92 Ökonom/innen gegen Weltbankpläne zu Schattenbanken

Offener Brief

92 renommierte Ökonom/innen aus zahlreichen Ländern warnen aus Anlaß der Weltbank-Jahrestagung in diesem offenen Brief davor, die Entwicklungs- und Infrastrukturfinanzierung auf das Schattenbanksystem umzustellen. Betroffen wären Sektoren der wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur wie Transport, Wasser, Energie, Bildung und Gesundheit.

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World Bank Annual Meeting in Idonesia
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Vom 8. bis 14. Oktober 2018 findet die Jahrestagung der Weltbank auf Bali statt

Unsere Pressemitteilung zum offenen Brief der Ökonom/innen.

Im vergangenen Monat erinnerten Zentralbanker und Politiker in aller Welt an die weltweite Finanzkrise und die daraus gezogenen Lehren. Ihre Antwort lautet unisono: Wir haben jede Menge unternommen, um die Banken zu reformieren und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vor der überzogenen Risikobereitschaft der Banken zu schützen, aber gegen das System der Schattenbanken sind wir nicht ausreichend vorgegangen. Hier endet der Konsens. Die Notenbanken fordern für sich mehr Kompetenzen, um mit den systemischen Risiken fertig zu werden, die von Schattenbanken ausgehen. Die Politiker dagegen fürchten Fehlanreize („Moral Hazard“), die durch künftige Rettungsmaßnahmen für Schattenbanken wie Lehman entstehen könnten.

Umso größer ist unsere Sorge, dass die gleichen Autoritäten das Schattenbankensystem im globalen Süden aktiv fördern. Gestützt auf Schlagworte wie Billions to Trillions und auf die neue Weltbank-Agenda Maximizing Finance for Development (MFD), sieht die neue Strategie zur Verwirklichung der Ziele für die nachhaltige Entwicklung so aus: Man nutze die Techniken des „Shadow banking“ um „investierbare“ Anlagemöglichkeiten in den Bereichen Infrastruktur, Wasserversorgung, Gesundheitswesen oder Bildung zu kreieren und auf diese Weise globale institutionelle Anleger für billionenschwere Investitionen zu gewinnen.

Wer die Entwicklungsfinanzierung für das Schattenbankensystem öffnet, fördert nicht nur die Privatisierung von Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge, sondern läutet womöglich eine Austeritätspolitik in Permanenz ein, nach dem Prinzip „Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren“. Noch grundsätzlicher: Die Finanzsysteme armer Länder sollen nach dem Vorbild von Kapitalmärkten umorganisiert werden, die für global agierende Investoren attraktiv sind. Diese gezielte Umgestaltung von Finanzsystemen ist eine Gefahr für die Fortschritte auf dem Weg zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele (SDG). Wir rufen die Regierungen und internationalen Institutionen, die in Bali zu den Tagungen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, zum G20-Treffen und zum Global Infrastructure Forum zusammenkommen, dazu auf, einen Schritt zurückzutreten und die entwicklungspolitischen Folgen der MFD-Agenda gewissenhaft abzuschätzen.

Der Probelauf für die MFD-Agenda findet im Rahmen der argentinischen G20-Präsidentschaft im Infrastrukturbereich statt. Die Pläne dafür werden in der „Roadmap to Infrastructure as an Asset Class“ konkret dargelegt. Diese Pläne begünstigen das Schattenbanksystem gleich in doppelter Hinsicht.

Erstens hat die Weltbank vor, mittels Verbriefung privates Kapital zu mobilisieren. Die Weltbank will Infrastrukturkredite – sowohl ihre eigenen als auch Kredite aus dem gesamten Portfolio der multilateralen Entwicklungsbanken – bündeln und vor- und nachrangige Tranchen (Senior- und Junior-Tranchen) emittieren, um sie an institutionelle Anleger mit unterschiedlicher Risikobereitschaft zu verkaufen. Die Verbriefung ist, wie wir seit dem Lehman-Zusammenbruch wissen, ein Schattenmarkt und anfällig für Fehlanreize, aggressive Fremdkapitalaufnahme und für aggressiven Vertrieb der zugrunde liegenden Kredite an Kunden, die sich diese Kredite nicht leisten können. Sie führt zu systemischer Verflechtung und Instabilität.

Auf keines dieser Probleme wird in den MFD-Plänen eingegangen. Stattdessen fordert die MFD-Agenda im Rahmen des sogenannten „Kaskaden“-Ansatzes arme Länder auf, ihre knappen Haushaltsmittel und/oder öffentliche Finanzhilfen dafür einzusetzen, bei bankfähigen Projekten das Risiko zu verringern, indem sie zum Beispiel Garantien oder Zuschüsse für Nachfragerisiken oder politische Risiken gewähren. Da die Weltbank einen Teil der Junior-Tranche behalten wird, können arme Länder durch entsprechenden Druck leicht dazu bewegt werden, die risikominimierenden Zahlungen oder Garantien beizubehalten, auch wenn sie dafür dringend nötige Sozialausgaben kürzen müssen.

Zweitens ist die MFD-Agenda nicht bloß Ausdruck einer ideologischen Präferenz für die privatwirtschaftliche Erbringung öffentlicher Leistungen der Daseinsvorsorge. Sie gibt außerdem vor, die Finanzsysteme armer Länder zu verändern in Richtung liquider Kapitalmärkte, die für global agierende institutionelle Anleger attraktiv sind. Doch das Rezept, mit dem die Weltbank Liquidität in lokalen Wertpapiermärkten organisieren will, setzt voraus, dass eben jene Schattenmärkte (nämlich Repo- und Derivatemarkt) gefördert werden, die dafür verantwortlich waren, dass der Lehman-Zusammenbruch sich zu einer weltweiten Finanzkrise auswuchs. Es ist zugleich ein Rezept für weniger politische Autonomie. Wer arme Länder ermuntert, sich in die Riege der globalen Wertpapieranbieter einzureihen, setzt sie – dies räumt auch der IWF ein – den Rhythmen des weltweiten Finanzzyklus aus, auf den sie wenig Einfluss haben, wie die jüngsten Entwicklungen in Argentinien zeigen.

Wir rufen die Weltbankgruppe auf, sich der Erkenntnis zu öffnen, dass die Präferenz für die Privatwirtschaft kein Automatismus, sondern nur dann eine Option sein sollte, wenn dies nachweislich dem Gemeinwohl dient. Für den Fall, dass die privatwirtschaftliche Option diesen Test besteht, fordern wir die Weltbankgruppe auf, einen Analyserahmen zu entwickeln, mit dem die Kosten der in die MFD-Agenda eingebetteten De-Risking-Maßnahmen und Zuschüsse klar aufgeführt werden, damit die verschiedensten Stakeholder – auch zivilgesellschaftliche Organisationen und andere Akteure, die sich für das Gemeinwohl engagieren – die Resultate und fiskalischen Kosten engmaschig kontrollieren und so für Transparenz und Rechenschaftspflicht sorgen können.

Falls die multilateralen Entwicklungsbanken die Vorschläge zur Verbriefung von Entwicklungskrediten annehmen, sollten sie zuerst einen glaubwürdigen Rahmen schaffen, der die Nachhaltigkeitsziele vor den systemischen Instabilitäten des Schattenbanksystems schützt. Dies allein wird allerdings nicht ausreichen. Damit sie die Entwicklungsspielräume nicht verengt, sondern die nachhaltige Entwicklung voranbringt, sollte die MFD-Agenda nur verabschiedet werden in Kombination (a) mit einem durchdachten Rahmen für die Projektauswahl, der auf die globalen Ziele für die nachhaltige Entwicklung und das Pariser Klimaschutzabkommen ausgerichtet ist, (b) mit einem umsichtig gestalteten Rahmen für den Umgang mit volatilen Portfolio-Investitionsströmen in lokale Wertpapiermärkte sowie (c) mit einem robusten globalen Sicherheitsnetz.

Liste der Unterzeichner/innen

  • Daniela Gabor, Professor of Economics and Macrofinance, UWE Bristol
  • Ewald Engelen, Professor of Financial Geography, University of Amsterdam
  • Daniela Magalhães Prates, Professor of Economics, University of Campinas, Brazil
  • Gunther Capelle-Blancard, Professor of Economics, University of Paris 1 Pantheon-Sorbonne
  • Pablo Bortz, Professor of Macroeconomics, IDAES-National University of San Martín, Argentina
  • Kevin Gallagher, Professor of Economics, Boston University
  • Alicia Puyana, Professor of Economics, FLACSO Mexico
  • Laurence Scialom, Professor of Economics, University of Paris Nanterre
  • Jayati Ghosh, Professor of Economics, Jawaharlal Nehru University, India
  • C. P. Chansrasekhar, Professor of Economics, Jawaharlal Nehru University
  • Ilene Grabel, Professor of International Political Economy, University of Denver 
  • Cornel Ban, Reader in International Political Economy, City University
  • Carolina Alves, Girton College and Faculty of Economics, University of Cambridge.
  • Jérôme Creel, Associate Professor of Economics, Sciences Po, Paris.
  • Kai Koddenbrock, Interim Professor of International Political Studies, University of Witten-Herdecke, Germany
  • Nuno Teles, Professor of Economics, Federal University of Bahia, Brazil
  • Marco Veronese Passarella, lecturer in Economics, University of Leeds
  • Jesus Ferreiro, Professor of Economics, University of the Basque Country UPV/EHU
  • Elisa Van Waeyenberge, Senior Lecturer in Economics, School of Oriental and African Studies, UK
  • Phil Mader, Research Fellow, Institute of Development Studies, Sussex.
  • Manuel B. Aalbers, Professor of Economic Geography, KU Leuven/University of Leuven, Belgium
  • Cédric Durand, Associate Professor of Economics, Université Paris 13
  • Sandy Hager, Senior Lecturer in International Political Economy, City University London        
  • Ben Fine, Professor of Economics, School of Oriental and African Studies, UK
  • Hansjörg Herr, Professor of Economics, Berlin School of Economics and Law
  • Vincenzo Bavoso, Lecturer in Commercial Law, University of Manchester
  • Kate Bayliss, Senior Research Fellow, University of Leeds
  • Melissa García-Lamarca, Postdoctoral researcher, Universitat Autònoma de Barcelona, Spain
  • Andreas Nölke, Professor of International Political Economy, Goethe University
  • Duncan Lindo, Research Fellow, University of Leeds
  • Brigitte Young, Professor of International Political Economy, University of Muenster, Germany.
  • Christoph Scherrer, Director, International Center for Development and Decent Work, University of Kassel
  • Hans-Jürgen Bieling, Professor of Political Economy, University of Tübingen
  • Eve Chiapello, Professor of economic sociology, EHESS Paris
  • Dr Caroline Metz, the University of Manchester
  • Birgit Mahnkopf, Prof. Em. of International Political Economy, Berlin School of Economics and Law
  • Alessandro Vercelli, Professor of Economics, University of Siena
  • Susanne Soederberg, Professor of Global Development Studies, Queen’s University
  • Ipek Eren Vural, Associate Professor, Department of Political Science and Public Administration, Middle East Technical University, Ankara
  • Yamina Tadjeddine, Professor of Economics,  Université de Lorraine
  • Thomas Wainwright, Reader, School of Management, Royal Holloway, University of London.
  • Anders Lund Hansen, Associate Professor Department of Human Geography, Lund University
  • Malcolm Sawyer, Emeritus Professor of Economics, University of Leeds, UK
  • Jeff Powells, Senior lecturer in economics. University of Greenwich
  • Raquel Rolnik, University of São Paulo - Brasil.
  • Jo Michell, Associate Professor, University of the West of England
  • Jan Kregel, Professor of Economics, Levy Economics Institute
  • Irene von Staveren, Professor of Pluralist Development Economics, International Institute of Social Studies, Erasmus University Rotterdam
  • Stavros D. Mavroudeas, Professor (Political Economy), University of Macedonia
  • Ray Bush, Professor of African Studies and. Development Politics, University of Leeds
  • Lucia Shimbo, Professor of Architecture and Urban Planning, University of São Paulo.
  • Sérgio Miguel Lagoa,  Assistant Professor, ISCTE- Instituto Universitário de Lisboa, Lisboa
  • Carlos Rodríguez González , Professor, University of the Basque Country (UPV/EHU)
  • Ingrid Harvold Kvangraven, Lecturer in Politics, University of York.
  • Ewa Karwowski, Senior Lecturer in Economics, Hertfordshire Business School, University of Hertfordshire
  • Anamitra Roychowdhury, Assistant Professor in Economics, Jawaharlal Nehru University
  • Hannah Bargawi, Senior Lecturer in Economics, SOAS University of London
  • Natalya Naqvi, Assistant Professor in International Political Economy, London School of Economics and Political Science
  • Firat Demir, Professor of Economics, University of Oklahoma, USA
  • Gilad Isaacs, University of the Witwatersrand, South Africa
  • Rohan Grey, Cornell University
  • Yannis Dafermos, Senior Lecturer, UWE Bristol
  • Kamal Mitra Chenoy, Professor, Jawaharlal Nehru University
  • Anuradha Chenoy, Professor, formerly Jawaharlal Nehru University
  • Kathleen McAfee, Professor, International Relations, San Francisco State University
  • Jan Priewe, Prof. Em. Economics, HTW Berlin, Germany
  • Piotr Lis, Associate Professor in Economics, Poznan University
  • Yavuz Yasar, University of Denver
  • Joscha Wullweber, Professor of International Politics, University of Vienna
  • Paula Freire, Santoro, Urban Planning Professor, São Paulo University
  • Manfred Nitsch, Professor emeritus of Economics, Freie Universität Berlin
  • Bunu Goso Umara, Borno State Public Service, Nigeria
  • Barbara Fritz, Professor, Institute for Latin American Studies, Freie Universität Berlin
  • Sally Brooks, Research Fellow, University of York
  • Danielle Guizzo Archela, Senior Lecturer in Economics, UWE Bristol
  • Feyzi Ismail, SOAS University of London
  • Florence Dafe, Fellow in International Political Economy, Department of International Relations, London School of Economics and Political Science
  • Alan B. Cibils, Professor of Political Economy, Universidad Nacional de General Sarmiento, Buenos Aires, Argentina
  • Rama Vasudevan, Associate Professor of Economics, Colorado State University
  • José Caraballo-Cueto, Associate Professor, University of Puerto Rico at Cayey
  • Debarshi Das, Associate Professor, Economics, IIT Guwahati, India
  • Genarro Zezza, Associate Professor of Economics, University of Cassino, Italy
  • Sara Stevano, Senior Lecturer in Economics, UWE Bristol
  • Dirk Bezemer, Professor of Economics of International Financial Development, University of Groningen, Holland
  • Barry Herman, Visiting Scholar, The New School for Public Engagement
  • Bruno Bonizzi, Lecturer in Political Economy, University of Winchester
  • Servaas Storm,  Senior Lecturer, Delft University of Technology, The Netherlands
  • Mona Ali, Associate Professor of Economics, State University of New York at New Paltz
  • Ajit Zacharias, Senior Scholar and Director, Distribution of Income and Wealth Program, Levy Economics Institute of Bard College

Weitere Wirtschaftswissenschaftler/innen, die diesen Brief unterzeichnen möchten, können sich an daniela.gabor@uwe.ac.uk wenden.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld.

Unsere Pressemitteilung zum offenen Brief der Ökonom/innen.