nicht weit genug gehende Aufklärung des Skandals und den falschen Umgang mit Jody Wilson-Raybould. Kurz darauf folgte mit Michael Wernick, dem leitenden Beamten der kanadischen Verwaltung, noch ein weiterer Berater Trudeaus. Somit kam es zu insgesamt vier Rücktritten, zwei Männern aus Trudeaus Beraterumfeld und zwei Frauen aus seinem Kabinett.  

Die politischen Auswirkungen der Affäre

Während Anfang 2019 Trudeau und seine Liberale Partei in den Umfragen deutlich vor den konservativen Tories lagen, verkehrte sich dies nach Ausbruch der Affäre im Februar ins Gegenteil. Damals sah es so aus, als hätten die Konservativen sehr gute Chancen die Wahlen zu gewinnen. Über den Sommer konnte Trudeau seine Umfragewerte jedoch wieder leicht verbessern, weil andere Themen die Agenda bestimmten.  

So schien es, als sei die Affäre für Trudeau erst einmal ausgestanden. Im August aber rügte die Ethikkommission des Landes Trudeaus Verhalten und belegte ihn mit einer geringen Geldstrafe. Trudeau ist damit der erste kanadische Premierminister, dem attestiert wurde, er habe die Ethikgrundsätze verletzt. Im Zuge dieses Berichts hat er inzwischen zwar die Verantwortung für begangene Fehler übernommen, entschuldigen will er sich für sein Verhalten aber nicht. Vielmehr argumentiert er, er habe alles versucht, um kanadische Arbeitsplätze zu sichern.

Vom Tisch ist die Affäre damit aber immer noch nicht. Im September berichtete wieder die „The Globe and Mail“ dass die Polizei Ermittlungen aufgenommen hat um zu prüfen, ob im Laufe der Affäre Trudeaus Umfeld die Arbeit der Justiz behindert hat. Zwar wurden diese Ermittlungen bis zur Wahl ausgesetzt, aber sie werfen kein gutes Licht auf die Regierung.

Was bedeutet das für den Wahlausgang?

Welche Rolle der Skandal letztlich für den Wahlausgang spielen wird lässt sich nur schwer einschätzen. Aktuell liegen die Liberalen und die Konservativen in den Umfragen gleich auf, bei der Sitzverteilung im Parlament scheinen die Liberalen durch das kanadische Wahlrecht aber einen Vorteil zu haben. Ob das so bleiben wird, ist höchst ungewiss, war auch Trudeaus Wahlsieg 2015 sehr überraschend. Beim Wahlausgang wird unter anderem entscheidend sein, welche Themen in den kommenden Wochen den Wahlkampf bestimmen werden. Während Trudeau versucht, über seine Regierungserfolge, beispielsweise eine gut laufende Wirtschaft und niedrige Arbeitslosenzahlen, zu sprechen, nutzt die Opposition jede Möglichkeit, um auf den Korruptionsskandal hinzuweisen. Spannend wird, ob es Trudeau trotz seines angekratzten Images gelingen wird, die vielen jungen Wähler/innen, die ihn vor vier Jahren unterstützt haben, an die Wahlurne zu bringen.