Lisa Baßenhoff, Universität - Bielefeld

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Werknetze. Soziomaterielle Überlegungen zu einer mehr-als-menschlichen Kunstsoziologie

 

In meinem Forschungsvorhaben befasse ich mich mit der Frage, wie Materialitäten systematisch in die Beobachtung von Schaffensprozessen in der bildenden Kunst einbezogen werden können.

Bereits seit einiger Zeit beschäftigen sich Forscher:innen damit, das Verhältnis des Menschen zur Welt anders zu denken. Kritisiert wird dabei die Betrachtung der Welt aus einseitig menschlicher Sicht, die zumeist mit der Annahme einer herausragenden, außergewöhnlichen Stellung der Menschheit einhergeht. An die Stelle des Anthropozentrismus (von altgriechisch: ánthrōpos/Mensch"; kéntron/Zentrum) soll eine postanthropozentrische oder auch posthumanistische Haltung treten. Sie ist geleitet von der Annahme, dass der Mensch nur eingebettet und verstrickt in Gefüge menschlicher und nicht-menschlicher Wirkkräfte gedacht werden kann.  

Diese sogenannte ontologische Wende in den Geistes- und Sozialwissenschaften wurde verstärkt durch das Aufkommen des Begriffs des Anthropozäns (von altgriechisch: ánthrōpos/Mensch ; kainós/neu) im Fachbereich der Geologie, der die Menschheit als geologische Kraft, als bestimmender Faktor eines neuen Erdzeitalters fasst . Die Verschränkung von menschlichen und nicht-menschlichen Wesen zeigt sich hier in besonders eindrücklicher, weil krisenhafter Form.

Die Künste haben den Begriff des Anthropozäns rasch aufgenommen, im Zusammenspiel mit Diskursen über den Klimawandel und ökologischer Nachhaltigkeit. Was aber sind die Auswirkungen auf die Künste selbst, auf ihre materiellen Grundlagen und ihren Umgang mit diesen? Wie könnte eine postanthropozentrische Soziologie der Künste aussehen?

Mit meiner Dissertation will ich dieses Themenfeld entwickeln. Dazu schlage ich eine Soziologie der (Bildenden) Künste für eine mehr-als-menschliche Welt vor. Diese bewegt sich in der Spur von Denkerinnen des Neuen Materialismus und kultur-/kunstsoziologischen Strängen der französischen Soziologie der Übersetzung (auch Akteur-Netzwerk-Theorie genannt), insbesondere von Antoine Hennion und Bruno Latour. Der Schaffensprozess stellt sich darin als komplexes und oft eingespieltes Zusammenwirken von menschlichen und nicht-menschlichen Wesen in einem Werknetz dar, das multitemporal und multispatial gedacht werden muss.

Neben der theoretischen Entwicklung bildet die ethnografische Untersuchung von Produktionsprozessen im Studium der Freien Kunst den empirischen Kern meines Vorhabens. Hier beobachte ich das Zusammenwirken von Mensch und Material(itäten) unter der Prämisse gegenseitiger (De)Stabilisierung, der Herausbildung von Sprecher:innenpositionen und der Verschiebung ontologischer Zustände.

Der Begriff des Anthropozäns hilft dabei, die weit entfernt liegenden Zeiten und Orte im Blick zu behalten, die in der Produktion von Kunst zusammenkommen. Zudem können Fragen nach dem Zusammenhang von billiger Natur, Verschwendung und dem Ideal von Freiheit und Selbstsetzung in der (westlichen) Kunst gestellt werden.

Insgesamt will ich so die Kunst im Zeitalter des Anthropozäns durch einen soziomateriellen Ansatz befragbar machen und einen Ausgangspunkt schaffen für ökologische, postkoloniale und ökonomische Fragestellungen im Hinblick auf künstlerische Arbeitsprozesse.