Verfassungsreferendum in Burundi: Mit Gewalt zur Machtkonsolidierung

Hintergrund

Eine Verfassungsänderung in Burundi könnte die Macht des regierenden Präsidenten und seiner Partei auf Jahrzehnte festschreiben. Der Prozess ist von Gewalt und Manipulation gekennzeichnet. Im Exil brodelt währenddessen der Frust von tausenden jungen Burunder/innen.

Lesedauer: 9 Minuten
Verfassungsreferendum in Burundi
Teaser Bild Untertitel
Demonstration gegen das dritte Mandat von Pierre Nkurunziza (2015)

Am 17. Mai stimmen die Burunder/innen in einem Referendum über eine neue Verfassung für das ostafrikanische Land ab. Die vorgeschlagenen Änderungen bedeuten eine enorme Machtzentrierung in der Hand der regierenden Partei und des Präsidenten. Die Abstimmung ist von massiver Gewalt seitens der staatlichen Sicherheitsorgane und der Jugendorganisation der Regierungspartei, Imbonerakure, begleitet; Berichte über erzwungene Wählerregistrierung und das Verbot nationaler wie internationaler Medienagenturen werfen einen Schatten auf den aktuellen Kontext der Wahl.

Seit sich Präsident Pierre Nkurunziza 2015 mit Gewalt und durch juristische Spitzfindigkeit ein verfassungswidriges drittes Mandat gesichert hat, sind rund 420.000 Burunder/innen geflüchtet; die ohnehin schwache Wirtschaft liegt am Boden, die Opposition ist gespalten und die einst relativ starken und unabhängigen Medien und Organisationen der Zivilgesellschaft sind kaum noch handlungsfähig. Die Hoffnung auf langfristigen Frieden und demokratische Stabilität in Burundi, die nach Jahrzehnten von Kolonialismus, Diktatur und Bürgerkrieg Anfang der 2000er Jahre mit dem Friedensabkommen von Arusha aufblühte, ist in weite Ferne gerückt.

Machtzentrierung in der Hand der Regierungselite

Zwei zentrale Änderungen, die durch das Referendum entschieden werden sollen, könnten die Macht des regierenden Präsidenten, Pierre Nkurunziza, und seiner Regierungspartei Conseil National pour la Défense de la Démocratie – Forces pour la Défense de la Démocratie (CNDD-FDD) auf Jahrzehnte festschreiben.

So soll durch die erste zentrale Änderung die Laufzeit eines Präsidentschaftsmandates von fünf auf sieben Jahre erhöht werden. Die Beschränkung auf zwei Mandate, wie in der aktuellen Verfassung festgeschrieben, soll zwar erhalten bleiben. Die entscheidende Änderung ist jedoch, dass in der veränderten Fassung von zwei aufeinanderfolgenden Mandaten die Rede ist. Dies macht den Weg frei für ein Putin-Medwedew Modell, in dem der Präsident nach Vollendung seiner maximalen Anzahl von Mandaten im Hintergrund (z.B. als Premierminister) eine Weile lang über einen Marionettenpräsidenten weiter Politik bestimmen und sich daraufhin wieder ins Präsidentenamt wählen lassen kann.

Angesichts dessen, dass es sich nach dem Referendum um eine neue Verfassung handelt, wird außerdem die Zeit, die Nkurunziza bereits im Amt ist, nicht auf zukünftige Amtsperioden angerechnet. Faktisch heißt das also, dass Nkurunziza, der bereits seit 2005 Präsident ist und dessen aktuelles Mandat 2020 endet, noch bis 2034 im Amt bleiben kann und erst dann eine Legislaturperiode lang pausieren müsste.

Die zweite zentrale Änderung sieht vor, die Anzahl der bisherigen zwei Vizepräsidenten auf einen zu beschränken und dem Präsidenten einen Premierminister zur Seite zu stellen.

Dass in Burundi bisher zwei Vizepräsidenten im Amt waren, hat konflikthistorische Hintergründe, wie überhaupt die gesamte aktuelle Verfassung. Diese war Produkt eines zähen Friedensprozesses, welcher einen 10 Jahre anhaltenden blutigen Bürgerkrieg zwischen der damaligen, zu fast 100 Prozent aus ethnischen Tutsi bestehenden Regierungsarmee und Hutu-Rebellen des CNDD-FDD (und der kleineren FNL) beendete.

Auf Grundlage des Friedensabkommens von Arusha von 2000 wurde 2005 eine Verfassung verabschiedet, welche weitreichende Maßnahmen zur Machtteilung zwischen ethnischen und politischen Gruppen enthält. Alle politischen Institutionen unterliegen einer Quotenregelung von 60 Prozent Hutu und 40 Prozent Tutsi; die Entscheidungsstrukturen der Armee, Polizei und des Geheimdienstes sogar einer Quote von 50/50.

Die überproportionale Vertretung der Tutsi, die nur rund 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen, war eine entscheidende Sicherheitsgarantie für die Elite der ehemaligen Einheitspartei UPRONA. Diese regierte über ein starkes Militär rund 30 Jahre lang das Land unter massiver Diskriminierung der Hutu Mehrheit (rund 84 Prozent der Bevölkerung). Die aktuelle Verfassung ist also in ihrem Kern der Versuch, die ethnische Polarisierung und eine lange Geschichte ethnisch gefärbter Gewalt und Diskriminierung politisch zu regulieren.

Die aktuell noch bestehenden zwei Vizepräsidenten müssen laut der Verfassung deswegen nicht nur von unterschiedlichen Ethnien, sondern auch von unterschiedlichen politischen Parteien kommen. Auch der in der neuen Verfassung verbleibende Vizepräsident darf nicht derselben ethnischen oder politischen Partei angehören wie der Präsident.

Das neu eingeführte Amt des Premierministers unterliegt hingegen keiner ethnischen oder politischen Machtteilungslogik. Als Regierungschef ist der Premierminister im Gegensatz zum eher symbolischen Amt des Vizepräsidenten außerdem mit erheblichen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet.

Die Änderungsvorschläge sorgen also nicht nur für eine Machtzentrierung in der Hand des Präsidenten und seiner Partei. Obwohl die neue Verfassung die ethnischen Quoten beibehält, greift die Einführung eines nicht an ethnische oder politische Quoten gebundenen Premierministers auch das Prinzip der ethnischen und politischen Machtteilung als solches an.

Gewalt und Beschneidung der Pressefreiheit

Die seit Wochen andauernde Regierungskampagne für die Verfassungsänderung ist begleitet von Berichten massiver Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitsorgane und insbesondere der Jugendorganisation der Regierungspartei, Imbonerakure. Human Rights Watch berichtet von Morden, Verhaftungen und brutalen Übergriffen auf Gegner/innen der Verfassungsänderung.

Neben dem systematischen Druck auf die Bevölkerung durch staatliche Sicherheitsorgane und die Imbonerakure behindert die Regierung derzeit massiv eine unabhängige Berichterstattung über die Vorgänge rund um das Referendum. Am 4. Mai sperrte die nationale burundische Kommunikationsbehörde CNC die internationalen Medienagenturen BBC und Voice of America für einen Zeitraum von sechs Monaten unter dem Vorwand von Presserechtsverletzungen und unprofessionellem Verhalten sowie der Nutzung verbotener Frequenzen. Radio France International und einer der letzten unabhängigen burundischen Radiosender Isanganiro wurden gewarnt, dass sie mit ähnlichen Konsequenzen für ihre Berichterstattung zu rechnen hätten.

Bereits am 11. April sperrte der CNC die Online Kommentarfunktion der größten privaten Zeitung, Iwacu. Die systematische Unterdrückung unabhängiger Medien ist seit Jahren Teil der Strategie der regierenden Partei. Nach einem fehlgeschlagenen Putschversuch im Mai 2015 durch Teile der Armee festigte Nkurunziza insbesondere auf zwei Ebenen seine Macht: Einerseits militärisch, indem er die Armee einer radikalen Säuberung oppositioneller Kräfte unterzog. Andererseits mit Bezug auf den öffentlichen Diskurs, indem er quasi die Gesamtheit der bis dato recht aktiven und weit verbreiteten unabhängigen Medien der Komplizenschaft mit den Putschisten bezichtigte und kaltstellte.

Seit 2015 sind nur noch vereinzelt unabhängige Journalist/innen aktiv, der Großteil wurde verhaftet oder musste ins Exil gehen und versucht von dort die Arbeit fortzuführen. Medienhäuser wurden angegriffen, Material und Equipment konfisziert oder schlicht zerstört. Wenige mutige Personen und Medienagenturen versuchten weiterhin an der faktischen Zensur vorbei Informationen bereitzustellen. Diesen letzten Hoffnungsträger/innen macht die Regierung nun eine Kampfansage.

Anpassung der Verfassung ja - aber nicht so!

Die aktuellen Verfassungsänderungen greifen im Kern die Errungenschaften des Friedensabkommens von Arusha und die darauf aufbauende Verfassung an. Während in Arusha die politischen Weichen für einen Frieden nach dem Bürgerkrieg gestellt wurden, hat erst ein Waffenstillstandsabkommen mit dem CNDD-FDD 2003 den Krieg wirklich beendet. 2005 wurden die Grundsätze von Arusha dann in der Verfassung verankert. Im selben Jahr wurde der in Rekordzeit von einer Rebellengruppe zur politischen Partei transformierte CNDD-FDD und dessen Präsidentschaftskandidat Pierre Nkurunziza mit überwältigender Mehrheit gewählt.

Für rund 10 Jahre galt – zumindest offiziell – der politische Konsens, dass die Grundzüge des Friedensabkommens nicht in Frage gestellt werden, um die fragile Stabilität im Land nicht zu gefährden. Spätestens mit der erneuten Kandidatur Nkurunzizas in den Wahlen 2015 wurde deutlich, dass der CNDD-FDD massiv an diesem Konsens rüttelt. Das jetzige Verfassungsreferendum bildet die logische Fortsetzung dieser Abkehr von Arusha.

Es steht außer Frage, dass die aktuelle Verfassung, das Friedensabkommen von Arusha und die darin enthaltenen Maßnahmen zur Konfliktregulierung nicht auf alle Ewigkeit fortwirken können. Die Konfliktlinien haben sich maßgeblich verschoben. Auch sollte es kein Tabu sein, Quotenregelungen, die eine historisch privilegierte Minderheit massiv bevorteilen, langfristig einer Prüfung zu unterziehen.

Es ist nicht prinzipiell problematisch, die Verfassung langfristig an sich veränderte Verhältnisse anzupassen. Im Gegenteil - eine neue offene und inklusive Diskussion um die Grundsätze des politischen Systems in Burundi würde die Möglichkeit eröffnen, Schwachstellen von Arusha zu korrigieren. So hat die aktuelle Verfassung durch ihren Fokus auf ethnische Quoten nicht verhindern können, dass spätestens seit den Wahlen 2010 ein faktisches Einparteiensystem mit Beteiligung einer zunehmend unbedeutenden Opposition Einzug erhalten konnte.

Denn es gelang dem CNDD-FDD bereits kurze Zeit nach seiner Transformation von einer Hutu-Rebellengruppe in eine politische Partei erstaunlich gut, ethnische Tutsi in die eigenen Ränge zu kooptieren und somit quotierte politische Ämter fast ausschließlich mit den eigenen Leuten zu besetzen. Während der Friedensverhandlungen vor und nach dem Arusha Abkommen hätte sich das kaum jemand vorstellen können.

Der aktuelle Vorschlag zur Verfassungsänderung sieht aber gerade nicht eine Korrektur im Sinne von langfristigen Regelungen zur Erhaltung von Demokratie und Frieden vor, sondern im Gegenteil, eine Machtzentrierung in den Händen des Präsidenten und seiner Partei. Und auch der Weg hin zu einer neuen Verfassung ist nicht von einem inklusiven Dialog zwischen allen betroffenen Gruppen der Gesellschaft gekennzeichnet, sondern von Gewalt und Manipulation.

Pulverfass Burundi

Damit setzt sich ein Trend fort, der spätestens seit der Kandidatur Nkurunzizas 2015 nicht mehr zu beschönigen ist. Bereits lange vor den Wahlen 2015 mehrten sich die Anzeichen für eine zunehmend autoritäre Regierungsführung, eine Bewaffnung der CNDD-FDD Parteijugend Imbonerakure, die mittlerweile zu einer regelrechten Parteimiliz ausgewachsen ist, und die systematische Unterdrückung oppositioneller Stimmen. Aber es bedurfte eines Putschversuches und massiver Gewaltausbrüchen im Sommer 2015, dass die Internationale Gemeinschaft wirklich auf die Situation in Burundi aufmerksam wurde.

Seitdem sind allerdings sämtliche Versuche, die Situation unter Kontrolle zu bringen, gescheitert. Seit 2015 sind bereits vier offizielle Runden von Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition unter der Mediation der East African Community (EAC) gescheitert. Mittlerweile nimmt kaum noch jemand die halbherzigen Bemühungen der EAC ernst, was sich unter anderem dadurch äußert, dass von Regierungsseite keine sprechfähigen Personen an den Verhandlungen teilnehmen.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat im April 2016 vorläufige Untersuchungen von Menschenrechtsverbrechen in Burundi seit April 2015 angekündigt und im Oktober 2017 proprio motu Untersuchungen eröffnet. Die Beweisfindung dürfte allerdings schwierig werden. Burundi hat im Oktober 2016 seinen Austritt aus dem Rom Statut verkündet, die Regierungen von Tansania und Uganda, welche maßgeblich in die laufenden EAC Verhandlungen eingebunden sind, haben sich kritisch gegenüber den Untersuchungen geäußert.

Die bi- und multilaterale Entwicklungshilfe für Burundi – ein Land, dessen BIP massiv von internationaler Finanzhilfe abhängt – ist seit 2015 weitgehend eingestellt. Aber die Regierung scheint den Druck seitdem schlichtweg auszusitzen und zwar auf dem Rücken der Bevölkerung. Schulen werden geschlossen, wo keine Gehälter für Lehrkräfte mehr gezahlt werden können. Lokale Gemeinden werden illegal besteuert. Über die Kontrolle von Wechselkursen werden die Kassen internationaler NGOs angezapft. Und über die Einnahmen durch den illegalen Handel mit Gold aus der benachbarten Demokratischen Republik Kongo lässt sich nur spekulieren.

Das Referendum wird die Macht des CNDD-FDD und des amtierenden Präsidenten auf weitere Jahre festschreiben. Im Exil brodelt währenddessen der Frust von tausenden jungen Burunder/innen - seit 2015 sind rund 420.000 Menschen aus dem Land geflohen, die meisten davon in Flüchtlingslager in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo, Ruanda und Tansania. Gerüchte über die Rekrutierung von geflüchteten Jugendlichen durch sich neu formierende Rebellengruppen, wie der im Ostkongo aktiven Forces Populaires du Burundi, bestehen fort. Das Referendum bietet ein weiteres Rekrutierungsmoment für einen potentiellen bewaffneten Wiederstand. Burundi wird somit mal wieder zum Pulverfass in der ohnehin instabilen Region der Großen Seen in Afrika.