Eröffnungsrede: Alternative Grüne Woche 2019

Rede

Barbara Unmüßig begrüßt und eröffnet unsere Grüne Woche. Wir starten mit einer Veranstaltung zur neuen Gentechnik. Die alternative Grüne Woche findet vom 14.01. – 22.01.2019 in der Heinrich-Böll-Stiftung statt.

DNA-Strang

Es ist sehr erstaunlich, wie gegensätzlich gleichzeitige Trends manchmal laufen.

Auf der einen Seite ist den Menschen in Deutschland eine gesunde Ernährung und eine ökologisch wie sozial nachhaltige Landwirtschaft immer wichtiger. Der Konsum von Biolebensmitteln steigt rasant. Und Gentechnik in der Landwirtschaft lehnen 79 Prozent der Deutschen ab. Das hat die Naturbewusstseinsstudie 2017 des Bundesumweltministeriums und des Bundesamtes für Naturschutz erneut bestätigt. Diese grundsätzliche Ablehnung bewegt sich seit Jahren auf einem recht stabilen Niveau.

Gleichzeitig scheinen die positiven Stimmen für die Notwendigkeit der neuen Gentechnik fast omnipräsent. Glaubt man manchen Zeitungsartikeln und den Protagonist/innen der neueren Gen- und Biotechnologien, so sind Welthunger, die Klimakrise, Malariabekämpfung oder der Schutz bedrohter Arten ohne Gentechnik absolut nicht zu bewältigen.

Bei den Agrobiotechnologie-Unternehmen macht sich so etwas wie Goldgräberstimmung breit. Sie proklamieren, Nutztiere und –Pflanzen könnten weiter optimiert werden, um krankheits-, dürreresistent oder auch resistent gegen bestimmte Schädlinge zu sein. Verlockend klingen auch die Aussichten, mittels gentechnischer Verfahren Krankheitsüberträger wie die Anopheles Stechmücke, die Malaria auslöst, auszurotten; oder gar ausgestorbene Wildtiere wieder zum Leben zu erwecken. An allem wird geforscht und die Heilsverprechen werden öffentlich diskutiert.

Die Ziele und Versprechen sollen endlich in Deutschland und Europa die Akzeptanz für gentechnische Verfahren schaffen, die völlig neu und risikofreier seien als die alte Gentechnik. Der Streit darum, ob die neuen gentechnischen Verfahren ebenso stark reguliert und auf ihre Risiken – gemäß dem Vorsorgeprinzip – hin geprüft und überwacht werden müssen, ist voll entbrannt.

Obwohl der Europäische Gerichtshof hier letztes Jahr geurteilt hat: Bei den neuen Verfahren wie Genom Editing handelt es sich um Eingriffe ins Erbgut von Organismen, das gezielt manipuliert wird, weil kurze Genabschnitte entfernt, deaktiviert hinzugefügt werden. Die neuen Verfahren fallen somit unter die europäische Gesetzgebung zu gentechnisch veränderten Organismen. Nach dem EuGH-Urteil werden aber immer mehr politische Ankündigungen laut, das Gentechnikgesetz grundsätzlich überarbeiten zu wollen.

Manche Medienberichte rund um das EuGH-Urteil, die behaupten, das Gericht habe ein moralisches Urteil gefällt, lassen aufhorchen und sind Signal dafür, dass wir als Zivilgesellschaft uns einmischen müssen, wenn es zu einer Novellierung der deutschen und europäischen Gesetzgebung kommen sollte.

Dabei haben wir uns auf massive Angriffe einzustellen: Menschen, Wissenschaftler/innen, NGOs, Verbände, die eine strenge Kontrolle von gentechnisch-veränderten Organismen fordern, werden auch gerne mal als Ideologen und als wissenschafts- und technikfeindlich, wenn nicht als zukunftsfeindlich beschimpft. Obwohl man meinen könnte, dass Bayer derzeit genug mit sich selbst und ihrer missglückten Monsanto-Übernahme zu tun hat, hatte der Konzern nichts Besseres zu tun, als uns auf Twitter für diese Veranstaltung hier heute Abend anzupöbeln.

Auch in einem Telefonat sagte mir neulich ein Bekannter, wir könnten uns unsere kritische Haltung gegenüber Gentechnik schon aus moralischen Gründen nicht mehr leisten. Doch, können wir und zwar gerade jetzt. Denn es gibt Antworten auf die großen Herausforderungen der Welt, die kreativ, innovativ, schlau und demokratisch sind, ohne Gentechnik auskommen und gleichzeitig die Machtkonzentration und Abhängigkeit der Bäuerinnen und Bauern von (Gen-)Saatgut und den ergänzenden Pestiziden von Agrarmultis adressieren.

Gentechnik – weder neue noch alte Gentechnik - ist für uns eine Lösung – weder für die Überwindung des Hungers in der Welt, noch für die Klimakrise, noch für den Schutz der Biodiversität. All diese Versprechen kennen wir seit mehr als 30 Jahren. Die Bilanz dieser Leistungen? Vor allem billiges Futter für die Massentierhaltung in Form von Monokulturen. Fragen wir unsere Partnerinnen und Partner in Brasilien oder Argentinien, wie viele Pestizide durch gentechnisch veränderte Pflanzen eingespart wurden – sie werden ihnen erzählen, wie der explodierende Einsatz von Glyphosat ihre Lebensgrundlagen, und ihre Gesundheit belastet.

Richtig ist, dass die neuen gentechnischen Verfahren in den letzten Jahren extreme Fortschritte gemacht haben. Insbesondere die Gen-Schere CRISPR, die Katharina Kawall von der Fachstelle Gentechnik und Umwelt uns gleich näher erläutern wird, hat seit ihrer Erfindung zu einem Quantensprung in der Machbarkeit geführt. Gentechnische Veränderungen von Pflanzen, Tieren und letztlich sogar Menschen sind schneller und einfacher möglich, nicht mehr so kostenintensiv und durch die neue CRISPR Methode, auch genauer als noch vor einigen Jahren.

Die CRISPR Babys aus China haben zu einem Aufschrei geführt. Dabei ist sehr deutlich geworden, was alles möglich ist mit den neuen gentechnischen Instrumenten. Was dem Zufall, der natürlichen Auslese vorbehalten war, kann jetzt schnell und kostengünstig hergestellt werden. Schon heute gibt es kleine Bausätze zur Genveränderung, die im Internet bestellt werden können – nach dem Motto „alle können Schöpfung“. Der Erwerb ist in Europa erlaubt, der Einsatz ist aber (noch) illegal

Wir wollen den Blick schärfen und fragen, ob denn die neue Gentechnik wirklich so anders, so viel risikofreier ist als die alte Gentechnik. Wollen wir alles, was technologisch machbar ist, auch anwenden? Genau dazu brauchen wir eine intensive, politische und öffentliche Debatte. Wir stellen uns dieser Aufgabe als Stiftung.

Am Mut und Willen, die Diskussion in Politik und Medien wirklich kontrovers auszutragen, mangelt es, so scheint es mir. Das zeigt die Debatte um Gene Drives – eine Variante des Genom Editings, bei der sich eine genetische Veränderung innerhalb einer in Freiheit lebenden Art dominant ausbreiten kann. Die Verlockung scheint groß: Mücken, die Malaria übertragen, können so einfach ausgerottet werden, genauso wie Tiere und Pflanzen, die als invasive Arten herkömmliche Arten bedrohen. Auch gegen Glyphosat resistent gewordene Unkräuter könnten mit Gene Drives ausgelöscht werden.

Das Ziel: Medizinische Neuerungen, Natur- und Artenschutz werden so zum Einfallstor für die Akzeptanz neuer Gentechnik. Wollen wir das, ehe wir die Risiken und Auswirkungen auch nur ansatzweise verstanden haben? Es geht nicht ums Verdammen oder vorbehaltlos begrüßen, sondern ums Verstehen, was die neuen Technologien wollen und darum, ihre Risiken voll zu erfassen. Das ist das Vorsorgeprinzip und heißt, Verantwortung ernst zu nehmen. Es verwundert mich übrigens nicht, dass längst in nationalen, europäischen wie internationalen Kontexten die Industrie-Lobbys den Angriff auf die so wichtige Errungenschaft des Vorsorgeprinzips in der Umwelt-, Gentechnik- Klima und Biodiversitätspolitik gestartet haben.

Soziale Innovation und gesellschaftliche Veränderungen hingegen wie zum Beispiel ein geringerer Fleischkonsum, der Zugang zu Land, ein freier Zugang zu Saatgut, agrarökologische Anbaumethoden – all das hat in dieser Goldgräberstimmung der gen- und biotechnologisch fixierten Kreise keinen Platz.

Agrarökologische Forschung wird kaum finanziell unterstützt. Modern, das ist für mich, wenn wir uns der Komplexität der Herausforderungen stellen. Modern sind für mich Technologien, die replizierbar für Viele sind und rückholbar dann, wenn sie zu großen Schaden anrichten. Modern sind Technologien, wenn sie demokratisch gesteuert werden können und der Allgemeinheit zugutekommen und Menschen nicht ausschließen. Eine moderne Landwirtschaft schafft Vielfalt - immer wieder aufs Neue. Mit Gentechnik dagegen hat sie herzlich wenig zu tun – eben weil es Alternativen zu ihr gibt und wir die Risiken für die Schöpfung bei Weitem nicht kennen.  

Umso mehr freue ich mich, dass wir heute Abend die Chance haben über die vielen offenen Fragen zu diskutieren. Ich bin hier, um zu lernen. Denn eines ist klar, die Herausforderungen, die vor all jenen liegen, die Europa frei von Gentechnik halten wollen, sind immens.