Im Zweifel für Mensch und Umwelt

Auch seriöse Medien machen immer wieder Stimmung gegen das Urteil, das der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu den neuen gentechnischen Verfahren gefällt hat. Sie ignorieren damit die Unabhängigkeit der Gerichte und die Gewaltenteilung als Basis der Rechtsstaatlichkeit.

Böll.Thema Illustration - DNA

Endlich werden Genome Editing und CRISPR/Cas, die neuen gentechnischen Verfahren, öffentlich und politisch diskutiert. Nichts kann gelegener kommen: Was in rasantem Tempo in den Laboren Einzug hält, muss in seinen Folgen, Potenzialen und vor allem  Risiken verstanden und abgewogen werden.

Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Juli 2018 liegt eine erste juristische Bewertung vor. Sind die neuen Verfahren der Gentechnik zuzuordnen und unterliegen damit bereits bestehendem Recht zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO)? Das EuGH hat klar entschieden: Ja! Die neuen gentechnischen Verfahren wie CRISPR/Cas unterliegen grundsätzlich den Bestimmungen der EU-GVO-Richtlinie.

Führen wir uns vor Augen: CRISPR/Cas greift ins Erbgut ein, Genabschnitte werden entfernt, deaktiviert oder hinzugefügt. Dazu schreiben die Richter/innen explizit, dass «deren Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit bislang noch nicht mit Sicherheit bestimmt werden können». Und sie sagen weiter, die Risiken könnten sich «als vergleichbar mit den bei der Erzeugung und Verbreitung von GVO durch Transgenese (Übertragung von Genen aus anderen Arten, d. Red.) auftretenden Risiken erweisen». Die Richter/innen folgten in ihrem Urteil damit auch dem «Grundsatz der Vorsorge». Das Vorsorgeprinzip heißt: Risiken und Gefahren diskutieren, sie wissenschaftlich abwägen, prüfen, wie gefährlich und real sie sind.

Das Urteil verbietet die Gentechnik nicht – schon gar nicht die Forschung. Es bestätigt einen Regulierungsrahmen, der rund um die alte Gentechnik entstanden ist – ein Urteil auf Grundlage bestehenden Rechts (der GVO-Richtlinie) und des Vorsorgeprinzips. Die Richter/innen haben dabei wissenschaftliche Erkenntnisse zu Rate gezogen. Das sieht nicht nur professionell aus – es ist auch so. Bezeichnenderweise wird das Urteil juristisch auch nicht angegriffen.

Wir brauchen einen offenen Austausch zu den Risiken und zur Ausgestaltung des Vorsorgeprinzips.

Jedoch wird jetzt die EU-GVO-Richtlinie von 2001 von manchen Wissenschaftler/innen oder dem Bauernverband als nicht mehr angemessen betrachtet, da sie nicht mehr dem heutigen Wissensstand über Gene und Genome entspreche. Sie lobbyieren die Politik und fordern bereits eine Novellierung der EU-GVO-Richtlinie.

Sind die neuen gentechnischen Verfahren wirklich konventionellen Züchtungsmethoden gleichzusetzen, wie Lobbyist/innen der Biotechnologieindustrie und manche Wissenschaftler/innen oder der Bauernverband fordern? Wie groß sind die Einschnitte – technisch als «Eingriffstiefe» bezeichnet – ins Erbgut? Sind sie wirklich risikofreier, präziser, sicherer als die alte Gentechnik? Welche Risiken wollen wir eingehen? Wie stark machen wir das Vorsorgeprinzip? Über alle diese Fragen müssen wir jetzt nachdenken und wissenschaftlich fundiert debattieren.

Seit dem EuGH-Urteil im vergangenen Juli können wir massive politische und mediale Angriffe auf die Richter/innen des EuGH beobachten – überhaupt auf alle, die kritische Fragen an die neue Gentechnik stellen. Diffamierung statt Offenheit. Hierbei spielen insbesondere auch Beiträge in einigen Medien eine zweifelhafte Rolle. Das Urteil wird als moralisch, nicht wissenschaftlich und innovationsfeindlich diffamiert: In der Süddeutschen Zeitung (SZ) wurde das Urteil gar als ein «gefährlicher Rückschritt» bezeichnet, die richterliche Entscheidung sei «eher von einem Misstrauen in die Wissenschaft und einer gewissen Fortschrittsangst geprägt als von dem Vertrauen in die Chancen neuer Technologien».

Auch Spiegel Online berichtete, das EuGH «blockiere» den Einsatz neuer Gentechnikverfahren, und ließ in seiner Berichterstattung ausschließlich schockierte Wissenschaftler/innen zu Wort kommen, die vor allem Unverständnis für die Entscheidung der Richter/innen zeigten. Begriffe wie «Risiken» und «Vorsorge» fielen so gut wie nie – immer wieder wurden hingegen die positiven Effekte, die Chancen, der Nutzen betont. Und das, obwohl dafür keine wissenschaftlichen Beweise vorliegen.

Die Richter/innen haben entlang geltenden Rechts beraten und auf Grundlage des Vorsorgeprinzips und wissenschaftlicher Gutachten ein Urteil gefällt. Ihnen zu unterstellen, sich «auf Bauchkompetenz statt auf Fachkompetenz» (SZ) verlassen zu haben, ist ein starkes Stück. Es hätte «großen politischen Mutes bedurft, sich auf echten Fortschritt einzulassen», schrieb eine Kommentatorin herablassend. Nein! Nicht politischer Mut ist das Geschäft eines Gerichts, sondern juristische Kompetenz und Sorgfalt, die das Gericht hat walten lassen.

Und in einer rechtsstaatlichen Demokratie fällen unabhängige Gerichte unabhängige Urteile, die die Politik, Bürger/innen und ja, auch Forscher/innen in Gentechniklaboren zum Handeln anleiten oder es eben begrenzen. Ein Urteil eines unabhängigen europäischen Gerichts so zu verreißen, ist kein differenzierter Journalismus. Er respektiert nicht die Unabhängigkeit der Gerichte und ignoriert die Gewaltenteilung als Basis der Rechtsstaatlichkeit.

Mit Berichten wie den oben zitierten leisten auch die seriösen Medien einer Argumentation Vorschub, die insgesamt zu beobachten ist, nämlich einer «generellen Diskreditierung des Rechts und der zu seiner Durchsetzung berufenen staatlichen Institutionen», wie Andreas Voßkuhle in der Zeit (40/2018) schreibt. «Sie fällt vor allem dort auf fruchtbaren Boden, wo die politische Debatte sich radikalisiert, wo das Ringen um Ausgleich und Kompromiss der schlichten Diffamierung des politischen Gegners weicht und die politischen wie sozialen Ordnungsfaktoren der Gesellschaft grundsätzlich infrage gestellt werden. Auch die Bundesrepublik ist vor solchen Tendenzen nicht gefeit.»

Wir brauchen einen offenen Austausch zu den Risiken und zur Ausgestaltung des Vorsorgeprinzips. Wir brauchen eine Forschung, die erstens unabhängig von den Profiteur/innen der neuen Techniken ist und zweitens nicht nur die Chancen, sondern vor allem die Risiken der neuen Technologien erforscht und einzuschätzen hilft.


Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.

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