Aserbaidschan: Vor der Wahl ist nach der Wahl

Um den Wahlausgang vorherzusagen, benötigt man keine Kristallkugel: Am 11. April 2018 wird Ilham Alijew als aserbaidschanischer Präsident wiedergewählt werden. Repressionen gegen Regimegegner und ein durch Petrodollar ermöglichtes internationales Korruptionssystem bilden die Grundlage der Regentschaft, die sich nun bis 2025 fortsetzen könnte.

Springbrunnen in Baku
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Europäische Institutionen sollten vor der politischen und menschenrechtlichen Situation in Aserbaidschan besser nicht die Augen verschließen

2003 erlangte der inzwischen autoritär regierende Dauerherrscher Ilham Alijew die Macht im ölreichen Staat am Kaspischen Meer und kandidiert nun für seine vierte Amtszeit als Staatsoberhaupt. Für eine Überraschung sorgte allein die Ansetzung der Wahl. Ursprünglich am 17. Oktober 2018 geplant, beorderte Alijew kurzerhand die Vorverlegung auf den 11. April 2018. Ein wahltaktisches Manöver, wodurch alternative politische Akteure gar nicht erst die Zeit haben sollten, Position zu beziehen.

Einige der Oppositionsparteien verkündeten bereits ihren Boykott der Wahl, darunter auch die Republikanische alternative Partei (ReAl). Als soziale Bewegung mit der Forderung nach tiefgreifenden demokratischen Reformen bereits seit 2008 aktiv, vollzog ReAl 2014 die Transformation zu einer politischen Partei. Ihr Vorsitzender Ilgar Mammadov wurde daraufhin im März 2014 in einem politisch motivierten Verfahren zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte dabei die Verletzung mehrerer Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention fest. Trotz dieses Urteils und mehreren Resolutionen des Europarats, dem Aserbaidschan seit 2001 angehört, weigert sich das Regime bis heute, Mammadov freizulassen.

Eingefroren, geschlossen, weggesperrt

Der Fall steht sinnbildlich für die schwindende Wirksamkeit internationaler Kontrollmechanismen in Aserbaidschan.

„Es fehlte immer an Grundfreiheiten, aber 2011/2012 gab es eine deutliche Steigerung der Repressionen, die zu einer sogenannten Säuberung der Zivilgesellschaft führte“, analysiert Levan Asatiani von Amnesty International die Situation.

Als externe Gründe für den Strategiewechsel des Regimes nennt Asatiani unter anderem die Entwicklungen des Arabischen Frühlings: Eine erstarkende Zivilgesellschaft wurde nun von Alijew als Bedrohung gesehen, kritische Journalist/innen und Aktivist/innen zu Staatsfeinden ernannt. Davor hatte bereits der Russisch-Georgische Krieg 2008 zu relevanten Strategieänderungen Alijews geführt. Das Unvermögen der EU, eine adäquate Antwort auf Russlands Aggression zu geben, veranlasste ihn dazu, die Vorstellung von der EU als verlässlichem Partner aufzugeben und die Abwendung von liberal-demokratischen Systemen offen zu propagieren.

Nach Änderungen in der NGO-Gesetzgebung 2013 wurden Konten eingefroren, Medien geschlossen und internationale Organisationen aus dem Land verbannt. Unter dem Vorwand von Drogendelikten oder angeblicher finanzieller Ungereimtheiten sahen sich Aktivist/innen und Journalist/innen zunehmend mit höchst umstrittenen Strafverfahren konfrontiert.

Auch gegen Zohrab Ismayil, dessen Organisation „Public Association for Assistance to Free Economy“ schließen musste, wurde privat ermittelt. Die erdrückende Unsicherheit zwang ihn schließlich dazu, ins Exil zu gehen. Heute ist er am Caucasus Civil Initiaves Center in Tbilissi tätig.

„Die Registrierung von Fördergeldern ist mittlerweile stark eingeschränkt und Geldgeber benötigen spezielle Genehmigungen, um lokalen NGOs finanzielle Mittel bereitzustellen. Häufig erkauft sich das Regime die Loyalität von Organisationen und assimiliert deren Kritik“, beschreibt er die aktuelle Lage.

Auch versuche das Regime, soziale Medien unter seine Kontrolle zu bringen - bis dato gelang dies aber nicht.

 „Die politischen Gefangenen sind das größte Problem“,- behauptet Ismayil. Das Institute for Reporters’ Freedom and Safety (IRFS) verkündete Anfang März aktuelle Zahlen: 16 Menschen sind wegen kritischer Äußerungen im Gefängnis, darunter zehn Journalisten, zwei Blogger, ein Schriftsteller, ein Dichter und zwei Graffiti-Aktivisten. Insgesamt geht die Organisation von 161 Personen aus, die aus politischen Gründen gefangen gehalten werden – Tendenz steigend. Obwohl einzelne Freilassungen von Aktivist/innen und Oppositionellen 2016 kurzfristig vorsichtige Hoffnung auf Besserung weckten, bestätigte sich diese nicht. Die systematische Unterdrückung der Zivilgesellschaft und die Repressionswelle gegen Menschenrechtsaktivist/innen und Journalist/innen haben zugenommen und das Recht auf Meinungsfreiheit wurde weiter eingeschränkt. Die politisch motivierte Strafverfolgung von lokalen und internationalen NGOs und Aktivist/innen unter dubiosen Anklagepunkten (i. d. R. Hooliganismus, Drogenbesitz, Hochverrat oder Steuerhinterziehung) führte zu einer de facto Einstellung von sämtlichen Aktivitäten der lokalen und internationalen Akteure.

Auch im Exil nicht sicher

Über die Anzahl jener, die in den letzten Jahren ins Exil gehen mussten, gibt es keine verlässlichen Angaben. Für viele oppositionell gesinnte Aserbaidschaner und Aserbaidschanerinnen hat sich Georgien mittlerweile als Zufluchtsort etabliert. Doch auch hier berichten Organisationen und Privatpersonen von Überwachung und Einschüchterungsversuchen. Der Einfluss Aserbaidschans in Georgien scheint zu wachsen und die Zusammenarbeit zwischen georgischen und aserbaidschanischen Sicherheitsdiensten gilt als undurchsichtig.

Besonders brisant ist der Fall des Journalisten Afgan Mukhtarli, der 2015 mit seiner Frau und Tochter nach Georgien geflohen und im Mai 2017 unter ungeklärten Umständen mit einer möglichen Beteiligung des georgischen Geheimdienstes aus Tbilissi entführt und anschließend über die Grenze nach Aserbaidschan gebracht worden war. Dort wurde er im Januar 2018 wegen Schmuggels, illegalen Grenzübertritts sowie Widerstands gegen die Polizei zu sechs Jahren Haft verurteilt. Die georgische Regierung verweigerte sich bis dato einer transparenten Untersuchung des Vorfalls.

Für die Zusammenarbeit mit Aktivist/innen in Aserbaidschan stelle die Exil-Infrastruktur in Tbilissi zwar nach wie vor einen guten Arbeitsort dar, an dem gemeinsame Workshops, Trainings und Konferenzen abgehalten werden können, erzählt Ismayil. Im Vergleich zu vor zwei Jahren sei die Situation jedoch schwieriger geworden. Asyl in Europa stelle einen weiteren Ausweg dar, doch nicht alle können oder wollen sich auf diese Option einstellen.

Internationales Korruptionsschema

Auch in Europa wird Aserbaidschan der Einflussnahme beschuldigt. Das Recherchekollektiv OCCRP (Organized Crime and Corruption Reporting Project) enthüllte in Zusammenarbeit mit namhaften europäischen Zeitungen ein Lobbying- und Geldwäschesystem des Landes in Höhe von 2,9 Milliarden Dollar. Großzügig sind Geld- und Luxusgeschenke u.a. an Abgeordnete des Europarats verteilt worden – für obskure Gegenleistungen. Die Titel, mit denen diverse Medienrecherchen und analytische Berichte versehen wurden - „Kaviardiplomatie“ oder „Waschsalon“ - haben sich mittlerweile als Begriffe für die internationale Einflussnahme Aserbaidschans etabliert.

Es war nicht das erste Mal, dass sich der Europarat mit derartigen Vorwürfen konfrontiert sah: Bereits 2013 lehnte die Parlamentarische Versammlung im Europarat (PACE) einen Bericht über politisch motivierte Gefangennahmen im Land unter dubiosen Umständen ab. 2015 erklärte die offizielle Delegation des Europarates die höchst umstrittene Parlamentswahl zu einem „weiteren Schritt nach vorn zu freien, fairen und demokratischen Wahlen.“

Eine der damaligen unkritischen Beobachter/innen war die CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz, die mehrmals als Unterstützerin Alijews in Erscheinung trat. Im September 2017 wurde bekannt, dass der ehemalige deutsche Bundestagsabgeordnete und Aserbaidschan-Lobbyist Eduard Lintner (CSU) zwischen 2012 und 2014 über 800.000 Euro aus Baku über dubiose Briefkastenfirmen erhielt. Von Lintners Firma Line M-Trade bekam Strenz 2014 und 2015 jeweils zwischen 7.500 und 15.000 Euro überwiesen. Mit den Korruptionsvorwürfen konfrontiert, verstrickte sich Strenz in Widersprüche. Mittlerweile wurde die Bundestagsabgeordnete und ehemalige Vorsitzende der Deutsch-Südkaukasischen Parlamentariergruppe von der Unionsfraktion nicht mehr in den Europarat entsandt.

Sieben Jahre Hoffnungslosigkeit?

Sportliche und kulturelle Mega-Events sind weitere Bestandteile der positiven internationalen Imagepflege des Regimes. Gezielt soll von Korruption und Repression abgelenkt werden. Das durch Petrodollar gestützte selbstbewusste außenpolitische Auftreten geriet durch den massiven Ölpreisverfall Anfang 2015 jedoch stark unter Druck. Zusätzlich steigen die Förderkosten und sinken die Ölreserven am Kaspischen Meer.

Während die Wirtschaft in den ersten sieben Jahren von Ilham Alijews Amtszeit real im Schnitt um 15 Prozent gewachsen ist, stagniert die Wirtschaft seit 2016. Der Wert des aserbaidschanischen Manat hat sich in den vergangenen drei Jahren halbiert. Asatiani und Ismayil sehen in der ökonomischen Entwicklung Möglichkeiten für westliche Handelspartner und internationale Organisationen, in der Kooperation mit Aserbaidschan den Bereich der Menschenrechte und demokratischen Werte verstärkt in den Mittelpunkt zu rücken. Doch auch das Regime ist sich dieser Situation bewusst:

„Menschenrechtsaktivist/innen werden als Faustpfand für politische und wirtschaftliche Verhandlungen benutzt“, beschreibt Asatiani. „Es kann durchaus vorkommen, dass politische Gefangene freigelassen werden. Das ist zwar erfreulich, aber hauptsächlich Kosmetik.“

Bei der anstehenden Wahl wird Alijew zweifelsohne für seine vierte Amtszeit als Präsident gewählt werden. Bedingt durch eine 2016 verabschiedete Verfassungsänderung wird die Amtszeit des Präsidenten nach der kommenden Wahl von fünf auf sieben Jahre verlängert. „Sieben Jahre Hoffnungslosigkeit“, beschreibt Zohrab Ismayil die Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Resignation ist für Ismayil und viele andere dennoch keine Option:

„Es gibt nach wie vor unabhängige Stimmen und Gruppen vor Ort, doch ihre Möglichkeiten sind stark begrenzt.“ Vor allem Proteste gegen soziale oder ökonomische Bedingungen würden durchaus Wirkung zeigen. „Sie sind eine Gefahr für die Regierung und können sie zu Kompromissen zwingen“.

Die gegenwärtige politische und menschenrechtliche Situation bei den nördlichen und südlichen Nachbarn des Kaukasus sollte jedenfalls eine Warnung für europäische Institutionen sein, vor den Entwicklungen in Aserbaidschan nicht die Augen zu verschließen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Repression des Regimes verschärft und die Möglichkeiten der freien Entfaltung von Persönlichkeit für Menschen in Aserbaidschan weiter eingeschränkt werden.