"Die Ereignisse in Simbabwe sind ein politischer Schwindel"

Interview

Der Machtwechsel in Simbabwe war ein Staatstreich des Militärs, sagt Brian Raftopoulos. Ohne Einbeziehung der Zivilgesellschaft und politische Reformen drohe nun die Konsolidierung eines neuen autoritären Staates.

Drei Soldaten von der Armee von Simbabwe
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Die Armee hat die Macht in Simbabwe übernommen (Archivbild)

Brian Raftopoulos ist Forschungsdirektor beim Solidarity Peace Trust, einer südafrikanischen Nichtregierungsorganisation, die sich für Frieden und Gerechtigkeit in Simbabwe einsetzt. Das Gespräch führte Claudia Simons.

Heinrich-Böll-Stiftung: Herr Raftopoulos, Sie bezeichnen die Ereignisse der letzten Wochen in Simbabwe als einen der "größten politischen Schwindel“ in der Geschichte des postkolonialen Afrika“. Weshalb?

Raftopoulos: Was sich da im November abgespielt hat, ist nichts anderes als ein Staatsstreich gewesen. Alle bisherigen Vorstellungen, wer innerhalb der Politik und der Regierungspartei Zanu-PF das Sagen hat, sind damit gekippt worden. Das Militär steht im Vordergrund. Sie sind diejenigen, die das angezettelt haben, und mittlerweile immer mehr die Angelegenheiten des Staats, der Partei und der staatlichen Strukturen bestimmen. Die Tatsache, dass es ihnen gelungen ist, das als etwas anderes als einen Coup zu verkaufen, ist problematisch. Und auch, dass sie es als militärische Maßnahme deklarieren, die politischen Verbrecher um Grace Mugabe zu entfernen, und dass diese sehr eigenwillige Auslegung des Militärs derzeit von der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika und der Afrikanischen Union geschluckt wird.

Nicht minder problematisch ist die Art und Weise, mit der sie dabei vorgegangen sind. Erstens haben sie sich der Sprache der Verfassungsmäßigkeit bedient, um Mugabe aus dem Weg zu räumen: Durch die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahren, den Ausschluss aus der Regierungspartei und schließlich durch das Drängen auf seinen Rücktritt. Sie haben zudem das Vokabular des Wandels benutzt, die Sprache der Opposition, um die Menschen auf die Straße zu locken. Das hat ihnen die breite Unterstützung der Bevölkerung eingebracht. Viele Leute sind auf die Straße gegangen, nicht weil sie für Mnangagwa waren, sondern gegen Mugabe - ein kathartischer Moment für die Simbabwer. Drittens bedient sich Mnangagwa der Sprache der internationalen Wiederannäherung (re-engagement) zum Zwecke neoliberaler Reformen.

Wir haben es hier also mit einer Kombination aus Konstitutionalismus, sogenannter Unterstützung aus der Bevölkerung und neoliberalen Reformen zu tun, die auf eine neue internationale Kooperation abzielen. Dennoch ist und bleibt das Ganze in seinem Wesen ein Staatsstreich - eine militärische Übernahme, die Kontrolle des Staates durch das Militär, und deshalb sage ich: Die Gefahr besteht darin, dass diese betrügerische Maßnahme, die in Wirklichkeit ein Coup ist, als demokratische Transition akzeptiert wird.

Warum ist es so wichtig, politische Reformen voranzutreiben, anstatt vor allem die Stabilisierung der Wirtschaft zu favorisieren?

Es gibt in erster Linie zwei Gründe, warum sich Simbabwe in der derzeitigen Krise befindet: Zum einen ist da das weitzurückreichende Vermächtnis kolonialer Ungleichheiten in Simbabwe und die damit verbundenen Auswirkungen. Der andere Grund ist ein ernsthaftes Demokratiedefizit. Die Art und Weise mit der das Mugabe-Regime einen autoritären Staat schuf, der keine Rechenschafts-, Debatten- und Diskussionsprozesse zuließ, trug zu anwachsender Korruption, mangelndem Konsens in politischen Fragen und zu einer äußerst repressiven Art der Durchsetzung politischer Entscheidungen für die Bürger bei, ohne breites Einvernehmen über die Frage, wie es in Simbabwe weitergehen soll.

Und diese Korruption ebenso wie das wachsende Patronagenetzwerk, das aus der undemokratischen Politik im Staat erwachsen ist, trugen maßgeblich zum wirtschaftlichen Niedergang des Landes bei. Ohne politische Reformen kann es demnach auch keine wirtschaftliche Stabilisierung geben. Ein Fokus auf wirtschaftliche Stabilität ohne politische Reformen würde grundlegend der Analyse der Hintergründe des wirtschaftlichen Niedergangs wiedersprechen.

Was haben die Zivilgesellschaft und die Opposition zur aktuellen Situation beigetragen und welche Rolle sollen sie in den kommenden Monaten einnehmen?

Eines der Probleme, vor denen wir heute stehen, ist, dass die Menschen vergessen haben, wie die Opposition und die Bürger/innenbewegung zur Öffnung von Freiräumen in Simbabwe beigetragen haben, wie auch zur Dynamik innerhalb der Zanu-PF. Ohne die Opposition und die Bürger/innenbewegung hätte es keine neue Verfassung gegeben. Ohne sie hätten wir nicht diese wesentlichen Debatten über Wahlen und politische Reformen geführt. Es hätte kein internationales Engagement, was die fehlende Veränderung, Unterdrückung und den Missbrauch der Menschenrechte in Simbabwe angeht, gegeben. Die Opposition und die Zivilgesellschaft haben den Diskurs über Demokratisierung, Menschenrechte und Wirtschaftsreformen eröffnet. Der Staatsstreich beansprucht das jetzt für sich, indem er die Sprache des Konstitutionalismus, des politischen Wandels und der Wirtschaftsreformen für sich vereinnahmt. All diese Themen sind von der Opposition und der Zivilgesellschaft vorangetrieben worden.

Die Tatsache, dass nicht Opposition und Bürger/innenbewegung Mugabe hinaus gedrängt haben – wobei man nicht vergessen darf, dass dies 2008 der Fall war, als das Movement for Democratic Change [eine aus der zivilgesellschaftlichen Mobilisierung hervorgegangene Partei, Anm. der Redaktion] die Wahlen gewann, auch wenn ihnen der Sieg verwehrt blieb – lässt die Menschen leicht vergessen, wie viel Opposition und die simbabwischen Bürger/innen selbst zu den Veränderungen beigetragen haben, die da gerade stattfinden.

Ohne die Opposition und die Zivilgesellschaft mit einzubeziehen, wird in Zukunft die Triebkraft für die dringend notwendigen Veränderungen fehlen. Wenn man sich nur auf Reformen innerhalb der Zanu-PF verlässt, wird dies lediglich zur Konsolidierung eines neuen autoritären Staates führen.

Welche wesentlichen Schritte sollte die internationale Gemeinschaft als nächstes in Angriff nehmen?

Die internationale Gemeinschaft muss sicherstellen, dass Wirtschaftsreformen und politische Reformen kontinuierlich zusammenlaufen. Sie dürfen nicht zulassen, dass bei dem Regime Fragen der Wirtschaftsreform die Debatten beherrschen, zu Lasten all der Kernpunkte im Zusammenhang mit Wahlreformen, demokratischen Reformen und Menschenrechtsfragen, die seit den 1990ern ein zentraler Bestandteil des Diskurses der Opposition und der Zivilgesellschaft sind. Die internationale Gemeinschaft hat die Aufgabe, sorgfältig darauf zu achten, dass Demokratisierungsprozesse nicht dem Drang nach wirtschaftlicher Stabilität anheimfallen.