Allzeit achter Tag der Schöpfung

Über dreißig Jahre schon wird über Sinn, Nutzen und Grenzen der Gentechnik diskutiert. Neue bahnbrechende Möglichkeiten verleihen der Debatte eine neue Dramatik.

Der weiße Schutzanzug samt Atemschutzmaske mit der Aufschrift «Frostbusters» liegt heute im National Museum of American History. Getragen wurde er seinerzeit von Dr. Julie Lindemann von der Firma Advanced Genetic Systems, als sie im April 1987 erstmals einen gentechnisch veränderten Organismus (GVO) in die Umwelt freisetzte. Das war in Monterey County, Kalifornien – und in den Anzug steigen, um das Allerweltsbakterium namens Pseudomonas Syringae auf die Welt loszulassen, konnte sie erst nach einem vierjährigen Rechtsstreit: Dem Bakterium nämlich war die DNA zur Produktion eines Proteins entfernt worden, das bei Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt die Bildung von Eiskristallen anregt. Indem «Ice minus» wilde Verwandte verdrängte, sollte es Erdbeeren vor Frostschäden bewahren. Nachts zuvor aber hatten Earth-First-Aktivisten versucht, die Erdbeeren auszureißen. Ihre Befürchtung: Einmal freigesetzt könnten die Bakterien sich unkontrollierbar vermehren und nicht wieder einzufangen sein. Auf den Markt kam «Ice minus» nie.

Im Januar des selben Jahres legte die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum Thema Chancen und Risiken der Gentechnologie ihren Bericht vor. Eines ihrer Mitglieder, der Molekularbiologe Prof. Ernst-Ludwig Winnacker, später langjähriger Vorsitzender der Deutschen Forschungsgesellschaft und Mitglied im Bayer-Aufsichtsrat, sprach damals vom «achten Tag der Schöpfung». Winnacker, der Sohn eines IG-Farben-Direktors und späteren Chefs der Höchst AG, prägte wie kein anderer die Gentechnikforschung in Deutschland und der EU. Bereits 1987 warnte er vor Gesetzen, die den Forschungsstandort Bundesrepublik «in die Rolle eines Zuschauers versetzen».

 

In Opposition dazu formulierten grüne Abgeordnete und Forscherinnen in einem Minderheitsvotum fundamentale Kritik an solch patriarchaler Technologiegläubigkeit: «Mit der Anwendung genmanipulativer Methoden ist die biologische Forschung zu einer ingenieurmäßigen Tätigkeit geworden, die Lebewesen ‹erfindet›, konstruiert und zurichtet.» Dies gefährde im Humanbereich die Menschenwürde. Und in der Tier- und Pflanzenzucht werden «die wirtschaftlich-strukturelle Krise der Landwirtschaft verschärft und die Vernichtung genetischer Ressourcen sowie die Gefährdung der Ökosysteme weitergetrieben», ebenso die Unternehmenskonzentration. Die Risiken seien weder abschätzbar noch zu vertreten. Technologie bedürfe der Fehlerfreundlichkeit. Und Patente auf Leben lehnten die grünen Kritiker/innen ab. Die in der Friedens- und AKW-Bewegung bereits begonnene Ausarbeitung eines ökologischen Wertekanons nahm nun im Rahmen der Gentechnikdebatte wesentlich Gestalt an – und erwies sich verblüffend schnell als mehrheitsfähig, gerade auch in konservativen Kreisen.

Dennoch hat sich an den Grundzügen des seinerzeit begonnenen Disputes seit dreißig Jahren wenig verändert. Gut: 1992 kam nach den EU-Verträgen von Maastricht und der Konferenz von Rio 1992 (UNCED) die Vorsorgepflicht hinzu – und ebenso die Kennzeichnungspflicht. Doch auch das Argument, Widerstand sei zwecklos, «Gentechnik kommt doch sowieso» stammt aus dieser Zeit. Und auch die Mär von der Gentechnik als Retterin vor dem Welthunger. Richtig verfangen haben aber beide in Europa nie. Supermärkte konstatieren seit über 20 Jahren, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel zutiefst abgelehnt werden, und verhindern, dass sie in die Regale einziehen. Eine europaweite Bewegung gentechnikfreier Regionen, der bis auf Sachsen alle deutschen Bundesländer angehören, unterbindet,  dass GVOs in der EU angebaut werden.

Dass die Verfeinerung der Gentechnik durch CRISPR/Cas deren Wesen ändert, glaubt bis auf ein paar Wissenschaftskommunikator/innen ernsthaft niemand; wohl auch nicht die grünen Parteivorsitzenden, die mit einem Vorstoß im Sommerloch des vergangenen Jahres die Gemüter erhitzten.

Die neue Diskussion um Gene Drives und CRISPR/Cas-getriebene, gentechnische Kettenreaktionen zur Veränderung der Natur verleiht der alten Debatte allerdings neue Dramatik. Darf und soll die Menschheit, wird «Homo Deus» im Verbund mit künstlicher Intelligenz Lebewesen und Ökosysteme so verändern, wie dies Politikern und Unternehmen gerade sinnvoll erscheint? Ein Déjà-vu mit dem «achten Tag der Schöpfung»? Die Möglichkeiten, bestimmte Dinge technisch umzusetzen, sind jedenfalls heute weitaus besser als damals. Und auch die Protagonisten wirken weitaus entschlossener.


Benny Härlin, Journalist und Politiker, war 1986 einer der Mitbegründer des Genethischen Netzwerks.

This article is licensed under Creative Commons License