Honduras: COPINH strebt Klage gegen niederländische Entwicklungsbank an

Interview

Die honduranische NGO COPINH plant, die niederländische Entwicklungsbank FMO wegen Mitverantwortung am Tod der 2016 ermordeten Aktivistin Berta Cáceres anzuklagen. Erika Harzer im Interview mit Victor Fernández, Anwalt der Familie und der COPINH.

Demonstrant/innen mit Plakaten protestieren für Gerechtigkeit im Mordfall Berta Caceres
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Demonstrant/innen protestieren für Gerechtigkeit im Mordfall Berta Caceres

Im Mai 2018 bereiste eine fünfköpfige Delegation aus Honduras und Guatemala die fünf europäischen Länder Belgien, Niederlande, Schweiz, Spanien und Deutschland. Dabei waren beide Töchter der Ermordeten Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Berta Cáceres, Laura und Bertha Zúniga, Francisco Javier Sanchez von COPINH, Victor Fernandez vom MADJ, dem Breiten Bündnis für Würde und Gerechtigkeit sowie der guatemaltekische Anwalt und Notar Miguel Angel Urbina Martínez. Urbina gehörte der unabhängigen internationalen Gruppe von Rechtsexperten GAIPE an, die im Auftrag der Familie und von COPINH den Mordfall und die dazu durchgeführten Ermittlungen untersuchte. Ein zentraler Punkt dieser Reise war die öffentliche Ankündigung einer Klage, die COPINH gemeinsam mit der Familie von Berta Cáceres gegen die niederländische Entwicklungsbank FMO anstrebt. Sie werfen der Bank fahrlässiges Verhalten und Mitverantwortung am Tod der Aktivistin vor. Kontakte mit einer niederländischen Anwaltskanzlei sind geknüpft, und bis Ende Juni soll die Anklageschrift in den Niederlanden eingereicht werden.

In Honduras gibt es zwei Jahre und drei Monate nach dem Mord an Berta Cáceres neun Untersuchungshäftlinge, die mutmaßlich in das Mordkomplott involviert waren. Der Prozess gegen die ersten acht zwischen Mai 2016 und Anfang 2017 Verhafteten wurde mehrfach verschoben und wurde nun für den Zeitraum 10. – 28 September 2018 angesetzt. Durch diese Verzögerung musste bereits eine erste sechsmonatige Verlängerung der U-Haftzeit für die im Mai 2016 Verhafteten richterlich angeordnet werden. 

Zuletzt wurde im Januar dieses Jahres als neunter Verdächtiger David Castillo festgenommen, Chef der Betreiberfirma Desarrollos Energéticos S.A. - DESA, die auf indigenem Gemeindeland das Wasserkraftwerk Agua Zarca erbauen wollte. Mit dem Prozessbeginn gegen ihn wird allerdings frühestens im nächsten Jahr gerechnet. Unter den Verhafteten sind die mutmaßlichen Todesschützen und die Organisatoren des Komplotts. Jedoch gibt es noch immer keine Festnahmen in der Gruppe der Auftraggeber, die innerhalb der honduranischen Wirtschaftsoligarchie und in höchsten politischen Ämtern vermutet werden.

Unsere Autorin Erika Harzer sprach mit Victor Fernández während seines Aufenthalts in Berlin über die aktuelle Entwicklung der Aufklärung im Mordfall Berta Cáceres. Fernández gehört zum Führungsgremium des Breiten Bündnisses für Würde und Gerechtigkeit und ist Anwalt der Familie und der Organisation COPINH.

Warum gab und gibt es diese Verzögerungen im Prozessbeginn gegen die ersten acht Angeklagten?

Es gab vor allem deshalb immer wieder Verzögerungen und Verschiebungen zum vermeintlichen Prozessstart, weil wir wieder und wieder Einsicht in alle vorhandenen Prozessunterlagen fordern mussten. Wir bekamen immer nur ganz wenig Information übermittelt. Für die ersten acht Angeklagten muss der Prozess bis Ende November abgeschlossen sein. Bis dahin gilt die bereits erteilte Verlängerung der Untersuchungshaft. Wir warten nun auf die Ansetzung und öffentliche Ankündigung der ersten Anhörung, bei der die Beweismittel vorgestellt werden, die während des Prozesses zugelassen werden. Einmal begonnen, werden sicherlich viele Prozesstage notwendig sein, bis es zur Urteilsverkündung kommen wird. 

Was passiert, wenn innerhalb dieser sechs Monate der Prozess nicht beendet sein wird?

Der Prozess kann zwar weiter gehen, aber ohne gültigen Schuldspruch müssen die Angeklagten aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Wir gehen davon aus, dass dies nicht geschehen wird, da nach wie vor eine starke internationale Präsenz vorhanden ist und die Regierung es sich nicht erlauben könnte, die acht ohne Urteil freizulassen. Wir rechnen also mit ersten Urteilen spätestens im November. Vielleicht werden alle acht verurteilt. Sicherlich aber diejenigen unter ihnen, die keine einflussreichen Freunde haben. Von uns wurde von Anfang an Ermittlungen gegen die DESA Chefetage gefordert. Das blieb ungehört. Erst exakt 2 Jahre nach dem Mord wurde nun David Castillo verhaftet. 

Ermittlungsschritte so dosiert zu präsentieren kommt einer Garantie für Straffreiheit der hinter dem Verbrechen stehenden Struktur gleich. Und auch Castillo trägt nicht den Namen der bedeutenden Unternehmerfamilie, der in der Bevölkerung als Auftraggeber für diesen Mord kursiert. Einerseits wird hier jemand geopfert, andererseits wird mit Zeit gespielt. Wir Honduraner vergessen schnell, und Castillo wird frühestens 2020 verurteilt werden. 4 Jahre nach dem Mord. Vielleicht gibt es eine Absprache, wonach er jetzt herhalten muss, dafür aber nach Verurteilung bald wieder frei sein wird. Diese Ermittlungen und Verhaftungen passieren sowieso nur aufgrund des noch immer vorhandenen nationalen und internationalen Drucks.

Warum diese aktuelle, doch recht aufwendige Europa-Reise?

Wir wollen damit die Botschaft korrigieren, die von der honduranischen Regierung gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft transportiert wird, dass eine erfolgreiche Ermittlung im Mordfall Berta Cáceres stattgefunden habe. Nehmen wir die bisherigen neun Verhafteten: Keiner von ihnen gehört unserer Meinung nach diesem kriminellen Klüngel der Auftraggeber des Mordes an Berta Cáceres an. Der im September beginnende Prozess wird von der Regierung gewünscht, er ist ihr „Erfolgsbeispiel“ vermeintlich intensiv geführter Ermittlungen. Aber das Entscheidende fehlt eben: der Prozess gegen die Auftraggeber.

Das zweite worüber wir debattieren ist: Welche Elemente sind nötig für eine umfassende Forderung nach Gerechtigkeit im Falle von Berta Cáceres? Dazu gehört, die direkten Verantwortlichen des Verbrechens anzuklagen. Damit meinen wir diejenigen, die es beauftragt, organisiert und ausgeführt haben. Die Auftraggeber fehlen hier immer noch. 

Darüber hinaus müssen aber auch die Mitverantwortlichen angeklagt werden. Das sind diejenigen, durch deren Unterstützung dieses Projekt Agua Zarca, das letztlich für den Mord an Berta Cáceres verantwortlich ist, überhaupt angeschoben werden konnte. Darauf zielt unsere neue Offensive ab: auf die Mitverantwortlichkeit der Unternehmen. Ganz konkret ist da die Betreiberfirma DESA und ihr unternehmerisches Agieren. Daneben die Verbündeten mit ihrer Verantwortung für dieses nicht legitime Projekt. Als erstes sehen wir dabei die Finanziers: das internationale Finanzierungssystem, der private Finanzsektor und der multilaterale Finanzsektor. 

Die Rundreise haben wir aktiv dazu genutzt, unsere Klage vorzubereiten, die wir gegen die niederländische Entwicklungsbank FMO einreichen werden. Die FMO ist einer der drei Finanzgeber des Projektes Agua Zarca. Der Mord an Berta Cáceres ist ein emblematischer Fall, der für die Problematik steht, mit der viele Umwelt-und Menschenrechtsaktivist/innen in Honduras konfrontiert sind. Dazu zählen auch die Verschwörungen, die es zwischen Unternehmen, dem Finanzsektor und politischen Funktionären gibt, was wir mit dieser Klage sichtbar machen möchten. 

Auf der Europareise konnten wir in Gesprächen mit staatlichen Funktionär/innen, zivilgesellschaftlichen Aktivist/innen, und den Medien deutlich machen, in welche Richtung wir in diesem Fall weiterhin nach Gerechtigkeit suchen und Unterstützung benötigen. Wir konnten dabei auch die strukturelle Menschenrechtskrise, die Honduras durchlebt, aufzeigen. Mit dieser Strategie, dass in diesem Fall sämtliche Verantwortliche verurteilt werden müssen, wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass solche Verbrechen nicht wiederholt werden. Wir wollen damit aktuelle und zukünftige Verbrechen gegen viele zivilgesellschaftliche Akteure im Land verhindern.

Welche direkten Auswirkungen wird diese in Europa angestrebte Klage in Honduras haben? Wie könnten die Verantwortlichen darauf reagieren?

Zunächst einmal ist die Klage ein Signal an die Täter und Mittäter, dass die Familie, COPINH und das Breite Bündnis für Würde und Gerechtigkeit hartnäckig und ernsthaft die Aufklärung in diesem Mordfall verfolgen. Wir zeigen ihnen damit, dass wir ihr Agieren nicht tolerieren und sie auf allen möglichen Instanzen anklagen werden. Das birgt natürlich Risiken für diejenigen, die diese Positionen offen vertreten. Aber wir machen damit deutlich, dass wir uns auf die umfassenden Auswirkungen ihrer Verbrechen konzentrieren und sie tatsächlich auf all den unterschiedlichen Ebenen auch außerhalb von Honduras juristisch angehen werden. Das ist ein intensiver Rechtsstreit. 

Uns ist klar, dass damit der Streit um das Staudammprojekt Agua Zarca nicht ausgestanden ist, obwohl das es illegitim und illegal ist. Die für den Mord an Berta verantwortliche Firma DESA, ist aktuell dabei, das Projekt für einen Verkauf preislich einzuschätzen. Unsere Klage könnte diesen Plan nichtig machen. Diese Botschaft richten wir mit unserer Klage gegen die FMO und möglicherweise auch gegen die anderen Finanzgeber an die Firma. Vielleicht klagen wir auch gegen die DESA, es gibt genügend Beweismittel für deren Verantwortlichkeit. Dies müsste sie zu größerer Verantwortlichkeit in ihren Auseinandersetzungen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der Durchführung ihrer Projekte bewegen. 

Überlegt Ihr auch, eventuell Voith Hydro zu verklagen, das Konsortium von Voith GmbH und Siemens KG, das Turbinen und technisches Know how für Agua Zarca liefern wollte?

Wir möchten gegen alle Verantwortlichen vorgehen. Dazu gehört auch diese deutsche Firma, die die Turbinen liefern wollte und erst anderthalb Jahre nach dem Mord an Berta Cáceres aus dem Projekt ausgestiegen ist. Das erfordert allerdings eine gründliche Vorbereitung. Unsere Reise durch fünf europäische Länder war wichtig, um Kontakt zu den notwendigen Verbündeten für diese Arbeit aufzunehmen: Verbündete auf politischer Ebene, auf technischer Ebene und auch auf der juristischen Ebene. 

Nun können wir auch gegen diejenigen vorgehen, die offensichtlich vor Strafe geschützt sind, wie die Vertreter der Banco Centroamericano de Integración Económico, der Zentralamerikanischen Bank für wirtschaftliche Integration. Diese Bank hat sich als einzige trotz aller Menschenrechtsverletzungen, die im Zusammenhang mit der Entwicklung des Wasserkraftwerks Agua Zarca stattfanden, einschließlich des Mordes an Berta Cáceres, nicht von der Projektfinanzierung verabschiedet. 

Wir hoffen auf lautstarke Unterstützung der internationalen Solidarität, um uns zu stärken bei diesem strategischen Schritt, alle vorhandenen Möglichkeiten der Rechtsprechung anzuwenden. Wir erhoffen uns davon einen garantierten Schutz vor zukünftigen Verbrechen dieser Art und auch die Wiedergutmachung der angerichteten Schäden in diesem konkreten Fall. 

Habt ihr auf Eurer Reise auch Unterstützung von Anwälten bzw. Anwaltsorganisationen erhalten?

In den Niederlanden bereiten wir die Anklage schon seit längerer Zeit mit einem dortigen Anwaltsbüro zusammen vor. Außerdem werden wir von Anwälten in den USA unterstützt. Von unserer Seite aus haben wir nun alle Details dieses Falls für die Anklageerhebung zusammengetragen. Was jetzt folgt, ist in internationaler Zusammenarbeit die Ausformulierung der Anklage. 

Im Februar 2018 erklärten drei Funktionäre der MACCIH, der von der OAS getragenen Unterstützungsmission gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras, ihren Rücktritt. In ihrer öffentlichen Erklärung kritisierten sie, dass sie ab August 2017 den Rückhalt seitens der OAS, der Organisation Amerikanischer Staaten, verloren hätten. Sie hatten damals öffentlich verkündet, Ermittlungen wegen möglicher Korruptionsdelikte bei den Genehmigungsverfahren für das Projekt Agua Zarca aufzunehmen, und somit von dieser Seite aus Aufklärung im Mordfall Berta Cáceres zu suchen. 

Ob sie nun genau an dieser Stelle den Rückhalt verloren haben, vermag ich nicht zu bestätigen. Auslöser könnte auch ein anderer Fall gewesen sein. Es lag auf der Hand, dass die MACCIH die Unterstützung ab dem Moment verlieren würde, an dem ihre Ermittlungsarbeit die gewichtigen Strukturen der Korruption in Honduras angehen würde. Für uns ist die MACCIH immer offensichtlicher eine Mission, die von Akteuren mit Berührungspunkten zur Korruption aus der honduranischen Regierung und der OAS geschaffen wurde. Und im Fall Berta Cáceres sind die Verbindungen von Wirtschaftsbetrieb zum Militär, staatlichen Institutionen und der honduranischen Regierung sehr offensichtlich, sei es durch direkte Mittäterschaft oder durch Unterstützung. 

Wir gehen davon aus, dass hier auch die Akteure aus dem Unternehmertum zu finden sind, die die aktuelle Regierung finanziell unterstützen. Wichtig ist, dass in diesem Fall nicht nur im Apparat unbedeutende Funktionäre oder Privatpersonen an Korruptionshandlungen beteiligt waren, sondern Teile der Struktur der aktuellen Regierung, einer kriminellen Regierungsstruktur, die die Institutionalität ihren Interessen unterordnet. Die drei zurückgetretenen Funktionäre der MACCIH haben öffentlich einen Schulterschluss zwischen dem Generalsekretär der OAS mit allen seinen Gefolgsleuten und Funktionäre der honduranischen Regierung kritisiert, der einer tatsächlichen Aufklärung von Korruptionsfällen im Wege stünde. Der Bruch musste kommen, früher oder später. 

Wir suchen im Fall Berta Cáceres nach Gerechtigkeit, und zwar auf allen Ebenen. Auf der strafrechtlichen Ebene wollen wir erreichen, dass sich alle, die auf irgendeiner Ebene beteiligt waren, dem Prozess stellen müssen. Dabei hoffen wir natürlich auf Gerechtigkeit und darauf, dass die Urteile auch wegweisend für die Zukunft sind. Diese Bündnisse innerhalb des Wirtschaftssektors sollen begreifen, dass ihre kriminellen Handlungen zukünftig nicht strafverschont bleiben. Und dass sie eben auch in einem vergessenen Land wie Honduras spüren: Es gibt Widerstand gegen sie. Trotz Gewalt und Drohungen, gibt es hier Leute, die sich zur tagtäglich zur Wehr setzen gegen diese gegen die Bevölkerung gerichteten Projekte.