Der asiatisch-pazifische Raum ist wie keine andere Weltregion vom Aufstieg Chinas sowie dem möglichen Zurückweichen der Vereinigten Staaten herausgefordert. Diese Machtverschiebung öffnet eine Reihe außen- und sicherheitspolitischer Fragen, denen die 19. Außenpolitische Jahrestagung nachgegangen ist.

Die globale Verlagerung des geopolitischen Zentrums nach Asien, ein immer selbstbewusster auftretendes China und die Abkehr der USA von ihrer traditionellen Bündnispolitik haben in Fernost ein neues sicherheitspolitisches Umfeld erzeugt, dessen Konturen sich aktuell besonders in der Nordkorea-Krise abzeichnen. Nationale und internationale Fachleute wie Rory Medcalf, Victor Cha, Mark Fitzpatrick und Zhou Qi diskutierten während der 19. Außenpolitischen Jahrestagung der Heinrich-Böll-Stiftung über die Hintergründe und die möglichen Konsequenzen dieser Entwicklung.
Neben einer eingehenden Analyse des historischen Gipfeltreffens von Singapur richtete sich das Augenmerk dabei vornehmlich auf die schwierige Lage der Länder, die bei der Verfolgung ihrer sicherheitspolitischen Interessen gezwungen sind, zwischen China und den USA zu manövrieren. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob die Region durch die Rivalität der beiden Großmächte geprägt werden wird oder ob es gelingen kann, China in eine bisher nur in Ansätzen vorhandene regelbasierte Ordnung zu integrieren, so ein Fazit der Debatte. Auch die EU habe ihre Handlungsoptionen bislang bei weitem nicht ausgeschöpft und könne diesen Prozess positiv beeinflussen.
Die Ansicht, dass der in Singapur angestoßene Verhandlungsprozess zwischen den USA und Nordkorea angesichts der drohenden Alternative grundsätzlich positiv zu bewerten sei, traf während der Tagung auf einhellige Zustimmung. Die Erfolgsaussichten der Gespräche wurden jedoch überwiegend pessimistisch beurteilt. Zu groß erschien vielen Fachleuten das tief sitzende gegenseitige Misstrauen der Konfliktparteien: Während Nordkorea amerikanischen Sicherheitsgarantien keinen Glauben schenkt, bezweifeln die USA aufgrund langjähriger Erfahrungen den nordkoreanischen Abrüstungswillen.
Wie dieser "Gordische Knoten" zerschlagen werden könnte, blieb offen. In der Debatte wurde allerdings warnend darauf hingewiesen, dass US-Präsident Trump die Verhandlungen bisher ohne große Rücksicht auf die Bündnispartner vor Ort führt und das Allianzgefüge der USA in Asien damit ernsthaft gefährdet. Die Gespräche könnten deshalb durchaus dazu führen, dass Länder wie Japan und Südkorea das Vertrauen in die USA verlieren und eigene Atomwaffenprogramme in Erwägung ziehen.
Der Aufstieg Chinas zur neuen "Supermacht", der sich sicherheitspolitisch u.a. an den Gebietsansprüchen im Süd- und Ostchinesischen Meer und wirtschaftlich am globalen Großprojekt der neuen Seidenstraße festmachen lässt, wurde in der Debatte von vielen Gästen kritisch beurteilt. Peking setze seine Sicherheitsinteressen zunehmend unilateral durch und akzeptiere eine multilaterale Einbindung nur noch bei Notwendigkeit. Chinesische Investitionsprojekte zeichneten sich u.a. durch mangelnde Transparenz aus und hätten zum Teil einen fast "kolonialistischen" Charakter, so der Vorwurf einiger Fachleute. Auch in Europa mehren sich demnach die Zweifel an der chinesischen Behauptung, dass es sich bei den Großinvestitionen und Firmenübernahmen tatsächlich um Win-Win-Projekte handle.
Dass China mit seiner neuen Außenpolitik zur neuen Hegemonialmacht in Asien werden könnte, wurde in der Debatte trotz dieser Vorbehalte kaum erwartet. Der australische Experte Rory Medcalf erläuterte, dass eine sicherheitspolitische Analyse neben dem Pazifik auch den Indischen Ozean umfassen sollte und diese Region aufgrund ihrer Größe weder von den USA noch von China dominiert werden könne. Er empfahl das von ihm vorgestellte "indopazifische Konzept" als Grundlage einer neuen regelbasierten Ordnung, in der die Interessen aller Staaten der Region berücksichtigt werden. Ziel müsse sein, China und seine legitimen Interessen in diese neue Ordnung einzubinden, aber auch auf die Unsicherheiten zu reagieren, die heute von den USA ausgehen.
Auch die EU sollte versuchen, in diesem Prozess eine aktivere Rolle zu spielen, so das einhellige Fazit der Jahrestagung. Es bleibe angesichts begrenzter politischer Kapazitäten und der mangelnden Nachfrage aus der Region zwar unwahrscheinlich, dass Europa als neuer sicherheitspolitischer "Player" auftreten wird. Als weltweit größter Binnenmarkt wäre die EU allerdings in der Lage, Handelsverträge und Investitionsprojekte mit strategischen Zielsetzungen zu verfolgen. Eine gezielte Einbindung der multilateralen Institutionen vor Ort würde die Entstehung der von allen gewünschten regelbasierten Ordnung maßgeblich unterstützen.
Den Konferenzreport zum Download, die Mitschnitte der Veranstaltung und Veranstaltungsbilder gibt es online.
[gallery]