„Noch ist nicht alles verloren!“ - ein aktueller Blick auf Amazonien

Buchvorstellung

Der Regenwald geht in Rauch auf – das ist der Eindruck der Bilder, die nicht das erste Mal um den Globus gehen. Aber digital sind sie noch schneller als früher. Tatsächlich gibt es Brände in der Arktis, brennende Wälder in Kanada, in Sibirien, in Südostasien und nun in Amazonien. Sie lösen Besorgnis und Fassungslosigkeit aus, denn sehr viele Menschen wissen mittlerweile um die Bedeutung des größten Tropenwaldes der Welt für den Klimawandel und den Schutz der biologischen Vielfalt.  

Foto von Barbara Unmüßig

Über die Bedrohung Amazoniens zu reden und nach den vielfältigen Ursachen der Entwaldung zu fragen, das war und ist unser Anliegen, als wir diese Studie beauftragten. Amazonien, das ist nicht nur der größte Tropenwald und das größte Süßwasserreservoir der Welt – es ist Naturraum und Hotspot für biologische Vielfalt und vor allem Lebensraum für 33 Millionen Menschen, für 385 registrierte indigene Völker. Seine Klimafunktion ist anerkannt und bewiesen, ohne den Schutz der Wälder sind die Pariser Klimaziele nicht zu erreichen.

Entwaldung in Brasilien bereits seit Jahrzehnten

Die Meldungen und aktuellen Tendenzen sind besorgniserregend. Die Entwaldungsraten seit Beginn der Präsidentschaft Jair Bolsonaros im Januar 2019 sind nochmals dramatisch gestiegen. Aber erinnern wir uns: Auch unter den früheren Präsidenten von Lula bis Temer ist – bei allem globalen Bewusstsein für die Bedeutung der Tropenwälder und manch nationaler und internationaler Bemühungen – die Entwaldung nie gestoppt worden. Weshalb es uns vor allem auch mit dieser Publikation darum geht, die Hintergründe (und Hintermänner) sowie die Ursachen der Entwaldung zu untersuchen. Denn die Zerstörung des Regenwaldes sowie die Vernichtung des Lebensraumes indigener Völker und traditioneller Gemeinschaften ist ein Ergebnis sozialer und ökonomischer Prozesse, die in Machtverhältnisse eingebettet sind.

Neue Publikation von Thomas Fatheuer

Thomas Fatheuer schafft es mit der Publikation "Amazonien heute", die Interessen der vielfältigen Akteure und Triebkräfte der Entwaldung zu analysieren. Dabei wird deutlich, dass der neue Präsident Bolsonaro für Interessen steht, die tief im brasilianischen Herrschaftssystem verankert sind. Er nimmt die alte Idee wieder auf, dass Amazonien Entwicklung braucht – auch auf Kosten des Regenwaldes. Viehzucht, Landwirtschaft, Großstaudämme und Bergbau sind eben zum Teil hochproduktiv. Traditionelle Entwicklung und Bewahrung von Natur und Lebensräumen bleiben ein Konfliktfeld, das sich nicht durch eine Win-Win-Rhetorik auflösen lässt. Es geht hier um Macht und Profite. Bolsonaro ist kein verrückt gewordener Waldzündler, sondern ein konsequenter, rechtsextremer Vorkämpfer für die Interessen mächtiger ökonomischer Akteure. Bolsonaro unterstützt diese Interessen, indem er die entsprechenden Gesetze und Institutionen wie die Umweltbehörde IBAMA oder die Indianerschutzbehörde FUNAI, welche Schutz für Indigene und Wald gewähren sollten, abräumt, finanziell austrocknet und insgesamt handlungsunfähig macht und diffamiert. Er sagt allen den Kampf an und kriminalisiert all diejenigen, die sein Politikverständnis und Entwicklungsmodell kritisieren und sich ihm entgegenstellen. Die Flammen bedrohen nicht nur den Wald, sondern auch den Lebensraum Indigener, grundlegende Menschenrechte und die (fragile) Demokratie Brasiliens.

Entwaldung steigt seit 7 Jahren wieder

Aber noch ist nicht alles verloren. Erstens steht eben nicht der ganze Amazonaswald in Flammen. Schätzungen gehen davon aus, dass am Ende der Messperiode 2019 (Ende August) ca. 11.500 km² zerstörter Fläche herauskommen gegenüber 7.500 km² im Jahre 2018. Doch jeder Quadratkilometer ist einer zu viel. Abzusehen ist jetzt schon, dass rund um diese Zahlen eine massive Propaganda einsetzen wird, deren Ziel Verharmlosung ist. Die Regierung Bolsonaro verweist immer wieder auf die ersten Jahre der Lula-Regierung (2003/04), in denen die Entwaldungsraten deutlich höher lagen. Dramatisch bleibt jedenfalls, dass seit 2012 die Entwaldung wieder ansteigt.  

Zweitens: Die emanzipatorische brasilianische Zivilgesellschaft, die Öffentlichkeit setzt sich mehr und mehr zur Wehr, macht Druck auf die Regierung. Die Zustimmung zu Bolsonaros Politik nimmt rapide ab. Und viele indigene Territorien und Schutzgebiete bilden zudem und nach wie vor einen Schutz und Verteidigungswall gegen Feuer und Agrobusiness. All dies gilt es zu unterstützen. 

Deutschland muss seinen Teil leisten und aus der Kohle aussteigen

Solidarisch-Sein heißt hier vor allem: mit der Scheinheiligkeit und dem Fingerzeig auf Brasilien aufzuräumen. Denn wir sind kein Vorbild weder im Waldbereich und erst Recht in der Klimapolitik. „Wir“ verbrennen die (unterirdischen) Regenwälder weiter. Wir, die Europäer und die Deutschen importieren das Fleisch, das Soja, das Holz, die Mineralien, deren Ausbeutung die Hauptursachen für Entwaldung sind. So tragen wir Mitverantwortung für die Zerstörung des größten tropischen Regenwaldes der Erde. Dabei hätte die Politik Hebel in der Hand, die sie aber nicht zum Schutz nutzt. Im Gegenteil: Mit dem EU-Mercosur-Handeslabkommen, das zur Ratifizierung ansteht, soll vor allem der südamerikanische Markt für deutsche und europäische Autoexporte geöffnet werden. Im Gegenzug soll die EU noch mehr Soja und Fleisch importieren. So sieht keine glaubwürdige Klima-, Waldschutz-  und Menschenrechtspolitik aus.

Amazonien besser verstehen

Thomas Fatheuer hat mit Amazonien heute eine Grundlage geschaffen, vom Amazonasbecken ein differenziertes Bild zu bekommen. Er analysiert gerade auch die Projektionen, Mythen und Zuschreibungen, die mit diesem vielfältigen, komplexen und riesigen Natur- und Lebensraum verbunden werden. Und er zeigt die Alternativen zu Entwaldung und Zerstörung auf, die soziale Bewegungen und Zivilgesellschaft in Brasilien entwickelt haben. 

Amazonien besser verstehen, ein differenziertes Bild seiner Naturräume und Menschen zeichnen und die Macht-Interessen analysieren und ihnen etwas entgegensetzen – das war schon immer das Anliegen von Thomas Fatheuer. Er kennt Amazonien in Teilen seit Jahrzehnten, hat es für diese Publikation erneut bereist, er ist mit diesem Gebiet familiär verbunden und steht mitten im Dilemma zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Darüber hinaus ist er weiterhin aktiv im Kampf gegen die Zerstörung dieses einzigartigen Lebens- und Naturraums. Und dafür danke ich ihm von ganzem Herzen.

Barbara Unmüßig
Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung