Was ist dran an den neuen „Afrikapolitischen Leitlinien“?

Kommentar

Die Bundesregierung hat ihre fortgeschriebenen Leitlinien für die Afrikapolitik veröffentlicht. Kohärenter wird sie dadurch nicht. Dafür wird die immer noch im Krisenmodus verhaftete Migrationspolitik zum integralen Bestandteil.

5th African Union - EU Summit Opening ceremony
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Alassane Ouattare, Präsident der Elfenbeinküste, Angela Merkel und Alpha Conde, Präsident der Afrikanischen Union beim 5. Gipfeltreffen der Afrikanischen Union und europäischen Union im November 2017.

Jetzt sind sie raus, die fortgeschriebenen und weiterentwickelten „Afrikapolitischen Leitlinien“ der Bundesregierung, die so einiges versprechen. Zunächst die im Titel ausgedrückte „vertiefte Partnerschaft mit Afrika“ – also mehr in Bezug auf den Nachbarkontinent, mit dem das „Wohlergehen Europa …untrennbar verbunden“ sei. Dabei will man den Nachbar nicht mehr vorrangig als Objekt der eigenen Interessen, sondern als eigenständigen Akteur der Weltgeschicke wahrnehmen.

Eine neue „Ebene der Zusammenarbeit“ sei angestrebt.  Dafür sind bereits eine ganze Reihe von Initiativen losgetreten worden: Die G20-Initiative Partnerschaft mit Afrika mit dem Compact with Africa, der Marshallplan mit Afrika und Reformpartnerschaften sowie die Pro!Afrika-Initiative. Alles deutsche Impulse, die in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen die wirtschaftliche Entwicklung boosten und Rahmen- und Investitionsbedingungen verbessern wollen, um „privatwirtschaftliches Engagement auf dem Kontinent zu steigern“. Die Unübersichtlichkeit all dieser Initiativen besteht weiter, trotz des Versprechens für mehr Politikkohärenz. Eine reine Auflistung der bislang recht unabgestimmten Vorhaben  führt noch nicht zur angestrebten Harmonisierung.

Afrikapolitische Leitlinien mit fünf Zielen 

Die Bundesregierung will ihre Maßnahmen auf fünf Ziele in den Bereichen Frieden und Stabilität, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Migration, Afrika in der Weltordnung und zivilgesellschaftliche Partnerschaften ausrichten. Die Nummer drei, „Migration steuern und gestalten, Fluchtursachen mindern, Flüchtlinge unterstützen“ erscheint dabei als das Kernstück der Neuanpassung deutscher Afrikapolitik. Denn der Impuls zu einem intensiveren Engagement auf dem afrikanischen Kontinent und die oben genannten Initiativen rührt von der Krisenstimmung 2015, als knapp über eine Million Menschen nach Europa kamen. Das Bestreben, die Grenzen um Europa undurchlässiger zu machen und die Zahl der „irregulären Migranten“ drastisch zu reduzieren, ging einher mit der Einbindung afrikanischer Regierungen beim damals herbeigerufenen Gipfel in Valletta (und dem darauffolgenden Türkei-Deal).

Migrationspolitik sei ein „integraler Teil unserer Afrikapolitik“, heißt es nun in den Leitlinien, und es bestehe ein „beträchtlicher Handlungsbedarf“. Nun will man „Ursachen von Flucht und irregulärer Migration mindern und Schleuseraktivitäten unterbinden“. Und dabei sollen die afrikanischen Partner mitmachen, denn „ungesteuerte, irreguläre Migration“ liege „weder im afrikanischen noch im europäischen Interesse“. Dass afrikanische Regierungen und Gesellschaften angesichts nicht unbeträchtlicher Rücküberweisungen von Migranten und Migrantinnen in ihre Heimatländer vielleicht einen ganz anderen Blick auf das Thema haben und solche Begriffspaare wie „irreguläre Migration“ selbst gar nicht verwenden, scheint unerheblich. Etwas versteckt taucht der Widerspruch da auf, wo von „Sorgen und Anliegen der afrikanischen Staaten“ die Rede ist und davon, dass man einen „fairen Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen finden“ wolle. Das hieße dann aber legale Migrationswege zu öffnen und weitaus mehr Afrikanern die Möglichkeiten zu geben, mit einem Visum, Aufenthalt und Arbeitsmöglichkeit in Deutschland oder Europa nach Glück zu streben und ihre Familien zuhause mit Rücküberweisungen zu helfen. Da lügt man sich in die Tasche, wenn im Text lediglich von „besserem Zugang zu den bestehenden regulären Migrationsmöglichkeiten“ gesprochen wird. Denn die reichen ja bekanntlich bei weitem nicht aus!

Planlosigkeit bei Migrationsursachen

Also doch eher einseitige „Eindämmung irregulärer Migration! „Zentral“ sei auch die „Kooperation bei der Aufklärung über freiwillige Rückkehr und Reintegration“, und man erwarte „eine Mitwirkung der Herkunftsstaaten daran, dass Ausreisepflicht staatlicherseits durchgesetzt wird“.

Die Planlosigkeit bei der Minderung von Migrationsursachen, die oft weitaus komplexer sind als in der deutschen oder europäischen Politik gedacht, wird nicht wett gemacht durch den schönen Satz „Wir werben für ein besseres Verständnis und eine realistische Einschätzung von Migrationsbewegungen in Afrika sowie zwischen Afrika und allen Kontinenten“.  Ein solches Verständnis und realistischere Einschätzungen erfordern einen wirklichen Dialog und unsere Bereitschaft, Migration als das zu gestaltende und nicht zu verhindernde Normale einer globalisierten Welt anzusehen.

Eine deutsche Afrikapolitik, die vom einem im Krisenmodus herbeigeführten Abwehrmechanismus inspiriert ist, läuft in die Irre.  Die afrikapolitischen Leitlinien stellen den Versuch dar, die 2014 entstandenen Leitlinien angesichts geänderter Rahmenbedingungen anzupassen. Die Agenda 2030, das Pariser Klimaabkommen, Migrations- und Flüchtlingspakt und die Agenda 2063 der Afrikanischen Union – sie alle bieten wichtige neue Referenzpunkte, die im Text häufig vorkommen. Wenn die Bundesregierung sie wirklich ernst nimmt, muss in den einzelnen Zielstellungen und Politikfeldern zum Tragen kommen, dass es um die Menschen des Kontinents geht, die als Handelnde wahrzunehmen und als Gesprächspartner anzusprechen sind. Auf dem sich demographisch rasant wandelnden Kontinent müssen es in der Tat jüngere Menschen sein, denen unsere Aufmerksamkeit zu gelten hat. Sie in bessere Bildungschancen, Erwerbsmöglichkeiten und in politische Teilhabe zu versetzen, wird Maßstab jeder Politik sein müssen. Eine sozial-ökologische Transformation, die wirtschaftliche Entwicklung zum Wohle aller gestaltet, muss dabei Kernbestandteil deutscher Afrikapolitik sein; agrarökologische Prinzipien und nachhaltige Systeme der Nahrungsmittelproduktion sind dabei nicht nachrangig zu betrachten, sondern brauchen ein weitaus stärkeres Augenmerk und Engagement.

Die Leitlinien-Versprechen von mehr intensiver Zusammenarbeit werden letztlich daran zu messen sein.